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INTERVIEW/047: Hommage an Ida Ehre - Für jeden Menschen überall ..., Hansjürgen Menzel-Prachner im Gespräch (SB)


"Man sollte da auch geschichtlich denken."

Interview mit Hansjürgen Menzel-Prachner anläßlich der "Hommage an Ida Ehre" am 19. Juni 2014 in Hamburg

Der Vorsitzende des Ida Ehre Kulturvereins über einen Namen, der Programm macht, über den Einsatz für mehr Menschlichkeit und die Pflicht, nein zu sagen



Friedensbewegt. Das Wort, dem zu Anfang der 80er Jahre in Deutschland eine tiefe Bedeutung zukam, als viele Tausende Demonstranten sich über Jahre hinweg zu regelmäßigen Friedenskundgebungen und Konzerten gegen Krieg und atomare Aufrüstung zusammenschlossen, hat, auch wenn die Friedensbewegung ihre Popularität und Breitenwirkung eingebüßt zu haben scheint, seine existentielle Wichtigkeit nie verloren. Der Wunsch nach Frieden in einer von Krieg geschundenen Welt, der allen Völkern gemeinsam ist, hat allerdings eine für geostrategische und globalwirtschaftliche Ziele nutzbare, massenwirksame Instrumentalisierung erfahren, die ein "Befrieden" mit Waffengewalt legitimieren und die Möglichkeit militärischer Offensiven als ein vernünftiges, wenn nicht gar zwingendes Mittel der Wahl darstellen soll. Dass große Teile ehemaliger Friedensaktivisten diesen Weg mittlerweile gutheißen und mittragen, sollte mehr als nachdenklich stimmen. Dabei schreiben sich nicht nur rechtspopulistische Bewegungen bei heutigen Friedensdemonstrationen neuerdings einen "Frieden" auf die Fahnen, der ausgerechnet diejenigen nicht einschließt, die aufgrund kriegsbedingter, lebensfeindlicher und existenzbedrohender Situationen Zuflucht und Asyl in Deutschland und Europa suchen.

Der Hamburger Ida Ehre Kulturverein hat es sich zur Aufgabe gemacht, im Dienste einer umfassenden Beachtung der Menschenrechte Kulturarbeit ohne Unterschiede zu leisten, und im Namen der Schauspielerin Ida Ehre, die sich Zeit ihres Lebens für die individuelle künstlerische Entfaltung junger Menschen einsetzte, für einen Frieden einzutreten, der keine Kompromisse macht.

Der Schattenblick konnte dem Vereinsvorsitzenden und Mitbegründer des Ida Ehre Kulturvereins, Hansjürgen Menzel-Prachner, auf der abendlichen "Hommage an Ida Ehre" zum 25. Todestag der Schauspielerin am 19. Juni 2014 im Lichthof der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg einige Fragen zur Vereinsarbeit, seiner Friedensvision und der berühmten Ehrenbürgerin der Hansestadt stellen.

Schattenblick (SB): Herr Menzel-Prachner, was hat Sie dazu bewogen, sich im Ida Ehre Kulturverein zu engagieren?

Hansjürgen Menzel-Prachner (HMP): Ende der 1990er Jahre gab es einen Vorfall an der Ida-Ehre-Gesamtschule in Hamburg, die damals noch Jahnschule hieß. Ein Neonazi hat sein Unwesen getrieben und die Schulöffentlichkeit war natürlich sehr beunruhigt. In dem Verlauf stellte man sich die Frage, ob es nicht sinnvoll sei, die damalige Jahnschule umzubenennen, denn der Name des Turnvater Jahn wurde in den 1930er Jahren von den Nazis favorisiert. Man machte sich Gedanken, wer ein sinnvoller Namensgeber sein könnte. Ich war damals Elternratsvorsitzender an dieser Schule und schlug Ida Ehre als Namensgeberin vor. Meine älteste Tochter hat noch an der Jahnschule Abitur gemacht, meine jüngere Tochter war dann im ersten Abi-Jahrgang der Ida-Ehre-Schule. 2001 ist die Schule also umbenannt worden. Zur gleichen Zeit habe ich mit einigen Freunden wie Christiane Bauer, Ruth Jäger, Martin Eckeberg und meiner Tochter Kristin Menzel diesen Verein gegründet, um den Namen von Ida Ehre in Erinnerung zu halten. Wir unterstützen soziale Projekte und Schulprojekte und tun das mit zunehmendem Erfolg nun seit 13 Jahren. Wir kooperieren mit Menschenrechtsorganisationen, wir mischen uns ein, auch wenn es um bedürftige Menschen in unserer Gesellschaft geht. Gerade in der Flüchtlingsfrage, die ja immer mehr zu einem Problem wird, versuchen wir ein gutes und mutiges Beispiel der Menschlichkeit zu sein.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Martin Eckeberg vom Ida Ehre Kulturverein, Dr. Marlene Grau von der Staatsbibliothek Hamburg und Hansjürgen Menzel-Prachner (von links) kurz vor Beginn der 'Hommage an Ida Ehre'
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Warum eigentlich Ida Ehre?

