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BERICHT/119: Frauenstreik - der gleiche Kampf ... (SB)


FRAUENSTREIK! Damit wollen wir gegen den Abbau von Grundrechten, gegen den Abbau von Sozialleistungen und die wachsende Armut von Frauen, gegen die Zurückdrängung bereits erreichter Frauenrechte, gegen die Zerstörung der Umwelt und gegen die Vorbereitung deutscher Kriegsbeteiligung protestieren. [...] Frauen werden die Hausarbeit niederlegen; betriebliche Aktionen bis hin zum Streik durchführen; nicht einkaufen (Kaufstreik); nicht mehr höflich lächeln; nicht nett sein; keinen Kaffee kochen und die Kinder den Männern mit auf die Arbeit geben.
Aus dem Aufruf zum Frauenstreik am 8. März 1994 [1]


Unter dem Motto "Uns reicht's!" legten vor 25 Jahren rund eine Million Frauen die Arbeit nieder und verweigerten sich aller ihnen ungefragt auferlegten und von ihnen klaglos verrichteten Tätigkeiten. In der Bundesrepublik der sogenannten Nachwendezeit - Angela Merkel war Ministerin für Frauen und Jugend im Kabinett Kohl - richtete sich dessen geistig-moralische Wende auch gegen die Errungenschaften der zweiten Frauenbewegung. Anstatt die Gelegenheit der sogenannten Wiedervereinigung zu nutzen und das vollständig entkriminalisierte Recht auf Schwangerschaftsabbruch der DDR für ganz Deutschland zu übernehmen, wurde 1992 ein Kompromiß aus der Fristenlösung der DDR und dem Indikationsmodell der BRD gebildet, laut dem ein Schwangerschaftsabbruch in Paragraph 218 als prinzipiell illegal und strafwürdig gewertet wird. Die Einschränkung der Strafbarkeit in Paragraph 218a sichert die ungebrochene Fremdbestimmung des weiblichen Körpers durch Staat und Patriarchat, indem die Praxis der Abtreibung zugleich für legitim und illegal erklärt wird. Ein selbstbestimmter Umgang mit dem eigenen Körper sieht anders aus, und das in jüngster Zeit nach Paragraph 219a strafrechtlich durchgesetzte "Werbeverbot" für ÄrztInnen, in deren Praxis ein Schwangerschaftsabbruch vollzogen werden kann, kriminalisiert schon die notwendigen Informationen, die Schwangere in einem solchen Fall einholen müssen.

Als sei kein Vierteljahrhundert seitdem verstrichen, sondern die Zeit rückwärts gelaufen, müssen sich Frauen heute mit einem rechten Antifeminismus auseinandersetzen, der sie wieder ins Korsett kleinfamiliärer Zwänge stecken und auf Reproduktionsarbeit für Fabrik und Krieg, für Kapitalismus und Vaterland festlegen will. In Sachen Kriegführung bedarf es nicht der Scharfmacherei der Neuen Rechten gegen MigrantInnen und den Islam, das erledigen die Parteien der politischen Mitte schon aus eigenem Interesse daran, den Stiefel des deutschen Imperialismus in die Türen "aller Herren Länder" zu kriegen und diese bei Bedarf auch einzutreten. Der sich dieser Tage zum 20. Mal jährende Überfall der NATO auf Jugoslawien unter Beteiligung der Bundeswehr, nachdem das Land bereits zwei Mal im letzten Jahrhundert Opfer deutscher Aggressionen geworden ist, erfolgte auf Weisung eines SPD-Bundeskanzlers und wurde von einem grünen Außenminister vorbereitet.


