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BERICHT/084: TTIP Nein danke - Innovativverwertung humaner Ressourcen ... (2) (SB)


Solidarität mit dem Globalen Süden

Demonstration gegen TTIP am 23. April 2016 in Hannover


Wo Wirtschaft und Banken mit Steuermitteln vor dem Zusammenbruch gerettet und die Krisenstaaten der europäischen Peripherie mit Hilfe von Schuldendiktaten der deutschen Hegemonie unterworfen werden, bleibt wenig Geld für die Befriedung innerer Widersprüche übrig. Das Zeitalter der Klassenkompromisse, die jeden Versuch, aus der kapitalistischen Eigentumsordnung auszubrechen, verhindern sollten, ist vorbei. Das alleinige Übrigbleiben der kapitalistischen Staatenwelt hat die Durchsetzung einer Weltwirtschaftsordnung begünstigt, in der das steile, zwischen Nord und Süd respektive West und Ost verlaufende Produktivitätsgefälle dauerhaft festgeschrieben werden soll. Dies nicht nur zugunsten dadurch prosperierender Investoren und Unternehmer, sondern auch zur Befriedung einer lohnabhängigen Bevölkerung, der keine nennenswerten Zuwächse mehr in Aussicht gestellt werden, während die Angst vor dem sozialen Absturz weiter wächst.

Abstiegsängste und der Blick auf das soziale Elend in den Ländern des Südens resultieren in der EU wie in der Bundesrepublik in einem Aufschwung nationalistischer und rassistischer Ideologien wie niemals seit der Befreiung vom deutschen Faschismus zuvor. Die Staatsangehörigkeit entscheidet darüber, ob der Mensch ein langes Leben in gesicherten Verhältnissen führt oder ein kurzes Dasein voller Schmerz und Angst erleidet. Anderen nicht die gleichen Lebenschancen zuzubilligen, über die man selbst verfügt, wird legitimiert durch die Nationalität und verteidigt durch deren chauvinistische Überhöhung. Der gegen Muslime gerichtete Rassismus bietet in seiner kulturalistischen Frontstellung denn auch allen Anlaß zur Gefahr einer kriegerischen Eskalation, wie seine ideologische Grundlegung durch den US-amerikanischen Regierungsberater Bill Clintons, Samuel Huntington, in dem Bestseller "Kampf der Kulturen" 1997 verrät:

Wenn Nordamerika und Europa ihre moralischen Grundlagen erneuern, auf ihre kulturelle Gemeinsamkeit bauen und Formen einer engen wirtschaftlichen und politischen Integration entwickeln, die ergänzend neben ihre Sicherheitszusammenarbeit in der NATO treten, könnten sie eine dritte, euroamerikanische Phase des wirtschaftlichen Wohlstands und politischen Einfluß stiften. Eine sinnvolle politische Integration würde in einem gewissen Umfang ein Gegengewicht zum relativen Rückgang des westlichen Anteils an Bevölkerung, Sozialprodukt und militärischem Potential der Welt bilden und in den Augen von Führungspersönlichkeiten anderer Kulturen die Macht des Westens erneuern. 'Das Bündnis aus EU und NAFTA könnte in einer geballten Handelsmacht dem Rest der Welt die Bedingungen diktieren', mahnte Ministerpräsident Mahathir die Asiaten. Ob der Westen politisch und wirtschaftlich zusammenfindet, hängt jedoch überwiegend davon ab, ob die USA ihre Identität als westliche Nation bekräftigen und es als ihre globale Rolle definieren, die Führungsnation der westlichen Kultur zu sein. (Huntington, "Kampf der Kulturen", S. 506f). [1]


