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BERICHT/001: Kommune-Info-Tour 2009 macht Station in Hamburg (SB)


Abschluß der Kommune-Info-Tour 2009
am 8. März 2009 in der Werkstatt 3 in Hamburg



Haben wir nicht schon mit der Muttermilch die unerschütterliche Gewißheit aufgesogen, daß man einander braucht und menschliche Gemeinschaft nie anders als auf Grundlage dieser Abhängigkeit existieren kann? Drohten wir, über die Stränge zu schlagen, holten uns die Eltern mit der eindringlichen Warnung zurück, daß man draußen nicht überleben kann. Anpassung sei das unverzichtbare Mittel der Wahl, wenn man über die Runden kommen und etwas aus sich machen wolle. Als es uns zu eng wurde und wir unseren Horizont erweiterten, stießen wir auf dieselbe Ultima ratio unausweichlicher Fügung in eine herrschende Ordnung, die ihre Anpassungsforderung auf vielfache Weise in Schule, Ausbildung und Beruf artikulierte, dabei stets zu einer Gesellschaftsordnung verdichtet, die man die bestmögliche nannte. Diese, so belehrte man uns, sei das notwendige Fundament geregelten Überlebens, das unweigerlich in Faustrecht und Chaos versinken würde, wenn man seine herrschaftlichen Instanzen in Frage stellte. In unserem Vorteilstreben von der Hoffnung auf Zugewinn verklärt und von der Furcht des Verlustes gepeinigt wurde Beteiligung an den bestehenden Verhältnissen zu unserer zweiten Natur.

Wie wäre die Herrschaft der wenigen über die vielen auch anders möglich, als durch die Instrumentalisierung fundamentaler Selbstbehauptungsstrategien unter dem Joch von Bedrohung und Not! Räuberische Wesen, die wir sind, beten wir die Stärke des größten Räubers mit allen Fasern unseres Wesens an, während wir das Schwache verachten und ignorieren. So nehmen wir in Kauf, daß uns zuerst das Fell über die Ohren gezogen wird, worauf wir nur ein Bruchteil des zuvor Geraubten wie eine Gnade zurückbekommen, die uns jederzeit entzogen werden kann. Schwant uns am Ende aber doch, in welchem Kerker wir sitzen, bekommen wir es mit einem Übermaß an Sanktionen zu tun, zu denen sich die Seelenqual der implementierten Ängste gesellt, auf der Seite der Verlierer zu landen.

Und doch: Gibt es nicht bessere Gründe zusammenzuleben, als die Not einer Zwangsgemeinschaft? Ist es wirklich vermessen, sich das Unmögliche auf die Fahne zu schreiben? Reicht es nicht mehr als genug aus zu wissen, was man um keinen Preis mehr will? Wenn man in diesem Zusammenhang von einem Schritt über die Schwelle sprechen will, so führt er weder in die Hölle noch ins Schlaraffenland, wie die Mitglieder kollektiver Lebensformen wohl aus eigener Erfahrung bestätigen werden. Als Konsument kann man Kaufentscheidungen treffen und als Bürger verantwortlich handeln, doch wenn man einmal zu dem Schluß gekommen ist, daß der Lohn nie hält, was die Ausbeutung verspricht, und Wohlverhalten nicht ins Paradies führt, hat man nicht nur jede Menge Probleme am Hals, sondern plötzlich auch die Hände frei, sie in Angriff zu nehmen.

Die Spaltung des Menschen vom Menschen, die Isolation des Individuums, die Fragmentierung sozialer Bezüge erweisen sich als zentrale Instrumente der Herrschaftssicherung, die Massenwirkung zu erzielen und darüber das kollektive Aufbegehren der Unterworfenen und Verfügten nachhaltig zu verhindern trachtet. Die Kommune als widerstreitende Lebensform und opponierender Gesellschaftsentwurf nimmt für sich in Anspruch, dem von der Ohnmacht des Vereinzelten bis zu dessen Vergesellschaftung im Ausbeutungs- und Verwertungsprozeß gespannten Bogen der Zurichtung etwas entgegenzusetzen. Was aber könnte das sein, wenn man weder über das Arsenal der Zwangsinstrumente noch die Produktionsmittel verfügt und sich doch nicht mit der bloßen Hoffnung bescheiden will, daß eines fernen Tages der Sieg errungen und der neue Mensch aus der Taufe gehoben wird?