Lila Pyrorauch und Seitentransparente - Foto: © 2019 by Schattenblick

"Alerta Alerta Antisexista!"
Foto: © 2019 by Schattenblick

Gender Mainstreaming bei den Streitkräften ist fester Bestandteil grüner Geschlechterpolitik, und die einst als Organ linksalternativer Gegenbewegung angetretene Taz wirbt regelmäßig für die Bundeswehr, so auch am 8. März im Rahmen einer Sonderausgabe zum Internationalen Frauentag mit einer Anzeige in lila. Der Kampf der Bundeswehr für Freiheit, Sicherheit und Gleichberechtigung, so die Botschaft in feministischem Flecktarn, wird eben auch von Frauen geführt, zumal auf politische Weisung einer Ministerin und einer Bundeskanzlerin. Für ein Deutschland, das Waffenlieferungen an Saudi-Arabien gutheißt, bester Freund von Erdogan sein will und seine neokolonialistischen Interessen mit Bundeswehrkontingenten überall auf der Welt durchsetzt, heißt Freiheit vom Widerstand betroffener Bevölkerungen uneingeschränkte Kapitalakkumulation, Sicherheit ungestörte Extraktion natürlicher Ressourcen im Globalen Süden und Gleichberechtigung weiblich larviertes Patriarchat à la Merkel, von der Leyen und Kramp-Karrenbauer. Diese hat ihren Witz über Intermenschen nicht etwa zurückgenommen, sondern hat mit Avancen an die AfD-Klientel draufgesattelt [2].


Daten und Fakten zur Unterdrückung von Frauen am Demotruck - Fotos: © 2019 by Schattenblick Daten und Fakten zur Unterdrückung von Frauen am Demotruck - Fotos: © 2019 by Schattenblick Daten und Fakten zur Unterdrückung von Frauen am Demotruck - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Unabgegolten, unvergessen ...
Fotos: © 2019 by Schattenblick

25 Jahre sind einem Wimpernschlag gleich, als ob nichts passiert wäre, vergangen. Die an der Front der Geschlechter- und Sexualpolitiken erzielten Fortschritte werden durch massive Angriffe der Neuen Rechten auf die sogenannte Gender-Ideologie und selbsternannter LebensschützerInnen auf die Möglichkeit straffreier Schwangerschaftsabbrüche auf einen status zurückgeworfen, der die BRD der 1950er Jahre zu untotem Dasein auferstehen lassen soll. Gleiches gilt für fast alle westlich-liberalen Staaten, um von anderen Regionen und Kulturen nicht zu reden, in denen Frauen grundlegende Rechte vorenthalten werden und sie quasi als Eigentum des Mannes gelten.

Heute werden Frauen, Trans- und Intermenschen, Schwule und Lesben, Queere und Nichtbinäre weltweit von einer maskulinen Gewalt bedroht, deren Täter von ausgemachten Herrenmenschen wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro im Regierungsamt ermutigt und bewaffnet werden. Gemeinhin als Familiendrama verharmlost nimmt die Ermordung von Frauen durch Partner und Ex-Partner immer weiter zu. Zu einem Femizid, der Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts, kommt es in Deutschland jeden dritten Tag, und das ist im europäischen Vergleich eine eher niedrige Zahl.


Verschiedene Fahnen auf dem Rathausmarkt - Foto: © 2019 by Schattenblick

Demoauftakt der Vielen
Foto: © 2019 by Schattenblick

So sollen in der Russischen Föderation laut UN-Angaben jedes Jahr zwischen 12.000 und 14.000 Frauen durch Partnerschaftsgewalt ums Leben kommen. Trotz dieser im internationalen Vergleich hohen Zahl wurde häusliche Gewalt dort 2017 von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft. Wenn die Schläge von Ersttätern nicht zu schweren Verletzungen führen, kommen diese mit einer geringen Geldstrafe davon, anstatt eine Haftstrafe zu erhalten. Begründet wird die Entkriminalisierung in den meisten Fällen von Männern begangener Gewalttaten unter anderem damit, daß niemandem dadurch geholfen sei, wenn der männliche Familienvorstand im Knast sitze, anstatt für seine Angehörigen zu sorgen.

Jede dritte Frau in Europa erlebt mindestens einmal männliche Gewalt, wobei die Gefahr, dem Racheakt eines Partners zum Opfer zu fallen, nach Trennungen und Scheidungen besonders groß ist. Dennoch wird der heterosexuellen Ehe als Zentralinstitut gesellschaftlicher Reproduktion rechtlich wie kulturell ein privilegierter Platz eingeräumt, und es ist auch in Deutschland noch nicht sehr lange so, daß Frauen in der Ehe wie bei ihrer Aufhebung gleichberechtigt agieren können.


