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OFFENER BRIEF/102: Kein Kauf von Atombombern im Schatten der Corona-Krise (IPPNW)


IPPNW-Pressemitteilung vom 8. April 2020
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland

Kein Kauf von Atombombern im Schatten der Corona-Krise!

Brief von Ärztinnen und Ärzten an die Bundesregierung


Die von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer für diese Woche angekündigte Entscheidung über den Kauf neuer atomwaffenfähiger F-18 Kampfflugzeuge muss verschoben werden, fordert die ärztliche Friedensorganisation IPPNW in einem offenen Brief an die Bundesregierung.

Die F-18 sollen die veralteten Tornados der Bundeswehr ersetzen und dazu dienen, die in Büchel stationierten Atomwaffen im Ernstfall ins Ziel zu fliegen. Obwohl der Bundestag 2010 den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland gefordert hatte, wäre mit dem Kauf der F-18 die Fortsetzung der Stationierung von Atomwaffen in Deutschland für weitere Jahrzehnte faktisch beschlossen.

In Kürze sollen die US-Atomwaffen in Büchel durch "moderne" Atomwaffen vom Typ B61-12 mit erweiterten Einsatzfähigkeiten ersetzt werden. Die jetzt vom Verteidigungsministerium geplante Entscheidung würde deshalb die erste atomare Aufrüstung in Deutschland seit den 80er Jahren einleiten.

Die Ärzt*innen der IPPNW fordern, dass eine derart weitreichende Entscheidung nicht ohne öffentliche politische Debatte und nicht im Schatten der Corona-Krise getroffen werden darf. Öffentlicher Protest ist momentan nicht möglich. Die Ostermärsche, auf denen seit 60 Jahren gegen atomare Aufrüstung protestiert wird, können nicht stattfinden und die mediale Aufmerksamkeit liegt auf der Corona-Pandemie.

"Es kann nicht sein, dass wir im Dauereinsatz gegen die Folgen der Corona-Pandemie sind und es überall an lebenswichtiger medizinischer Ausrüstung mangelt, während gleichzeitig Milliarden in atomare Aufrüstung investiert werden", so Dr. Lars Pohlmeier, Internist und Vorstandsmitglied der IPPNW.

In ihrem offenen Brief an die Bundesregierung schreiben die Ärzt*innen: "Diese Krise müssen wir gemeinsam durchstehen! Wir Ärztinnen und Ärzte stehen mit Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen an Ihrer Seite, um die immensen Herausforderungen zu meistern. Es ist notwendig, jetzt eine Zeitenwende hin zur Demilitarisierung einzuleiten und Ressourcen sinnvoll zu verteilen. Deshalb fordern wir die Verschiebung der Entscheidung über die Neuanschaffung von atomwaffenfähigen Flugzeugen auf die Zeit nach der Corona-Krise, um die dringend nötige öffentliche politische Debatte über die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland zu ermöglichen."

*

An
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer
Bundesaußenminister Heiko Maas

Berlin, 08. 04. 2020

Offener Brief:
Keine Entscheidung für atomwaffenfähige F-18 Kampfflugzeuge in Corona-Zeiten!

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,
Sehr geehrte Frau Ministerin Kramp-Karrenbauer,
Sehr geehrter Herr Minister Maas,

Zivilgesellschaft, medizinisches Fachpersonal und Bürgerinnen und Bürger erleben derzeit eine noch nie dagewesene Situation. Die Mehrheit hält sich verständnisvoll an temporäre Einschränkungen der Grundrechte, viele Menschen leisten Großartiges für unsere Gemeinschaft. Jetzt wurde bekannt, dass Sie, Frau Ministerin Kramp-Karrenbauer, kurzfristig über die milliardenschwere Anschaffung von Eurofightern und F/A-18-Kampfflugzeugen entscheiden wollen.[1] Dies wäre die größte Investition der Bundeswehr seit dem Ende des Kalten Krieges. Zusätzlich wäre die Beschaffung der F/A-18 von besonderer Bedeutung, da sie die Aufgabe der jetzigen Tornados zum Atomwaffeneinsatz weiterführen sollen.

Die nukleare Teilhabe würde so ohne öffentliche Debatte und auch entgegen dem Parlamentsbeschluss vom 26. März 2010 weitergeführt. Darin hatten Union, SPD, FDP und Grüne von der Bundesregierung gefordert, auf eine vollständige nukleare Abrüstung Deutschlands hinzuwirken. Eine solche Entscheidung darf nicht unter Zeitdruck und schon gar nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit fallen!

Die große Mehrheit der Deutschen lehnt in repräsentativen Umfragen die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland ab.[2] Seit 60 Jahren wird im Frühjahr auf Ostermärschen gegen die weitreichende atomare Aufrüstung protestiert, in diesem Jahr aus gegebenem Anlass digital und auf anderen Wegen.

Wir Ärztinnen und Ärzte sowie andere Mitarbeiter*innen aus Gesundheitsberufen, die in der Friedensbewegung organisiert sind, sind derzeit im Dauereinsatz, um die Schäden durch die Corona-Pandemie so gering wie möglich zu halten. Die aktuelle Gesundheitskrise, in der es nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt an lebenswichtigen medizinischen Ressourcen mangelt, macht die Verantwortungslosigkeit der Investition von Milliarden öffentlicher Gelder in Massenvernichtungswaffen besonders deutlich.

Die geplante atomare Aufrüstung verschärft internationale Spannungen und schwächt die Rolle der Bundesregierung, wenn sie sich glaubhaft für weltweite atomare Abrüstung einsetzen will. Eine solche Abrüstungsarbeit erfordert eine breite gesellschaftliche Debatte, die derzeit nicht geführt werden kann.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel, sehr geehrte Frau Ministerin KrampKarrenbauer, sehr geehrter Herr Minister Maas - diese Krise müssen wir gemeinsam durchstehen! Wir Ärztinnen und Ärzte stehen mit Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen an Ihrer Seite, um die immensen Herausforderungen zu meistern. Es ist notwendig, jetzt eine Zeitenwende hin zur Demilitarisierung einzuleiten und Ressourcen sinnvoll zu verteilen.

Deshalb fordern wir die Verschiebung der Entscheidung über die Neuanschaffung von atomwaffenfähigen Flugzeugen auf die Zeit nach der Corona-Krise, um die dringend nötige öffentliche politische Debatte über die Beendigung der nuklearen Teilhabe zu ermöglichen.

Mit freundlichen Grüßen
für den IPPNW-Vorstand

Dr. Inga Blum
Dr. Lars Pohlmeier


Anmerkungen:
[1] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kramp-karrenbauer-ueber-tornardo-nachfolger-bis-ostern-entscheiden-16699549.html
[2] https://www.greenpeace.de/themen/umwelt-gesellschaft/klare-haltung-gegen-atomwaffen

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Quelle:
Pressemitteilung und Offener Brief vom 8. April 2020
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Körtestr. 10, 10967 Berlin
Tel. 030/69 80 74-0, Fax: 030/69 38 166
E-Mail: ippnw@ippnw.de
Internet: www.ippnw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2020

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