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INTERVIEW/187: Frauenstreik - das fortgesetzte unterdrückte Ringen ...    Leyla Kaya im Gespräch (SB)


Interview am 8. März 2019 in Hamburg


Leyla Kaya ist im Rojbin Frauenrat Hamburg aktiv. Am Rande der Kundgebungen zum Internationalen Frauenkampftag am 8. März auf dem Hamburger Rathausmarkt beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen zur Situation im nordsyrischen Rojava, wo die gesellschaftlichen Fortschritte der Frauen besonders beeindruckende Ergebnisse hervorgebracht haben.


Transparent 'Von Hamburg bis nach Afrin gegen jede Kriminalisierung von Widerstand' - Foto: © 2018 by Schattenblick

Newroz 2018 in Hannover kurz nach der Besetzung Afrins durch die Türkei [2]
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Der Kanton Afrin ist seit Januar 2018 von türkischen Truppen besetzt. Wie es es um die dortigen Frauenprojekte und die Lage der Frauen unter dem Besatzungsregime bestellt?

Leyla Kaya: Das türkische Militär hat Afrin erobert und hält das Gebiet zusammen mit den dort herrschenden radikal-islamistischen Gruppen besetzt. Mit der türkischen Eroberung wurden alle Errungenschaften, die wir erkämpft hatten, zunichte gemacht. Dennoch geht der Widerstand weiter, das schließt den Widerstand der dort lebenden Frauen mit ein. Und es wird mit aller Macht versucht, in Afrin wieder Einfluß zu gewinnen, um erneut demokratische Strukturen aufzubauen, auch Frauenrechtstrukturen wieder zu installieren. Bisher mit wenig Erfolg. Alle vorherigen Errungenschaften wie die, daß die Frauen dort frei ihre Meinungen, auch politische Meinungen äußern konnten, sind außer Kraft. Es werden sogar Frauen gewaltsam dazu genötigt, sich wieder zu verschleiern. Einige wehren sich natürlich dagegen, aber trotz allem ist die Situation leider so, daß die Frauen dort unter großen Beeinträchtigungen leben müssen. Aber der Widerstand geht weiter.

SB: Wie ist die Entwicklung im Dorf der Frauen in Kobane?

Leyla Kaya: Der Aufbau des freien Frauendorfes ist fast abgeschlossen. Es gibt natürlich einzelne Dinge, an denen noch gearbeitet werden muß. Aber das Frauendorf steht und funktioniert, wie die Arbeit des dort organisierten Frauenrates, der aus Frauen vieler Nationen zusammengesetzt ist. Araberinnen, Syrerinnen, Kurdinnen, auch Christinnen befinden sich in diesem Rat.

SB: Kann man sagen, daß die kurdische Frauenbewegung auf die anderen Bevölkerungsgruppen Einfluß hat, daß auch diese Frauen entdecken, daß sie mehr Möglichkeiten haben?

Leyla Kaya: Auf jeden Fall. Deswegen hat die Militäroffensive vor allem in Afrin stattgefunden. Der gewaltsame Druck von Erdogan und den Radikalislamisten zielt darauf ab, die Frauenerrungenschaften zu beseitigen, insbesondere damit sich die in anderen Regionen lebenden arabischen, christlichen oder jesidischen Frauen kein Beispiel daran nehmen können. Bevor Shingal befreit worden ist, gab es keine jesidische Frauenbewegung, die sich in aller Stärke organisieren konnte. Erst danach wurden jesidische Frauenorganisationen gegründet, wie zum Beispiel die die aus jesidischen Frauen bestehende Armee. Sie ist entstanden, weil die kurdische Frauenbewegung als Vorbild diente und ein Beispiel dafür ist, daß man für seine Rechte auch kämpfen muß. Sogar viele arabische Frauen haben sich dem Kampf der jesidischen Frauenbewegung angeschlossen. Und deswegen wird auch auf sie außerordentlicher Druck ausgeübt.

SB: Wie ist es um die Unterstützung der kurdischen Frauenbewegung in Deutschland insbesondere auch durch die hiesige Frauenbewegung bestellt?

Leyla Kaya: Bei der Befreiung von Kobane gab es sehr viel Solidarität seitens der deutschen Bevölkerung, beziehungsweise von der deutschen Linken und von Frauenorganisationen. Ich würde mir natürlich wünschen, daß dieser Rückhalt noch stärker wird, deswegen müssen wir mehr auf die Straße gehen, mehr Aufmerksamkeit erhalten. So wie heute hier am 8. März. Wir haben uns in diesem Bündnis engagiert und unsere Forderungen mit einfließen lassen. Alle Frauen haben das sehr positiv aufgenommen, und das bedeutet uns viel! Es muß auch Solidarität unter Frauen entstehen, weil wir Frauen auch ein wenig anders denken als, ich sage mal, die Männer mit ihren herrschaftlichen Vorstellungen. Die Männer trennen die Gesellschaft, die Frauen müssen sie wieder zusammenführen. Vor allem deswegen müssen die Frauen sich miteinander organisieren. Nicht nur wegen der kurdischen Frage, sondern als Frauen, die Widerstand gegen das System leisten, das auch hier in Deutschland sehr ausbeuterisch ist. Man denkt immer, Deutschland sei so demokratisch und gewähre alle Rechte, aber so ist es leider nicht.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:


[1] BERICHT/119: Frauenstreik - der gleiche Kampf ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0119.html

[2] BERICHT/313: Newroz Hannover - Verteidigung Afrins ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0313.html


9. April 2019


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