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FLUCHT/012: Wiener Asyl - Geste der Rechtlosen (SB)


Ein Zeichen guten Willens

Hungerstreik protestierender Geflohener in der Wiener Votivkirche vorübergehend ausgesetzt


Flüchtlinge mit strahlenden Gesichtern während der Pressekonferenz, im Hintergrund das Kirchenschiff der Votivkirche - Foto: © 2013 by Martin Juen

Pressekonferenz protestierender Flüchtlinge in der Wiener Votivkirche am Tag nach der Unterbrechung ihres Hungerstreiks
Foto: © 2013 by Martin Juen

Die Proteste geflohener Menschen in Wien, die seit Monaten keine Mühen, persönlichen Risiken und Belastungen scheuen, um auf die Anliegen all der Menschen, die in Österreich leben, aber "nicht von hier" sind, in einer Weise aufmerksam zu machen, die geeignet ist, die systematische Isolierung zu durchbrechen, flauen nicht ab. Die Forderungen, gleichberechtigt wie alle anderen Menschen in der Alpenrepublik zu leben und zu arbeiten, sind nicht neu und werden schon seit langem von Hilfsorganisationen wie der Caritas unterstützt, wissen doch Flüchtlingsbetreuer und -betreuerinnen aus erster Hand, wie katastrophal sich die auf eine fundamentale gesellschaftliche Ausgrenzung abzielenden und diese vollziehenden Asylgesetze auf die betroffenen Menschen auswirken.

In der Wiener Votivkirche haben sich 40 der protestierenden Flüchtlinge vor über einem Monat zu einem Hungerstreik entschlossen bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt, um durch dieses letzte Mittel, das zumeist von verzweifelten Inhaftierten in Anspruch genommen wird, so diese keine andere Möglichkeit sehen, ihr Aufbegehren gegen unerträgliche Haft- und Lebensbedingungen deutlich zu machen, den Kampf der in Österreich lebenden Flüchtlinge zu verstärken. Bis zum gestrigen Tage, dem 31. Tag des Hungerstreiks, blieben diese Bemühungen, nimmt man die Bereitschaft der Wiener Regierung, mit den Flüchtlingen in ernsthafte Verhandlungen oder Gespräche über die gesamte Problematik zu treten, zum Maßstab, erfolglos.

Als ein Zeichen ihrer Kompromißbereitschaft wollen die Streikenden ihre am gestrigen Dienstag gemeinsam getroffene Entscheidung, den Hungerstreik vorübergehend zu unterbrechen, verstanden wissen. Erleichtert über diesen Schritt zeigten sich die betreuenden Hilfsorganisationen. Seit dem 22. Dezember hatten die rund 40 Protestierenden in ihrem Hungerstreik nur klare Suppe und Tee zu sich genommen. Klaus Schwertner, Sprecher der Caritas, bezeichnete die jetzige Entscheidung der Hungerstreikenden als einen wichtigen Schritt für eine gute und friedliche Lösung. Die Flüchtlinge seien bereits sehr geschwächt gewesen, so Schwertner [1]. Michael Hüpfl, Chefarzt der Wiener Johanniter, die wie auch die Caritas die Flüchtlinge in der Votivkirche betreut, erklärte gegenüber der APA, daß auch die Nahrungsaufnahme nach dem Hungerstreik unter medizinischer Beaufsichtigung erfolge [1].

Nach einem Einlenken oder Entgegenkommen der Regierung Österreichs sieht es in diesem Konflikt, in dem es den Protestierenden erklärtermaßen nicht um eine Verbesserung ihrer individuellen Situation, sondern um eine "politische" Lösung für alle Menschen in einer solchen Lage geht, bislang allerdings nicht aus. So habe ein Sprecher des Innenministeriums am heutigen Mittwoch zwar die Unterbrechung des Hungerstreiks begrüßt, im übrigen jedoch nur die bereits bekannte Haltung der Regierung bekräftigt, die da lautet, daß die Asylbewerber, so dies rechtlich möglich ist, in die Grundversorgung zurückgeführt werden oder die ihnen von der Caritas angebotenen Unterbringungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen können. Außerdem gäbe es, so der Ministeriumssprecher, die Möglichkeit zur "individuellen Perspektivenklärung im jeweiligen Verfahren" [1].

Da all dies nichts anderes bedeutet als die Beibehaltung des Status Quo, der die Geflohenen zu ihren Protestaktionen veranlaßt hat, wäre eine Akzeptanz dessen die Annahme eine Angebots, das keines ist. Der Ministeriumssprecher stellte auch noch einmal klar, daß es zusätzlich zu dem Gespräch, daß Innenministerin Johanna Mikl-Leitner am 2. Januar mit einigen der Protestierenden in ihrem Ministerium geführt hatte, keine weiteren Treffen geben werde [1]. Diese Unterredung war für die Geflohenen überaus enttäuschend verlaufen, da Mikl-Leitner ihnen gegenüber lediglich die Position der Regierung deutlich gemacht und mit keiner Geste hatte erkennen lassen, daß eine Zäsur in der Asylpolitik auch nur in Erwägung gezogen werden könnte.

