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INTERVIEW/174: Stimmen der Kultur - Sprache der Freiheit ...     Amelie Deuflhard im Gespräch (SB)


Interview am 9. November 2018 auf Kampnagel in Hamburg-Barmbek


Amelie Deuflhard war von 2000 bis 2007 Künstlerische Leiterin der Sophiensäle in Berlin und 2004/05 Teil der Künstlerischen Leitung von "Volkspalast", einer festivalartigen Bespielung des dekonstruierten Palastes der Republik. Seit 2007 ist sie Intendantin von Kampnagel in Hamburg, Europas größtem Produktionszentrum für die Freien Darstellenden Künste. Mit EcoFavela Lampedusa Nord initiierte sie 2014 einen Lebens- und Aktionsraum für Geflüchtete. Das Projekt hat auf Kampnagel seine Verlängerung in dem preisgekrönten Begegnungsort Migrantpolitan gefunden. Amelie Deuflhard war Teil des Viererkuratoriums von Theater der Welt 2017. Sie ist Autorin zahlreicher Publikationen und hat regelmäßig Lehraufträge an Hochschulen inne. Für ihr Schaffen wurde sie 2012 mit dem Caroline-Neuber Preis, 2013 mit den Insignien des Chevaliers des Arts et Lettres und 2016 für ihr zivilgesellschaftliches Engagement mit dem Goldenen Lot des Verbandes Deutscher Vermessungsingenieure (VDV) ausgezeichnet.

Im Rahmen der bundesweiten Kampagne des in Berlin gegründeten Vereins Die Vielen e.V. gelang es ihr, mit ihrem Team binnen weniger Wochen nahezu das gesamte Spektrum der Hamburger Institutionen aus Kunst und Kultur für dieses Vorhaben zu gewinnen. Am 9. November 2018 wurde mit einer Pressekonferenz auf Kampnagel die Hamburger Erklärung der Vielen [1] vorgestellt. Im Anschluß daran beantwortete Amelie Deuflhard dem Schattenblick einige Fragen zu den rechtsgerichteten Angriffen, zum Aufbau der Kampagne in weiteren Städten und zu Gegenstrategien des Kunst- und Kulturbereichs.


Im Gespräch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Amelie Deuflhard
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Kampnagel steht für eine anspruchsvolle Kunst und Kultur wie auch sozialkritisches Engagement, was die Einrichtung in den Fokus rechtsgerichteter Anfeindungen rückt. Zu welchen Angriffen ist es bislang gegen Kampnagel als Institution und gegen Sie persönlich gekommen?

Amelie Deuflhard (AD): Es gab vor einigen Jahren eine Strafanzeige wegen des Projekts EcoFavela Lampedusa Nord gegen mich. Das Projekt nahm sechs Lampedusa-Flüchtlinge auf, mit denen wir Kunstprojekte durchgeführt haben. Es handelte sich also um eine soziale Skulptur. Ich wurde wegen Verstoßes gegen das Ausländerrecht und Veruntreuung öffentlicher Gelder angezeigt. Das Verfahren wurde natürlich niedergeschlagen, weil es sich um ein Kunstprojekt handelte und die Kunst bekanntermaßen frei ist. Davon abgesehen werden immer mal wieder kleine Anfragen in der Bürgerschaft gestellt, es gab auch einmal die Anfrage beim Senat, Kampnagel zu schließen, die aber auf keine besonders große Resonanz gestoßen ist. Die AfD ist nicht meine Freundin, aber ich bin auch keine Freundin der AfD.

SB: Das waren also Anfeindungen auf politischer und juristischer Ebene. Kam es auch zu direkten Angriffen oder solchen in den sozialen Medien?

