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INTERVIEW/104: Das Anti-TTIP-Bündnis - Großer Spieler Eurozone ...    Francisco Mari im Gespräch (SB)


Handelsabkommen EPAs - Fuß der EU in der Tür Afrikas

Interview auf der TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel am 26. Februar 2016


Der Jurist und Sozialpsychologe Francisco Mari ist seit 2009 bei Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst Projektreferent in den Bereichen Agrarhandel und Fischerei mit den Schwerpunkten Welthandelsorganisation (WTO), EU-Handelsabkommen mit Afrika (EPAs), Meerespolitik und EU-Fischereiabkommen.

Auf der TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel gehörte er zu den Vortragenden eines Workshops zum Thema "Was können wir aus dem Widerstand gegen die EPAs lernen?". Darin ging es um die langjährigen Versuche der Europäischen Union, mit Hilfe der EPAs (Economic Partnership Agreements) ihre Freihandelsagenda, völlig abseits der Öffentlichkeit und weitestgehend unbemerkt, auch gegen Afrika durchzusetzen, Erörtert wurde insbesondere, welche Ziele die EU mit diesen Abkommen verfolgt, welche Auswirkungen den afrikanischen Ländern drohen, wie der Widerstand gegen die EPAs bislang verlaufen ist und welche Folgerungen für die weitere Vorgehensweise daraus abzuleiten sind. Im Anschluß daran beantwortete Francisco Mari dem Schattenblick einige Fragen.


Schattenblick (SB): Francisco, du bist bei Brot für die Welt Referent für Welternährung, Agrarhandel und Meerespolitik. Das sind zweifellos zentrale Themen, die die Welt heute bewegen.

Francisco Mari (FM): Es sind Themen, die immer wieder von Medien und Politik abgefragt werden, weil sie den Lebensalltag der Menschen in Afrika infolge der Globalisierung fast tagtäglich berühren. Es geht um die Frage, was in der Landwirtschaft produziert wird, und vor allem darum, welche Konkurrenzprodukte den afrikanischen Landwirten die Märkte wegnehmen. Es geht um die Fischerei mit ähnlich negativen Einflüssen durch europäische Flotten und die anderer Länder. Und es geht grundsätzlich um die Handelsbeziehungen, die heute auf das tägliche Leben vor allem von Bäuerinnen und Fischern unmittelbar Einfluß nehmen.

SB: Mit Blick auf die Welternährung stehen zwei Thesen im Raum: Die eine besagt, daß die Menschheit zu ernähren wäre, ginge die Verteilung gerechter vonstatten. Die andere geht davon aus, daß die produzierten Nahrungsmittel längst nicht mehr für alle ausreichen und dieser Mangel angesichts des Klimawandels dramatisch zunehmen und insbesondere Weltregionen wie Afrika heimsuchen wird. Wie ist dieser Widerspruch aus deiner Sicht einzuschätzen?

FM: Beides stimmt. Aktuell gibt es in manchen Regionen zu wenig Nahrungsmittel, während zugleich auf den Äckern der Welt Nahrungsmittel angebaut werden, die neun bis zwölf Milliarden Menschen ernähren könnten. Das Problem besteht darin, daß die Hälfte der angebauten Nahrungsmittel nicht zur Nahrung verwendet wird. Ein Großteil geht schon auf den Äckern als Nachernteverlust verloren, weil es einfach keine Infrastruktur gibt, die Ernten zu lagern, zu transportieren und zu verarbeiten, damit sie später als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Hinzu kommt, daß wir fast zwanzig Prozent der Ernten in Futtermittel umwandeln, um Fleisch zu produzieren, wodurch ein Vielfaches an potentiellen Lebensmitteln verlorengeht. Das betrifft vor allem Südamerika, aber auch Asien und Europa. Überdies wachsen die nichtagrarischen Anforderungen an die Landwirtschaft, aus Nahrungsmitteln Energie zu gewinnen. Das hat vor allem mit den Agrotreibstoffen angefangen und setzt sich im nächsten großen Schub durch die sogenannte Bioökonomie fort. Wir sind dabei, aus Klimaschutzgründen aus der Kohlenstoffchemie auszusteigen, und wollen Ersatzwerkstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen haben. Dadurch wächst der Druck auf die Äcker, dort Nahrungsmittel als nachwachsende Rohstoffe abzuziehen.