HMP: Ich habe der Schule damals Ida Ehre vorgeschlagen, weil ich es gut und wichtig fand, dass eine Frau die Namensgeberin ist. Außerdem hat Ida Ehre in dem Stadtteil gelebt, sie war erste Intendantin eines deutschen Theaters, nämlich der Hamburger Kammerspiele in Harvestehude, und sie war die erste weibliche Ehrenbürgerin Hamburgs. Ich finde so ein Name ist auch Programm. Schulen haben sich eben auch ein Programm zu suchen und sollten nicht einfach "Schule am Grindel" oder "an der Bogenstraße" heißen.

SB: Wie lässt sich Ida Ehres Wirken an die Schüler vermitteln?

HMP: Ich kann natürlich nicht so gut über die gleichnamige Schule in Bad Oldesloe sprechen, aber hier in Hamburg ist es schon so, dass das Thema Ida Ehre von Anfang an, von der fünften bis zur dreizehnten Klasse, immer mal wieder vorkommt, sei es in der Theater AG oder auch in der Aula, wo Bilder von ihr hängen.

SB: Ihr Verein hat im Dezember 2013 im Zuge der Vorträge zu Konflikten im Nahen Osten von Prof. Dr. Udo Steinbach eine Podiumsdiskussion zu Syrien gemacht und Sie haben auch die Flüchtlinge aus Lampedusa, die nach Hamburg gekommen sind, unterstützt. In welcher Form ist das geschehen?

HMP: Wir veranstalten jedes Jahr zum Tag der Menschenrechte Podiumsdiskussionen zu verschiedenen Themen. Prof. Dr. Udo Steinbach war nun das vierte Mal dabei und konnte gemeinsam mit Dieter Bednarz auch den im Publikum anwesenden Schülern gute Einblicke in den Konflikt im Nahen Osten geben. In diesem Jahr habe ich dann zusammen mit der Bischöfin Kirsten Fehrs den "Helmut Frenz Preis" ausgelobt. Helmut Frenz war ein deutscher Bischof in Chile, zu Zeiten Pinochets, und ist dann ausgewiesen worden. Dann war er zehn Jahre Generalsekretär von Amnesty International und schließlich auch Beirat des Ida Ehre Kulturvereins und mein persönlicher Freund. Leider ist er 2011 gestorben. Der Preis mit seinem Namen wird an Menschen und Organisationen verliehen, die der Menschlichkeit ein mutiges Beispiel geben. Er wurde erstmalig in diesem Jahr am 4. Februar an die St. Pauli-Gemeinde und ihre Pastoren Sieghard Wilm und Martin Paulekun verliehen für ihren Einsatz für die Lampedusa-Flüchtlinge, die sie allen Widrigkeiten zum Trotz in ihrer Kirche aufgenommen haben.

SB: Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, welche Projekte Sie unterstützen?

HMP: Ich gehe jetzt mal wieder zurück zu den schulischen Projekten. Wir sind dabei, wenn es darum geht, Theaterprojekte zu unterstützen, die z.B. die Flüchtlingsproblematik aufgreifen oder sich mit gesellschaftlichen Missständen oder Ungerechtigkeiten befassen. Wo es also darum geht, die Menschenrechte aufzurufen, das unterstützen wir sehr offen und offensiv. Wir sind ein kleiner Verein, haben nur ein relativ geringes Budget und sind auch keine Stiftung; das wären wir zwar gerne, aber momentan fehlt noch das Geld. Um die Projektunterstützung realisieren zu können, nehmen wir wie heute Abend Eintrittsgelder und versuchen, auf unsere Kosten zu kommen und vielleicht sogar ein kleines Plus zu machen.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Der gut besuchte Lichthof in der Staatsbibliothek Hamburg
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Entscheiden Sie dann im Vorstand, welche Projekte die finanziellen Zuschüsse bekommen?