AD: Wir hatten bei unserer "Märtyrerausstellung" einer dänischen Künstlergruppe einmal einen realen Angriff der Identitären, die Blut ins Foyer kippten. Das haben wir dann schnell wieder weggewischt. Es gibt auch immer mal wieder rechte Graffitis, die wir regelmäßig übermalen. Aber ich fühle mich nicht von der AfD unter Druck gesetzt, sondern im Gegenteil aufgefordert, daß wir andere Visionen von Gesellschaft als die der AfD entwickeln. Wir sollten uns vor allem auf das konzentrieren, was wir gerade als Kunstschaffende leisten können, weil wir alle im Herzen der Gesellschaft arbeiten. Hier auf Kampnagel haben wir 180.000 Zuschauer im Jahr, das sind Menschen, die wir erreichen können und von denen die meisten offenen Geistes und aufrechte Demokraten sind. Ich glaube, wir müssen uns wirklich daran machen, wieder positiv zu reden und uns nicht immer nur in bezug auf die AfD zu definieren. Angriffe von der AfD sind für mich kein Anlaß, zumal wir in Hamburg nicht wirklich gefährdet sind.

In Dresden sieht es ganz anders aus. Was die Kollegin Bettina Steinbrügge vom Verein der Bildenden Kunst gesagt hat oder auch eine Kollegin von mir berichtet, die das Festspielhaus Hellerau leitet, wird schon sehr konkret. Dort rechnet die AfD damit, in die nächste Regierung zu kommen, und hat vor, in Spielpläne und Ausstellungspläne einzugreifen. Das bestärkt mich in dem Gefühl, daß es geboten ist, den Anfängen zu wehren. Insofern finde ich diese Solidargemeinschaft, die wir bundesweit ausdehnen wollen, so wichtig. Das wird immer bundesländerweise organisiert und ist ein großes Vorhaben, da sehr viele Institutionen zusammenkommen. Wir haben jetzt in Berlin und Hamburg zusammen schon über 250 Institutionen mit im Boot, große und kleinere, von Opernhäusern und philharmonischen Orchestern wie der Elbphilharmonie bis zu soziokulturellen Zentren, Stadtteilkultur, Kinos, den Ausbildungsinstitutionen. Das ist meines Erachtens ein Bündnis, das Kraft entwickeln kann, und es wird weitere konkrete Schritte geben, die wir bei unserer nächsten Versammlung in etwa zwei Monaten angehen werden.

SB: Die Kampagne hat heute parallel in Berlin, Hamburg, Dresden und Düsseldorf begonnen. Auf welche Weise soll sie unter Einbeziehung weiterer Städte und Bundesländer ausgeweitet werden?

AD: Man braucht im Grunde in jeder Stadt einen Akteur, der bereit ist, sich der Sache anzunehmen. Anders kann das überhaupt nicht funktionieren. So ging auch die Anfrage aus Berlin direkt an mich, ob wir das organisieren können. Ich bin ja relativ kampagnenerfahren, das ist nicht die erste Kampagne, die ich in meinem Leben organisiere. Es wird allerdings sicher ganz schön kompliziert werden, alle Bundesländer zu aktivieren, weil das mit sehr viel Arbeit verbunden ist. In den Flächenländern ist es natürlich noch erheblich schwieriger als in den Stadtstaaten wie Berlin und Hamburg, wo man einander kennt und leichter die entsprechenden Akteure findet, die das organisieren. Ich bin jedoch angesichts dieses Aufschlags sehr optimistisch, daß die anderen Bundesländer alle nachziehen werden. Und daß Dresden bereits dabei ist, ist ja schon ein sehr gutes Zeichen.

SB: Wir haben auf dem Podium zwei unterschiedliche Positionen gehört. Zum einen die Auffassung, daß es überhaupt kein rechtes Theater oder Kabarett gibt. Zum andern wurde jedoch über den Versuch berichtet, den Kulturbetrieb mit rechten Inhalten zu infiltrieren. Ist die Kultur per se ein relativ geschützter Raum, der von außen angegriffen wird, oder wird sie auch von Rechten unterwandert?