Es gäbe also genug Nahrungsmittel für alle Menschen und doch gibt es sie nicht. Läßt man diese Aufteilung der Nutzung vorhandener Ackerfläche zu und projiziert das auf die nächsten 50 Jahre, kommt man zwangsläufig zu dem Schluß, daß wir nicht genug Nahrungsmittel produzieren, um alle Forderungen abzudecken. Möglicherweise gelingt es uns, die Nachernteverluste zu reduzieren, doch wenn die dadurch gewonnenen Nahrungsmittel gleich wieder in Agrotreibstoffe umgewandelt werden, haben wir nicht genug Nahrungsmittel, um den weltweiten Bedarf zu decken.

SB: Im Rahmen des gesamten Handels der Europäischen Union spielt Afrika eher eine untergeordnete Rolle. In welchem Maße verschärft der Export von Nahrungsmitteln oder Rohstoffen zur Herstellung von Agrotreibstoff nach Europa dennoch die Ernährungslage in den afrikanischen Ländern?

FM: Den Export von Agrarerzeugnissen würde ich als nicht allzu problematisch ansehen, weil es sich vor allem um nicht als Nahrungsmittel verwendete Agrarprodukte handelt. Wenngleich man Bananen natürlich auch auf den lokalen Markt bringen könnte, geht es bei den Ausfuhren nach Europa doch vor allem um Edelprodukte wie Früchte und insbesondere Kaffee und Kakao. Da der Anbau von Gemüse weniger flächenintensiv als beispielsweise Getreide ist, könnte dies eine Möglichkeit sein, Einkommen zu schaffen, wenn ein größerer Anteil an der Wertschöpfung in diesen Ländern bliebe. Was die Agrotreibstoffe betrifft, hat die Kontroverse um Landgrabbing zumindest in Europa so hohe Wellen geschlagen, daß die Reduzierung des Zugriffs auf Agrarprodukte für die Treibstoffversorgung und das Einfrieren der Beimischungsquoten einigen Druck genommen und auch das Interesse der Investoren etwas abgekühlt hat. Das kann natürlich durch diesen Run auf die Bioökonomie wieder umschlagen, aber vorerst ist der Einfluß aus Europa, solche Rohstoffe aus Afrika abzuziehen, nicht das größte Problem.

Viel problematischer ist seit Jahrzehnten, daß Afrika zunehmend der Markt für unsere riesigen Agrarüberschüsse wird. Wenngleich das wenige Erzeugnisse betrifft, die in der Folge vor Ort nicht mehr produziert werden können, betrifft es doch Produkte wie beispielsweise Fleisch und Milch, die ja Luxusprodukte in Afrika sind und deswegen eine große Gewinnspanne für kleinbäuerliche Produzenten zulassen würden, wenn man ihnen die Märkte gäbe, die jedoch zunehmend von Importen aus europäischen Ländern besetzt werden. Seit etwa einem halben Jahr gilt das neben dem Fleischmarkt auch für den Milchmarkt, den wir schon in Westafrika haben. Traditionell handelt es sich bei 80 Prozent der Agrarprodukte aus Europa nach wie vor um Weizen und zunehmend nur noch um Weizenmehl, so daß noch nicht einmal das Mahlen des Weizenkorns als Wertschöpfung in Afrika möglich ist, da wir ihnen gleich die Mehlsäcke schicken.

SB: Neben dem europäischen Einfluß sind auch die Interessen der USA zu nennen, die unter Clinton die Aufteilung Afrikas in Einflußsphären vorangetrieben und ihr Afrikakommando in Deutschland stationiert haben. Hinzu kommt als dritter bedeutender Akteur China, das insbesondere mit Landgrabbing in Verbindung gebracht wird. Wie verteilt sich deiner Erfahrung nach diese Einflußnahme derzeit?