Transparent und Projektionsschirm - Foto: © 2016 by Schattenblick

Foto: © 2016 by Schattenblick

TTIP und CETA entsprächen dem von Mahathir befürchteten "Bündnis aus EU und NAFTA", was belegt, von welch großer, weit über bloße Handelsinteressen hinausgehender Bedeutung dieses transatlantische Projekt ist. Dem einen solidarischen Umgang mit Flüchtlingen und den Ländern des Globalen Südens entgegenzuhalten verlangt, aktive Kritik an einer Politik gegenüber anderen Bevölkerungen zu üben, die in der kapitalistischen Globalisierung nach wie vor auf den Begriff des Imperialismus gebracht werden kann. Darin findet auch die unter TTIP-Kritikern vielzitierte Macht der Konzerne und Banken ihren allerdings nicht gegen staatliche Souveränität gerichteten, sondern diese zu beiderseitigem Nutzen weiterentwickelnden Platz:

"Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist."[2]

Die weitgehend vollendete territoriale Aufteilung der Welt läßt moderne Formen der Aneignung hervortreten, die den Bevölkerungen des Südens auch die letzten Lebensressourcen entziehen. Die Patentierung von Bioorganismen und andere Formen der Inwertsetzung von Natur als Biodiversitäts-Offsets und Emissionszertifikate sind Ergebnisse der manifesten Krise des Kapitals, niemals genügend neue Anlagemöglichkeiten finden zu können, um seinen fiktiven Charakter zu kompensieren. Auch aus diesem Grund werden arbeitsfreie Formen der Kapitalverwertung wie Urheberrechte, Lizenzgebühren und Wertpapiere aller Art als handelbare Güter durch Freihandelsabkommen geschützt. Verschärft wird das Nord-Süd-Verhältnis durch den Klimawandel, den die hochentwickelten Staaten Westeuropas und Nordamerikas weit überproportional zu verantworten haben, so daß ihnen eine dementsprechende Bringschuld gegenüber dem Globalen Süden angelastet werden kann.

Dieses Verhältnis auch nur anzuerkennen und damit einzugestehen, daß man zu politischen wie ökonomischen Maßnahmen der Kompensation verpflichtet ist, gehört nicht zu den Stärken deutschen und europäischen Regierungshandelns. Um handelspolitisch abzusichern, was innenpolitisch im Argen liegt, muß die Bevölkerung von der Aussicht überzeugt werden, daß ihr Überleben wesentlich vom nationalökonomischen Erfolg am Weltmarkt abhängt. Dies zu schaffen ist in einem Land, dessen Eliten von der Krise des Kapitals bislang profitiert haben, trotz allen lautstarken Widerstands nicht aussichtslos. Um so wichtiger ist die internationale Solidarität insbesondere mit den Bevölkerungen im Globalen Süden.

Aus diesem Grund hat das Nord-Süd-Thema in den Reden, die am 23. April auf der Bühne des Anti-TTIP-Bündnisses in Hannover gehalten wurden und die an dieser Stelle auszugsweise wiedergegeben werden, besonderen Stellenwert erhalten.


Auf der Bühne mit Gitarre - Fotos: © 2016 by Schattenblick Auf der Bühne mit Gitarre - Fotos: © 2016 by Schattenblick Auf der Bühne mit Gitarre - Fotos: © 2016 by Schattenblick

Einstimmung mit Dota Kehr
Fotos: © 2016 by Schattenblick

Stimmen gegen CETA und TTIP - Auftaktkundgebung

Auf dem Trittbrett stehend - Foto: © 2016 by Schattenblick

Georg Janßen auf der Treckerdemonstration
Foto: © 2016 by Schattenblick

Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (AbL)

Wir leben in sehr bewegten Zeiten. Wir dürfen nie vergessen, daß über 30 Millionen Menschen zur Zeit auf der Flucht sind. Sie fliehen vor Krieg, vor Armut, vor Hunger, und ich finde es unerträglich, wenn Rassisten meinen, auf dem Rücken dieser schwachen Menschen ihre Suppe kochen zu können. Deshalb: Keinen Fußbreit für rassistische Äußerungen hier auf dieser Veranstaltung! Ein Bauer hat auf seinem Banner geschrieben: '60 Millionen Menschen auf der Flucht. Politiker, habt ihr immer noch nicht verstanden: Stoppt die Freihandelsabkommen!' (...) 