Daß sich in diesem Streit zuvor ungeahnte Fragen stellen, liegt auf der Hand. Und wenn man heute zu Schlüssen gelangt, die man morgen zugunsten griffigerer Ansätze zurückläßt, ist das kein Manko, sofern man einer Welt die Stirn bietet, die jeden Keim des Zweifels mit ihren Antworten erstickt. Ein Blatt im Wind ist man deswegen noch lange nicht, denn man beginnt zu begreifen, daß seelenlos am allerwenigsten jene sind, die himmlischem Lohn und weltlichem Dank das Vertrauen entzogen haben.


Wie es um Utopie und Praxis ihres Lebensalltags bestellt ist, erzählten Menschen aus unterschiedlichen Kommunen auf der Info-Tour, die vom 28. Februar bis 8. März durch Norddeutschland reiste und in acht Städten zu Gast war. Letzte Station dieser Reise war das alternative Zentrum Werkstatt 3 in Hamburg, wo Vertreter aller sechs beteiligten Kommunen ihre Lebenspraxis vorstellten und mit interessierten Besuchern des Treffens diskutierten, die der Einladung von Kommuja (Netzwerk der politischen Kommunen) und BUKO (Bundeskoordination Internationalismus) gefolgt waren.

Bereits im elften Jahr verbindet die Kommune-Info-Tour das Interesse der knapp 40 dem Kommuja-Netzwerk angehörenden Lebensgemeinschaften, neue Mitbewohner zu finden, mit dem Anliegen, den Kommunegedanken vorzustellen und zu diskutieren. Darüberhinaus dient diese Reise auch dem Kontakt und Erfahrungsaustausch der Kommunarden untereinander und bietet den Beteiligten Gelegenheit, einige Tage lang unterwegs und zugleich überall zu Hause zu sein.

Für ausgesprochene Nachtschwärmer war der Hamburger Termin am Sonntagmittag um 11 Uhr zweifellos eine Herausforderung, was die rund 40 Kommunarden und Gäste, darunter auch die drei Redakteure des Schattenblicks, schon für sich genommen als Menschen auswies, die auf die eine oder andere Weise mit einem ernsthaften Anliegen gekommen waren. Daß man dem Interesse an einer anregenden Zusammenkunft in einem solchen Kreis entspannt und zugewandt nachgehen konnte, sah man auf den ersten Blick. Zwanglos und freundlich aufgenommen, war man aller Förmlichkeit enthoben. Wer sich ohne Frühstück auf den Weg gemacht hatte, konnte dies nachholen und sich bei Käsebrötchen und Kaffee plaudernd einfinden, bis man ohne jede Hast zu dem Schluß kam, daß alle da seien und man loslegen könne.

Offene Meuterei der malträtierten Matrosen

Offene Meuterei der malträtierten Matrosen


Wieviel Spaß man dabei haben kann, bei rauher See das Motto der Kommune-Info-Tour 2009 "Wir woll'n auch anders: hart backbord!" in die Tat umzusetzen, bewies eine in signalrote Schwimmwesten gekleidete Bootsbesatzung den sogleich erheiterten Zuschauern auf anschauliche Weise. Des mühseligen Ruderns überdrüssig meuterte die Crew und setzte den alten Käpt'n kurzerhand ab. Kaum waren die ersten Atemzüge der neugewonnenen Freiheit genossen, als sich auch schon die ernüchternde Frage aufdrängte, wie es nun mitten auf dem Meer weitergehen sollte. Ideen wurden eingebracht und verworfen, Kontroversen um Führung und Kompetenz so rasant in Szene gesetzt, daß man sich das Lachen nicht verkneifen konnte und zugleich ahnte, wie tief dieser Sketch aus dem Kommuneleben gegriffen war. Da niemand sicher wußte, wie die Ruderpinne zu bedienen und das Kommando zu führen war, erbot sich schließlich eine Doppelspitze, mit vereinten Kräften und noch dazu im Takt eines inspirierenden Liedvortrags im Duett die Fahrt wieder aufzunehmen. Wie man sich denken kann, hielt das Hochgefühl auch unter dem neuen Regime nicht lange vor, und so setzte es alsbald Beschwerden, daß man genauso rudern müsse wie früher. Davor, dazwischen und danach glänzten die Darsteller mit weiteren Irrungen und Wirrungen, wobei sie in ihrem amüsanten Durcheinander ohne Rückgriff auf eine Dauerlösung doch den eingeschlagenen Kurs hielten.

