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INTERVIEW/124: Klimacamp im Rheinland - Rotation ...    Insa Vries im Gespräch (SB)


Gespräch am 24. August 2017 im Klimacamp Rheinland

Als Sprecherin des Bündnisses "Ende Gelände" und eine der zentralen Ansprechpartnerinnen des diesjährigen Klimacamps im Rheinland gehörte Insa Vries zweifellos zu den meistgesuchten und -gefragten Menschen auf dem weitläufigen Gelände. Sie nahm sich die Zeit, dem Schattenblick einige Fragen zu Selbstverständnis und Organisationsweise der Bewegung, dem Verhältnis zu NGOs und Parteien, wie auch der Vielfalt an Aktionsformen und deren Übertrag auf die Gesellschaft zu beantworten.



Hält einen der weißen Schutzanzüge mit dem Aufdruck 'Ende Gelände' hoch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Insa Vries
Foto: © 2017 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Um das Klimacamp zu planen und zu organisieren, war eine lange und intensive Vorbereitung erforderlich. Wie habt ihr es geschafft, so viel Arbeit zu investieren? Waren daran auch Leute beteiligt, die das im Rahmen ihrer Berufsausübung machen konnten?

Insa Vries (IV): Die Klimacamps sind vor allem selbstorganisiert und nicht auf Lohnarbeit gestützt. Das ist uns sehr wichtig, weil nur so die Unabhängigkeit all unserer Aktivitäten gewährleistet bleibt. Und wir sind basisdemokratisch organisiert. Das heißt, es wird niemand dafür bezahlt und es bilden sich keine Hierarchien heraus. Die Menschen machen das tatsächlich in ihrer Freizeit. Es sind natürlich auch viele Studierende dabei oder Leute, die freiberuflich arbeiten, oder zum Teil auch ältere Menschen, die mehr Zeit haben und das in ihren sonstigen Tätigkeiten unterbringen können. Hinzu kommen aber auch sehr, sehr engagierte Leute, die das neben ihrer Lohnarbeit machen.

SB: Wenn ihr weiterdenkt und 2018 ein noch größeres Klimacamp auf die Beine stellt - kommt ihr möglicherweise doch irgendwann an den Punkt, eine andere Struktur und Organisationsweise in Erwägung zu ziehen, um die steigenden Anforderungen zu bewältigen?

IV: In den Klimacamps erproben wir zugleich, wie wir gesellschaftlich leben wollen. Uns hierarchische Strukturen zu geben würde dem diametral entgegenstehen. Für uns ist daher die basisdemokratische Struktur, in der wir Entscheidungen im Konsens und nicht per Mehrheitsentscheid herbeiführen - manchmal dauern sie deswegen länger, aber sie werden von allen beteiligten Menschen mitgetragen - ein Grundbaustein unserer Organisationsweise, den wir nicht ändern werden.

SB: Habt ihr Erfahrungswerte, inwieweit diese Form des Zusammenlebens, die Menschen hier im Camp kennenlernen, einen gewissen Übertrag in ihre alltäglichen Lebensbereiche hat?

IV: Viele Menschen leben in Wohngemeinschaften, ich auch. In meiner Wohngemeinschaft machen wir Plena und entscheiden auch alles im Konsensprinzip. Vieles, was hier im großen geübt wird, kann man tatsächlich auch in den Privatbereich mitnehmen. Und es ist schön zu sehen, daß man auch das Alltagsleben politisch gestalten und politisch darüber diskutieren kann, ob wir zum Beispiel auch im Winter den Kühlschrank brauchen, die Wohnung auf 25 Grad oder auf 18 Grad heizen und ob wir vielleicht mal die Fenster extra isolieren. Für viele Alltagsentscheidungen muß man sich einfach die Zeit nehmen, sie auch im Konsens zu fällen.

SB: Es sind auch NGOs mit im Boot, die von ihrer Struktur her nicht unbedingt basisdemokratisch, sondern teils auch hierarchisch organisiert sind und möglicherweise nach Kriterien wie Masse oder Erfolgsaussichten entscheiden. Gibt es Reibungspunkte in der Zusammenarbeit mit NGOs?

IV: Ganz selten. Es gibt einen hohen Respekt für die Art von Selbstorganisation, die wir uns hier aufgebaut haben und die im Klimacamp möglich ist. Sie können nicht immer sämtliche Aktionsformen mittragen, die wir organisieren, aber das heißt nicht, daß sie nicht solidarisch hinsichtlich der Ziele sind. Beispielsweise gibt es von sehr vielen Organisationen eine Solidaritätserklärung für "Ende Gelände" [1], in der sie sagen, daß der sofortige Braunkohleausstieg der einzige Weg ist, den Klimawandel jetzt noch aufzuhalten, und daß wir auf diese Weise schnell genug sein können.

