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FLUCHT/054: Kessel Nahost - Sackgasse ... (Amnesty International)


Amnesty International - 1. Juli 2014

Libanon: Palästinensischen Flüchtlingen aus Syrien Einreise verweigert



1. Juli 2014 - Palästinensischen Flüchtlingen aus Syrien, darunter auch schwangeren Frauen und Kindern, wird aufgrund verschärfter Grenzbestimmungen die Einreise in den Libanon verweigert. Amnesty International dokumentiert in dem Bericht "Denied Refuge: Palestinians from Syria seeking safety in Lebanon" die verzweifelte Notlage von Familien, die wegen der sich ständig ändernden Einreisebestimmungen auseinander gerissen werden.

Im Juni 2014 haben die libanesischen Behörden für Flüchtlinge aus Syrien neue Auflagen erlassen. Demnach dürfen nur Menschen einreisen, die aus umkämpften Gebieten nahe der Grenze kommen. Die Auswirkung dieser Entscheidung ist noch nicht abschätzbar. Für PalästinenserInnen galten bereits vorher schärfere Einreisebestimmungen als für syrische Staatsangehörige.

"Niemand, der Schutz vor Gewalt in Syrien sucht, darf unter Zwang dorthin zurückgeschickt werden. Flüchtlinge müssen sich im Libanon aufhalten dürfen, ohne ihre Inhaftierung oder Abschiebung fürchten zu müssen", sagt Sherif Elsayed-Ali, Leiter der Abteilung Flüchtlinge und Migranten bei Amnesty International.

Im Amnesty-Bericht ist ein schockierendes Beispiel dokumentiert: Eine Mutter durfte nicht mit ihrem Neugeborenen in den Libanon einreisen, obwohl sie zu ihrem Ehemann und ihren anderen fünf Kindern wollte. "Mit der Weigerung, eine Mutter und ihr Neugeborenes ins Land zu lassen, missachten die libanesischen Behörden in eklatanter Weise die Rechte von Flüchtlingen, die einem blutigen Konflikt entkommen wollen. Ein solcher Schutz darf niemandem verweigert werden. Der Libanon verstößt mit dieser Politik gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen", sagt Sherif Elsayed-Ali.


Pauschale Abweisung von PalästinenserInnen an Libanons Grenzen

Amnesty International weist in dem Bericht auch nach, dass die libanesische Regierung palästinensischen Flüchtlingen generell die Einreise in den Libanon verweigert - unabhängig davon, ob sie die neuesten Einreisebestimmungen erfüllen oder nicht. Diese fordern das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen für einen temporären Aufenthalt im Libanon oder einen Nachweis darüber, dass sie den Libanon nur als Transitland nutzen. Tatsächlich sind diese Voraussetzungen für Flüchtlinge nur schwer oder gar nicht zu erfüllen oder nachzuweisen.

Ein Dokument, dass offenbar von den Sicherheitsbehörden stammt und an die Öffentlichkeit gelangt ist, belegt die diskriminierenden Bestimmungen: Fluglinien, die den Beiruter Flughafen anfliegen, werden aufgefordert, keine palästinensischen Flüchtlinge aus Syrien an Bord zu lassen, selbst wenn sie gültige Reisedokumente besitzen.

"Die libanesischen Behörden müssen sofort ihre offensichtlich diskriminierende Politik gegenüber palästinensischen Flüchtlingen aus Syrien beenden. Auch wenn die zunehmende Zahl an Flüchtlingen die libanesischen Behörden an die Grenzen der Belastbarkeit bringt, gibt es keine Entschuldigung dafür, palästinensische Flüchtlinge abzuweisen," sagte Sherif Elsayed-Ali.


Palästinensische Flüchtlinge in ganzer Region diskriminiert

Auch in anderen Nachbarländern Syriens finden palästinensische Flüchtlinge aus Syrien nur schwer Schutz. Die jordanische Regierung verweigert ihnen seit Januar 2013 die Einreise. Auch in der Türkei ist laut Berichten die Einreise für palästinensische Flüchtlinge deutlich schwieriger als für syrische Staatsangehörige.

