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INTERVIEW/141: Emissionsarmer Verkehr - Kehrtwende ...    Bernhard Knierim im Gespräch (SB)


Gespräch am 4. Oktober 2017 in Hamburg-Rotherbaum

Der Biophysiker und Politikwissenschaftler Bernhard Knierim ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Sabine Leidig, Verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, tätig. Als Aktivist und Autor setzt er sich für eine Mobilitätswende ein. 2013 wurde sein Buch "Essen im Tank. Warum Biosprit und Elektroantrieb den Klimawandel nicht aufhalten" [1] veröffentlicht, 2017 erschien "Ohne Auto leben. Handbuch für den Verkehrsalltag". Nach der Veranstaltung "Das Wandel Labor: Autofrei(er) leben" [2] im Rahmen der Wandelwoche in Hamburg beantwortete Bernhard Knierim dem Schattenblick einige Fragen zur Machbarkeit einer Mobilitätswende.


In der Runde der Veranstaltung - Foto: © 2017 by Schattenblick

Bernhard Knierim
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Bernhard, was hat dich zu der heutigen Veranstaltung geführt? War die Vorstellung deiner Bücher der zentrale Anlaß?

Bernhard Knierim (BK): Die Bücher waren auch ein Anlaß. Tatsächlich beschäftige ich mich seit längerem mit dem Thema Mobilitätswende und der Frage, wie wir eine andere, ökologisch und sozial sehr viel schonendere Mobilität organisieren können. Die Bücher sind ein Element davon, aber ich bin auch in mehreren Initiativen in dem Themenbereich aktiv.

SB: Du verstehst dich auch als Aktivist und nicht nur als Autor?

BK: Ja, unbedingt. Nur theoretisch darüber zu arbeiten, wäre mir zu wenig. Ich finde, man muß auch praktisch etwas für eine Veränderung tun.

SB: 2013 wurde dein erstes Buch "Essen im Tank. Warum Biosprit und Elektroantrieb den Klimawandel nicht aufhalten" veröffentlicht. Könntest du einmal die Themenstellung umreißen?

BK: Insgesamt analysiert das Buch, warum weder die Agrokraftstoffe, die oftmals als Biokraftstoffe schön ummäntelt werden, noch die Elektroautos eine Großlösung für eine andere Mobilität sein können, in dem Sinne verstanden, daß wir einfach nur diese Technologien anwenden und dann weitermachen wie bisher. Tatsächlich brauchen wir eine Mobilitätswende, also daß wir unsere gesamte Mobilität anders und vor allem mit weniger Verkehr organisieren. Das ist der Kern des Buches.

SB: Liegt der Schwerpunkt auf der Frage Teller oder Tank oder ist das Thema der Einspeisung von Nahrungsmitteln in Verbrennungsmotoren eher ein Aufhänger für die Gesamtproblematik?

BK: Es ist mehr ein Aufhänger und geht eigentlich sehr viel weiter. Natürlich ist es ein wichtiger Aspekt, aber um diese Agrokraftstoffe letztlich in dem erforderlichen Maßstab nutzen zu können, haben wir weder genug Anbaufläche noch können wir dann gleichzeitig Ernährungssicherheit garantieren. Da gehen unsere Mobilitätsinteressen gegen die Ernährungsinteressen, und das kann nicht funktionieren.

SB: Welchen Stellenwert hat die Emission von Treibhausgasen im Verkehr für dich im Rahmen anderer Probleme, die durch Verbrennungsmotoren entstehen?

BK: Sie spielt für das Klima die größte Rolle, aber man darf natürlich die lokale Umwelt nicht vergessen. Denn was an Stickoxiden, anderen Schadstoffen und an Feinstaub hinten aus den Autos rauskommt, schadet sowohl der lokalen Umwelt als auch der Tierwelt und gleichermaßen den Menschen. Das Klima ist als große Ebene ein wichtiges Kriterium, aber auch die lokale Umwelt und das Soziale beim Verkehr mitzudenken ist wahnsinnig wichtig. Gerade letzteres wird viel zu wenig beachtet.