Transparent 'Wir sind die Stimme derer, die keine Stimme mehr haben' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Stumme Schreie hörbar machen
Foto: © 2019 by Schattenblick

Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit 1997 strafbar, und dennoch gelangen nur 10 Prozent der Fälle hierzulande überhaupt zur Anzeige. Nicht nur, daß Frauen häufig in familiären Abhängigkeitsverhältnissen leben, die sie die Gewalt des Partners erdulden lassen, weil sie sich sonst auf der Straße wiederfänden. Sie werden häufig vor Gericht benachteiligt, weil die Beweispflicht zu ihren Ungunsten ausgelegt wird, und sind ökonomisch schlechtergestellt, unter anderem durch ein besserverdienende Eliten begünstigendes Elterngeld. So tragen alleinerziehende Mütter das größte Armutsrisiko in dieser Gesellschaft, auch weil das Elterngeld auf Leistungen nach Hartz IV, auf Sozialhilfe und den Kinderzuschlag angerechnet wird. Die hohen Mieten haben dazu geführt, daß sich wohnungslose Frauen, die bei einem Leben in Obdachlosigkeit ungeschützt männlicher Gewalt ausgesetzt sind, im Tausch für kostenloses oder billiges Wohnen sexuelle Dienstleistungen abnötigen lassen.

Die gesellschaftliche Ausrichtung auf die patriarchale Kleinfamilie gilt weltweit und wird in anderen Weltregionen so extrem zum Nachteil der Frau ausgelegt, daß diese sich nur durch Flucht ins Ausland ihren Peinigern entziehen können. So wird Männern in einigen Ländern gestattet, die Frau, die sie vergewaltigt haben, zu heiraten, um straffrei zu bleiben. Nicht nur in mehrheitlich islamischen, sondern auch in westlichen Gesellschaft werden vergewaltigte Frauen der moralischen Anschuldigung ausgesetzt, selbst an ihrer Vergewaltigung schuld zu sein, weil sie die Täter angeblich durch ihre Bekleidung oder anderes Verhalten ermutigt hätten.

Die Idealisierung der patriarchalen Kleinfamilie als Keimzelle gesellschaftlicher Reproduktion ist ein zentraler Topos rechter Politik. Entgrenzte Geschlechternormen und alternative Sozialstrukturen werden nicht nur aufgrund einer reaktionären Sexualmoral, sondern auch aus bevölkerungspolitischen Gründen zum Feindbild erklärt. Das liberale Eintreten für eine Vielfalt an Lebens- und Liebensweisen wird neben freizügiger Einwanderung als wesentliche Ursache für die von Thilo Sarrazin prognostizierte "Abschaffung" der Deutschen, im neurechten Jargon auch "Volksaustausch" oder "Volkstod" genannt, ausgemacht. So wachsen sich "Genderwahn" und "Überfremdung" zur Bedrohung einer Bevölkerung aus, die nicht aus staatsbürgerschaftlich bestimmten BürgerInnen, sondern blutrechtlich definierten Deutschen bestehen soll [3].


Transparent 'Feminismus Antifa, Bock auf Boxen, ist doch klar' - Foto: © 2019 by Schattenblick

"Für die Freiheit für das Leben, Macker von der Straße fegen!" Foto: © 2019 by Schattenblick

Der Mann hat als Ernährer das Sagen in der Familie, die Frau leistet als Mutter reproduktive Arbeit in Küche und Kinderzimmer und verwöhnt den Ehegatten mit affektiven Dienstleistungen, auf daß er die Widrigkeiten der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft besser ertragen kann. Dieses althergebrachte Klischee wird nicht dadurch irrelevanter, daß es in der AfD als im Bundestag vertretene Partei mit dem geringsten Frauenanteil von 16 Prozent auch Frauen gibt, die beruflich und privat ein anderes Bild abgeben. Aus Sicht des Patriarchats unterliegen alle gesellschaftlichen Verhältnisse klaren, hierarchisch organisierten Dichotomien von männlich/weiblich, Beruf/Familie, Arbeit/Leben, Mensch/Natur, politisch/privat usw. Nur mit dieser binären und unverrückbaren Ordnung der Dinge lassen sich klare Herrschafts- und Nutzenverhältnisse begründen.

