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HINTERGRUND/160: Der Gipfel der Armut


die zeitung - terre des hommes, 3. Quartal 2010

Der Gipfel der Armut
Ehrgeizige Entwicklungsziele drohen zu scheitern

von Michael Heuer


Mehr als eine Milliarde Menschen müssen hungern. Jeden Tag sterben 24.000 Kinder unter fünf Jahren an den Folgen von Hunger, Krankheit und mangelnder Gesundheitsversorgung, das sind fast 8,8 Millionen Kinder pro Jahr. Allein durch Impfungen könnte die Zahl der Opfer jährlich um 2,5 Millionen verringert werden.

Genau zehn Jahre ist es her, seit die Staats- und Regierungschefs auf dem Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Hunger und Armut in der Welt verabschiedeten. Die reichen Staaten bestätigten darin ihre Absicht, die Mittel für Entwicklungshilfe langfristig auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen. Ziel der sogenannten Millenniumsziele ist es, bis zum Jahr 2015 den Anteil der in Armut lebenden Menschen zu halbieren, den Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Nahrung deutlich zu verbessern. Ferner soll die Kindersterblichkeit um zwei Drittel gesenkt werden. Außerdem ist beabsichtigt, Handelshindernisse abzubauen.

Im September 2010 werden sich die Regierungschefs erneut in New York treffen, um nach Ablauf von zwei Dritteln der Zeit bis 2015 eine Zwischenbilanz zu ziehen. Sie kann aus heutiger Sicht nur ernüchternd ausfallen. Sieht man von wenigen Ländern wie Dänemark und Schweden ab, die den Anteil ihrer Entwicklungshilfe bereits jetzt auf die Zielmarke von 0,7 Prozent erhöht haben, erreicht die internationale Gemeinschaft nicht annähernd dieses Ziel. Im Gegenteil: Italien will seine Mittel um 50 Prozent kürzen, Irland hat die Streichung von 100 Millionen Euro angekündigt. Andere Länder wollen folgen. Auch der Anteil Deutschlands ist auf nur noch 0,35 Prozent des Bruttonationaleinkommens gesunken. Eingerechnet in diese Summe werden zudem auch noch Schuldenerlasse, Studienplatzkosten für ausländische Studenten sowie Teile der Zahlungen für Asylbewerber. Eine weitere Absenkung des Beitrages ist wahrscheinlich. So hat das Bundesfinanzministerium bereits mit Hinweis auf Haushaltsprobleme deutlich gemacht, dass man den versprochenen Verpflichtungen bis 2015 nicht nachkommen könne.

Dabei zeigen internationale Berechnungen, wie wichtig die versprochenen Mittel sind. Denn die Zahl der Hungernden ist in den letzten drei Jahren wieder deutlich angestiegen, und die Weltbank rechnet damit, dass allein in Folge der Wirtschaftskrise 1,2 Millionen Kinder mehr sterben werden und sich die Anzahl der in Armut lebenden Menschen bis 2015 gar um weitere 55 Millionen erhöhen könnte.

Doch anstatt die in der Millenniumserklärung auch geforderte Entwicklungspartnerschaft mit den armen Ländern mit Leben zu füllen und beispielsweise ein gerechtes Handelssystem mit fairem Markzugang auch für Entwicklungsländer zu ermöglichen und ihnen den Marktzugang in die Europäische Union zu erleichtern, zahlt Brüssel weiterhin Exportsubventionen und verbessert so einseitig die Handelsbedingungen der reichen EU-Länder auf Kosten der Bauern in Afrika, die von konkurrenzlos billigen, weil subventionierten EU-Produkten überschwemmt werden. Umgekehrt wird von Entwicklungsländern die vorbehaltlose Öffnung ihrer Märkte gefordert. Was ist daran eine Entwicklungspartnerschaft?

Um diesen negativen Trend bei der Verwirklichung der Millenniumsziele zu stoppen und wenn möglich das Ruder noch herumzureißen, fordert terre des hommes gemeinsam mit vielen anderen Nichtregierungsorganisationen die Bundesregierung auf, sich beim geplanten Gipfel im September für einen Aktionsplan starkzumachen, der alle Länder verbindlich auf die Einhaltung ihrer Zusagen festlegt.


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Quelle:
die zeitung, 3. Quartal 2010, S. 2
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2010