Am Ziel der Reise verdienter Applaus

Am Ziel der Reise verdienter Applaus


Nach diesem unterhaltsamen Einstieg, der die interessierten Gäste gewissermaßen ins Boot der Info-Tour geholt hatte, stellten die Organisatoren ihr Anliegen mit einigen Worten vor. Schon im Einladungsschreiben hieß es kurz und prägnant dazu:

"Der sozialpolitische, ökologische, neoliberale Raubbau an Menschen, Natur und Umwelt tritt deutlicher zu Tage als je zuvor! Um so wichtiger werden alternative Lebensmodelle. Eine Möglichkeit besteht darin, das Leben in Kommunen und Gemeinschaften zu organisieren. Hier können unterschiedlichste Menschen altersgemischt zusammen leben und arbeiten. Die Bündelung von Energien und Ressourcen und der gemeinsame Besitz von Gebäuden und Produktionsmitteln eröffnet Alternativen in sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Hinsicht.

'Wir haben uns Orte geschaffen, in denen wir versuchen, menschenwürdigere Alltagsbedingungen zu entwickeln, in denen die Bedürfnisse des und der Einzelnen Berücksichtigung finden. Orte, in denen kollektive Perspektiven verwirklicht werden sollen.'

Ist politische Kommune also immer noch aktuell? Klar, denn den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen ist es bisher nicht gelungen, uns vom Gegenteil zu überzeugen!"

Nun folgte eine Powerpoint-Präsentation mit Musikbegleitung, mit der die sechs Kommunen ihr Leben und ihre Ziele in Bild und Ton faßten. Dabei durften Aufnahmen aller Mitbewohner, der Gebäude und Anwesen ebensowenig fehlen wie Szenen aus dem Alltagsleben, der gemeinsamen Arbeit und nicht zuletzt der Feste und Begegnungen. Auf diese Weise bekam man einen ersten Eindruck von den verschiedenen Kommunen, ihrem Standort und ihrer Ausrichtung.

Als sich dann Vertreter der Kommunen mit einigen einführenden Worten persönlich vorstellten, konnte man Namen mit Gesichtern und zuvor gesehenen Orten soweit in Verbindung bringen, daß die einzelnen Lebensgemeinschaften in ihren Gemeinsamkeiten wie auch in ihren Unterschieden Schritt für Schritt Kontur gewannen.


Der Inhalt der folgenden Kurzvorstellungen der an der diesjährigen Kommune-Info-Tour beteiligten Gruppen wurde zum einen den auf der Hamburger Veranstaltung getroffenen Stellungnahmen und zum andern diversen Texten der präsentierten Lebengemeinschaften entnommen.


Kommune Feuerland
(Ausbau 13; 17326 Brüssow; 039742/81611)

Sie wurde 1993 in der Uckermark etwa 120 Kilometer nordöstlich von Berlin gegründet und besteht zur Zeit aus fünf Frauen, drei Männern und zwei Kindern, wobei die Altersspanne fünf bis 45 Jahre beträgt. Mit von der Partie sind Hunde, Katzen, Pferde, Schafe und Esel. Der schöne, allein liegende Hof mit vier im Karree stehenden Gebäuden ist von fünf Hektar Land umgeben und kann sogar mit einem einem Badesee aufwarten. Die Umgebung ist dünn besiedelt, es gibt viele Zugezogene und ein buntes alternatives Leben.

Grund und Boden, Häuser, Fahrzeuge und Vermögen wie etwa Erbschaften gehören allen gemeinsam. Sämtliche hereinkommenden Gelder werden in eine Kasse getan, um daraus alle notwendigen Ausgaben zu bestreiten und nach Bedürfnis privat Gelder zu entnehmen. Dabei ist es unerheblich, wie viel jemand einbringt. Durch das eigene Gemüse sowie verschiedene Synergieeffekte mit Menschen der Umgebung und anderen Gruppen werden die Ausgaben reduziert. Die gemeinsame Ökonomie macht es möglich, nach eigenen Werten zu leben, ohne abrechnen zu müssen.