FM: Der US-amerikanische Einfluß vor allem als Präferenz für afrikanische Produkte auf dem amerikanischen Markt, dieser sogenannte African Growth and Opportunity Act, den Clinton damals eingeführt hat und der jetzt verlängert wurde, ist das in Aussicht gestellte Wirtschaftswunder schuldig geblieben. Zwar werden diverse Erzeugnisse wie bestimmte Stoffe vermehrt von Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern gekauft, doch hat die Öffnung des Textilmarktes bislang noch nicht zu wirklich bedeutsamen Investitionen geführt, weil Asien immer noch billiger als jede afrikanische Fabrik produzieren kann. Hinzu kommen einige Agrarprodukte, aber ebenfalls nicht im erhofften Umfang. Der Streit um die afrikanischen Rohstoffe wird über angebliche Möglichkeiten wie offene Märkte mit den USA, aber auch die berüchtigte Visa-Lotterie, ausgetragen, die Einflußnahme der USA ist also durchaus präsent.

Genauso präsent sind aber auch China, Indien und Brasilien, wobei es insbesondere China, aber auch Saudi-Arabien angesichts der weltweiten Nahrungskrise 2008 vor allem darum ging, auf fruchtbarem Boden in Afrika Teile ihrer Nahrungssicherheit zu gewährleisten, die darüber jedoch keineswegs vollständig gedeckt werden kann. Im Zuge dieser Offensive wurde sehr viel Land unter dubiosen Bedingungen aufgekauft, die sich als ausgesprochen nachteilig für die dort ansässigen Bäuerinnen und Bauern erwiesen haben, denen insbesondere der Zugang zu Wasser entzogen wurde. Dieser Vorgang ist nach wie vor präsent. Hinzu kommen natürlich auch internationale Fonds, die wissen, daß angesichts eines großen Bevölkerungszuwachses Land in Afrika immer knapper wird, und die sich schon jetzt dort festsetzen wollen. Länder wie Äthiopien, Sierra Leone oder Liberia bieten sogar offensiv auf Märkten in Europa und Asien ihr Land zu Lasten kleinbäuerlicher Produzenten an. Das ist wirklich ziemlich übel, weil die Nahrungssicherheit in diesen Ländern noch nicht so gefestigt ist, daß sie sich das leisten könnten.

SB: TTIP ist in Deutschland inzwischen ein recht geläufiges Thema geworden. Wie kommt es, daß demgegenüber die Freihandelsabkommen der EU mit Afrika nach wie vor weithin unbekannt sind?

FM: Weil es dabei anders als bei TTIP von europäischer Seite, wie man ehrlicherweise einräumen muß, für sich genommen eigentlich um nichts geht. Selbst wenn durch die EPAs afrikanische Märkte für europäische Produkte geöffnet werden sollten, würde das nicht zu erheblich anwachsenden Chancen für europäische Erzeugnisse führen, schon gar nicht für die teuren und wirklich Gewinne schaffenden technologischen Produkte. Wo diese benötigt werden, können sie afrikanische Investoren ohnehin schon kaufen, und auf der anderen Seite ist die Rohstoffzufuhr aus afrikanischen Quellen auch nie versiegt. Auf europäischer Seite handelt es sich angeblich um ein entwicklungspolitisches Instrument, denn die EU verkauft diese Abkommen nicht als Teil ihrer offensiven Interessen in der Rohstofffrage, sondern als Entwicklungsabkommen, als ein Zurückstellen eigener Interessen zugunsten einer Entwicklungsförderung in Afrika, was sie natürlich mitnichten sind.

In Afrika hat die Debatte um die EPAs zehn Jahre voller vermeintlicher Durchbrüche, gefolgt von erneuten Rückschlägen, überdauert, weil der Widerstand afrikanischer Zivilgesellschaften und Regierungen nach 2008 erheblich gewachsen ist. Hätte es diese Erpressung von seiten der EU nicht gegeben, die Mitteleinkommensländer mit Strafsteuern zu belegen, wäre das Thema längst vom Tisch. Die Entscheidung des Europaparlaments, auf der Umsetzung der EPAs zu beharren, war dem Prinzip geschuldet, daß man in Angriff genommene Handelsabkommen auch abschließen muß, da ein Scheitern ein höchst unerwünschtes Signal für alle anderen Verhandlungen um Freihandelsabkommen wie TTIP, CETA und vor allem mit den ostasiatischen Entwicklungsländern wie den Philippinen, Indonesien und Vietnam wäre. Man hat offenbar gehofft, mit Afrika zügig voranzukommen, und als sich dort unverhofft Widerstand regte, jenen Ländern Daumenschrauben angelegt, die tatsächlich bestraft werden konnten.

