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INTERVIEW/178: Tierwohl, Anbau und Ernährung - Reduktion von Tierverbrauch wäre schon ein Anfang ...    Martin von BerTA im Gespräch (SB)


Interview am 19. Januar 2019 in Berlin

An einem kalten Samstagmorgen im Januar wälzt sich ein großer Menschenstrom vom S-Bahnhof Messe Nord/ICC in Richtung Messegelände. Es handelt sich um BesucherInnen der Internationalen Grünen Woche Berlin, der größten Landwirtschaftsmesse der Welt. Der wenige hundert Meter lange Weg zum Eingangsportal der Messe verläuft durch eine Unterführung, in der die AktivistInnen der Berliner Tierbefreiungsaktion (BerTA) [1] mit Transparenten und Videos auf die grausamen Seiten der Tierproduktion aufmerksam machen, die auf der Grünen Woche präsentiert und beworben wird. Zur gleichen Zeit werden im Regierungsviertel Berlins letzte Vorbereitungen für die alljährliche Demonstration "Wir haben es satt!" [2] getroffen. Der Schattenblick hat den Aktivisten Martin unter anderem danach gefragt, wieso die Gruppe heute hier steht und nicht an der die Messe aus bäuerlicher Sicht kritisierenden Demonstration teilnimmt.


Transparente 'Klimakiller Fleischindustrie' und 'Fleischkonsum bedeutet immer Gewalt' - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente 'Klimakiller Fleischindustrie' und 'Fleischkonsum bedeutet immer Gewalt' - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Fotos: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Martin, welcher Organisation gehörst du an und was ist das Ziel eures Protestes?

Martin: Ich bin von der Berliner Tierbefreiungsaktion (BerTA). Wir haben uns heute bei den Messehallen zur Grünen Woche getroffen, um nicht direkt gegen die Grüne Woche zu protestieren, sondern unter anderem gegen die Darstellungen der Tierhaltung auf ihr und generell, daß es bei der Grünen Woche viel um Tierkonsum, also Eier, Milch und Fleisch, geht. Deswegen stehen wir hier, um uns an die Konsumenten zu wenden.

SB: Macht ihr das dieses Jahr zum ersten Mal?

Martin: Wir werden bereits das siebte Mal in Folge aktiv. Vorher hatten wir uns noch bei den Kundgebungen des Bündnisses "Grüne Woche demaskieren" eingegliedert. Weil sich dieses Bündnis aber vor drei Jahren aufgelöst hat, machen wir die Veranstaltung hier sozusagen in Eigenregie.

SB: Warum agiert die Tierrechts- und Tierbefreiungsszene eher am Rande dieser wichtigen Landwirtschaftsmesse?

Martin: Es gibt schon viele Veranstaltungen, aber die sind eben nicht so gebündelt. Heute sind wir gerade einmal zehn Leute, und dennoch sind wir sichtbar und werden auch wahrgenommen. Gestern haben wir gegen das Ferkelkastrieren protestiert. Auch im letzten Jahr haben die verschiedenen Gruppen und Organisationen ihre Aktionen über die Tage verteilt. Deswegen ist es ein bißchen gesplittet und sieht immer nach kleinen Protesten aus, letzten Endes ist es aber doch eine große Häufung von Aktionen. So ist es vielleicht auch besser.

Es würde nicht viel bringen, wenn wir hier mit hundert Leuten stehen und dann die ganze Woche über gar nichts mehr passiert. So gesehen ist es sinnvoller, in kleineren Gruppen etwas zu unternehmen, so daß kontinuierlich über die Woche verteilt Sachen stattfinden. Ein Großteil der Leute geht heute wahrscheinlich auf die "Wir haben es satt!"-Demo, da ist immer ein recht großer Tierbefreiungsblock mit dabei. Und deswegen haben sich diese Gruppen dazu entschlossen, ihre Aktionen über die Woche zu verteilen.

SB: Könntest du nochmal erläutern, warum ihr, wie auf eurer Seite angekündigt, nicht an dieser Demo teilnehmen wolltet?

Martin: Bei der "Wir haben es satt!"-Demo geht es ja nicht explizit darum, Tierausbeutung abzuschaffen, sondern die Leute wollen die Tierindustrie reformieren, damit es den Tieren vermeintlich besser geht. Das wirkt dann wie eine Legitimation: Wir behandeln sie jetzt besser als zuvor, dann können wir sie auch nutzen. Das widerspricht aber unserer Auffassung von Ethik und Philosophie. Wir sagen, wenn ich ein Tier gut behandelt habe, gibt mir das trotzdem nicht das Recht, dieses Lebewesen auszubeuten. Uns geht es nicht um größere Käfige oder mehr Stroh im Stall, sondern darum, daß die Tiere da überhaupt nichts zu suchen haben. Weil die Position, generell weniger Fleischkonsum zu fordern, nicht wirklich Bestandteil des Aktionskonsenses ist, ist auch die Albert Schweitzer Stiftung aus dem Aktionsbündnis ausgestiegen.