SB: Könntest du einmal dein aktuelles Buch vorstellen?

BK: Es heißt "Ohne Auto leben" mit dem Untertitel "Handbuch für den Verkehrsalltag". Es geht darum, wie man sein Leben mit sehr viel weniger Autoverkehr organisieren kann. Es besitzt auch einen analytischen Teil, aber lange nicht so umfassend wie bei "Essen im Tank", hat dafür jedoch einen ganz großen praktischen Teil mit vielen Ideen, wie man die Alternativen zum Autoverkehr komfortabel umsetzen kann.

SB: Viele Menschen fahren mit dem Fahrrad, was von einigen Städten wie zum Beispiel Münster sehr gefördert wird. Siehst du eine realistische Chance dafür, daß sich die kapitalintensiv ausgebaute Struktur des motorisierten Individualverkehrs tatsächlich in einem absehbaren Zeitraum grundlegend in Richtung auf eine umwelt- und sozialfreundlichere Verkehrsform verändern läßt?

BK: Eine Chance gibt es für jede Veränderung, sonst bräuchten wir keine politische Arbeit zu machen. Natürlich sind die Beharrungskräfte enorm, was man auch daran erkennt, wie die Autoindustrie immer wieder gepampert wird, obwohl jetzt klar ist, daß dort jahrelang Lug und Betrug stattgefunden hat. Trotzdem glaube ich, auch wenn sich diese Veränderung nur sehr kleinteilig und zäh vollzieht, daß es wichtig ist, dranzubleiben. Auch beim Atomausstieg hat man ja gesehen, daß es, solange die Argumente im Raum sind und eine Bewegung daran arbeitet, ganz plötzlich zum Kippen kommen kann. Und das gleiche könnte bei der Mobilitätswende vielleicht in gar nicht so ferner Zukunft passieren, denn dort werden die Risse auch immer größer, ganz speziell mit Blick auf Dieselgate, wo die Logik der Autoindustrie eben nicht mehr funktioniert.

SB: Gerade im Bereich der Autoindustrie sind die Standpunkte linker AktivistInnen und Parteien kontrovers aufgestellt, weil es auch um die Interessen der dort beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter geht, die ihren Job behalten wollen. Inwieweit stärkt die Linkspartei aus deiner Sicht sozialökologische Positionen, oder wiegt das Argument der Arbeitsplätze mehr?

BK: Beides. Die Linkspartei ist absolut gespalten. Es gibt, einmal salopp gesagt, die eher gewerkschaftsorientierte Linke, die die Arbeitsplätze ganz stark im Fokus hat. Natürlich sind die Arbeitsplätze auch wichtig, aber man kann Arbeit eben auch umgestalten, und dieser Strukturwandel kommt mir bei dieser Seite der Linkspartei immer ein bißchen zu kurz. Die andere Seite, zu der ich auch Sabine Leidig und mich zähle, forciert dagegen den sozialökologischen Umbau, daß man das Soziale und Ökologische zusammendenken muß und nur so wirklich einen Wandel hinbekommen kann.

SB: Wie würdest du die Politik der bisherigen Bundesregierung in bezug auf die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene beurteilen? Das wirkt ja armselig.