Trecker mit Transparent - Foto: © 2016 by Schattenblick

Foto: © 2016 by Schattenblick

Unser Platz als kritische Bauernorganisationen, als Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und als Agrarbündnis Niedersachsen ist der Platz Seite an Seite mit Gewerkschaftern, mit Kulturschaffenden, mit Umweltschützern, Tierschützern, mit Verbraucherschützern, mit Dritte-Welt-Organisationen. Gerade die Länder des Südens sollen die Verlierer sein. Auch das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen eine internationale Solidarität gerade auch mit den ärmeren Ländern haben. Deshalb ist es richtig, wenn ein Bauer auf seinem Banner geschrieben hat: 'Unsere Ställe, die können wir alleine ausmisten. CETA und TTIP, das schaffen wir nur gemeinsam.' Um mit der bäuerlichen Notgemeinschaft im Wendland zu sprechen: Niemals Aufgeben!


Am Rednerpult - Foto: © 2016 by Schattenblick

Hanni Gramann
Foto: © 2016 by Schattenblick

Hanni Gramann, Attac

Schiedsgerichte, regulatorische Kooperation, vorläufige Anwendung - TTIP und CETA - das sind Wunschkonzerte für Konzerne und Investoren.

Marktkonforme Demokratie - da machen wir nicht mit.

Wir streiten für eine grundlegende Wende in der Handels- und Wirtschaftspolitik, für ein demokratiekonformes Wirtschaftssystem, in dem Profitinteressen von Konzernen beiseitegestellt werden und die Bedürfnisse von Menschen, Menschenrechte, Umwelt und Demokratie an die erste Stelle gerückt werden. Dafür stehen wir!

Parteientalk mit Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, SPD


Auf der Bühne - Foto: © 2016 by Schattenblick

Matthias Miersch (SPD), Ernst-Christoph Stolper (Moderation), Tobias Pflüger (Die Linke), Maritta Strasser (Moderation), Simone Peter (Bündnis 90/Die Grünen)
Foto: © 2016 by Schattenblick

Maritta Strasser: Auch die Linken spielen eine wichtige Rolle bei der Sperrminorität im Bundesrat. Werden denn auch die Landesregierungen mit linker Beteiligung in Brandenburg und Thüringen an unserer Seite stehen?

Tobias Pflüger: In Brandenburg und Thüringen, das ist besprochen innerhalb Der Linken, da werden jeweils die Linken für ein Nein zu TTIP und CETA stimmen und das wird zu einer Enthaltung, sprich de facto zu einer Gegenstimme im Bundesrat führen. Was mir sehr wichtig ist, Simone Peter ist ja leider der Antwort gerade ausgewichen. Ich komme aus Baden-Württemberg und weiß, daß dort Winfried Kretschmann derzeit vorhat, diesem Abkommen zuzustimmen. Liebe Freundinnen und Freunde, ich glaube, wir müssen von hier aus nicht nur einen Appell an Angela Merkel und Sigmar Gabriel geben, sondern auch an Winfried Kretschmann: Sag Nein zu TTIP und CETA!


Auf der Bühne im Gespräch - Foto: © 2016 by Schattenblick

Tobias Pflüger, Maritta Strasser, Simone Peter
Foto: © 2016 by Schattenblick

Simone Peter: Ich finde es unfair, daß das hier für Populismus genutzt wird. Campact hat vor den Wahlen die drei Landesregierungen abgefragt, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt. Die Antwort war ganz klar und eindeutig, es gibt diese Beschlußlagen in diesen drei Landesverbänden und deswegen: Nein zu CETA und TTIP. Und das werden wir auch deutlich machen in den nächsten Monaten. Da müßt ihr den Druck von der Straße erhöhen, aber wir Grüne stehen zu unserem Wort, liebe Freundinnen und Freunde.