Daß die Natur dazu geschaffen sei, dem Menschen zu dienen und dieser alles Recht habe, sie seinen Interessen zu unterwerfen, wird zwar nicht mehr explizit als gottgegebenes Recht in Anspruch genommen. Doch in vielen Gesellschaften wird bis heute so verfahren, als sei die Ausbeutung natürlicher Ressourcen nicht minder ein patriarchales Vorrecht als die Unterwerfung der Frau. Wo diese nicht mehr dem von ihr erwarteten Bild entspricht, wo Geschlechterkategorien immer zahlreicher werden, auf vertraute Identitätsmerkmale kein Verlaß mehr ist und sexuelles Begehren viele Ziele haben kann, da gerät die patriarchale Ordnung ins Rutschen und fordert zu aggressiver Durchsetzung auf. Was gemeinhin als Kulturkampf und Identitätspolitik bezeichnet wird, greift die Grundlagen eines seit Jahrtausenden dominanten Herrschaftsanspruches an, dessen SachwalterInnen es verstehen, ganz andere Anlässe für die Ängste und Sorgen der BürgerInnen vergessen zu machen, indem neue Lebensstile, Partnerschaften und Familienformen zur Ursache der allgemeinen Misere erklärt werden.


Transparente 'Recht auf Straße' und 'ragazza Nein zu Gewalt' - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente 'Recht auf Straße' und 'ragazza Nein zu Gewalt' - Fotos: © 2019 by Schattenblick

"Yes means yes and no means no, whatever we wear whereever we go!"
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Dabei speist sich die hochgradige Wirksamkeit antifeministischer Ideologie weniger aus Feindbildern wie "Kulturmarxismus" und "Genderwahn" als aus allgemeinen Widerspruchslagen wie der Zementierung gesellschaftlicher Klassenstrukturen und der Verarmung von immer mehr Menschen auch mittelständischer Herkunft. Die Verteidigung bürgerlicher Besitzstände zum Preis der Unterwerfung unter die autoritären und beengenden Verhältnisse kleinfamiliärer Scheinsicherheit folgt einer Logik der Regression, die sich auch in der Disqualifizierung der Me.Too-Kampagne als übertriebene Form weiblicher Empfindlichkeit, pauschale Verdächtigung unbescholtener Männer oder Ablenkung von den wirklich wichtigen Problemen der Gesellschaft abbildet. Verteidigt werden Verhältnisse, an denen Frauen nicht rühren sollen, weil dieses Aufbegehren erst recht unerwünschte Folgen haben könnte. Wenn das Erdulden sexualisierter Übergriffe nur zum Preis der eigenen Karrierechancen oder des bloßen Erhaltes des Jobs verweigert werden kann, dann erweist sich das Begrapschen und Vergewaltigen nicht nur als Aggressionsakt physischer Art, sondern Ausdruck kulturell tradierter und gesellschaftlich institutionalisierter patriarchaler Herrschaft.

Diese Privilegien männlicher Verfügungsgewalt nicht nur zu erobern wie beim neoliberalen Elitenfeminismus erfolgreicher Businesswomen, sondern als Herrschaftsformen aus der Welt zu schaffen ist das Anliegen eines intersektionalen, die verschiedenen Unterdrückungsformen miteinander kreuzenden und in ihrer spezifischen Erscheinungsform ausdifferenzierenden Form feministischer Emanzipation. Anstatt dem vermeintlichen Widerspruch zwischen identitäts- und klassenpolitischen Dispositionen zu erliegen, die alltägliche Diskriminierung in all ihren Wirkfaktoren und Erscheinungsformen zu begreifen wäre die Voraussetzung dafür, nicht mit Gleichstellungspostulaten auf halbem Wege stehenzubleiben, sondern die Befreiung von jeglicher Ausbeutung und Unterdrückung zielsicher anzustreben.


Transparente gegen Rassismus und für Internationalismus - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente gegen Rassismus und für Internationalismus - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente gegen Rassismus und für Internationalismus - Fotos: © 2019 by Schattenblick

"Fuck off fuck off, we want freedom freedom, all your racist sexist borders, we don't need them!"
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Wo immer Frauen abverlangt wird, männlichen Erwartungen an ihre Rolle als Mutter oder Hausfrau zu entsprechen, wo über sie anhand ihres Aussehens, ihrer Hautfarbe oder Herkunft geurteilt und verfügt wird, wo ihre Körper geschlechtlich normiert werden und sie ihrer eigenen Physis durch maskuline Forderungen entfremdet werden, wo ihnen nicht in gleicher Weise wie Männern überlassen bleibt, sich auf wechselnde SexualpartnerInnen einzulassen oder eine andere geschlechtliche Orientierung zu verfolgen, da besteht Bedarf an tätiger Befreiung von Fremdbestimmung und Unterwerfung.

