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FLUCHT/010: Wiener Asyl - Solide Fürsprecher (SB)


Der sakralste Ort

Peter Waterhouse zu Besuch beim Flüchtlingsprotest in der Wiener Votivkirche



Peter Waterhouse ist in Österreich und darüber hinaus kein Unbekannter. Der 1956 in Berlin geborene Schriftsteller wurde im vergangenen Jahr mit der höchsten Kunstauszeichung Österreichs, dem Großen Staatspreis, geehrt. Bei der Preisverleihung Ende Juli 2012 im Rahmen der Salzburger Festspiele würdigte die österreichische Kulturministerin Claudia Schmied ihn als einen "Sprachkünstler, feinsinnig und wortgewaltig zugleich" [1].

Doch nun hat sich der renommierte Schriftsteller für den Kampf sogenannter Flüchtlinge in Österreich stark gemacht und im Zuge der Aktion "solidarisch schlafen" eine Nacht bei den protestierenden und hungerstreikenden Geflohenen in der Wiener Votivkirche verbracht. Seine Eindrücke, Auffassungen und Fragen formulierte er in einer eindringlichen Stellungnahme, in der er unter anderem erklärte [2]:

Eigentlich handelt es sich um eine Krippe mit ganz vielen Decken und sehr vielen jungen Menschen; ein beträchtlicher Teil dieser 67 Personen sind junge Leute, würde ich sagen, fast Kinder, jedenfalls Jugendliche, manche im Alter meines Sohnes, um die 20 Jahre herum. In einer Aussendung ist dieses große Bett, dass ich eigentlich als Krippe ansehen würde, als Saustall bezeichnet worden, und ich würde das sogar bejahen, es handelt sich fast um den Stall, in dem auch jemand vor über 2000 Jahren geboren wurde. Ich glaube, dass es sich bei diesem Saustall um einen sakralen Ort gehandelt hat, der sakral geblieben ist bis heute - und ich glaube, dass der sakralste Ort in dieser Stunde und in diesen Tagen in der Votivkirche dieses große Bett ist, in dem 67 Personen in eisiger Kälte seit einigen Wochen wohnen. Ich empfinde diesen Winkel hier als heiliger als den Altar, dem ich gegenübersitze, und heiliger als den Tabernakel in dieser Kirche.

Mit diesen Sätzen nahm der Künstler Bezug auf die Diffamierungskampagne, die in Politik und Medienwelt der Alpenrepublik bereits seit längerem lanciert wird und augenscheinlich darauf abzielt, eine weitere Solidarisierung der Bevölkerung Österreichs mit den Protestierenden zu verhindern, indem diese negativ dargestellt, ihre Wohnstatt beispielsweise als "Saustall" bezeichnet wird. Waterhouse forderte die Katholische Kirche auf, die Betreuung und Unterstützung dieser Menschen, auf deren gewaltlosen Protest jeder Mensch stolz sein könne, nicht länger der Caritas allein zu überlassen, und nahm auch Stellung zu dem in Österreich ebenfalls kursierenden Vorwurf, die "politischen" Unterstützer würden die Flüchtlinge "mißbrauchen" [2]:

Die Aktivisten, die die Flüchtlinge unterstützen, missbrauchen die Flüchtlinge, so wird die Rede des Bürgermeisters im Standard berichtet; und wortwörtlich heißt es: 'Da dreht es mir den Magen um, um es sehr freundlich zu sagen'. Ich frage mich und auch den Herrn Bürgermeister Häupl, ob er tatsächlich der Meinung ist, dass er hier etwas freundlich gesagt hat, ob er hier etwas 'sehr freundlich' gesagt hat. Und was er denn damit meint, wenn er es auf eine unfreundliche Art und Weise sagen würde: Was ist mit der Unfreundlichkeit insinuiert, wenn dieses hier freundlich sein soll? Und 'da dreht es mir den Magen um', oder 'es könnte noch unfreundlicher werden', was heißt das? Heißt das, er würde kotzen, in diesen Saustall, in diesen sakralen Raum? Darauf hätte ich gerne eine Antwort, nicht persönlich, sondern öffentlich. Das genügt.

Diesem Augenzeugenbericht zufolge sei der körperliche Zustand bei denjenigen, mit denen Waterhouse während seines Aufenthalts in der Nacht von Donnerstag auf Freitag gesprochen hatte, schlechter geworden. Der Künstler wies darauf hin, daß er kein Arzt ist und über den Gesundheitszustand der Betroffenen nicht so viel sagen könne. Gleichwohl besteht Anlaß zu großer Sorge, da die Kirche, die sich, wie Waterhouse im übrigen bestätigte, in einem "außergewöhnlich guten Zustand" befände, ungeachtet einiger weniger zur Verfügung stehender Heizstrahler ungeheizt ist, was die Bedingungen, unter denen die Protestierenden ihren Hungerstreik fortsetzen, zusätzlich erschwert.

Drei Geflohene in der Votivkirche, einer trägt Stirnband mit der Aufschrift 'Hungerstrike' - Foto: © by Refugee Camp Vienna

Sie kamen als Menschen - und wurden zu "Flüchtlingen" oder "Asylbewerbern" erklärt
Foto: © by Refugee Camp Vienna


Weitere Informationen siehe in der Wiener Tagespresse und bei http://refugeecampvienna.noblogs.org/


Fußnoten:
[1] Peter Waterhouse erhält Großen Österreichischen Staatspreis. Der Standard, 09.03.2012,
http://derstandard.at/1331206889698/Preistraeger-2012-Peter-Waterhouse-erhaelt-Grossen-Oesterreichischen-Staatspreis

[2] Vollständig nachzulesen: Peter Waterhouse: "Ich glaube, dass der sakralste Ort in dieser Stunde und in diesen Tagen in der Votivkirche dieses große Bett ist, in dem 67 Personen in eisiger Kälte seit einigen Wochen wohnen." Refugee Camp Vienna, 14.01.2013
http://refugeecampvienna.noblogs.org/post/2013/01/14/peter-waterhouse-ich-glaube-dass-der-sakralste-ort-in-dieser-stunde-und-in-diesen-tagen-in-der-votivkirche-dieses-grose-bett-ist-in-dem-67-personen-in-eisiger- kalte-seit-einigen-wochen-wohnen/


15. Januar 2013