HMP: Das besprechen wir im Vorstand, ja. Wir entscheiden, je nach dem, wie viele Mittel wir haben. Die Projektleiterinnen und -leiter wenden sich an uns und stellen einen Antrag auf Förderung, das können Lehrerinnen und Lehrer sein oder auch Leute von außen. Wenn wir im Laufe des Jahres kein Geld mehr haben, sagen wir, 'tut uns leid'. Oder wenn ein Projekt dann 500 Euro beantragt, können wir eben nur 250 oder 200 Euro geben.

SB: Das Ida Ehre-Zitat "Redet nicht, sprecht miteinander; seht nicht, schaut.", das auch als Motto auf Ihrer Vereinswebseite steht, trifft das Theater in einem ganz traditionellen Sinn als den Ort, die Fähigkeit zu sprechen und zu schauen zu entwickeln. Was bedeutet das Theater heute noch oder vielleicht wieder für Jugendliche und junge Erwachsene in diesem Zusammenhang?

HMP: Da sind in erster Linie die Theaterpädagogen gefragt, die mit Schülerinnen und Schülern Theater machen. Da muss man natürlich auf die Stimme und auf Techniken achten, wie man spricht und dass man auch laut spricht, so dass die Zuschauer den Text auch in der letzten Reihe hören.

Inhaltlich war Frau Ehre eine friedensbewegte Frau, die, obwohl sie schon 1989 im Alter von 89 Jahren gestorben ist, der Jugend auch heute noch etwas mitgeben kann. Sie werden Ida Ehre heute Abend in einem Film sehen, wo sie unter anderem das Gedicht "Da gibt es nur eins! Sag nein!" von Wolfgang Borchert vorträgt. Das war 1983 im St. Pauli Stadion in gigantischer Atmosphäre, als "Künstler für den Frieden" gegen den NATO-Doppelbeschluss aufgetreten sind. Das Gedicht ist ein reines Friedensgedicht. Immer wenn Ida Ehre zum Schluss einer jeden Textzeile "Sag nein!" sagte, haben es die über 20.000 Zuschauer mit ihr gesprochen, das war einfach gigantisch.

Ida Ehre im projizierten Filmstill auf der Bühne - Foto: © 2014 by Schattenblick

'Sag nein!'
Ida Ehre bleibt filmisch in lebendiger Erinnerung
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Ein weiteres Zitat von Ida Ehre lautet: "Ich bin sofort dabei, wenn es darum geht, die Bürger aus ihrer Schläfrigkeit zu wecken, sie anzustacheln, sich zu engagieren." Können Sie kurz umreißen, was sie mit der "Schläfrigkeit der Bürger" genau gemeint haben könnte und wie dieser Ausspruch zu verstehen ist?

HMP: Ich glaube, die Bürger müssen auch heute aus ihrer Schläfrigkeit geweckt werden, wenn es darum geht, zum Beispiel Flüchtlinge und Obdachlose zu unterstützen, denen hier teilweise selbst durch unsere Politik Unrecht widerfährt. Da geht es darum, den Bürgerinnen und Bürgern zu sagen, 'Mensch, guck doch mal hier, das sind Menschen und die brauchen unsere Hilfe, da ist Menschlichkeit angesagt. Da könnt ihr euch nicht einfach wegducken und fernsehen! Ihr könnt sie nicht einfach so mir nichts, dir nichts wieder abschieben. Ihr könnt die Obdachlosen unter der Brücke in St. Pauli nicht einfach wegsperren, indem man einen Zaun um sie baut.' So etwas geht gar nicht und da bin ich auch selber immer dabei, Unterstützer hinter mich oder hinter die Forderung zu bekommen: 'Leute, sagt etwas, sagt eure Meinung und lasst es nicht zu!' Ich bin Vertreter eines ganz kleinen Ida Ehre Kulturvereins, mit guten Beiräten wie Helmut Schmidt, den ich auch habe interviewen können, oder Walter Jens, der leider verstorben ist, Siegfried Lenz, Ulli Waller, Corny Littmann, Cornelia von Ilsemann und Manfred Witt. Trotzdem ist es nicht einfach, bei der Presse wirklich großes Gehör zu finden. Um schlagzeilenträchtig zu werden, müsste man wahrscheinlich eine Mega-Demonstration machen oder Ähnliches.

