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BERICHT/089: Das 9. Terre des Femmes-Filmfest in Tübingen (frauensolidarität)


Terre des Femmes in der frauensolidarität - Nr. 111, 1/10

FrauenWelten
Das 9. TERRE DES FEMMES-Filmfest in Tübingen war ein großer Erfolg

Von Irene Jung


Der Zuspruch des Tübinger Publikums zum 9. Filmfest FrauenWelten von TERRE DES FEMMES im November 2009 war groß. Der Themenfokus Matriarchat - heute? erfuhr einen wahren Ansturm an ZuschauerInnen, viele Vorführungen waren ausverkauft. ZuschauerInnen beteiligten sich lebhaft an den Publikumsgesprächen mit den Regisseurinnen und Expertinnen, die für diesen Themenfokus zum Filmfest angereist waren. Ehrenpreise für mutiges Engagement für Menschenrechte von Frauen erhielten die junge preisgekrönte Regisseurin Hana Makhmalbaf aus dem Iran und die couragierte Friedensaktivistin Leymah Gbowee aus Liberia.


Themenfokus Matriarchat - heute?

Wichtig war den Veranstalterinnen hier, eine andere Lebensform zu betrachten und zu fragen, was wir von diesen Gesellschaften für die Herausforderungen unserer heutigen Welt lernen können. Der 22-minütige Dokumentarfilm "The Women's Kingdom" (von Xiaoli Zhou China/USA 2006) beleuchtet das Zusammenleben der Mosuo im Süden Chinas in einer matriarchalischen Gesellschaft, in der die Frauen als energische Familienoberhäupter auftreten. Der deutsche Dokumentarfilm "Adalil - die Herrin der Zelte" (1990) von Sylvie Banuls zeigt eine Tuareg-Nomadin im Gespräch mit ihrer Tochter über ihr Nomadenleben: ein Leben, in dem die stolzen verschleierten Männer nicht die Herrscher in der Gesellschaft sind; in dem die Zelte, der Hauptbesitz der Familien, den Frauen gehören. In "Die Frauen von Juchitán" (Deutschland 1993) dokumentieren Monika von Behr und Mechthild Moser das Leben in der mexikanischen Stadt Juchitán, in der das Matriarchat herrscht. Die bunt gekleideten, extrovertierten "Juchitecas" tragen mit ihren unzähligen rauschenden Festen zum Wohlstand aller bei. Ebenfalls um das Matriarchat geht es in der Dokumentation "Männerherrschaft" unbekannt - Mutterrecht auf Sumatra von Marie-Claude Deffarge und Gordian Troeller (Deutschland 1979). Hier zeigt sich, dass die scheinbare Umkehrung der Geschlechterverhältnisse, wenn Frauen Macht haben und die Töchter Besitz und Namen erben, nicht zwangsläufig zur Unterdrückung der Männer führt. Bei den Minangkabau auf Sumatra existiert eine moderne matriarchale Kultur, die trotz islamischer und westlicher Einflüsse von beiden Geschlechtern akzeptiert und beibehalten wird.


Ehrenpreise des Filmfests

Der Ehrenpreis für "Mutiges Engagement für Menschenrechte von Frauen" wurde am 21. November 2009 in Tübingen an Leymah Gbowee und Hana Makhmalbaf übergeben. Die Preise wurden überreicht von der geschäftsführenden Vorstandsfrau von TERRE DES FEMMES, Christa Stolle, und von Filmfestleiterin Irene Jung. Mit der Frauenrechtsaktivistin Leymah Gbowee war eine wahre Erbin des Matriarchats zu Gast und brachte den ZuschauerInnen den Kampf für Menschenrechte von Frauen in Afrika nahe. Sie stammt aus einem Gebiet in Liberia, in dem matriarchale Strukturen herrschen. Leymah Gbowee ist die couragierte Heldin des Dokumentarfilms Pray the Devil Back to Hell (Regie: Gini Reticker, USA/Liberia 2008, 60 Minuten). Sie brachte christliche und muslimische Frauen in Liberia zusammen, und gemeinsam forderten sie ein Ende des blutigen Bürgerkrieges - mit überraschenden Mitteln, mit Erfolg und völlig unbeachtet von der Weltöffentlichkeit! So verhalfen sie schließlich der ersten Präsidentin in einem afrikanischen Land, Ellen Johnson-Sirleaf, in ihr Amt. Leymah Gbowee ist inzwischen Direktorin von WIPSEN, einem panafrikanischen Netzwerk von Frauen, das friedliche Lösungen für die Kriege sucht, die verschiedene afrikanische Gesellschaften verwüsten. In ihrer Dankesrede in Tübingen sagte sie: "Der Kampf für Menschenrechte von Frauen kann an keiner Landesgrenze Halt machen. Wo auch immer ich mich befinde, werde ich mich aufgerufen fühlen, einzugreifen, wenn ich sehe, dass einer Frau Gewalt angetan wird."