SB: Könnte man also sagen, daß es bei der Vielzahl von geplanten oder bereits geschlossenen Freihandelsabkommen nicht in jedem einzelnen Fall um unmittelbare ökonomische Erfolge der EU, sondern insbesondere eine langfristig angelegte Gesamtstrategie geht?

FM: Auf jeden Fall! Es gibt auch in Afrika Mitteleinkommensländer mit einem wachsenden Bedarf der Mittelschicht, entweder aufgrund von Öleinnahmen oder auch besserer Regierungsführung wie in Ghana, Kenia, Namibia und gerade im südlichen Afrika Botswana, wo die EU einen Fuß in die Tür gestellt hat. Soweit es um Märkte geht, haben diese Länder meistens nur mit Europa regelrechte Abkommen geschlossen, während es sich mit Blick auf Asien, Rußland oder Brasilien lediglich um Präferenzen handelt. Die EU ist also schon da, und sollten andere etwas Besseres kriegen, würden es die Europäer auch bekommen, da sie die Nase vorn haben.

Bei anderen Entwicklungsländern gibt es besonders ausgeprägte Interessen der EU, wenn man aktuell an Vietnam denkt, mit dem ein unglaublich neoliberales Abkommen geschlossen wurde. So werden europäischen Investoren selbst Krankenhäuser in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt angeboten, was bislang beispiellos ist. In Afrika steht die zweite Debatte noch an, weil sich die Länder dort geweigert haben, Dienstleistungen zu diskutieren. Es handelt sich zunächst um ein reines Güterabkommen, dessen Abschluß jedoch mit der Verpflichtung verbunden ist, sechs Monate später auch über Dienstleistungen zu verhandeln. Das ist ein Sektor, auf dem Europa stark ist, weshalb die EU bei Dienstleistungen, Eigentumsrechten, Banken, Versicherungen und dem öffentlichen Beschaffungswesen mitbieten will. Diese Tür hat Europa durch die EPAs aufgestoßen.

SB: Im Falle von TTIP wurden die Inhalte und der Stand der Verhandlungen regelrecht geheimgehalten. Gilt dieses Prozedere hinter verschlossenen Türen auch für die EPAs?

FM: Vom gegenwärtigen Stand ausgehend würde ich es nicht so einschätzen, daß die Verhandlungen um die EPAs im Geheimen vorangetrieben werden. Zum einen war bei ihnen die Veröffentlichung immer vorgesehen, was bei allen bereits abgeschlossenen Abkommen auch umgesetzt wurde. Die dennoch stattfindende Verzögerung hängt nur mit der Rechtsförmigkeitsprüfung zusammen, in der noch einmal gecheckt wird, ob man alles genauso verstanden hat wie sein Gegenüber. Zudem muß in Europa alles in 28 Sprachen übersetzt werden, was üblicherweise eine gewisse Zeit dauert. Ein Vorteil war zudem, daß bei diesen Verhandlungen im Unterschied zu TTIP aufgrund des Cotonou-Vertrages [1] zivilgesellschaftliche Vertreter dabei waren. Wir wußten zwar von Behinderungen auch seitens der Regierungen in Afrika selber, doch in der Regel galt das Recht, daß mindestens zwei zivilgesellschaftliche Vertreter aus den NGOs, Gewerkschaften oder Kirchen an den Verhandlungen teilnahmen. Wenngleich sie einer Verschwiegenheitspflicht unterlagen, war der Vorgang längst nicht so intransparent wie bei TTIP.

Wo derzeit noch Ungewißheit herrscht, hängt das zumindest in Westafrika mit den dortigen Regierungen zusammen, die ihrer Bevölkerung die Information vorenthalten, ob sie die Abkommen schon unterzeichnet haben oder nicht, was derzeit vor allem für Togo und Mauretanien gilt. Grundsätzlich würde ich sagen, daß wir um alles wissen, was uns freilich zum Teil nichts nützt. Wohl können die Zivilgesellschaften und andere Akteure Einfluß nehmen, bevor diese Verträge in die Parlamente gehen. Das grundsätzliche Problem besteht jedoch darin, daß in Afrika nur wenige Menschen wissen, was da auf sie zukommt, aber das ist ja bei uns in Europa auch nicht anders.