SB: Nicht einmal als Minimalforderung, als die verschiedenen Lager überbrückender Grundkonsens?

Martin: Nicht wirklich. Es geht einfach nur um Reformen und darum, daß die Fleischproduktion wieder stärker in bäuerliche Betriebe übergeht, als daß es darum geht, daß diese Tierfabriken nicht mehr existieren. Es gibt sicher viele kleine Bauern, die in irgendeiner Form vielleicht sogar eine ökologische Haltung machen, weil sie keine Futtermittel mit vielen Zusätzen füttern oder ähnliches, aber das Endresultat bleibt das gleiche. Am Ende wird das Tier zum Schlachter gefahren, und das wollen wir nicht. Egal, wie gut man zu einem Tier ist, selbst, wenn ich dem Tier mehr Platz gebe und keine Antibiotika zufüttere, bleibt noch der Punkt der Ressourcenverschwendung, denn das Tier muß trotzdem fressen, um es auf die sogenannte Schlachtreife zu kriegen. Und daran wird nicht gerüttelt.

SB: Verspricht sich der Tierrechtsblock, der an der Demo teilnimmt, durch seine Präsenz vielleicht, andere davon überzeugen zu können, daß es besser wäre, ganz aus dem Tierverbrauch auszusteigen?

Martin: Darüber kann ich nur spekulieren und auf das zurückgreifen, was ich auf Foren oder deren Seiten gelesen habe. Dort wird etwa vertreten, daß man den Leuten innerhalb der Demo einen weiteren Denkanstoß geben möchte, indem man ihnen sagt, ja, den Punkt, daß die Landwirtschaft, wie sie gerade läuft, nicht richtig ist, habt ihr gut erkannt, aber es gibt noch einen Punkt, den ihr außen vor gelassen habt. Vielleicht wäre es gut, wenn ihr noch ein bißchen weiter über den Tellerrand guckt. Dies und ähnliches habe ich auf den Seiten der Gruppen gelesen, die an der Demo teilnehmen. Es geht einfach darum, Leute, die sowieso schon für das Thema sensibilisiert sind, noch ein bißchen weiter in eine andere Richtung zu schubsen und zu sagen, schaut mal, es gibt noch mehr.

SB: Die Gruppe BerTA gibt es seit 1997. Damals gab es den Veganismus als gesellschaftliche Erscheinung fast gar nicht. Heute kann man in jedem Supermarkt vergane Produkte kaufen. Wie ist euer Verhältnis zu einer Art von Ernährungstrend, der meist unpolitisch ist und die Tierproblematik regelrecht ausklammert?

Martin: Heute bewegt sich alles schon in deutlich anderen Dimensionen. Als wir in Berlin angefangen haben, waren wir die einzige Gruppe, die sich zum Thema Veganismus positioniert hat. Viele andere Gruppen hatten ja keine Ableger. Heutzutage haben viele großen Vereine verschiedene Ortsgruppen und AGs, die dann Aktionen dazu machen. Und neue Gruppen sind überhaupt erst in den letzten Jahren entstanden, die jetzt aber auch ein mediales Echo haben. Natürlich freut es uns, wenn viele Leute vegan leben, aber für uns geht der politische Anspruch oft ein bißchen verloren. Wir erleben das auch, wenn wir uns in Cafés und Restaurants bewegen und teilweise auch in Läden einkaufen, wo Trendveganer essen bzw. shoppen. Dann merkt man schon, daß es stark um den angeblichen Gesundheitsvorteil geht, obgleich Veganismus nicht per se gesund ist. Man kann sich auch mit Chips und Cola vegan ernähren, aber das ist auf die Dauer nicht der große Bringer.