Möglicherweise haben die Protestierenden ihren Hungerstreik auch nur unterbrochen, um ihrerseits eine Geste des guten Willens zu zeigen, nachdem Kardinal Christoph Schönborn, der am Montag mit Michael Landau, dem Chef der Wiener Caritas, zu einem langen Gespräch zusammengekommen war, sie darum gebeten hatte, den Streik zu beenden. Angesichts des bereits sehr schlechten Gesundheitszustandes der Hungerstreikenden habe der Kardinal seine "tiefe Sorge" bekundet [1].

Caritas-Sprecher Schwertner appellierte unterdessen an die Politik, daß "alle Beteiligten" einen Schritt aufeinander zugehen müßten. Ob Appelle dieser Art, gerichtet an eine Regierung, die bereits erkennen ließ, daß sie nicht bereit ist, ihre Position auch nur zu überdenken, geeignet sind, mehr als vage Hoffnungen bei den Betroffenen zu schüren, sei dahingestellt. Die Protestierenden aus der Wiener Votivkirche haben längst deutlich gemacht, daß sie, sollte kein Verhandlungsangebot kommen, am 1. Februar den Hungerstreik wieder aufnehmen werden. Noch haben sie, wie ein Sprecher der Flüchtlinge erklärte, die Hoffnung nicht aufgegeben [2]:

Die Unterbrechung ist ein Kompromissangebot von uns. Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass von der Regierung ein Verhandlungsangebot kommt. Wir wollen bei Kräften sein, wenn jemand mit uns verhandelt.

Ein weiteres Entgegenkommen, bei dem es sich eigentlich nur noch um die Preisgabe des Protestes handeln könnte, ohne zu einem substantiellen Ergebnis gekommen zu sein, wird es nach Lage der Dinge von ihrer Seite nicht geben. Ein Wechsel in die von der Caritas bereitgestellten Quartiere oder die von der Regierung angebotene Grundversorgung, komme für sie nicht in Frage [1]. Sie wollen auf jeden Fall in der Kirche bleiben, in der es zur Zeit drei Grad Celsius kalt ist.

Mit Erleichterung über ihre Entscheidung, den Hungerstreik zumindest für zehn Tage zu unterbrechen, reagierte auch Aleander Pollak, Sprecher der Nichtregierungsorganisation "SOS Mitmensch", auf die jüngste Entwicklung. Die Organisation hatte am Dienstag in einem Gespräch mit Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer deutlich gemacht, warum sie viele der Forderungen der Flüchtlinge für gerechtfertigt und vernünftig halte [3]. Pollak erklärte, SOS Mitmensch habe den Präsidenten gebeten, sein politisches Gewicht für Verbesserungen im Asylwesen in die Waagschale zu werfen, was nicht nur den Asylsuchenden, sondern allen Menschen in Österreich zugutekommen würde [3].

Allem Anschein nach ist es den Protestierenden und ihren einheimischen Unterstützern bislang noch nicht gelungen, der breiten Öffentlichkeit nahezubringen und verständlich zu machen, daß sich die Sondergesetze, Ausnahmeregulierungen und massiven Einschränkungen, denen Menschen "aus der Fremde" in Österreich unterliegen, womöglich als der erste Schritt einer noch sehr viel umfassenderen sozialen Zuspitzung und systematischen Entrechtung erweisen könnten, von der dann, so diese Maßnahmen ausgeweitet werden, alle Menschen in Österreich betroffen wären.

Pressekonferenz in der Votivkirche mit Transparent mit den Aufschriften 'Umverteilung statt Staatsrassismus', 'Schluss mit Abschiebungen' und 'Es ist genug für alle da' - Foto: © 2013 by Martin Juen

Pressekonferenz am 23. Januar 2013 - Die Protestierenden der Votivkirche machen ihre Anliegen öffentlich
Foto: © 2013 by Martin Juen


Weitere Informationen siehe in der Wiener Tagespresse und bei http://refugeecampvienna.noblogs.org/


Fußnoten:
[1] http://religion.orf.at/stories/2568294/

[2] https://refugeecampvienna.noblogs.org/post/2013/01/23/zugestandnis-hungerstreik-in-der-votivkirche-unterbrochen/

[3] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130123_OTS0091/sos-mitmensch-erleichtert-darueber-dass-fluechtlinge-hungerstreik-aussetzen

Die Online-Zeitung Schattenblick veröffentlicht die Fotos mit der freundlichen Genehmigung des Fotographen Martin Juen.
http://martinjuen.wordpress.com/

23. Januar 2013