Mithin greift der Frauenstreik im besten Fall nicht weniger als die Grundlagen kapitalistischer Vergesellschaftung an. Mit der Verweigerung kostenloser Hausarbeit und zahlreicher wie selbstverständlich in Anspruch genommener Reproduktionsleistungen wird daran erinnert, daß die gesellschaftliche Fabrik ihre Tätigkeit einstellt, wenn diese Dienste nicht mehr wie von selbst geleistet werden. Es geht um mehr als Widerstand gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung und sexistische Angriffe zu leisten, sind diese doch nur ein, wenn auch wesentliches Merkmal der patriarchalen Produktionsweise, die in der Zerstörung des Lebens durch schuldengetriebene Kapitalakkumulation, extraktivistische und agrokapitalistische Naturausbeutung wie fossilistische Industrien suizidale Qualität angenommen hat.


Transparente internationaler Frauenorganisationen - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente internationaler Frauenorganisationen - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Der Kampf für Befreiung ist international
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Mit dem Instrument des Streiks können wir die Gewalt, der wir ausgesetzt sind, sichtbar machen, kritisieren und bekämpfen. Diese ist keine private oder häusliche Angelegenheit, es handelt sich vielmehr um eine Gewalt, die ökonomische, soziale und politische Ursachen hat, die die Form von Ausbeutung und Enteignung annimmt und jeden Tag schlimmer wird: Es geht um Entlassungen, um die Militarisierung von ganzen Landstrichen, um Konflikte um neo-extraktivistische Ausbeutung, um natürliche Ressourcen oder um die Erhöhung der Nahrungsmittelpreise, ume Kriminalisierung von Protesten und von Migration.
Aus dem Aufruf zum Frauenstreik Ni Una Menos in Argentinien 2018 [4]

Die besonders hohe Zahl von Femiziden in Argentinien und Lateinamerika und der nicht minder sexistisch motivierten Morde an Schwulen und Transmenschen sind zum einen der endemischen Kultur eines rassistischen Machismo geschuldet, der insbesondere nicht-weiße Frauen und Queers zur Zielscheibe seiner tödlichen Aggressivität erkoren hat. Zum andern ist Lateinamerika von dem Extraktivismus der Bergbaukonzerne und Agroindustrien betroffen, der ganze Regionen in ökologische Wüsten verwandelt und der brutalen Vertreibung indigener Bevölkerungen aus den Wäldern, in denen und von denen sie leben, Vorschub leistet. Die Morde an sozialökologischen AktivistInnen gehen in die Dutzende, soziale Initiativen wie die brasilianische Landlosenbewegung MST [5] oder die KleinbäuerInnenorganisatin La Via Campesina kämpfen an vorderster Front gegen die Zerstörung natürlicher Lebensräume und für Ernährungssouveränität, was tödliche Angriffe durch die davon betroffenen Großgrundbesitzer und Agromonopolisten zur Folge hat.

Die sozialökologischen und sozialrevolutionären Bewegungen Lateinamerikas verfügen über einen hohen Anteil von Frauen, greift die Privatisierung und Kommodifizierung des Landes und der Nahrungsmittelproduktion doch direkt in die von ihnen geleistete Reproduktionsarbeit ein. Aus diesem Kampf habe sich Formen des antipatriarchalen und antikolonialistischen Widerstandes entwickelt, der von Klassenkämpfen im Sinne der Einbeziehung der Hausarbeit in die gesamtgesellschaftliche Produktivität ebenso bestimmt ist wie dem Interesse an der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Dabei geht es gerade nicht um die Naturalisierung weiblicher Reproduktionsarbeit, die in der sozialistischen Linken häufig von der industriellen Produktion und dem Versprechen auf eine Besserstellung der Arbeiterklasse durch den dabei erzielten Produktivitätszuwachs abgegrenzt wurde, sondern ihre emanzipatorische Bewältigung durch eine nicht mehr von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung bestimmten Kollektivität.

