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HINTERGRUND/144: Die EU darf Afrika nicht überrollen!


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2008

Die EU darf Afrika nicht überrollen!
Freihandelsabkommen: Risiken für soziale Entwicklung und Menschenrechte

Von Klaus Schilder


Würden Sie einen Vertrag unterschreiben, ohne Zeit zu haben, seinen Inhalt gründlich zu prüfen? Einen Vertrag, der schwerwiegende Folgen für ihr wirtschaftliches Überleben hat? Einen Vertrag, der das Recht auf Nahrung der armen Menschen ihres Landes gefährdet und ihre Entwicklungsperspektiven verstellt? - Wohl nicht. Genau darauf drängt aber derzeit die Europäische Union in Verhandlungen mit 35 afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP-Länder).


Über viele Jahre hatte die EU ihre ehemaligen Kolonien von Importzöllen befreit. Im Rahmen sogenannter "Wirtschaftspartnerschaftsabkommen" (EPA) sollen zahlreiche dieser Vergünstigungen nun wegfallen. Gleichzeitig sollen die Staaten des Südens aber ihre Märkte öffnen. Dadurch würden die wirtschaftliche Entwicklung und auch der Handel innerhalb der Regionen gefördert, argumentiert die EU. Ein Anreiz, solche Verträge zu unterzeichnen, sind auch Versprechen zusätzlicher Entwicklungshilfegelder. Doch bislang haben sich nur 15 im CARIFORUM zusammengeschlossene Karibikstaaten auf ein umfassendes EPA mit der EU einigen können. Mit 18 afrikanischen Staaten und Ländergruppen sind bislang nur Übergangsvereinbarungen getroffen worden. Zu groß sind nach wie vor die Bedenken der AKP-Staaten.


Im Focus

Tomaten in Ghana

In Ghana sind die Importe von Tomatenpaste zwischen 1998 und 2004 von 3.300 auf 24.740 Tonnen angestiegen, der größte Teil davon aus Europa. Ghanaische Tomatenproduzenten werden von ihren Märkten verdrängt und verlieren ihre Einkommensquelle. Notwendig wären höhere Importbeschränkungen und spezielle Schutzklauseln, doch das neue Freihandelsabkommen verbietet dies für europäische Einfuhren.



Internationale Konzerne begünstigt

Bereits zu Beginn der Verhandlungen im Jahr 2002 kam Kritik von Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und Politikern. Selbst afrikanische Unternehmerverbände äußerten Bedenken. Die von Europa geforderte Abschaffung der meisten Zölle und der freie Zugang ausländischer Anbieter etwa bei staatlichen Ausschreibungen werde die internationalen Konzerne begünstigen, nicht aber die regionale Wirtschaft aufbauen, so die Kritik. Schlimmer noch: Vor allem landwirtschaftliche Exporte der EU in die Region seien subventioniert und würden einheimische Kleinunternehmen und Kleinbauern in Afrika noch stärker als bislang vom Markt drängen, wenn Schutzzölle fielen. Freihandel würde so Armut verschärfen und damit das Menschenrecht auf Nahrung unterhöhlen. Am heftigsten aber setzten sich die AKP-Länder gegen die Öffnung des Dienstleistungssektors, die Liberalisierung für ausländische Investitionen (siehe Kästen) und gegen die Ausdehnung der Regelungen zum Schutz geistigen Eigentums (TRIPs) zur Wehr. Ausländische Unternehmen könnten so mit massiven Investitionen und zeitweisen Niedrigpreisen finanzschwächere lokale Anbieter vom Markt verdrängen, um nachher ihre zentrale Marktstellung zur Erhöhung der Preise ausnutzen zu können.

Grundsätzlich ist der Schutz geistigen Eigentums ein wichtiges Prinzip. Doch selbst in Deutschland zeigt das Beispiel der Kartoffelsorte "Linda", wie das das Patentrecht von Großbetrieben dazu missbraucht wird, den eigenen Absatz zu sichern und dazu führt, das Angebot für Konsumenten zu verringern.


Im Focus

Weiterbildung in Botswana

In Botswana sind Unternehmen verpflichtet, Qualifizierungsmaßnahmen für einheimisches Personal durchzuführen. Dabei sind viele Branchen, so etwa Gastronomie, Bäckereien, Straßen- und Schienenbau oder das Postwesen, vor ausländischen Investoren geschützt, damit kleine und mittelständische Betriebe oder öffentliche Unternehmen nicht einer vernichtenden Konkurrenz ausgesetzt sind. Mit den EPAs wäre dieser Schutz geschwächt, es drohen u.a. Monopolisierung, Verdrängung von heimischen Anbietern und der massive Verlust von Arbeitsplätzen.



