Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT


INTERVIEW/134: Klimacamp im Rheinland - dezentral und solidarisch ...    Animal Climate Action im Gespräch (SB)


Gespräch am 24. August 2017 im Klimacamp Rheinland

Die Aktivistinnen und Aktivisten des Netzwerkes Animal Climate Action (AniCA) positionieren sich "aus klima- und umweltpolitischen sowie aus tierethischen Gründen gegen Tierproduktion" und treten "für eine solidarische öko-vegane Landwirtschaft" [1] ein. Auf dem Klimacamp im Rheinischen Braunkohlerevier waren sie im Rahmen des Connecting Movements (CoMo) Camp an einem Barrio für Ernährungssouveränität beteiligt und veranstalteten am 24. August zu Beginn der Aktionstage eine Fahrraddemo, die zu Orten in der niederrheinischen Region führte, an denen Tierproduktion den Klimawandel vorantreibt. Anschließend beantworteten Friederike Schmitz und Fredi dem Schattenblick einige Fragen zu den Aktivitäten der Initiative.



Zelt und Transparente des Connecting Movements Camps - Foto: © 2017 by Schattenblick

Den Herausforderungen gemeinsam entgegentreten ...
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Könntet ihr erklären, welche Idee am Anfang von Animal Climate Action stand?

Friederike: Wir haben gesehen, daß der Einfluß der Tierhaltung und Tierproduktion auf das Klima noch viel zu wenig thematisiert wird, und zwar sowohl in der Gesellschaft insgesamt als auch in der Klimabewegung. Dort geschieht eine Menge, was sehr erfreulich ist. Einige von uns haben auch an Aktionen wie Ende Gelände 2015 teilgenommen und verschiedene Klimacamps besucht. Diese große und breite Bewegung ist allerdings sehr auf ein einziges Thema fokussiert. So wichtig das Thema Kohle oder fossile Energieträger ist, so werden wir den Klimawandel nicht allein mit der Bearbeitung dieser Felder bremsen, weil es noch so viele andere relevante Einflüsse gibt. Wir dachten auch, daß es eine gute Möglichkeit ist, Tierrechts-, Tierbefreiung-, Umwelt- und Klimabewegung miteinander in Kontakt treten zu lassen. Auf diese Weise können wir das Thema, was unserer Ansicht nach zentral für viele Probleme ist, aktivistisch voranbringen.

Dafür bedarf es eben auch einer neuen Organisierung, weil es bisher viele auf spezielle Themen fokussierte Gruppen gibt. Ich selbst komme aus der Tierrechtsbewegung und fand es schade, daß das Klimathema dort eher unterbelichtet ist. Deshalb ging es uns darum, ein Netzwerk zu initiieren, daß sich diesen Zusammenhängen widmet.

SB: Bei einem Treffen im Barrio für Ernährungssouveränität habe ich erlebt, daß dort ganz verschiedene Leute wie etwa junge Landwirte, Aktivistinnen der Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi) oder eben Tierrechtsbewegte teilnahmen. Habt ihr versucht, eine möglichst breite Plattform herzustellen?

Fredi: Es gab einen Aufruf von der Nyeleni-Bewegung für Ernährungssouveränität, der es um die Transformation der heutigen Landwirtschaft aus verschiedenen Perspektiven geht. Daraus ist dann die Zusammenarbeit von AniCA und SoLaWi im Rahmen des CoMo-Camps entstanden, wo der Fokus auf Themen lag, die für beide Bewegungen relevant sind. In der Runde haben wir gemerkt, daß es einige Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen gibt, die spannend zu beleuchten sind. Wenn auf der einen Seite erklärt wird, daß Tierproduktion für Klimaschutz produktiv gemacht werden kann, während auf der anderen Seite die These vertreten wird, daß Tierproduktion massiv zum Klimawandel beiträgt, dann gibt es natürlich reichlich Gesprächsbedarf.

Friederike: So sind durchaus Gemeinsamkeiten deutlich geworden. Bestimmte Gegner wie die Großkonzerne der Tierindustrie sind dieselben. Gemeinsame Überzeugungen liegen auch in der kapitalismuskritischen Einstellung oder der Idee, daß die Landwirtschaft von unten und eine Ermächtigung von Leuten und Gemeinschaften, die selber Landwirtschaft betreiben, den Wandel bewirken können. So nehmen wir auch einen etwas anderen Standpunkt als den der veganen Bewegung ein, wenn man überhaupt von so etwas sprechen kann. Dem Ansatz gegenüber, Tierrechte und vegane Ernährung über Konzerne und Regierungshandeln umzusetzen, indem Unternehmen davon überzeugt werden, mehr vegane Produkte anzubieten, um schließlich Fleischkonzerne abzufeiern, sobald sie auch einmal etwas Veganes anbieten, würden wir eher mit der Landwirtschaftsbewegung zusammen auf eine Transformation von unten setzen.