SB: Ich hatte die Gelegenheit, einen kleinen Ausschnitt aus diesem Interview zu sehen. An einer Stelle sagt Helmut Schmidt, dass viele Intellektuelle, die wie Heinrich Böll damals gegen den von ihm als Bundeskanzler befürworteten NATO-Doppelbeschluss waren, politisch eher naiv agierten.

HMP: Es ging um Raketen, die in Europa stationiert werden sollten, um im Bedarfsfall nach Russland zu starten, die den Kalten Krieg angeblich stoppen sollten, obwohl das für uns friedensbewegte Menschen de facto eine Aufrüstung war, eine Zuspitzung, wenn man so will. In dem Interview zu seinen Erinnerungen an Ida Ehre, die er seit 1945 als Schauspielerin und später auch persönlich kannte, habe ich Helmut Schmidt gefragt, ob ihr Auftritt bei "Künstler für den Frieden" ein Affront für ihn gewesen sei, weil sie als seine persönliche Freundin ja praktisch künstlerisch gegen ihn Stellung bezogen hat. Dies verneinte er, da es seiner Meinung nach damals viele friedensbewegte Menschen und Gefühlspazifisten, wie auch Heinrich Böll, gegeben habe, und dass der NATO-Doppelbeschluss das einzig Richtige gewesen sei, wie sich ja später durch den Frieden zwischen den West- und Ostmächten herausgestellt habe. Obwohl mir auf der Zunge lag zu sagen, dass er ja gar nicht beurteilen könne, was geschehen wäre, wenn der NATO-Doppelbeschluss nicht stattgefunden hätte, habe ich es dann dabei belassen. Das Ergebnis gab ihm ja durchaus Recht.

Foto: © 2014 by Schattenblick

'Man sollte in der Flüchtlingsfrage geschichtlich denken und auch zurückgeben.'
Hansjürgen Menzel-Prachner im Gespräch mit dem Schattenblick
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Angenommen, Sie könnten an der momentanen Situation ziemlich schnell etwas ändern, was wäre Ihre Vision?

HMP: Es nützt nichts, in die Politik zu gehen, das hab ich mir das ganze Leben lang überlegt und bin immer zu dem Schluss gekommen, dass ich kein Typ bin, der einem Fraktionszwang folgen könnte. Meine Vision wäre, aus dem Ida Ehre Kulturverein eine Stiftung zu machen, dann hätten wir auch wesentlich größere Möglichkeiten, die Journaille hinter dem Ofen hervorzulocken, um uns noch stärker in der Öffentlichkeit zu positionieren, auch im Namen von Ida Ehre. Zum Beispiel gibt es ja jetzt ein Stück von Jean Genet, das im Original "Les Nègres" heißt und im Deutschen Schauspielhaus aufgeführt werden sollte. Auch wenn es Genet als antirassistisches Stück in den 1950er Jahren geschrieben hat, geht es doch wirklich überhaupt nicht, dass die Tausenden von schwarzen Hamburger Bürgern diesen Begriff noch im Jahre 2014 lesen müssen. Das ist doch das Allerletzte, das ist 'politically incorrect' und rassistisch.

SB: Was wünschen Sie sich für die Flüchtlinge bei uns?

HMP: Ich wünsche mir, dass man mit Flüchtlingen und mit anderen Bedürftigen unserer Gesellschaft fair und anständig umgeht, dass man sie nicht einfach abschiebt, auch wenn der Paragraph es hergibt. Dass man nicht abschiebt in ein sogenanntes "sicheres" Herkunftsland wie Serbien. Es ist für Roma und Sinti nicht sicher, sie sind dort noch stärker verfolgt als hier. Ich wünsche mir, dass die Politik sich daran erinnert, wie es in der Vorkriegszeit war, als ganz viele Menschen aus Deutschland Asyl in anderen Ländern der Erde gesucht und gefunden haben, als Tausende von Juden Asyl suchend das Land verlassen haben. Man sollte da geschichtlich denken und auch etwas zurückgeben.

SB: Herr Menzel-Prachner, vielen Dank für das Gespräch.


Einen Bericht zur "Hommage an Ida Ehre" finden Sie im Schattenblick unter:

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BERICHT/025: Hommage an Ida Ehre - Für einen Abend wach (SB)
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11. Juli 2014