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HINTERGRUND/123: terre des hommes wird vierzig


die zeitung - terre des hommes, 1. Quartal 2007

terre des hommes wird vierzig

Von Wolf-Christian Ramm


Es waren Bilder des Vietnamkrieges, die Lutz Beisel aufrüttelten und ihm den Schlaf raubten. Am 8. Januar 1967 ließ der gelernte Schriftsetzer gemeinsam mit Gleichgesinnten "terre des hommes Deutschland e.V." ins Stuttgarter Vereinsregister eintragen. Vierzig Jahre sind seitdem vergangen. Aus einer spontanen Aktion zur Rettung kriegsverletzter Kinder, entstand ein entwicklungspolitisches Kinderhilfswerk, das heute in 25 Ländern rund 500 Projekte fördert. Mit dieser Zeitungsausgabe laden wir sie ein zu Rück- und Ausblicken von Menschen, die terre des hommes auf seinem Weg begleitet haben.


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"Handeln im Widerspruch" - so lautete der Titel eines terre des hommes-Buches aus dem Jahr 1985. Gemeint war der Widerspruch zwischen dem Streben nach einer besseren Welt und dem gleichzeitigen Handeln innerhalb der Spielregeln unserer derzeitigen Verhältnisse, die es doch zu überwinden gilt. Auch heute ist dieser Widerspruch aktuell. Bereits die Frage, ob ein "Feiern" eines Gründungsjubiläums angemessen ist, deutet dies an: Schließlich ist es traurig, dass nach wie vor Hilfe für Kinder in Not zu leisten ist. Andererseits kann terre des hommes auf zahlreiche Erfolge zurückblicken.

Dies bringt das Geburtstagsmotto "Viel erreicht - Viel zu tun!" zum Ausdruck: terre des hommes hat Kinder von Ausbeutung, Not und Sklaverei befreit, aus Kriegs- und Krisengebieten gerettet, für ihre Ernährung, Gesundheit und Ausbildung gesorgt oder ihnen ein neues Dach über dem Kopf gegeben. Gemeinsam mit anderen Organisationen hat terre des hommes erreicht, dass der Missbrauch von Kindern durch Deutsche im Ausland vor deutschen Gerichten verfolgt werden kann, das Phänomen des weltweiten Kinderhandels wahrgenommen wird und immer mehr Verbraucher beim Einkauf nach fair gehandelten Produkten fragen. Und doch zeigt ein Blick in die Schlagzeilen, wie weit wir von der terre des hommes, der "Erde der Menschlichkeit" entfernt sind. Die Vision, nach der Kinder frei von Ausbeutung und Not sind, erscheint unrealistisch oder in ferner Zukunft zu liegen.

Und drückt sich in dem "Viel zu tun!" nicht eine grandiose Überschätzung der eigenen Möglichkeiten aus, die nur zu Frustration führen kann? Diese Frage scheint in Bezug auf die deprimierenden Zahlen über das Leid von Kindern berechtigt zu sein. Die Antwort ist dennoch eindeutig: Es gibt kaum etwas Motivierenderes, als mitzuerleben, mit welcher Begeisterung Kinder die Chance ergreifen, zur Schule zu gehen oder eine Ausbildung zu machen, und mit welchem Einsatz Partnerorganisationen von terre des hommes Konkretes leisten: Essen, Spielen und liebevolle Betreuung für die Kleinsten, Lesen, Schreiben und Rechnen oder eine praktische Ausbildung für die Älteren, Unterstützung bei der Selbstorganisation von Jugendlichen, die ihre Ziele, Wünsche und Visionen ohne Bevormundung durch Erwachsene zum Ausdruck bringen wollen.

Wer erlebt hat, mit welchem Engagement sich Menschen in schwierigen Lebensumständen für das Wohl anderer einsetzen, empfindet es als Chance und Privileg, hierzu beitragen zu können. Er würde wünschen, alle Spenderinnen und Spender an der Erfahrung teilhaben zu lassen. Er würde ganz sicher nicht den Kopf hängen lassen, weil auch mit der engagiertesten Projektarbeit immer nur ein kleiner Beitrag zur Verbesserung von Lebensumständen erreicht werden kann.

Vielfach leidet die Darstellung der Erfolge darunter, dass diese keine in Deutschland nachrichtenfähigen Bilder produzieren. Die Unterstützung von terre des hommes bei der Stärkung sozialer Bewegungen in Lateinamerika hat zweifellos mit zum gesellschaftlichen Aufbruch in Bolivien zur Jahreswende 2005/2006 beigetragen. Doch wo sind die Bilder, in denen sich dies vermittelt? Vielleicht verdichten sie sich in der Person von Casimira Rodriguez Romero: Als Vorsitzende der Gewerkschaft der Hausangestellten Boliviens war sie Projektpartnerin von terre des hommes, später wurde sie Boliviens Justizministern.

Politische Erfolge wie dieser geben Hoffnung, dass auch künftig "viel erreicht" werden kann. Die Aufgabe von terre des hommes hierbei ist neben der Projektförderung vor allem die der Motivation zum Handeln. Dies wiederum funktioniert nur innerhalb der Spielregeln der Gesellschaft - ein "Widerspruch" auch noch nach 40 Jahren.


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Quelle:
die zeitung, 1. Quartal 2007, Seite 1
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
Internet: www.tdh.de

die zeitung - terre des hommes erscheint
4 Mal jährlich. Der Verkaufspreis wird durch Spenden
abgegolten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2007