Diese auch unter dem Begriff des Ökofeminismus bekannte Entwicklung hat den großen Vorteil in der Lage zu sein, die kontrovers verhandelten Fragen von Klasse und Identität so zu stellen, daß sie für ArbeiterInnen und BäuerInnen wie Menschen verschiedenster sozialer Herkünfte und geschlechtlicher Orientierungen gleichermaßen attraktiv sind. Vor dem Hintergrund der überfälligen Aufhebung kapitalistischer Wachstums- und Wettbewerbslogik und einer heranwachsenden Generation, die sich mit der dystopischen Aussicht auf ein Leben in einer von Extremwettern und Umweltkatastrophen erschütterten Welt konfrontiert sieht, liegen die Möglichkeiten einer breiten Organisierung sozialen Widerstandes im Wortsinne auf der Straße.


Fronttransparent an Demospitze 'Ohne uns steht die Welt still' - Foto: © 2019 by Schattenblick

"8. März ist alle Tage, dies ist eine Kampfansage!"
Foto: © 2019 by Schattenblick

Wir haben in Deutschland kein politisches Streikrecht, also werden wir kreativ! Haltet zusammen und macht euch kollektiv sichtbar: Legt die Haushaltsarbeit nieder. Gebt euch frei. Bummelt bei der Arbeit. Schwänzt die Schule. Geht nicht in die Uni. Hängt Schürzen aus dem Fenster. Plakatiert euer Büro. Kocht keinen Kaffee. Räumt die Spülmaschine nicht aus. Organisiert euch stattdessen, ruft Schüler*innen-Versammlungen, Betriebs- und Behindertenwerkstattversammlungen sowie Jugend- und Auszubildenden-Versammlungen ein! Redet mit euren Kolleg*innen, Freund*innen, Großmüttern, Müttern, Tanten und Schwestern.
Aus dem Hamburger Aufruf zum Frauenstreik am 8. März 2019

Schon letztes Jahr wurde im Rahmen des Global Women Strike 2018 am Internationalen Frauenkampftag auch in der Bundesrepublik zum Streik aufgerufen. Am 8. März 2019 nahm die Bewegung weiter Fahrt auf mit 25.000 DemonstrantInnen in Berlin und 10000 AktivistInnen in Hamburg, um nur zwei Beispiele zu nennen. Der Hamburger Aufruf richtete sich an alle nicht zur Gruppe der cis-Männer - Personen, die per Geburt männlicher Identität zugeordnet wurden und sich damit wohlfühlen - gehörenden Menschen und zeichnet sich dadurch aus, daß auch als behindert eingestufte Menschen als von feindseligen Kommentaren und physischer Gewalt Betroffene angesprochen wurden. Dementsprechend war die Demo bis zu dem Punkt, an dem sie auf eine Demonstration des Hamburger Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus traf, für cis-Männer geschlossen. Diese zeigten sich unter anderem dadurch solidarisch, daß sie im Rahmen der Sozialistischen Jugend - Die Falken LV Hamburg die Kinderbetreuung auf dem Rathausmarkt organisierten und veganes Essen anboten. Wo dennoch, wie mehrmals geschehen, cis-Männer in provokanter Absicht in die Demo eindrangen, wurden sie handgreiflich aus derselben hinausbefördert.


Transparent 'Wir grüßen alle weltweit, die sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung stark machen' - Foto: © 2019 by Schattenblick

"Küche Ehe Vaterland, unsere Antwort Widerstand!"
Foto: © 2019 by Schattenblick

Mehrere Stunden lang wurden am Treffpunkt vor dem Hamburger Rathaus Kundgebungen abgehalten sowie verschiedene Aktionen gestartet. Eine Gruppe zog in umliegende Geschäfte und lud die dort arbeitenden Frauen zu einer Kaffeepause ein, andere benannten Straßen um, indem sie die Straßenschilder mit den Namen berühmter Feministinnen überklebten. Zu den am häufigsten auf die Schippe genommenen PolitikerInnen gehörte Gesundheitsminister Jens Spahn, dessen in Auftrag gegebene Studie zu den psychischen Folgen von Abtreibungen mit Kosten von fünf Millionen Euro den Rekord des teuersten Forschungsprojektes seines Ministeriums in den letzten zehn Jahren hält. Der rechtskonservative Rollback macht auch vor bekennenden Schwulen nicht halt, die eigentlich besser wissen müßten, was es heißt, in dieser Gesellschaft als AußenseiterIn diskriminiert zu werden.