SB: Welche Position nehmen die deutschen Parteien hinsichtlich der EPAs ein? Gibt es unter ihnen einen zuverlässigen Bündnispartner, was die Gegnerschaft zu den Freihandelsabkommen betrifft?

FM: Deutschland ist insofern ein besonderer Fall, weil sich die Verhandlungen nun schon zwölf Jahre hinziehen und es während dieser Zeit die unterschiedlichsten Regierungskoalitionen gegeben hat. Manche Parteien haben das Hemd gewechselt, je nachdem, ob sie an der Regierung oder in der Opposition waren. Unter der rot-grünen Regierung wurde das Vorhaben als Entwicklungsabkommen deklariert, weswegen ja auch das Entwicklungsministerium die Verhandlungen führt. Als dann die erste große Koalition kam, waren die weiterhin an der Regierung beteiligten Parteien dafür, die Oppositionsparteien jedoch dagegen. Unter Schwarz-Gelb war die Sozialdemokratie auf einmal gegen die EPAs, die sie zuvor jahrelang befürwortet hatte, und seit drei Jahren, in denen die SPD wieder mit in der Regierung ist, spricht sie sich - angeblich zähneknirschend - wieder für die EPAs aus. Die CDU war durchgängig dafür, die FDP spielt jetzt keine Rolle mehr. Allein Die Linke, der auch einige der ersten Aktivistinnen gegen die EPAs angehören, war durchgängig gegen diese Handelsabkommen.

SB: Die deutsche Entwicklungspolitik ist nicht das, was ihr Name verspricht. Muß man sie grundsätzlich als Strategie zur Umsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen auch in Afrika ausweisen oder gibt es deines Erachtens dennoch Anteile, die vertretbar sind?

FM: Sie ist von ihrem Umfang und ihrer Wirkung her zu unwichtig, als daß sie tatsächlich Wirtschaftsinteressen durchsetzen könnte. Dennoch ist es die Grundidee aller Länder, die Entwicklungszusammenarbeit betreiben, zumindest Bedingungen zu schaffen, in denen es eigenen Firmen möglich ist, zu Anbietern zu werden oder ihre Produkte zu verkaufen. Allerdings läuft das nicht immer nach dem schlichten Schema, ich baue einen Brunnen, und dann kommt Siemens und macht das Telefon. Grundsätzlich herrscht das Interesse vor, mittels der Entwicklungszusammenarbeit in den Ländern Fuß zu fassen, aber diese Länder zugleich auch wirtschaftlich so voranzubringen, daß ihre Produkte überhaupt gekauft werden. Insofern verbindet sich Armutsbekämpfung mit wirtschaftlichen Interessen.

Wenn man das jetzt auf die Frage reduziert, was konkret passiert, hat sich tatsächlich mit der neuen Regierung, anders als noch in der schwarz-gelben, zumindest im Bereich Landwirtschaft etwas bewegt. Seit der großen Ernährungskrise 2008 hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß die von der neoliberalen Ideologie vertretende These als Katastrophe erwiesen hat. Der heute für gescheitert erachtete Ansatz sah vor, daß Entwicklungsländer aufgrund ihrer vergleichsweisen Kostenvorteile auf dem Weltmarkt möglichst viel von ihren Agrarprodukten verkaufen sollten, um mit den Devisen auf den sehr günstigen Nahrungsmärkten Lebensmittel einzukaufen. Als die Nahrungsmittelpreise vor der Finanzkrise dramatisch stiegen, bevölkerten hungernde Menschen vor allem in den Großstädten die Straßen dieser Länder.