Entscheidungen sollen von allen getragen werden und werden daher im Konsens herbeigeführt. Es haben sich Einzelzuständigkeiten oder Kleingruppen entwickelt, die auch selbständig entscheiden, so daß nur Punkte von größerer Bewandtnis in der Gruppe besprochen werden, wobei der Wunsch nach Transparenz vorherrscht. Beziehungsarbeit wird als gleichwertige Arbeit angesehen. Dafür sind auch wöchentliche Zusammenkünfte vorgesehen.

In einer Mischung aus Selbstversorgung und Teilselbstversorgung wird Gemüse angebaut und auf eine möglichst gesunde Ernährung geachtet. Ziel ist eine nachhaltige Lebensweise, die jedoch nicht als Inseldasein, sondern im Austausch mit der Umgebung erfolgt, was auch politische Aktivitäten einschließt. Gemeinsam mit einer Berliner Stadtkommune besteht seit einiger Zeit eine Kooperation, bei der Äpfel in der Uckermark geerntet und gepreßt werden, worauf man den gewonnenen Saft verkauft.


Kommune-Projekt Uthlede
(Moorstr. 16; 27628 Uthlede; 04296/748225)

Der kleine Ort Uthlede liegt ca. 35 Kilometer nördlich von Bremen. Bei dem Anwesen der Kommune, die seit 2002 besteht, handelt es sich um einen ehemaligen Landgasthof mit Nebengebäuden und Saal. Der Garten am Haus ist mit alten Obstbäumen bewachsen und wird von einigen Hühnern, Gänsen, Enten und Katzen bewohnt. Auf einer gepachteten Weide nebenan tummeln sich noch ein paar Schafe. Bewohnt wird das Anwesen derzeit von drei Leuten, doch bietet es Platz für ein Dutzend Menschen.

Das Projekt soll frei von Hierarchien und basisdemokratisch strukturiert sein. Entscheidungen werden im Konsens getroffen, ein solidarischen Umgang miteinander ist ausdrücklich erwünscht. Haus und Land gehören allen gemeinsam, Privateigentum an Produktionsmitteln und Geld lehnt die Kommune ab. Alle Einkünfte gehen in eine gemeinsame Kasse, aus der alle projektbezogenen Ausgaben getätigt wie auch individuelle Bedürfnisse befriedigt werden. Der Alltag wird gemeinsam organisiert, wobei grundsätzlich eine Gleichwertigkeit für die verschiedenen Formen von Arbeit angestrebt wird. An Ideen und Möglichkeiten, das Projekte weiterzuentwickeln, fehlt es nicht. Derzeit wird ein kleiner Laden für biologische Lebensmittel und Wein aufgebaut.

Das Projekt dient der emanzipatorischen Veränderung sowohl im Zusammenleben als auch im Sinne einer Basis, um sich gemeinsam mit anderen gegen die herrschende Ordnung zu engagieren. Es ist somit nicht als Insel innerhalb der herrschenden Verhältnisse konzipiert, sondern will mit anderen Menschen aus dem linken Spektrum für politische und gesellschaftliche Veränderungen kämpfen.


Kommune Hof Rossee
(Rossee 1; 24360 Barkelsby; 04351/880812)

Hof Rossee ist ein Resthof mit einem Wohnhaus, zwei Stallgebäuden, Halle und etwas Land an der Stadtgrenze zu Eckernförde, der zur Zeit von sechs Erwachsenen und zwei Kindern bewohnt wird und ausbaufähig ist. Die Bewohner möchten ein verantwortungsvolles und solidarisches Miteinander leben, in Achtung voreinander und der Natur. Dabei wird das Leben in Gemeinschaft als Möglichkeit aufgefaßt, aneinander zu wachsen und neue Wege zu beschreiten.

Derzeit sind noch mehrere Gruppenmitglieder außerhalb der Kommune in Teilzeit beschäftigt, doch strebt man auf Grundlage einer gemeinsamen Ökonomie eine Verringerung der Abhängigkeit nach draußen an und hat sich auf den Weg gemacht, die Kleinfamilienstruktur aufzulösen.