Auch die 21-jährige iranische Regisseurin Hana Makhmalbaf beeindruckte das Publikum zutiefst mit ihrem Film "Green Days" (Iran 2009, 73 Minuten, Dokufiktion). Er handelt von Ava, die an einer Depression leidet. Während die Ratschläge ihres Arztes ihr kaum weiterhelfen, stößt sie im Juni 2009 auf den Straßen Teherans unter den Demonstranten auf neue Hoffnung, dass durch die Wahl eines neuen Präsidenten Veränderung möglich ist. Die 21-jährige Regisseurin Hana Makhmalbaf schuf mit ihren heimlich gedrehten Spielfilm- und Dokumentaraufnahmen ein einzigartiges historisches Zeugnis. Für ihren Einsatz für Frauenrechte und Demokratie im Iran musste sie ins Exil gehen. Der Film wurde auch mit dem Bravery Prize in Venedig 2009 ausgezeichnet. Hana Makhmalbaf widmete ihren Tübinger Filmfest-Ehrenpreis Amir Entezam, der schon inhaftiert war, ehe sie geboren war. Sie erklärte: "Wenn meine Generation dieser Tage überhaupt über Freiheit nachdenken kann, dann nur aufgrund von 25 Jahren Widerstand - das heißt, länger als ich denken kann -, die Menschen wie Amir Entezam im Gefängnis leisteten."


Ausgezeichnete Spielfilme

Beim Filmfest FrauenWelten standen auch zahlreiche Preisträger der großen Filmfestivals in aller Welt auf dem Spielplan. "Sturm" von Hans-Christian Schmid gewann gleich drei Filmpreise auf der Berlinale 2009 und den Bernhard-Wicki-Preis auf dem Münchner Filmfest 2009. Darin muss Hannah Maynard als Anklägerin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag für Ex-Jugoslawien erkennen, dass ihre Gegner nicht nur auf der Anklagebank zu finden sind und dass es von ihren Zeuginnen ungeheuren Mut erfordert, gegen die Kriegsverbrecher auszusagen. "Mar Nero", ein Film über die abenteuerliche Annäherung zwischen einer kratzbürstigen älteren Witwe und ihrer sensiblen jungen rumänischen Haushalthilfe, die durch diese Arbeit in Italien das Überleben ihrer Familie in Rumänien finanzieren muss, gewann den Silbernen Leoparden auf dem Filmfestival Locarno. Laskar Pelangi, ein Film aus Indonesien über eine junge Lehrerin, die unbedingt eine Schule für Kinder von Minenarbeitern aufrechterhalten möchte, war ein Publikumsliebling auf der diesjährigen Berlinale und wurde auf dem Hong Kong Filmfestival ausgezeichnet. Als Geheimtipp galt "Mammoth" vom schwedischen Regiestar Lukas Moodysson, der für den Goldenen Bären 2009 nominiert war. In ihm haben eine allein erziehende philippinische Mutter und ein gut situiertes New Yorker Elternpaar mit den Schwierigkeiten einer globalisierten Welt zu kämpfen: Weil das Paar keine Zeit für die gemeinsame Tochter findet, konzentriert die sich immer mehr auf ihre philippinische Kinderfrau. Die wiederum sorgt sich um ihre eigenen Kinder, die sie in Obhut der Großmutter in ihrem Heimatland zurücklassen musste.


Packende Dokumentarfilme

Unter den Dokumentarfilmen fand sich ein Querschnitt der TERRE DES FEMMES-Themen: die Problematik von Stalking und häuslicher Gewalt in "Nach Trennung Mord", der Kampf gegen Genitalverstümmelung in "Hibos Lied oder Frauen in Männerberufen" in Some Real Heat oder Weiberleut. Mein Herz sieht die Welt schwarz - eine Liebe in Kabul von Altmeisterin Helga Reidemeister war ein großer Erfolg beim Publikum auf der Berlinale Anfang dieses Jahres. Der Film über ein junges Liebespaar in Kabul, das gegen alle Konventionen versucht, zusammenzuleben, setzt die Tradition der Filme über das Leben von Frauen in Afghanistan auf dem Filmfest fort. Im Hintergrund des Filmfestes gab es eine weitere Besonderheit: die erste Übergabe einer DVD-Edition über die Filmarbeit von Samira Makhmalbaf an Helga Reidemeister, Dozentin an der Filmakademie Ludwigsburg. Die Edition "The Mirror of Samira Makhmalbaf - or the magic of capturing and transforming life through film" hatte das Filmfest aufgrund von Samiras Workshop mit angehenden FilmemacherInnen 2008 hergestellt. Sie wird Filmschulen und -akademien auf der ganzen Welt überreicht werden. Daran knüpft sich die Hoffnung, das Thema "Menschenrechte von Frauen" in der internationalen Filmarbeit tiefer zu verankern.

Nicht zuletzt war das Filmfest auch Ort für eine Fortbildung für Städtegruppen von TERRE DES FEMMES, die kleine Filmtage in weiteren Städten in Deutschland organisieren. Zusammen mit der Leiterin unseres Schwesternfestivals "FrauenWelten" in Wien wurden sie in den Ablauf des Filmfestes in den verschiedenen Kinos eingebunden und hatten tags darauf Gelegenheit, in einem Workshop über ihre Erfahrungen und die besten Strategien zur Ausrichtung von Filmtagen für Menschenrechte von Frauen zu reflektieren.


Informationen und Kontakt:

Filmfestleiterin Irene Jung
Telefon: 0049/7071/569657, 58
Fax: 0049/7071/569696
Internet: www.frauenrechte.de/filmfest
E-Mail: filmfest@frauenrechte.de


Zur Autorin:

Irene Jung ist seit zehn Jahren Leiterin und Organisatorin des Filmfestes FrauenWelten in Tübingen und Rottenburg.


TERRE DES FEMMES
Menschenrechte für die Frau e. V.
Postfach 2565, 72015 Tübingen
Telefon: 07071/79 73-0, Telefax: 07071/79 73-22
E-Mail: info@frauenrechte.de
Internet: www.frauenrechte.de


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 111, 1/2010, S. 22-23
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2010