Sprühbild auf Straßenpflaster mit Vulvakontur - Foto: © 2019 by Schattenblick

Verleugnet und negiert ...
Foto: © 2019 by Schattenblick

Im Umfeld des Rathausmarktes wurden auch feministische Zeichen in Form von Monatsbinden, die mit der Aufschrift "Frauenstreik" versehen auf Verkehrsschildern geklebt wurden, und der Vulva, deren Umrisse auf das Straßenpflaster gesprüht wurde, gesetzt. Derartige Aktionen erinnern daran, daß Frauen neben dem sozialen auch über ein biologisches Geschlecht verfügen, dessen Negation und Herabwürdigung durch die patriarchale Gesellschaft ein deutliches Symptom für deren frauenfeindliche Gewalt und damit ein wesentlicher Anlaß für das Hervortreten feministischen Widerstandes war und ist. Auch wenn die heutige, queerfeministische Bewegung mit der Dekonstruktion geschlechtlicher Identität und der Aufhebung der binären, cis- und heteronormativen Geschlecherstereotypien produktives Neuland im Sinne der Befreiung von jeglicher patriarchalen und sexistischen Fremdbestimmung erschlossen hat, unterliegt der weibliche Körper weiterhin nicht viel anders als der von Trans- und Inter-Personen einer normativen Gewalt, die sich in insbesondere in religiös bestimmten Ländern zu einer gegen die physische Gestalt und gesellschaftliche Existenz von Frauen gerichteten Waffe entwickelt hat, deren jeweils kulturspezifische Erscheinungsformen sich im Kern der Negation alles Weiblichen stark gleichen.

So wird das weibliche Genital in zahlreichen Sprachen wie ein Schimpfwort verwendet, mit medikalisierten Begriffen in sterile Distanz gerückt oder, auf die eben sichtbare und funktionale Erscheinungsform reduziert, jeglicher selbstbestimmten Sexualität enthoben. Die männliche Form des Phallischen ist als formgebende, ästhetische Begrifflichkeit vollständig etabliert, eine weibliche Entsprechung wie etwa das Vulvische gibt es so gut wie nicht. In vornehmlich von Männern konsumierten Pornos werden Frauen nicht nur systematisch erniedrigt, sondern das Verspritzen von Sperma wird regelrecht zelebriert, während entsprechende Sekrete von Frauen praktisch nicht vorkommen. Die Behaarung des weiblichen Genitals gilt als unschicklich, wie die zur Regel gewordene Intimrasur zeigt, und Schamlippen werden durch Intimchirurgie gestutzt, als handle es sich um pathologische Auswüchse.


Lila Fronttransparent 'Ohne uns steht die Welt still' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Zusammentreffen mit Demo des Hamburger Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus
Foto: © 2019 by Schattenblick

Aus all dem spricht die ungebrochene patriarchale Verfügungsgewalt über die Körper von Frauen in einer stark sexualisierten Kultur. Diese ist kein Ergebnis einer emanzipatorischen sexuellen Revolution, wie häufig behauptet, sondern beschert vor allem Männern eine Freizügigkeit, die Frauen sich bestenfalls erkämpfen können. Die zweifellos großen Unterschiede in den Sexualpolitiken verschiedener Gesellschaften und Kulturen verbleiben weithin auf dem gemeinsamen Nenner maskuliner Definitionshoheit. Das lassen die auf den männlichen Blick zugerichteten Schönheitsnormen in der Unterhaltungsindustrie, die warenförmige Inszenierung weiblicher Models in der Produktwerbung und die Dominanz von Männern in entscheidenden Positionen kulturindustrieller Administration ebenso erkennen wie die Aufrechterhaltung von Geschlechterrollen, die Männern den aktiven und Frauen den passiven Part zuschreiben. Gleiches gilt für die schuldbehaftete Bezichtigung von Frauen im Fall vorehelicher Sexualkontakte durch Männer, den dieses wie selbstverständlich zugestanden wird, oder den nach wie vor verbreiteten Mythos von der sogenannten Jungfernhaut, die beim ersten Geschlechtsverkehr blutig einreißen soll und daher als Test für die Unberührtheit der Frau gilt.