Ich habe schon das Gefühl, daß sich gerade viele der neuen Trendveganer eher vollwertig und gesund ernähren als viele Leute, die lange in der Tierrechtsszene waren, wo es hauptsächlich darum ging, vegan zu leben, obwohl sich das inzwischen auch gewandelt hat. Ich kenne viele Leute, die wirklich sehr bewußt essen und das schon länger machen. Mir persönlich fehlt aber oft dieses Weiterdenken an die Tierausbeutung. Vegan zu essen hat für mich immer etwas mit Ethik zu tun und nicht unbedingt nur damit, daß ich das jetzt für mich tue und mich gesünder ernähre, als ich es früher getan habe. Für mich steht immer im Hintergrund, warum ich das mache. Ich habe dann eben diese Bilder vor Augen von Ressourcenverschwendung, von abgeholzten Regenwäldern. Ich weiß, wofür das gemacht wird. Die meisten Leute, die sich das im Fernsehen anschauen, sehen zwar einen abgeholzten Regenwald und sagen, oh, das ist nicht cool, aber sie verbinden das nicht mit dem Stück Fleisch, das sie zur Nachrichtensendung essen, blenden aus, daß das Futtermittel für dieses Tier eventuell auf diesem Grund und Boden angebaut wird.

Mir fehlt ein wenig die Rückbesinnung darauf, welche Firmen schon lange vegane Produkte wie Tofu oder Fleischersatz anbieten, während jetzt viele fleischproduzierenden Firmen auf diesen Markt drängen. Dann sagen die Leute, die Nuggets von der und der Firma sind total gut. Mag sein. Ich will jetzt niemanden verurteilen, der nicht sofort durchblickt, welche Firma zu welcher Branche gehört, aber ich würde mir wünschen, daß da mehr Anspruch reinkommt. Ich finde es schade, daß große Firmen, die eigentlich auf Fleisch setzen, dann aber merken, wie groß die Nachfrage für vegane Produkte ist und weil sie weiter Profit machen wollen, den Leuten, die ihre Sachen ansonsten nicht kaufen würden, halt die vegane Alternative dazu anbieten. Firmen, deren Philosophie es ohnehin war, vegane Produkte anzubieten, geraten ins Hintertreffen und können sich gerade so über Wasser halten, während fleischproduzierende Firmen auf einmal mit veganen Produkten große Umsätze machen. Deshalb fehlt mir bei vielen, die sich mit diesem Thema neu beschäftigen, der kritische Ansatz.

SB: Ein grundlegendes Problem ist die Verwertung von Tieren im kapitalistischen Sinne. Ist Kapitalismuskritik im Verhältnis zur Tierausbeutung für euch ein Thema?

Martin: Wir versuchen schon, so weit wie es möglich ist, Kapitalismuskritik zu üben. Ich finde es problematisch, wenn große Unternehmen auf einmal auf diesen Vegan-Zug aufspringen, weil sie merken, daß die Nachfrage groß ist, um weiterhin Profit zu machen, oder wenn die Leute sich keine Gedanken darüber machen, welche veganen Ersatzprodukte sie eigentlich kaufen. Ich habe mich eine Weile damit beschäftigt, welche Firmen vegane Produkte anbieten und warum sie so teuer sind, während andere Firmen günstiger sind und ihre Produkte trotzdem in Öko-Qualität anbieten. Zum Teil handelt es sich um Firmen, die mit Veganismus nichts zu tun haben. Die steigende Nachfrage weckt jedoch das Interesse der Wirtschaft. Also schmeißen sie ihre Produkte auf den Markt, und weil sie ein großes Marktsegment bedienen, kriegen sie auch ihre Sachen eher in die Supermarktregale. So liefern nachher Firmen vegane Produkte an die Supermärkte, die mit diesem veganen Hype ihren Schnitt machen wollen, aber mit Tierwohl nichts am Hut haben. Deswegen lautet für uns die Devise, möglichst kleinteilig zu konsumieren, also möglichst kleine Bio-Läden aufzusuchen und darauf zu achten, daß man die Firmen, die schon immer vegan waren, finanziell unterstützt.

SB: Wie groß ist eure Gruppe?

Martin: Wir sind eine recht kleine Gruppe, etwa zehn Personen, was aber auch damit zu tun hat, daß in Berlin viele Gruppen unterwegs sind. Es gibt ein ganz großes Spektrum von verschiedenen Gruppen, die hier immer wieder Aktionen machen. Viele Leute springen von Event zu Event, darunter sind auch Leute, die nicht fest zu einer Gruppe gehören, aber an allen möglichen Terminen teilnehmen. Deswegen existieren viele Gruppen in Berlin, die nicht besonders groß sind, aber teilweise viele Leute erreichen. Der eigentliche Kern der Gruppen ist oft relativ klein.

SB: Martin, vielen Dank für das Gespräch.


Vorplatz zum Eingangsportal der Grünen Woche - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://berta-online.org/

[2] http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0117.html


14. Februar 2019


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