Kommune Olgashof
(Gutshaus; 23966 Olgashof; 03841/793337)

Der Olgashof ist ein alleinstehendes Gut in der Nähe von Wismar unweit der Ostsee. Das parkähnlich bepflanzte Gelände mit großen Obstgarten wird derzeit von zehn Erwachsenen und zwei Kindern bewohnt. Der Besitz ist Gemeinschaftseigentum, wie auch die Haushaltskasse gemeinsam getragen wird. Bei wöchentlichen Treffen im Plenum werden Entscheidungen im Konsens herbeigeführt.

Das Spektrum der Weltanschauungen und Aktivitäten umfaßt anarchistische bis anthroposophische Positionen. Als Arbeitsbereiche gibt es eine Architekturwerkstatt, ein Holzkollektiv, ein Seminar- und Ferienhaus mit großen Saal, den Gartenbau und eine Siebdruckwerkstatt. Die Menschen in der Kommune wollen frei von Konsumterror und umweltbewußt die selbstgeschaffene Unabhängigkeit und individuelle Freiheit genießen und ihre Zeit selbstbestimmt mit den unterschiedlichsten Aktivitäten gestalten. Dabei wünschen sie eine Anerkennung über Inhalte und nicht über Arbeit, wie sie üblicherweise vom sozialen Umfeld vorgenommen wird. Im Osten Deutschlands ist noch manches anders, heben die Bewohner des Olgashofs hervor.


Villa Locomuna
(Kölnische Str. 183; 34119 Kassel; 0561/92009490)

Die Gruppe besteht aus 20 Erwachsenen im Alter zwischen 26 und 70 Jahren sowie zwölf Kindern. Im Dezember 2000 zogen die ersten Menschen in den ehemals von der Bahn genutzten Gebäudekomplex in Kassel ein, um gemeinsam eine eigene Lebensform jenseits von Kleinfamilie und Singledasein zu entwickeln. Die Kommune will sich im sozialen Umfeld einbringen, was über Produkte und Dienstleistungen wie auch persönliche Kontakte und politische Arbeit geschieht. Das Projekt ist über Mittel der Bewohner und Bewohnerinnen sowie von Freundinnen, Freunden und Bekannten als auch über Bankkredite finanziert.

Angesichts einer Vielzahl gesellschaftlicher Problemlagen halten es die Mitbegründer für wichtig, die Entwicklung innovativer, sozialer Formen des Zusammenlebens zu unterstützen. Die Gesellschaft bringt zahlreiche Probleme hervor, für die sie keine Lösung hat: Hohe Mobilität löst familiäre Strukturen und gewachsene nachbarschaftliche Bezüge auf, unter Kindern hat sich das Sozialverhalten dramatisch verändert, der hohe Pro-Kopf-Verbrauch an Platz, Energie und Ressourcen in den westlichen Industriestaaten schließt eine halbwegs menschenwürdige Lebensmöglichkeit für große Teile der Weltbevölkerung aus und stellt langfristig die weitere Bewohnbarkeit unseres Planeten in Frage.

Demgegenüber sei es nötig, im eigenen Leben und im eigenen Umfeld zu versuchen, Lösungen für diese Probleme zu entwickeln, da es fraglich erscheint, ob die institutionalisierten Entscheidungsapparate in der Lage sind, Antworten auf diese Herausforderungen zu finden. Hier will das Projekt als Genossenschaft einen Beitrag leisten und Menschen unterstützen, die gemeinschaftlich leben wollen. Dieses Leben könne wichtiger Teil einer Antwort sein, wie man den problematischen sozialen Entwicklungen der Gesellschaft begegnet.


Kommune Niederkaufungen
(Kirchweg 1; 34260 Kaufungen; 05605/80070)

Im Jahr 1983 taten sich etwa 100 Leute meist aus dem akademischen Milieu in Hamburg und Umgebung zusammen, um eine Kommune zu gründen. Sie verfaßten ein Grundsatzpapier, in dem ausgearbeitet wurde, wie sie sich das Leben in Gemeinschaft vorstellten und warum sie so leben wollten. Thematisiert wurden unter anderem die Verfügungsgewalt über Kapital, Besitz und Produktionsmittel, entfremdete Arbeit und eine ohnmächtige Gesellschaft. Auch von Kleinfamilie, Erziehungsstrukturen und Konsum war die Rede. Dieser Analyse wurde als Utopie entgegengestellt, daß man nicht länger konkurrierend, beziehungslos und vereinzelt leben wolle. Weder wolle man sich ausbeuten lassen, noch über den diktierten Konsum die eigenen unerfüllten Wünsche vergessen. Hier und heute solle alles verändert werden.