AD: Aus meiner Sicht werden Kunstinstitutionen gerne angegriffen, weil das viel Presse produziert. Wir stehen im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit - es wurde unter anderem auch die Schaubühne in Berlin wegen eines Stückes angezeigt -, und die AfD benutzt dies als Werkzeug ihrer Marketing- und Öffentlichkeitsarbeit. Ich denke, mich haben sie langsam aufgegeben, weil ich in solchen Fällen meist mehr Öffentlichkeit als die AfD bekomme. Ich lasse mich auch gar nicht einschüchtern, was auch für andere Kunstinstitutionen gilt, von denen ich weiß. Es ist jedoch wirklich wichtig, den Anfängen zu wehren, weil eine freie Gesellschaft auch die Freiheit der Kunst braucht, das ist ein ganz wesentliches Element unseres Grundgesetzes. Man sieht in vielen anderen Ländern, in denen totalitäre Regime an der Macht sind, daß die Freiheit der Kunst sehr schnell eingeschränkt wird, progressive Theater- und Museumsleiter abgesetzt werden und Künstler aus ihren Ländern fliehen. Für Syrien gilt das sowieso, dort gibt es fast gar keine Künstler mehr. Dazu machen wir einen Schwerpunkt "Syrian Revolution" im März. Mein Ziel ist es im übrigen nicht, potentiell rechte Wähler auszugrenzen, sondern vielmehr sie zurückzuholen und mit positiven Aktionen zu zeigen, nein, das ist der falsche Weg, der richtige Weg ist der der Demokratie, Offenheit, Toleranz und Solidarität.

SB: Die AfD treibt recht erfolgreich die anderen Parteien vor sich her, die dann teils versuchen, ihrerseits fremdenfeindliche Inhalte zu transportieren. Wie kann man verhindern, daß ein vermeintlicher Gegenpopulismus in das Fahrwasser dessen gerät, was die Rechte sowieso vorhat?

AD: Die Frage des Populismus ist sehr interessant, weil sich die Rechten stets als die wahren Vertreter des Volkes ausgeben. Die Intellektuellen sind demgegenüber relativ still, und die Politik steckt in der Defensive, weil sich viele Parteien stark auf rechts beziehen. Wir sollten lieber darangehen, positive Entwürfe für eine demokratische Gesellschaft zu entwickeln, statt ständig die Themen der Rechten wie die Schließung der Grenzen und die Begrenzung der Zuwanderung zu diskutieren. Es ist Realität auch in unserem Land, daß Einwanderer heute stärker ausgegrenzt werden als noch vor drei Jahren. Wenn man einige Einwanderer persönlich kennt, hört man das täglich. Dagegen muß man unbedingt andere Bilder setzen, und dazu sind wir als Theaterleute, als Menschen, die Ausstellungen machen, Museumsleute, Galeristen, Menschen, die Musik machen, wie wir das vorhin auch vom Ensemble Resonanz von Tobias Rempe gehört haben, in der Lage. Die Stimme, die wir in unseren Stadtgesellschaften haben, sollten wir in diesem Sinne auch nutzen.

SB: Nachdem man gedacht hatte, die bürgerliche Gesellschaft sei schweigsam und tot, sind überraschend viele Menschen in Berlin, München und anderen Städten für eine offene Gesellschaft auf die Straße gegangen. Ist das ein positives Zeichen, das Sie im Zuge Ihrer Kampagne aufgreifen können?

AD: Absolut. Das ist ein sehr positives Zeichen. Wir planen im Mai 2019 eine Demonstration, die "glänzende Demonstration", wie es sie schon einmal gab. Der Kollege aus Berlin, Christophe Knoch, der die Berliner Aktion koordiniert, hat die Idee, daß man es schaffen könnte, 500.000 bis eine Million Menschen zu aktivieren. Das finde ich sehr optimistisch, aber einige Hunderttausend kann man meines Erachtens schon zusätzlich mobilisieren. Ich glaube, jeder Schritt, jede Anregung zum Nachdenken darüber, wie wir eigentlich leben wollen, ist sehr wichtig. Und das ist auch unsere Aufgabe.

SB: Frau Deuflhard, vielen Dank für dieses Gespräch.


Leeres Podium vor Projektion 'Wir sind Viele' - Foto: © 2018 by Schattenblick

Platz genug für die Vielen ...
Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnote:


[1] www.kampnagel.de/de/service/kontakt/hamburger-erklaerung-der-vielen/


Bericht und Interviews zur Pressekonferenz der Hamburger Erklärung der Vielen im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT:

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12. November 2018


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