Schwache Verhandlungsposition

Weil die EU sich mit den regionalen Wirtschaftsblöcken in Afrika nicht auf solch weitreichende Abkommen einigen konnte, setzt sie nun verstärkt auf Einzel- oder Teilabkommen, die sich stark unterscheiden. Dies aber widerspricht dem erklärten Ziel der EPAs zur Förderung der regionalen Wirtschaftsintegration. Und die ärmeren Länder mit der schwächeren Verhandlungsposition erzielten die schlechtesten Ergebnisse: So muss die Elfenbeinküste bis 2012 bereits 60 Prozent ihrer gesamten Zolltarife auf EU-Importe abschaffen, während Kenia erst zwei Jahre später mit den ersten Zolltarifsenkungen beginnt.

Viele AKP-Staaten beklagen auch, dass die ihnen zugestandenen Klauseln zum Schutz des einheimischen Gewerbes unzureichend sind. Und es ist aus ihrer Sicht entwicklungspolitisch kontraproduktiv, dass einmal gesenkte bzw. gänzlich abgeschaffte Zölle nicht wieder erhöht oder neu erhoben werden dürfen. Zum Beispiel, um die Nahrungsmittelsmittelproduktion im Land zu sichern, wenn Importeure Nahrungsmittel aus Übersee zu Dumpingpreisen anbieten, um den lokalen Markt zu erobern. Hinzu kommt, dass einige Länder, darunter Mosambik und die Elfenbeinküste, schon bald auf Zolleinnahmen verzichten müssten, die derzeit einen großen Anteil der Staatseinnahmen ausmachen. Gerade Sozialausgaben würden sinken - mit gravierenden Konsequenzen etwa für die Schul- und Gesundheitsversorgung der Kinder.

Mögliche Vorteile eines freieren Handels für die eigenen Exporte nach Europa könnten von den AKP-Staaten jedoch nicht ausreichend ausgeschöpft werden. Die EU verfügt über einen umfassenden Katalog von Qualitätsvorschriften für Produkte, die in vielen Fällen einem Importverbot gleich kommen - von den Inhaltsstoffen des Naturprodukts Palmöl bis hin zu hygienischen und gesundheitlichen Standards bei gerösteten Cashewnüssen. Und kaum ein afrikanischer Staat verfügt über die nötigen Kontrollbehörden.


Im Focus

Dienstleistungshandel mit der Karibik

Besonders gegenüber den Karibikstaaten konnte sich die EU mit ihren Forderungen nach einer weitgehenden Öffnung der Dienstleistungsmärkte durchsetzen. Zwar werden internationale Umwelt- und Arbeitsrechtsstandards anerkannt, die Karibikstaaten werden aber verpflichtet, bis zu 75 Prozent ihrer Märkte für die überlegene europäische Konkurrenz zu öffnen. Dies kommt insbesondere europäischen Touristikunternehmen, der Finanzdienstleistungs- und der Seefrachtbranche zugute. Den Wünschen der Karibikstaaten, den europäischen Arbeitsmarkt zu öffnen, wurde aber kaum entsprochen. So dürften EU-Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitskräfte aus der Region nur für wenige hochqualifiziente Berufe entfallen, darunter Rechtsanwälte, Küchenchefs und Mannequins. Der Mehrzahl der Arbeitssuchenden bleibt der EU-Markt verschlossen.



EU setzt Ihre Interessen durch

Umgekehrt hat sich die EU selbst in den Übergangsabkommen aber kaum festgelegt: Etwa auf die Erlaubnis, den Handel mit gefährlichen Pestiziden zu unterbinden oder ihre eigenen Grenzen für wichtige Exportprodukte zu öffnen. Auch fehlen verbindliche Zusagen zur sofortigen Streichung der EU-Subventionen. So bleibt unter dem Strich der Eindruck, dass die EU gegenüber den AKP-Staaten einseitig ihre Handelsinteressen durchgesetzt hat. Und dies entgegen dem im sogenannten Cotonou-Abkommen gemeinsam formulierten Anspruch, die regionale Entwicklung und Integration in den Partnerländern zu fördern.

Vor dem Hintergrund der globalen Ernährungs- und Energiekrise fordern vor allem NichtregierungsOrganisationen in Afrika und der EU deshalb, dass EPAS nicht zur Verschärfung von Armut und Ungleichheit führen dürfen, sondern zur Förderung eines selbstbestimmten Entwicklungsprozesses beitragen müssen. Dies ist Ziel der internationalen StopEPA-Kampagne, an der sich auch terre des hommes mit seinen Arbeitsgruppen beteiligt.


Klaus Schilder ist Referent Entwicklungspolitik bei terre des hommes

Weitere Informationen finden Sie unter:
www.stopepa.de


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Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2008, S. 3
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2009