Zeichnung 'Wem gehört der Acker?' - Foto: 2017 by Schattenblick

Eigentumsfrage im Barrio für Ernährungssouveränität ins Bild gesetzt
Foto: 2017 by Schattenblick

SB: Indem ihr den Tierrechts- und Tierbefreiungsgedanken mit Ernährungssouveränität zusammenbringt, macht ihr auch ethisch motivierten Veganerinnen und Veganern die Problematik der Ernährungsfrage bewußt. So ernähren sich viele Menschen im Globalen Süden schon aus Gründen der Armut weitgehend pflanzlich, befinden sich also in einer existenzbedrohenden Zwangslage. Könnte die Ernährungsfrage durch diese Verknüpfung in der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung mehr Aufmerksamkeit erhalten?

Fredi: Gerade das Problem der Futtermittel, das wir in der zweiten Jahreshälfte als Schwerpunkt behandeln [2], ist in Bezug auf Tierrechte wichtig. Die Tierproduktion hier im globalen Norden basiert insbesondere in einem Land wie Deutschland darauf, daß wir Futtermittel aus dem Globalen Süden importieren, was gerade auch in Lateinamerika zerstörerische Folgen hat. Das Thema könnte durchaus mehr in den Fokus der Debatte gerückt werden.

Friederike: Die Tierrechtsbewegung ist ja sehr breit aufgestellt. So ist die Kritik am Kapitalismus und an miteinander verschränkten Unterdrückungsformen in der Tierbefreiungsbewegung sehr verbreitet. Es gibt, wenn auch vielleicht nicht unter dem Begriff Ernährungssouveränität, durchaus Bewußtsein für die Idee, daß das Problem nicht nur darin besteht, daß zu wenig oder falsche Nahrung produziert wird, sondern sich Fragen der ungleichen Verteilung von Ressourcen und ungleicher Machtverhältnisse stellen. Auch da sollten sich die Menschen noch mehr mit den konkreten Bedingungen beschäftigen und auch solidarisch sein mit Bäuerinnen, denen aufgrund von Landraub, den es auch in Deutschland gibt, keine Flächen für den Gemüseanbau zur Verfügung stehen. Es wäre schon gut, da mehr Kontakt herzustellen. Natürlich ist die Tierrechtsszene eher städtisch geprägt, und natürlich gibt es auch Leute, die zu einer pauschalen Kritik an Bauern, die Tiere halten, neigen, und das sollte nicht so sein.

SB: Müßte man nicht mehr auf Veganerinnen und Veganer zugehen, die sich mit Ernährung eher aus dem Interesse an Gesundheit und Selbstoptimierung beschäftigen?

Fredi: Das machen wir auch immer wieder in Form von Redebeiträgen und Präsentationen auf Demonstrationen oder veganen Straßenfesten, zu denen wir eingeladen werden.

Friederike: Wir haben zum Beispiel auf dem veganen Straßenfest in Berlin Vorträge mit der Hauptthese gehalten, daß veganer Konsum nicht ausreicht, sondern es um Gesellschaftsveränderung geht.

Fredi: Das stößt nicht immer nur auf Zustimmung, weil damit natürlich ein wunder Punkt angesprochen wird. Daraus entsteht dann ein Diskurs, der zwar wichtig, aber auch nicht immer einfach ist.

SB: Beteiligt ihr euch auch den Aktionen zur Grünen Woche in Berlin, wo Anfang des Jahres immer unter dem Titel "Wir haben es satt!" demonstriert wird?

Friederike: Wir waren schon einmal mit unserem Banner vertreten, aber das geht uns in mehrerlei Hinsicht nicht weit genug. So ist die Thematisierung der Tierproduktion ziemlich indifferent. Sie sind zwar für artgerechte Tierhaltung und gegen die Industrie, aber die Forderung nach einer Reduktion des Fleischkonsums spielt für sie keine große Rolle, obwohl dieser Punkt logisch aus dem folgt, was sie ansonsten vertreten. Was sie unter artgerechter Tierhaltung verstehen, hätte, wenn man das umsetzte, eine massive Reduktion der Produktion zur Folge. Dann sind sie auch in ihrer Gesellschaftskritik und ihren Aktionsformen so unradikal, daß sie meiner Ansicht nach nicht viel verändern können. Die Demo selbst ist schon total institutionalisiert, sie findet jedes Jahr statt, und ich habe den Eindruck, daß man inzwischen so sehr politisch darauf eingestellt ist, daß nichts mehr bewegt wird. Die Initiative wird stark von den großen NGOs geprägt, so daß es einfach an Feuer mangelt, und das ist in Anbetracht der Dringlichkeit des Themas unverzichtbar.