BK: Das ist auch armselig, unter anderem deshalb, weil keine wirklichen Maßnahmen ergriffen wurden, denn dazu müßte man etwas gegen die Lkw- und Speditions-Lobby tun, und das macht man in der Politik nicht. Statt dessen fährt man immer zweigleisig. Man sagt, man will den Schienenverkehr fördern, und ich will gar nicht in Abrede stellen, daß dafür auch Maßnahmen getroffen werden, aber gleichzeitig läßt man Giga-Liner zu, führt noch immer keine ordentlichen Kontrollen von Lkws, die überladen sind, durch und prüft auch die Lenk- und Ruhezeiten nicht. Die ganzen Sozialstandards im Lkw-Verkehr sind eine Riesenkatastrophe, aber all das läßt man parallel zu. Wenn man wirklich eine politische Strategie verfolgen würde, müßte man den Lkw aus dem Langstreckenverkehr herausnehmen, der eigentlich nur noch Kurzstreckenzubringer sein kann, und alle anderen Transporte viel radikaler auf die Bahn verlagern. Aber das passiert überhaupt nicht. Verkehrspolitik in diesem Land ist meistens Stillstand und alles andere als radikal.

SB: Gilt das auch für den öffentlichen Personennahverkehr?

BK: Ja.

SB: In Europa existieren bereits Modelle eines kostengünstigen oder gar kostenlosen städtischen Nahverkehrs. Warum ist das in Deutschland so schwer durchzusetzen?

BK: Ich würde mir sehr wünschen, wenn wir zumindest ein Modellprojekt dieser Art in einer großen Kommune hätten. In Erfurt gab es dafür lange eine sehr große Initiative, und mit der linken Regierung in Thüringen hatten wir auch ein bißchen Hoffnung, daß dort etwas ins Rollen kommt, aber das hat leider nicht geklappt. Ich glaube, die Furcht, daß dann Einnahmen fehlen würden, hat viele bisher abgeschreckt. Natürlich braucht man Einnahmen, aber wenn sie nicht über die Fahrgelderlöse kommen, muß man das eben über eine Steuer oder Abgabe regeln. Dafür muß man allerdings die Regelungen sehr viel grundlegender ändern. Deswegen ist das fahrscheinfreie ÖPNV, wie man es nennt, auch so eine harte Nuß. Eigentlich müßte man es auf viel höherer Ebene, zumindest auf Landesebene, organisieren.

SB: Welche Rolle spielt eine Verkehrswende für das Erreichen der Klimaziele? Wird darüber in Regierungskreisen überhaupt geredet, oder ist man hauptsächlich mit Themen wie Braunkohle und Erneuerbaren Energien unterwegs?

BK: Naja, geredet wird viel über Klimaziele, nur gehandelt wird wenig. Nun ist es so, daß die ganzen Nachhaltigkeitsziele überhaupt nicht zu unserem jetzigen Verkehrssystem passen. Eigentlich ergibt sich allein aus den Nachhaltigkeitszielen, daß wir ganz viel umgestalten müssen. Daß es trotzdem nicht gemacht wird, liegt unter anderem daran, daß die Lobby so stark ist und eben etwas anderes will. Im Grunde müßte Verkehrspolitik in eine Mobilitätspolitik umgewandelt und absolut vom Kopf auf die Füße gestellt werden.

SB: Wenn man in den Medien vom VW-Skandal und der umweltpolitischen Dringlichkeit, auf E-Mobilität umzustellen, hört, hat man den Eindruck, es eher mit Industriepolitik als mit Verkehrspolitik zu tun zu haben. Maßgeblich werden Fragen erörtert, ob Deutschland auf dem globalen Markt noch mithalten kann, wenn man beim fossilen Motor bleibt, oder ob man nicht früh genug auf E-Mobilität umgestellt hat. Warum wird die Diskussion völlig entkoppelt von sozialen Fragen geführt?

BK: Das ist ein riesiges Problem, aber unser Noch-Verkehrsminister Dobrindt hat bereits zu Beginn seiner Amtszeit gesagt, daß er eigentlich Industriepolitik macht. Und das tut er wirklich. Das war in der Tat einer seiner sehr offenen Momente. Mit Verkehrspolitik hat das, was bei uns passiert, nicht viel zu tun. Das zeigen auch die Ergebnisse. Deswegen verändert sich der Modal Split, also die Verteilung des Transportaufkommens auf die Verkehrsträger, in den letzten Jahrzehnten nicht, obwohl in allen Sonntagsreden beschworen wird, daß alles auf die Schiene verlagert werden soll und wir weniger Straßenverkehr und weniger Luftverkehr haben wollen. Aber dafür müßte man wirklich harte politische Maßnahmen ergreifen.