Auf der Bühne im Gespräch - Foto: © 2016 by Schattenblick

Matthias Miersch, Ernst-Christoph Stolper
Foto: © 2016 by Schattenblick

Ernst-Christoph Stolper: Matthias Miersch, Sie haben sich persönlich klar und sehr deutlich gegen einen Beschluß des Rates zur vorläufigen Anwendung von CETA ausgesprochen. An dieser Stelle auch noch einmal an Sie persönlich einen besonderen Dank dafür. Ich finde es auch ein bißchen unfair, wenn man diejenigen ausbuht, die hierher kommen und die auf unserer Seite eher stehen, das sollte man bei anderen tun. Dafür insofern erst einmal Danke, aber auch die Frage, wie verhindern wir das tatsächlich?

Matthias Miersch: Es ist ganz klar, ich finde, daß kein deutscher Minister im europäischen Rat ohne ein Votum des Deutschen Bundestages für eine vorläufige Inkraftsetzung stimmen kann. Das wäre eine Mißachtung des nationalen Parlaments, und nationale Interessen sind bei diesem Abkommen allemal berührt. Insofern, glaube ich, brauchen wir noch viele, viele dieser Demonstrationen, um auch den letzten zu überzeugen, daß hier sehr viel auf dem Spiel steht. Ich verspreche mir davon, daß die Europäische Union selbst zur Einsicht kommt, daß man nicht mit dem Kopf durch die Wand kann, man wird genau das Gegenteil erreichen. Man muß die Leute mitnehmen, man muß diskutieren, aber man kann nicht vorläufig in Kraft setzen und Fakten schaffen. Das wäre alles andere als demokratisch.


Gruppenbild auf Bühne - Foto: © 2016 by Schattenblick

Gemeinsamer Auftritt des Jugendbündnisses
Foto: © 2016 by Schattenblick


Am Rednerpult - Foto: © 2016 by Schattenblick

Wiebke Fischer
Foto: © 2016 by Schattenblick

Wiebke Fischer, BUNDjugend Niedersachsen

Meine Botschaft an Merkel und Obama ist: Intransparenz ist kein Wert, den wir lernen wollen. Wir fordern: Transparente Verhandlungen und eine Politik, die uns Jugendlichen nicht die Zukunft verbaut.


Am Rednerpult - Foto: © 2016 by Schattenblick

Minou Mehdizadeh Baghbani
Foto: © 2016 by Schattenblick

Minou Mehdizadeh Baghbani

Ich bin jetzt 17 Jahre alt, und, sagen wir mal, ich habe noch 70 Jahre zu leben. Ich werde nicht zulassen, daß über meinen Kopf hinweg entschieden wird, in welchen Verhältnissen ich in dieser Zeit lebe.


Am Rednerpult - Foto: © 2016 by Schattenblick

Lyonel Frey-Schaaber
Foto: © 2016 by Schattenblick

Lyonel Frey-Schaaber, Naturfreundejugend Deutschlands

Dieser schon bestehende Neokolonialismus, der durch die Abkommen noch einmal zunehmen wird, ist mit der Grund für Umweltzerstörungen gigantischen Ausmaßes, Kriege und Verelendung. Der jetzige Neokolonialismus ist der Fluchtgrund für sehr viele der Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Einige wenige dieser Menschen, die wir zur Flucht gezwungen haben, suchen bei uns Zuflucht. Und wir sollten diese Menschen willkommen heißen, denn es ist unsere Wirtschaft und unsere Politik, die ihre Lebensgrundlagen zerstört. (...) 


Jugendbündnis mit Transparenten kniend - Foto: © 2016 by Schattenblick

Foto: © 2016 by Schattenblick

Öffnet die Grenzen für Menschen, nicht für Waffen oder andere Waren! Und so, wie diese Menschen versuchen, die Grenzen zu überwinden, sollten wir versuchen, dieses System zu überwinden, das diese Grenzen überhaupt benötigt. Das System, das zu Hunger, Leid und Ausbeutung führt, welches Armut braucht und Kriege benötigt und verursacht. Das System, das Grenzen benötigt, um sich abzuschotten, das Freihandelsabkommen wie TTIP hervorbringt. Dieses System hat einen Namen, Kapitalismus, und genau diesen gilt es zu bekämpfen. Denn sogenannte Freihandelsabkommen können nicht isoliert betrachtet werden, und Kritik an ihnen muß konsequenterweise antikapitalistisch sein.