Fredi: Dieses Jahr, so habe ich es zumindest mitbekommen, sind auch einige klassische Veganer-NGOs wie die Albert-Schweitzer-Stiftung und der VEBU ferngeblieben, weil dort schon ein großer Dissenz in den Forderungen bestand.

Friederike: So hat die Albert-Schweitzer-Stiftung jahrelang versucht, die Reduktion des Fleischverzehrs zu einer zentralen Forderung des Bündnisses zu machen. Weil das scheiterte, haben sie sich gefragt, was sie dann überhaupt noch dort sollen. Dabei ist die Senkung des Fleischverzehrs schon eine sehr gemäßigte Forderung.

SB: Friederike, hast du irgendwelche Pläne als Autorin, neue Bücher zum Thema zu veröffentlichen?

Friederike: Momentan erscheint gerade eine kleine Einführung "Tierethik kurz + verständlich", was nicht besonders spektakulär ist. Ansonsten bin ich an dem allgemeinen Thema einer Landwirtschaftssbewegung von unten, die es aus meiner Sicht geben muß, sehr interessiert. Aber in welcher publizistischen Form sich das niederschlagen wird, kann ich noch nicht sagen.

SB: Friederike und Fredi, vielen Dank für das Gespräch.


Mobiflyer für Fahrraddemo und CoMo-Camp - Grafik: © 2017 by Animal Climate Action

Grafik: © 2017 by Animal Climate Action


Fußnoten:


[1] https://animal-climate-action.org/de/ueber-uns/

[2] https://animal-climate-action.org/de/2017/09/06/futtermittelimporte-stoppen-tierfabriken-dichtmachen-klima-retten/


Berichte und Interviews zum Klimacamp 2017 im Rheinland im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT

BERICHT/088: Klimacamp im Rheinland - öko- und sozialkritisch ... (SB)
BERICHT/089: Klimacamp im Rheinland - abgelenkt und eingeschenkt ... (SB)
BERICHT/090: Klimacamp im Rheinland - Nachwuchs in Aktion ... (SB)
BERICHT/091: Klimacamp im Rheinland - Zuspruch den Entschlossenen ... (SB)
BERICHT/092: Klimacamp im Rheinland - bis vors Gericht und weiter ... (SB)
BERICHT/093: Klimacamp im Rheinland - gezinkte Karten ... (SB)
BERICHT/094: Klimacamp im Rheinland - getrennt marschieren, vereint ... (SB)
BERICHT/095: Klimacamp im Rheinland - auch Fleisch und Milch und Eier ... (1) (SB)
BERICHT/095: Klimacamp im Rheinland - auch Fleisch und Milch und Eier ... (2) (SB)
INTERVIEW/124: Klimacamp im Rheinland - Rotation ...    Insa Vries im Gespräch (SB)
INTERVIEW/125: Klimacamp im Rheinland - stören und stören lernen ...    Clara Tempel im Gespräch (SB)
INTERVIEW/126: Klimacamp im Rheinland - der Blick auf das Ganze ...    Aktivistin Carlotta im Gespräch (SB)
INTERVIEW/127: Klimacamp im Rheinland - Widerspruch, Beteiligung und regionale Kooperation ...    Ruth Krohn im Gespräch (SB)
INTERVIEW/128: Klimacamp im Rheinland - wider besseres Wissen ...    Aktivist Raphael im Gespräch (SB)
INTERVIEW/129: Klimacamp im Rheinland - zwischen den Stühlen ...    Hans Decruppe im Gespräch (SB)
INTERVIEW/130: Klimacamp im Rheinland - am Rande der Kirche ...    Günter Barten und Reiner Lövenich im Gespräch (SB)
INTERVIEW/131: Klimacamp im Rheinland - Rechtsschutz ...    Aktivist Peter im Gespräch (SB)
INTERVIEW/132: Klimacamp im Rheinland - gebügelt und verbogen ...    Jörg Bergstedt im Gespräch (SB)
INTERVIEW/133: Klimacamp im Rheinland - wo gehobelt wird ... ...    Hanna Poddig im Gespräch (SB)


30. September 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang