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ATTAC/960: Neue Studie zeigt wie Finanzlobbyisten EU-Gesetze machen


Attac Deutschland - Pressemitteilung vom 5. November 2009

* NGO-Netzwerk deckt einseitige Besetzung von EU-Expertengruppen auf
* Attac: EU-Kommission muss Einfluss der Finanzindustrie beenden


Eine heute in Brüssel präsentierte Studie des NGO-Netzwerks ALTER-EU (1) zeigt detailliert, wie Finanzlobbyisten in der Europäischen Union Gesetze mitgestalten. Die große Mehrheit der Berater der Europäischen Kommission im Finanzbereich kommt aus jenen Banken und Unternehmen, die für die Finanzkrise mitverantwortlich sind.

Die Studie "Die Kommission der Konzerne - die Rolle der Finanzindustrie bei der EU-Gesetzgebung" belegt: Die Kommission hat sich vor, während und selbst nach der Finanzkrise fast ausschließlich von Finanzlobbyisten beraten lassen. Die 19 Expertengruppen für Finanzpolitik werden von Vertretern der Finanzindustrie dominiert. Sie machen die Vorschläge zur Regulierung von Banken, Hedge Fonds und Steueroasen, zu Rating Agenturen und Bilanzierunsgvorschriften (2). Ihre Anzahl übertrifft zahlenmäßig sogar jene der europäischen Beamten in diesem Bereich. Wissenschaftler, Verbraucherverbände und Gewerkschaften sind hingegen deutlich unterrepräsentiert.

"Die Kommission muss dem Lobbyismus der Finanzindustrie ein Ende machen. Ernsthafte Reformen im Finanzsystem kann es nur ohne ihren dominierenden Einfluss geben", sagte Detlev von Larcher vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. Mit der einseitigen Besetzung ihrer Expertengruppen bricht die Kommission ihre eigenen Regeln. Diese sehen vor, dass eine Vielzahl von Sichtweisen in den Expertengruppen repräsentiert sein muss. "So lange die Finanzlobbyisten dominieren, darf das Europäische Parlament die Budgets der Expertengruppen nicht verabschieden", forderte Detlev von Larcher.

Andy Rowell, einer der Autoren der Studie, erklärte: "Die Kommission scheint ausschließlich am Rat der Finanzindustrie interessiert zu sein. Wenn die Kommission das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unser Finanzsystem zurückgewinnen will, muss sie sich aus der Umklammerung dieser einseitigen Beratung befreien."


ALTER-EU fordert daher die Kommission auf:

• Die Mitgliedschaft (Namen und Organisationen) und Dokumente (Berichte und Protokolle) aller Gruppen offenzulegen, welche die Kommission seit der Schaffung eines gemeinsamen Marktes für Finanzdienstleistungen zu Regulierungsfragen beraten haben

• Expertengruppen, die von Industrieinteressen dominiert werden aufzulösen oder eine ausgewogene Repräsentation der Interessen sicher zu stellen

• Keine neuen Expertengruppen zu bilden, bis es verbindliche Regeln gibt, die die ausgewogene Konsultation aller Interessensgruppen garantieren.


Anmerkungen:

(1) Die "Alliance for Lobbying Transparency and Ethics Regulation" (ALTER-EU) ist eine Vereinigung von mehr als 160 Gruppen aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich. Attac Deutschland ist Mitglied bei ALTER EU. Das Netzwerk kämpft gegen den stetig wachsenden Einfluss von Lobbyisten in der EU und dem damit einhergehenden Verlust von Demokratie.

(2) Bei der Erstellung von Regeln für das Bankwesen befolgte die Kommission die Ratschläge des Bankensektors und erlaubten den Bankern selbst einzuschätzen, wie hoch das Risiko ihres Investments ist. Das Versagen der Banken, risikoreiche Investitionen zu erkennen, hat sich als eine der Hauptursachen für die der Finanzkrise herausgestellt.

Bei der Regulierung von Hedge Fonds empfahlen die Expertengruppen mit der lockeren Regulierung fortzufahren, weil dies ihrer Meinung nach "der Industrie, den Investoren und dem Markt sehr gut gedient habe". Selbst als das extrem hohe Risiko, welches von Hedge Fonds ausgeht, klar war, entschied sich die Kommission nur für eine minimale Verschärfung der Gesetze. Die in Diskussion befindliche Fondsrichtlinie wird nicht Fonds, sondern nur die Fondsmanager regulieren.

Rating Agenturen wiesen die Kommission darauf hin, dass Regulierungen für Einschätzungen von Bonitäten nicht gebraucht würden. Viele Investoren verließen sich auf ihre Ratschläge - ein wichtiger Faktor für das katastrophale Ausmaß der Finanzkrise.

Als die Finanzkrise ausbrach, wurden Fehler in den Bilanzierungsregeln - die im Wesentlichen von Banken selbst erstellt wurden - von Politikern als Mitverursacher der Krise identifiziert. Trotz vieler Diskussionen blieben Regulierungslücken bestehen, die es erlauben, faule Kredite in den Bilanzen zu verstecken.

Das Vorgehen der Kommission gegen Steueroasen wurde entscheidend von Vertretern von Stiftungen und Trusts - insbesondere in Offshore-Trusts - beeinflusst. Es ist nicht überraschend, dass die Vorschläge der Kommission zur Beseitigung von Steuerflucht immer noch sehr einfach zu umgehen sind.





Im Internet:

- Kampagnen-Statement "Ending corporate privileges and secrecy around lobbying in the European Union" und eine Liste der Unterzeichner:
www.alter-eu.org

- Studie: "A Captive Commission - the role of the financial industry in shaping EU regulation":
http://kurzlink.de/A_captive_commission


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Quelle:
Pressemitteilung vom 05.11.2009
Pressesprecherin Attac Deutschland
Frauke Distelrath
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2009