Auf der Bühne - Foto: © 2016 by Schattenblick

Christoph Bautz
Foto: © 2016 by Schattenblick

Christoph Bautz, Geschäftsführender Vorstand Campact e.V.

Unsere Bewegung ist vielfältig, ja hier demonstrieren Gewerkschafter zusammen mit Unternehmern, hier demonstrieren Bäuerinnen und Bauern zusammen mit Tierrechtlern, hier protestieren Mitglieder der Linkspartei zusammen mit Konservativen, die um die Zukunft ihrer Kommunen fürchten. Diese Vielfalt halten wir aus, diese Vielfalt macht uns aus, und nur in dieser Vielfalt werden wir TTIP und CETA besiegen.

Aber eins zum Schluß: An einer Stelle zeigen wir klare Kante, und das ist gegen rechts. Wer mit TTIP und CETA sein nationalistisches Süppchen kochen will und antiamerikanische Ressentiments schürt, der ist hier falsch. Hier demonstrieren die Freunde der Bürger Amerikas, die Freunde eines solidarischen Europas. Gemeinsam sagen wir nein zu diesem ekelhaften Sumpf rund um AfD, Pegida und den Nazis in Nadelstreifen. Wir sind nicht braun, wir sind bunt.

Und jetzt laßt uns gemeinsam Barack Obama, Angela Merkel und Sigmar Gabriel klarmachen: Wer TTIP und CETA sät, der wird Sturm ernten. Unser aller Proteststurm - los geht's!


Auf der Demonstration - Foto: © 2016 by Schattenblick

Foto: © 2016 by Schattenblick


Musiker auf der Bühne - Foto: © 2016 by Schattenblick

Musikalischer Empfang mit der Gruppe Rainer von Vielen
Foto: © 2016 by Schattenblick

Stimmen gegen CETA und TTIP - Abschlußkundgebung

Am Rednerpult mit Übersetzer - Foto: © 2016 by Schattenblick

Lori Wallach
Foto: © 2016 by Schattenblick


Lori Wallach, Direktorin Global Trade Watch bei Public Citizen

Der geheime Verhandlungsprozeß mit 500 Wirtschaftsunternehmen, die eine offizielle Beraterfunktion haben und der bei NAFTA und TPP zum Zuge kam, ist derselbe Prozeß, der TTIP vorantreibt.

TTIP mag noch geheim sein, aber wir können alle den Text von TPP studieren, das Freihandelsabkommen mit den asiatischen und lateinamerikanischen Staaten. Es ist eine Vorschau auf kommende Attraktionen, und das ist eine furchterregende Angelegenheit.

Warum ist Präsident Obamas gesamte politische Basis gegen seine Freihandelsabkommen? Seht euch TPP an. Es geht weiter als alle vorherigen Abkommen, was die Rechte der Agroindustrie und Biotechbranche zur Durchsetzung von Gentechnik betrifft. Es hat schlechtere Regeln für den Datenschutz der Verbraucher, es bedroht die Politik, die den Klimawandel verhindern soll, mehr als alle früheren Freihandelsabkommen, die waren schon nicht gut.

Und es ist sehr wichtig zu wissen, daß die US-Konzerneliten sich nicht mit weniger zufriedengeben werden bei TTIP, als sie bei TPP erhalten haben."


Transparent an LKW der NaturFreunde Deutschlands - Foto: © 2016 by Schattenblick

Foto: © 2016 by Schattenblick

Michael Müller - Bundesvorsitzender NaturFreunde Deutschland

Es ist in einer Welt, die so rasant zusammenwächst, nicht möglich, Handelsabkommen zu machen, die im Grunde genommen zu Lasten der Dritten Welt gehen. Das ist ein Skandal. Die Freihandelsabkommen sind aus meiner Sicht nichts anderes als die Verlängerung der Ideologie des Neoliberalismus, der seit den achtziger Jahren die Kräfteverhältnisse in unserer Gesellschaft zu Lasten von Sozialstaat und Demokratie verschiebt. Das wurde möglich, weil die Politik schon lange nicht mehr gestaltet, sondern sich angepaßt hat an die Zwänge vor allem der Interessen der Märkte und der Banken.

TTIP, CETA und TiSA sind eine Ideologie (...). Wir wollen eine soziale und ökologische Alternative, auch gegen die schreckliche AfD, die aus dem Versagen der Politik nationalistische Stimmungen schürt.


Am Rednerpult - Foto: © 2016 by Schattenblick

Ulrich Schneider
Foto: © 2016 by Schattenblick

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes

Deutschland ist nicht in erster Linie Wirtschaftsstandort, Deutschland ist vor allem Lebensstandort.

Was wir hier seit dem letzten Jahr bei TTIP erleben, ist wahrscheinlich das größte zivilgesellschaftliche Bündnis, daß es in der Bundesrepublik je gegeben hat. Vom BUND über Attac, Kulturrat, Gewerkschaften, viele Sozialverbände und andere bis hin zu den Landwirten. Es ist ein Riesenbündnis geworden, weil es hier um mehr geht als um gesunde Ernährung, die ist schon wichtig genug, um Arbeiterinteressen, und allein diese wären es schon wert, daß 90.000 auf die Straße gehen, es geht um mehr als die Standards in sozialen Dienste und Kultur in den Städten.

Deswegen sind wir heute hier, und ich frage: Wer soll hier eigentlich das Sagen haben in Deutschland und in Europa? Es geht um den Widerstand gegen die Herrschaft von multinationalen Konzernen über unsere Rechte als Demokraten. Und dieser Widerstand war noch nie so wichtig wie heute. Was wir heute erleben, ist ein Höhepunkt in diesem neoliberalen Durchmarsch, den wir jetzt seit über zwei Jahrzehnten erleben müssen in Deutschland und Europa.


Am Rednerpult - Foto: © 2016 by Schattenblick

Sanya Reid Smith
Foto: © 2016 by Schattenblick

Sanya Reid Smith, Third World Network

Die Freihandelsabkommen CETA und TTIP betreffen nicht nur Europa, Kanada und die USA, sie bedrohen auch alle Entwicklungsländer. Wir wissen, daß die EU-Kommission CETA und TTIP auf Entwicklungsländer wie Mexiko und Chile anwenden wird. Sie sind schlimm genug für die Menschen hier, aber noch schlimmer für die Entwicklungsländer. Beispielsweise sieht CETA eine strikte Regulierung öffentlicher Dienstleistungen vor. Sind neue Gesetze geplant oder sollen geltende geändert werden, kann das verhindert werden. Das ist noch schlimmer für Entwicklungsländer, weil sie nicht all die erforderlichen Gesetze haben, die sie bräuchten, wie etwa gegen Luftverschmutzung. Die CETA-Vorgaben für öffentliche Dienstleistung sehen vor, daß Regierungen daran gehindert werden, die Preise beispielsweise für Strom zu senken, um sie erschwinglich zu halten. Schon heute sind diese Länder kaum in der Lage, Strom für Gebühren bereitzustellen, die sich alle Menschen leisten können. Sie brauchen Regierungen, die in der Lage sind, bezahlbare Gebühren zu ermöglichen, doch CETA kann das verhindern. CETA kann zudem hohe Steuern oder Lizenzgebühren verhindern wie etwa für Zigarettengeschäfte, um den Tabakkonsum zu reduzieren. (...) 

CETA betrifft aber nicht nur die öffentlichen Dienstleistungen, sondern sieht auch langfristige Monopole auf Arzneimittel vor. Diese können 500.000 Dollar für jeden Patienten in jedem Jahr seines Lebens kosten. Das will die EU Patienten in Entwicklungsländern wie Mexiko oder Chile aufbürden, die für die meisten Menschen hier und um so mehr in Entwicklungsländern unbezahlbar sind. Das ist eine Schande! Damit nicht genug, will die EU-Kommission die Konditionen von TTIP und CETA zum Modell ihrer Verhandlungen mit anderen Entwicklungsländern und sogar Standard der WTO für 160 Länder machen. ISDS hat erfolgreich die Gesetze in den Industriestaaten und den Entwicklungsländern erodiert: Gesundheitswesen, Steuerrecht, Anti-Korruptionsgesetze, Umweltgesetze gehen verloren. Jetzt greifen die Investoren die Verbote von Fracking, Gesundheitswarnungen auf Zigarettenpackungen, den deutschen Atomausstieg an und sie könnten sogar eure Buchpreisbindung angreifen. Wenn Regierungen bei solchen Klagen verlieren, müssen sie Milliarden von Dollars bezahlen. Entwicklungsländern können sich das noch viel weniger leisten. Als Ecuador die Klage verlor, mußte es dem Ölkonzern, der die Gesetze des Landes gebrochen hatte, 2,4 Milliarden Dollar zahlen, was soviel wie der halbe Gesundheitsetat war. Dasselbe hat die EU gerade mit Vietnam in einem Freihandelsabkommen ausgehandelt, das nun durch das EU-Parlament ratifiziert werden soll. In Vietnam leben 43 Prozent der Bevölkerung von weniger als 2 Dollar am Tag und können noch nicht einmal ihre Medikamente bezahlen. Wie können sie sich ein Freihandelsabkommen mit der EU wie TTIP oder CETA leisten, das bereits beschlossen ist und die Parlamente durchlaufen soll? Diese CETA-Auflagen und ISDS-Bestimmungen, welche die EU mit Entwicklungsländern in Asien, Lateinamerika, Afrika und im pazifischen Raum aushandelt, würden, wenn sie Eingang in die WTO finden, die ärmsten Länder der Welt betreffen, in denen die Menschen von weniger als 250 Dollar im Jahr leben.


Am Rednerpult - Foto: © 2016 by Schattenblick

Eylem Gün
Foto: © 2016 by Schattenblick

Eylem Gün, Bundesvorstand Föderation der Demokratischen Arbeitervereine (DIDF)

Liebe Freundinnen und Freunde, täglich erreichen uns neue Nachrichten über humanitäre Katastrophen der Geflüchteten. Längst ist das Mittelmeer zum Massengrab für die Flüchtenden geworden. Mit Zäunen versucht man sie von uns wegzuhalten. Durch das Abkommen mit dem türkischen selbsternannten Sultan Erdogan, der Presse und Menschenrechte im eigenen Land mißachtet, werden sie von Griechenland in die Türkei abgeschoben. Mit einem neuen Integrationsgesetz wird den Geflüchteten das Leben hier schwer gemacht. Die Rechten haben es sich zur Aufgabe gemacht, gegen Geflüchtete vorzugehen. Jahrelang wurde durch die Presse und durch regierende Parteien ordentlich Stimmung gegen Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete gemacht. Rassistische Organisationen und Parteien nutzen diese Stimmung nun für sich. Sie versuchen, Vorurteile und Ängste gegen Menschen mit anderer nationalen Herkunft und Religion zu schüren. Auch wenn Politik und Medien Rassismus längst salonfähig gemacht haben, um soziale und politische Fehler und Probleme zu kaschieren, können wir das Problem nur lösen, wenn wir die Fluchtursachen bekämpfen.

Was hat die Migrationsbewegung mit den Freihandelsabkommen zu tun? Wir reden hier von Menschen, die ihre Heimat, Familie und Bekannten hinter sich lassen, um in ein besseres Leben zu fliehen. Dabei setzen sie sogar ihr Leben aufs Spiel. Ja, viele Menschen fliehen vor den Kriegen in ihren Ländern. Diese Kriege werden jedoch geführt, um wirtschaftliche und politische Interessen in Regionen wie dem Nahen Osten, Afrika, aber auch an den Grenzen der EU abzusichern. Dazu gehören die Gewinnung neuer Absatz- und Investionsmärkte sowie die Sicherung der Zufuhr von Ressourcen wie Öl, Gas und Uran. Und alle diese Einmischungen in andere Länder haben dieselben Motive: Profite für Banken und Konzerne. Das Spiel mit Freihandelsabkommen ist dasselbe Prinzip, nur ohne die Waffe in der Hand. Die Konzerne, Profiteure werden Mensch, Rohstoffe und Umwelt weiter ausbeuten, die Umwelt zerstören, Wälder abholzen, Meere leerfischen, Arten und die Vielfalt zerstören, solange sie dadurch noch mehr Profit bekommen. Das nämlich sind die einzigen Werte, die dieses System kennt. Es liegt an uns, das zu stoppen, indem wir unsere Kräfte bündeln und uns zusammenschließen, um die Macht der Banken und Konzerne zu zerschlagen und Menschlichkeit, Solidarität, Vielfalt und eine lebenswerte Zukunft für uns und unsere Kinder zu schaffen. Die Zerstörung der Umwelt, die Ausbeutung der Natur und der Menschen auch auf anderen Kontinenten im Interesse von Konzernen kombiniert mit der Durchsetzung der westlichen Interessen mit Stellvertreterkriegen überall in der Welt hat die Migrationsbewegung nach Europa ausgelöst.

Durch das Freihandelsabkommen werden sich die Fluchtursachen nur noch weiter verstärken. Sigmar Gabriel sagte es: Dieses Abkommen soll weltweite Maßstäbe setzen für den Güteraustausch mit jetzt schon mehr als 1,5 Milliarden Dollar täglich über den Atlantik. Was sind das für Maßstäbe, von denen da die Rede ist? Das sind Maßstäbe, um kleinere, ökonomisch schwächere Länder kaputtzuwirtschaften und die europäische und amerikanische Wirtschaft zu stärken. Allein Kenia verliert nach Einschätzungen eines heimischen Wirtschaftsinstituts durch das Abkommen weit über 100 Millionen Euro jährlich - Geld, das für den Aufbau der eigenen Wirtschaft fehlen wird. Neue Steuern auf Exportgüter in die EU werden durch das Abkommen verboten. Die Ausbeutung und der Hunger in Afrika werden dadurch weiter verschärft. Ja, Menschen können auch aus ökonomischen Gründen aus ihren Ländern fliehen. Sie fliehen vor Hunger, Armut und Elend - was bleibt ihnen denn anderes übrig! Dann reden sie von den ökonomischen Geflüchteten, denen sie die Existenzgrundlage unter den Füßen wegziehen und sagen, daß sie hier nichts verloren haben? Wir wollen freie Menschen statt freie Märkte! Liebe Freundinnen und Freunde, TTIP und CETA Nein Danke! Auch so gibt es schon zu viele Freihandelsabkommen, die das Leben der Menschen erschweren. Von hier aus erteilen wir nicht nur TTIP eine Abfuhr, sondern sagen auch: Nicht Geflüchtete, sondern Fluchtursachen bekämpfen! Freihandelsabkommen stoppen!


Demoankündigung auf öffentlichem Videoschirm - Foto: © 2016 by Schattenblick

Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] entnommen aus Wolfram Pfreundschuh: Der politische Exorzismus im 'Kampf der Kulturen'
http://kulturkritik.net/index_allgem.php?code=pfrwol100

[2] W. I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Gemeinverständlicher Abriß. 6. Aufl. Dietz Verlag, Berlin 1962, S. 94f.


Demonstration gegen TTIP in Hannover im Schattenblick
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12. Mai 2016


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