SB: Wie ist euer Verhältnis zu politischen Parteien wie etwa den Grünen oder Der Linken? Für die Linkspartei müßte das doch jetzt in Nordrhein-Westfalen ein vordringliches Thema sein.

IV: Das ist immer ganz unterschiedlich. Was "Ende Gelände" betrifft, speisen sich unsere Proteste zivilen Ungehorsams sehr stark daraus, daß politische Akteure nicht handeln, und dazu gehören auch Parteien. Wir sagen immer, daß der Kohleausstieg nicht wählbar ist. Das heißt, es gibt derzeit keine Partei, die den sofortigen Kohleausstieg umsetzen will. Und gerade dort, wo Parteien in Regierungsverantwortung sind wie Die Linke in Brandenburg oder die Grünen zuvor hier in NRW, kann man sehen, daß sich die Ziele, die trotzdem gesetzt werden, in der konkreten Landespolitik nicht so schnell umsetzen lassen, sondern es dann doch eher um Wähler und Kosten geht, wenn man bestimmte Entscheidungen für die Umwelt trifft. Menschen im Globalen Süden, die am unmittelbarsten und stärksten vom Klimawandel betroffen sind, haben hier keine Stimme. Das politische System der Bundesrepublik erweist sich als verkrustet und sieht sich nicht offen darin, eine global gerechte Gesellschaft zu schaffen. Gerechtigkeitsdiskurse werden oftmals national borniert geführt.

SB: In der Tradition der Linken führte ideologischer Streit immer wieder zur Spaltung und Fraktionsbildung. Gibt es bei euch auch solche Tendenzen oder Phänomene?

IV: Eigentlich gar nicht. Der Klimawandel ist ein so drängendes Problem, daß in der Klimagerechtigkeitsbewegung Fragen, an denen sich die Linke spaltete, offenbar nicht zu so starken Differenzen führen können, daß Menschen deswegen keine Aktionen mehr zusammen machen. Sicherlich ist die Analyse nicht bei allen komplett die gleiche, aber es ist dann tatsächlich wichtiger, das Problem ganz direkt, sofort und gemeinsam anzugehen, anstatt sich in ideologischen Grabenkämpfen zu verlieren.

SB: Gibt es in der Bewegung Verbindungen zu linken Traditionen wie beispielsweise dem Marxismus?

IV: Wenn es um Traditionen geht, sehen wir uns erst einmal ganz stark in der Tradition des zivilen Ungehorsams, also überall da, wo sozialer Wandel in progressiver und emanzipatorischer Weise angestoßen wurde. Das ist sehr wichtig für uns. Es gibt aber natürlich auch eine starke Analyse von gesellschaftlichen Naturverhältnissen: Wie gehen wir als Gesellschaft mit Natur um? Wie deuten wir sie? Begreifen wir sie als ausbeutbare Ressource oder haben wir andere Ansätze? Da gibt es Anschluß an verschiedene theoretische Denkrichtungen, sowohl marxistische als auch ökofeministische Anschlüsse, wo es mehr um die Parallelen zur Ausbeutung von Reproduktionsarbeit geht. Es sind also durchaus verschiedene theoretische Ansätze, aus denen Leute kommen.

SB: Die Klimacamps sind im Laufe der Zeit immer größer geworden. Vor zwei Jahren gab es die Degrowth-Sommerschule [2], "Ende Gelände" und von den Aktionsformen her eine engere Zusammenführung. In diesem Jahr ist beispielsweise das "Connecting Movements Camp" [3] auf demselben Gelände hinzugekommen. Wie kam es dazu? Lagen dem Unterschiede in der Herangehensweise zugrunde, und wie vereinbart ihr diese wachsende Vielfalt?

IV: Die diesjährigen Aktionen stehen konzeptionell unter dem Label "Bewegung verbinden". Wir führen die Aktionstage im Rheinland mit verschiedenen Akteuren durch, die sich alle gegen Braunkohle und Klimazerstörung richten, aber verschiedene Aktionsformen wählen wie beispielsweise heute die "Animal Climate Action" [4] mit ihrer Fahrradtour, wir mit den Massenaktionen zivilen Ungehorsams, die Buirer für Buir und die NGOs mit einer Menschenkette [5]. Es gibt eine Vielfalt von Aktionsformen, und mit dem Connecting Movements Camp, das in diesem Jahr dazugekommen ist, wollten wir insbesondere der Vielfalt in der Klimabewegung Raum geben. Es gibt ganz verschiedene Gründe, die für Leute eine wesentliche Rolle spielen, sich gegen den Klimawandel zu organisieren. Es gibt antirassistische, feministische Bewegungen, es gibt die Landwirtschaftsleute, dann gibt es Menschen, die sagen, industrielle Massentierhaltung ist ein zentraler Treiber des Klimawandels. Diese und andere Bewegungen hier auf dem Camp zusammenzubringen war dieses Jahr eine neue Idee. Sie hat sehr gut geklappt, und es ist toll zu sehen, wie Bewegungen für gemeinsame Aktionen zusammenwachsen.