"Leider sind die neuen Einreisebeschränkungen des Libanon nur ein aktuelles Beispiel für eine Reihe von Maßnahmen, die palästinensische Flüchtlinge aus Syrien diskriminieren", sagt Elsayed-Ali.

Die Voraussetzungen, die Palästinenser erfüllen müssen, um in den Libanon einreisen zu dürfen, gelten nicht für SyrerInnen. Bereits vor den jüngsten Anpassungen, die im Mai 2014 in Kraft gesetzt wurden, sahen sich PalästinenserInnen mit anderen Einreisebestimmungen konfrontiert als SyrerInnen.

Selbst diejenigen, die es geschafft haben, in Sicherheit die Grenze zum Libanon zu überqueren, sehen sich beträchtlichen Unsicherheiten ausgesetzt. Berichten zufolge wird es einigen palästinensischen Flüchtlingen nicht gestattet, ihre temporären Visa oder Aufenthaltsgenehmigungen zu erneuern. Dies rückt sie in eine rechtliche Grauzone, in der sie der Gefahr von Inhaftierung und Abschiebung ausgesetzt sind.

In einigen Fällen haben die Flüchtlinge nicht die richtigen Dokumente, um Visa zu verlängern oder zu beantragen und müssen nach Syrien zurückkehren, um die erforderlichen Dokumente zu holen. Andere Flüchtlinge haben von Problemen berichtet, die Gebühren für die Visumsverlängerung zu bezahlen.


Familien werden auseinandergerissen

Der 12-jährige Suleiman ist seit fast einem Jahr von seinen Eltern und seinem Bruder getrennt, seit diese nach Syrien gegangen sind, um neue Ausweisdokumente zu beantragen, die sie für ihre Visa im Libanon benötigen. Seine Eltern haben seither mehr als 30-mal vergeblich versucht, in den Libanon zurückzukehren. Suleiman lebt nun bei einem Onkel im Libanon.

Einer Frau, der es gelungen war, aus dem belagerten Stadtteil Yarmouk in Damaskus zu fliehen, wurde im März 2014 beim ersten Versuch die Einreise nach Syrien verwehrt, obwohl sie im sechsten Monat schwanger und mit fünf Kindern auf der Flucht war. Beim zweiten Versuch konnte sie durch Vermittlung eines UN-Mitarbeiters einreisen. Als sich ihr Ehemann zwei Monate später mit zwei älteren Söhnen anschließen wollte, ließen die libanesischen Grenzschützer sie nicht einreisen, weil sie Palästinenser sind.

Amnesty International fordert die libanesischen Behörden dazu auf, sicherzustellen, dass allen Flüchtlingen aus Syrien, die Möglichkeit gegeben wird einzureisen und Schutz zu suchen. Einreisebestimmungen dürfen niemanden ausschließen und müssen mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar sein.

Amnesty International erneuert darüber hinaus die Forderung an die internationale Gemeinschaft, die finanziellen Hilfen für Syriens Nachbarländer, darunter der Libanon, der die größte Zahl an Flüchtlingen aufgenommen hat, zu steigern.

"Ohne mehr internationale Unterstützung und finanzielle Hilfen kann es als fast sicher gelten, dass die Restriktionen im Libanon für alle Flüchtlinge aus Syrien verschärft werden. Die Größenordnung der syrischen Flüchtlingskrise erfordert eine kollektive internationale Reaktion," sagte Sherif Elsayed-Ali.

"Es ist anzuerkennen, dass der Libanon - trotz der Belastung, die es mit sich bringt - seine Tore für syrische Flüchtlinge offen gelassen hat. Wir ermuntern die libanesische Regierung, die Grenzen weiterhin offen zu halten, auch für aus Syrien kommende PalästinenserInnen. Die internationale Gemeinschaft darf ihr eigenes beschämendes Scheitern, Libanon auch nur annähernd adäquate Unterstützung zukommen zu lassen, nicht weiter ignorieren."


Hier finden Sie den vollständigen englischsprachigen Bericht "Denied Refuge: Palestinians from Syria seeking safety in Lebanon":
http://www.amnesty.org/en/library/asset/MDE18/002/2014/en/902e1caa-9690-453e-a756-5f10d7f39fce/mde180022014en.pdf

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Quelle:
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2014