Dieser grassierende Hunger hat die Weltgemeinschaft aufgeschreckt, weil man plötzlich sah, daß Hunger zu einer Waffe werden kann, und die schleichende Migration in eine Massenwanderung überging. Seither hat auch die deutsche Regierung in ihrer Entwicklungszusammenarbeit einen stärkeren Fokus auf die Landwirtschaft gelegt, was während der rot-grünen Zeit nicht der Fall war. Unter dem früheren Entwicklungsminister Dirk Niebel führte das zur Maßgabe, die Landwirtschaft so zu gestalten, wie sie bei uns "erfolgreich" gewesen ist: Unter Einbezug des deutschen Agrobusineß in Afrika sogenannte Potentialbauern zu schaffen, die dort auf den Nahrungsmärkten unter Input wie Dünger, Pestizide und Hybridsaatgut möglichst schnell möglichst viel Ertrag liefern. Das hat sich angesichts heftiger Proteste seitens der Zivilgesellschaft unter dem neuen Entwicklungsminister tatsächlich geändert. Ansätze wie die Sonderinitiative "Eine Welt ohne Hunger" [2] werden von Brot für die Welt begleitet. Diese Ausrichtung sieht vor, daß Nahrung für die Menschen vor Ort von kleinbäuerlichen Produzenten erzeugt werden soll und daß ihre Märkte an Wert gewinnen. Das schafft die Grundlage dafür, daß nicht in jeder Krise wie der gegenwärtig herrschenden Dürre Hunger um sich greift, sondern weiterhin Nahrung produziert wird. Wir begleiten das durchaus wohlwollend, aber natürlich mit einem bitteren Beigeschmack, weil man nicht davon abläßt, das Agrobusineß, wenngleich in etwas abgefederter Form, mitzunehmen, um dessen Möglichkeiten auszuloten.

Wir verwahren uns auch dagegen, daß die steigenden Mittel für Entwicklungszusammenarbeit in Folge der Flüchtlingskrise als Abstandshalter gegenüber den Menschen, die als Migranten zu uns kommen wollen, eingesetzt werden. Brot für die Welt setzt sich für Bedingungen ein, in denen die Menschen überhaupt eine Entscheidung treffen können, ob sie bleiben oder gehen wollen. Wenn sie gehen wollen, brauchen sie sichere Fluchtwege und legale Migrationsmöglichkeiten, weil es einfach ihr Recht ist, sich angesichts unerträglicher Verhältnisse dafür zu entscheiden. In vielen Bereichen widerspricht der Entwicklungsminister in scharfer Form seiner eigenen Partei und vertritt Positionen, die unseren gleichen. Vieles davon ist allerdings bislang nur angekündigt und ob es tatsächlich umgesetzt wird, muß man sehen. Doch lieber so als wie unter Niebel, wo eindeutig Tore für das europäische Agrobusineß im Nahrungsbereich geöffnet werden sollten.

SB: Francisco, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:

[1] Im Juni 2000 wurde das Cotonou-Abkommen zwischen der EU und ihren 79 assoziierten AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) unterzeichnet. Es löste die Lomé-Abkommen ab, die den AKP-Staaten Handelspräferenzen für ihre Exportgüter einräumten, die nun entfielen. Das war ein Paradigmenwechsel von Präferenzabkommen zugunsten der ehemaligen Kolonien der europäischen Mächte, die zumindest partiell einen Ausgleich für die wirtschaftliche Benachteiligung schufen, hin zu Freihandelsabkommen zwischen ungleich starken Partnern. Denn das Cotonou-Abkommen sieht die graduelle Handelsliberalisierung gemäß den Bestimmungen des WTO-GATT-Abkommens vor.
http://www.sopos.org/aufsaetze/45bf8f72d52d0/1.phtml

[2] Im Januar 2016 stieß die vor rund einem Jahr gestartete Sonderinitiative "Eine Welt ohne Hunger" des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Entwicklungsausschuß erneut auf Kritik. Abgeordnete aus den Reihen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke warfen dem Ministerium vor, bei der Hungerbekämpfung auf die falsche Strategie und die falschen Partner zu setzen. Ihrer Meinung nach zielt die Sonderinitiative einseitig auf eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität in den Entwicklungsländern und nimmt zu wenig die negativen Auswirkungen der internationalen Agrar- und Handelspolitik auf die lokalen Strukturen in den Blick. Darüber hinaus kritisierten sie die Kooperation mit Unternehmen im Rahmen der "Grünen Innovationszentren".
https://www.bundestag.de/presse/hib/201601/-/403892


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