Firsttransparent 'Connecting Movements Camp' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Habt ihr in diesem Jahr Wert darauf gelegt, auch die umliegende Bevölkerung und andere gesellschaftliche Akteure noch stärker einzubeziehen?

IV: Wir haben versucht, den Dialog auch mit den Gewerkschaften zu forcieren. Dazu gab es eine Veranstaltung aus dem Klimacamp mit einem Vertreter der IG BCE, bei der es um Strukturwandel ging. Es kommen aber auch sehr, sehr viele interessierte Anwohnerinnen aufs Camp, die sich herumführen lassen und mal anschauen wollen, was all die Menschen hier machen.

SB: Im Rahmen des diesjährigen Klimacamps sind wesentlich mehr verschiedene Aktionsformen geplant und angekündigt als in der Vergangenheit. Wie kann man diese Vielfalt zusammenbinden und den Überblick behalten?

IV: Es gibt Menschen, die in Kontakt miteinander stehen, welche Aktionen durchgeführt werden. Aber der Überblick ist nicht das Wichtigste dabei. Es geht vielmehr darum, daß verschiedene Menschen aus unterschiedlichen Perspektiven erkennen, daß der Klimawandel das größte Problem und zugleich die größte Gerechtigkeitskrise unserer Zeit ist. Wir produzieren den Klimawandel hier im Globalen Norden, während die Menschen im Globalen Süden die Folgen tragen müssen. Die Menschen organisieren sich aus ihrer jeweiligen Perspektive, und das ist der wesentlichste Punkt dabei. Es ist überraschend und toll, was da alles zusammenkommt.

SB: Wie schätzt du die Wirkung des Klimacamps und seiner Aktionen in den Medien, der Politik und der Gesellschaft insgesamt ein?

IV: Wir führen seit 2015 diese Massenaktionen zivilen Ungehorsams gegen die Braunkohle durch. Seither wurde das Thema Braunkohle im Zusammenhang mit dem Klimawandel sehr viel stärker gesetzt. Das hängt natürlich nicht nur mit uns zusammen, sondern auch mit anderen Dynamiken und dem Paris Agreement wie auch anderen Beschlüssen. Aber daß Braunkohle inzwischen als ein zentraler Treiber des Klimawandels in Deutschland ausgemacht ist und wir überhaupt mit der IG BCE in Kontakt gekommen sind, die früher gar nicht mit uns reden wollte, weil wir aus ihrer Sicht zu unwichtig waren, und daß immer mehr Akteure mit uns Verbindung aufnehmen und wir versuchen, in Dialogprozesse mit ihnen zu kommen, ist meines Erachtens ein Zeichen dafür, daß wir eine wichtige Frage aufgemacht haben, die Resonanz findet bei Anwohnern, aber auch bei Leuten, denen es allgemein um Klimawandel geht.

SB: Du wirst hier alle fünf Minuten von drei verschiedenen Leuten angefragt und trägst dabei eine große Verantwortung, weil du rasche Entscheidungen treffen mußt, die möglicherweise das gesamte Camp berühren. Wie erlebst du das?

IV: Das hat mich noch niemand gefragt! (lacht) Ich bin seit 2015 in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv und in dem Bündnis im Grunde politisch aufgewachsen. Ich habe hier mein politisches Zuhause gefunden in der Grätsche, mich für Ökologie und Klima, aber zugleich auch ganz stark für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Daß das Klimacamp so zugelegt hat und die mediale Aufmerksamkeit erheblich gewachsen ist, zeugt von einem enormen Interesse, über das wir uns sehr freuen. Wir sind gemeinsam so groß geworden und dabei zusammengewachsen. Ich habe in diesem Jahr eine exponierte Stellung, im nächsten Jahr wird es wieder jemand anderes sein. Uns ist es wichtig, in der Pressearbeit die Vielfalt der Menschen, die hier aktiv sind, deutlich zu machen. Und das werden wir in den kommenden Tagen und in den nächsten Jahren fortsetzen.

SB: Insa, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:

[1] https://www.ende-gelaende.org

[2] http://www.degrowth.info/de/sommerschule-2017/degrowth

[3] http://www.klimacamp-im-rheinland.de/CoMo

[4] http://www.animal-climate-action.org

[5] http://www.zukunft-statt-braunkohle.de/rote-linie


Berichte und Interviews zum Klimacamp 2017 im Rheinland im Schattenblick unter:
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BERICHT/089: Klimacamp im Rheinland - abgelenkt und eingeschenkt ... (SB)
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4. September 2017


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