Zwei Frauen und ein ausgestreckter Mittelfinger am Rande der Demo - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick

Ein halbes Jahrhundert angebliche sexuelle Befreiung hat nichts daran geändert, daß die weibliche Sexualität männlichen Anwürfen ausgesetzt ist, laut denen Frauen entweder als "frustriert" und "frigide" disqualifiziert werden, wenn sie sich verweigern, oder als "Schlampe", "Nutte" oder "Nymphomanin" beleidigt werden, wen sie ihre Lust ausleben. Wahlweise wird auch zu homophoben Beschimpfungen gegriffen, wenn Frauen zeigen, daß ihr Interesse an Männern begrenzt ist. Ihre Physis hat in der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft vornehmlich Objektcharakter, sei es in den Abbildungen sexistischer Werbung, in den Schönheitsnormen, denen sie in bestimmten Jobs oder bei der Sexarbeit zu genügen haben, oder in anderen Formen der Kommodifizierung des Körpers zur Käuflichkeit und Verwertbarkeit.

Es muß nicht gleich das Verbot betreffen, wie in Indien den Tempel zu besuchen oder in die Öffentlichkeit zu gehen, wenn Frauen die Regel haben, um die Monatsblutung zum Anlaß der Unterdrückung ihrer Physis zu nehmen. Auch im vermeintlich aufgeklärten Westen gilt das blutige Sekret als etwas, das lieber nicht zur Kenntnis genommen wird, wie die stets blaue Testflüssigkeit in der Werbung für Binden und Tampons zeigt. Heute können Frauen in westlichen Gesellschaften zwar darüber sprechen, daß sie mit der Klitoris über ein vollständiges Organ und nicht nur ein Stück Haut verfügen, aber viele Millionen Frauen in aller Welt werden weiterhin einer Genitalverstümmelung unterzogen, die mit der Beschneidung der männlichen Vorhaut nicht gleichzusetzen ist.

Im Unterschied zu dieser Praxis sind bei Frauen die empfindlichsten Teile ihres Genitals betroffen, so daß eine entsprechende Praxis beim Mann einer Kastration gleichkäme. Dieser schon vor der Entstehung der großen monotheistischen Religionen nachgewiesene und immer wieder tödlich verlaufende Eingriff wird auch in mehrheitlich christlichen Gesellschaften wie der Äthiopiens oder Sierra Leones angewendet, ist also nicht ursächlich ein Ergebnis islamischer Religiosität. In jedem Fall jedoch ist er Bestandteil der Unterwerfung von Frauen unter das medikalisierte Diktat des Patriarchates, können sie sich der Genitalverstümmlung doch praktisch nur durch Flucht entziehen, weil die Verweigerung der sogenannten Beschneidung in Gesellschaften mit traditioneller Werteordnung eine Verheiratung und damit das Überleben unmöglich machte.


Demo vor der Hamburger Kunsthalle - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick

Es gibt zahlreiche gute Gründe für Frauen auch in westlichen Gesellschaften, die ihrer Geschlechtlichkeit zugeschriebene Gefahr wortwörtlich zu nehmen und selbst gefährlich für die Dominanz maskuliner Definitionsmacht zu werden. Die in ihrer Lautstärke und Ausgelassenheit außergewöhnliche Demonstration zum Internationalen Frauenkampftag war ein starkes Signal dafür, selbstbewußt und streitbar gegen die Bastionen des Patriarchats anzugehen und dies nicht nur an einem, sondern jeden Tag zu tun. Der Aufruf zum politischen Streik legt zudem nahe, sich mit all denjenigen sozialen Bewegungen zu verbünden, die gegen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Kolonialismus, Kapitalismus wie Ausbeutung und Unterdrückung in jeglicher Form rebellieren. Nichts verbindet mehr als einmal jene Ohnmacht erlitten zu haben, die alles über die Gewalt herrschender Verhältnisse sagt und daher als Information über die Totalität fremdbestimmter Verhältnisse vollständig ausreicht.

(Weitere Berichte und Interviews zum Internationalen Frauenstreik am 8. März 2019 demnächst an dieser Stelle)


Zwei Transparente 'The Future Is Female' und 'The Future Isn't Female' - Fotos: © 2019 by Schattenblick Zwei Transparente 'The Future Is Female' und 'The Future Isn't Female' - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Offene Fragen, die nicht im Weg stehen müssen ...
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://adamag.de/frauenstreik-1994-wir-wollten-brot-und-rosen

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1029.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbrb0078.html

[4] https://www.zeitschrift-luxemburg.de/von-metoo-zu-westrike/

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0363.html


13. März 2019


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