Was man zum Beispiel sofort machen könnte, wäre, die Mehrwertsteuerbefreiung für Flüge abzustellen. Auf EU-Ebene kann man das hinkriegen. Es ist völlig absurd, daß mit der Kerosinsteuerbefreiung der klimaschädliche Flugverkehr auch noch subventioniert wird. Umgekehrt könnte man sich natürlich auch Gedanken machen, wie man die Bahn genau darüber fördern könnte. Daß ausgerechnet die Bahn mit dem saubersten Energiemix noch EEG-Umlage zahlt und die anderen nicht, macht doch überhaupt keinen Sinn. So könnte man die Bahn beispielsweise mit geringerer Mehrwertsteuer belegen. Dazu gibt es viele Ideen, mit denen man an dem Preisgefüge und der Attraktivität ganz viel machen könnte, abgesehen davon, daß man die Bahn anders organisieren und sehr viel stärker das Gemeinwohlinteresse in den Fokus stellen müßte und weniger die Gewinnerzielung, die eigentlich auch nur theoretisch stattfindet.

SB: Die Luftfahrtindustrie will ihre ehrgeizigen Wachstumsziele klimaneutral über den Emissionshandel kompensieren.

BK: Der Emissionshandel funktioniert schon jetzt nicht und wird nicht besonders zielführend sein.

SB: Bedeutet das nicht, daß die Leute, die fliegen und dafür ein Verschmutzungszertifikat kaufen, im Endeffekt mehr Output an Treibhausgasen produzieren?

BK: Ja, denn diese Preislogik funktioniert immer nur sehr begrenzt, was man auf vielen Ebenen sehen kann, weil diejenigen, die es sich leisten können, es trotzdem machen. Zusätzlich zu alledem hat man dann auch das nicht ganz von der Hand zu weisende Argument, daß dies zu einer sozialen Schieflage führt. Deswegen muß man an bestimmten Stellen über eine reine Marktlogik hinaus eben auch Verbote erlassen, nämlich dort, wo es aus ökologischen oder sozialen Gründen nicht anders geht.

SB: Auf dem Klimacamp im Rheinland wurde zum Beispiel versucht, verschiedene Felder wie Ernährung und Energieproduktion zusammenzudenken, um mehr Menschen für sozialökologische Lösungen zu interessieren. Was könnte man aus deiner Sicht tun, um die Frage der Mobilität populärer zu machen und im Rahmen einer Massenbewegung eine Mobilitätswende zu bewirken?

BK: Das wäre wünschenswert, aber eine richtig gute Idee habe ich, ehrlich gesagt, nicht. Wir haben mit dem Netzwerk Solidarische Mobilität schon einmal versucht, die ganzen Akteure und verschiedenen NGOs in dem Bereich an einen Tisch zu bringen, was wir leider nicht gut hinbekommen haben. Die Bereitschaft war nicht besonders ausgeprägt, sich auf einer übergeordneten Ebene damit zu befassen. Jeder wollte weiter in seinen bestimmten Bereichen arbeiten, die auch alle wichtig sind, aber ein großes Netzwerk für eine Mobilitätswende haben wir nicht hinbekommen. Deswegen habe ich im Moment keine passende Idee, aber es gibt ja viele Köpfe, die darüber nachdenken. Wenn jemand anderes eine gute Idee hat, bin ich gerne dabei (lacht).

SB: Bernhard, vielen Dank für das Gespräch.


Cover der Bücher von Bernhard Knierim auf dem Büchertisch - Foto: 2017 by Schattenblick

Foto: 2017 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar685.html

[2] BERICHT/100: Emissionsarmer Verkehr - die ersten Schritte noch schwer ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0100.html


16. November 2017


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