Zu den Grundsätzen des Vorhabens gehörten kein Privatbesitz an Produktionsmitteln, selbstverwaltete Arbeitsbereiche, Veränderung der Lebensbedingungen und familiären Beziehungen sowie politisch-ökologische Prinzipien. Politisches Engagement in Umfeld und Gesellschaft waren ausdrücklich vorgesehen.

Nachdem die Suche nach einem geeigneten Objekt über die Hamburger Region hinaus erweitert worden war, fand man 1986 ein Anwesen in Niederkaufungen bei Kassel. Im Laufe des langen Suchprozesses war die Gruppe auf 15 Erwachsene geschrumpft, die durch Werbung auf 25 anwuchs. Es gründeten sich die Arbeitsbereiche Bau, Landwirtschaft, Schreinerei, Tagungshaus, Kindertagesstätte und Verwaltung, zu denen später Näh- und Lederwerkstatt, Satzmanufaktur und Architektur hinzukamen. Es bildete sich eine Frauengruppe, dann auch eine Männergruppe und schließlich die erste Frauen-WG, womit sich im Projekt viele Entwicklungen der damaligen Zeit widerspiegelten.

Die Maßgaben des ursprünglichen Entwurfs wurden mehrfach überprüft und im Licht der Erfahrungen neu formuliert. So stellte man fest, daß linkes Politikverständnis doch ein sehr unpräziser und dehnbarer Grundsatz sei. Gemeinsame Ökonomie blieb ebenso ein zentrales Element des Zusammenlebens wie das Konsensprinzip im wöchentlichen Plenum. Da sich sehr unterschiedliche Beziehungsformen entwickelt hatten, zählten persönliche Konflikte zu den schmerzvollsten Problemen der Kommune. Auch bei der Kinderbetreuung einigte man sich auf ein gemischtes Modell, das nicht allen Vorstellungen gerecht werden konnte. Vieles wurde im Lauf der Jahre in konkrete Strukturen gefaßt: So regelte man den Einstieg und Abschied, schuf ein Aufnahmeverfahren und einen rechtsverbindlichen Ausstiegsvertrag. Heute leben 75 Menschen in der Kommune Niederkaufungen, die angesichts ihrer Beständigkeit und Größe längst den Beweis ihrer langfristigen Tragfähigkeit erbracht hat.


Da keine Präsentation das Zusammenspiel von Frage, Antwort und Diskussion ersetzen kann, war die anschauliche und dabei nicht überstrapazierte Selbstdarstellung der Kommunen ein gelungener Auftakt zu der nun folgenden Aufteilung in drei Arbeitsgruppen, in denen die Kommunarden Rede und Antwort standen. Natürlich verliefen die Gespräche je nach Interesse der Teilnehmer unterschiedlich und zwangsläufig so bunt, wie das angesichts der recht verschiedenen Anliegen im Kreis der Gäste unvermeidlich war. Was im einzelnen besprochen wurde, läßt sich in seiner Vielfalt kaum darstellen, doch sei den Lesern soviel gesagt, daß der Anteil junger Leute überwog, die sich mit dem Gedanken tragen, womöglich in einer Kommune zu leben.

Auf in die Arbeitsgruppen!

Auf in die Arbeitsgruppen!


Die manchmal zaghaft und dann wieder forsch vorgetragene Wißbegierde traf auf Kommunarden, die aufmerksam zuhörten, freiweg antworteten und sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließen. Keine Frage war zu abwegig oder naiv, fand man doch in jeder von ihnen etwas wieder, was einen selbst im Zuge der Auseinandersetzung um ein anderes Leben irgendwann beschäftigt hat. Und wenngleich man wußte, daß die anwesenden Lebensgemeinschaften um Nachwuchs warben, geschah das doch unaufdringlich und in der Gewißheit, daß sich solche Schritte nicht übers Knie brechen lassen und am besten in der Gelassenheit eines zugewandten Gesprächs gedeihen.

Natürlich gehörte das Thema der ökonomischen Lebensbewältigung in seiner vielfältigen Gestalt zu den besonders interessiert verfolgten Fragen, ist doch jeder ganz normal allein, in einer Beziehung oder Kleinfamilie lebende Mensch in zunehmendem Maße vom Zwang lohnabhängiger, freiberuflicher oder sozialleistungsgestützter Existenz gebeutelt. Hier erfuhr man einiges über die informellen wie vertraglichen Strukturen, mit denen Einkünfte und Ausgaben in den Kommunen geregelt werden. Auch wenn dies in den einzelnen Gruppen unterschiedlich gehandhabt wird, zeichnete sich ein Rahmenwerk der ökonomischen Regulation vor, während und nach einem gemeinsamen Leben ab, das dem einzelnen viel Gestaltungsfreiheit bei stetiger Rücksichtnahme auf das Gemeinwesen ermöglicht. Wie weit der grundsätzliche Verzicht auf den bürgerlichen Anspruch eines qua Privateigentum geregelten Sozialverhaltens in den einzelnen Kommunen verwirklicht wird, muß jeder Interessierte selbst herausfinden.

Damit indirekt verkoppelt sind auch die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen ein Einzug in die bestehenden Kommunen möglich gemacht wird. Hier dominiert allerdings die Frage der gegenseitigen Verträglichkeit, so daß eine längere Probezeit, die sich sogar über mehrere Jahre erstrecken kann, die Regel ist. Durchaus beeindruckend und von langjährigen Erfahrungen zeugend ist der hohe Organisationsgrad in allen Angelegenheiten, die das Verhältnis von Privatem und Gemeinschaftlichem, die Gestaltung des alltäglichen Lebens in Haushalts- und Erwerbsarbeit, in sozialen Beziehungen und Gruppenaktivitäten sowie das Netzwerk der Kommunen insgesamt berühren.



Konzentriert im Gespräch


Wollte man von Schwerpunkten sprechen, die sich jeweils in den drei Gruppen herauskristallisierten, so kamen in einer auch politische Themen im engeren Sinn zur Sprache. Man diskutierte dort nicht zuletzt um das Verhältnis zwischen der Teilnahme einzelner Kommunarden an Aktionen und dem Rückhalt der gesamten Gruppe insbesondere dann, wenn es zu Problemen wie etwa Strafverfahren kommt. In der zweiten Gruppe vertiefte man sich eher in den Aspekt des Politischen innerhalb der Lebensform, den es genauer zu fassen und kritisch zu untersuchen gilt.

Nicht umsonst geht es nach dem Selbstverständnis der am Kommuja-Netzwerk beteiligten Gruppen nicht um den Rückzug auf eine Insel, sondern eine zwangsläufige und angestrebte Wechselwirkung mit dem engeren und weiteren Umfeld. Ob er noch immer die Nase im Wind der Veränderung oder womöglich bereits den Rückzug in eine vorläufige Nische angetreten hat, begleitet den Kommunarden im günstigsten Fall als Zweifel ein Leben lang. In der dritten Gruppe wurden insbesondere Fragen zur alltäglichen Lebenspraxis aufgeworfen und beantwortet, wie sie einen an dieser Lebensform interessierten Menschen um so größere Sorgen bereiten, je weniger er von dieser möglichen Zukunftsperspektive weiß, die ihn reizt und zugleich als Herausforderung ängstigen kann.

Wer wollte sich ganz und gar freisprechen von der uns zutiefst eingepflanzten Furcht, auf der falschen Seite zu stehen und es sich so sehr mit den Sachwaltern bürgerlicher Saturiertheit zu verscherzen, daß eine Rückkehr in die vermeintliche Sicherheit gesellschaftlich erwünschter Existenz kaum mehr möglich erscheint. So irrational diese Angst in Anbetracht der vielen Möglichkeiten, die sich auch gestandenen Kommunarden in dieser Gesellschaft eröffnen, erscheinen mag, kann sie doch angesichts des absehbaren Verhängnisses kapitalistischer Verwertung und staatlicher Verfügbarkeit zu dem Schluß führen, daß autonome Gemeinschaftsbildung als Gegenentwurf zu den bestehenden Verhältnissen von eminenter politischer Bedeutung ist. Was sich vielleicht am allerwenigsten vermitteln läßt, ist die elementare Konsequenz des freiwilligen und solidarischen Schulterschlusses unter Menschen: Sollte es am Ende doch möglich sein, stärker zu werden, als wenn man allein bleibt?

Veranstaltungsort Werkstatt 3

Veranstaltungsort Werkstatt 3

11. März 2009