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HINTERGRUND/170: terre des hommes-Ernährungsexperte Frank Garbers im Interview


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2010

Teller in den Tank
terre des hommes-Ernährungsexperte Frank Garbers im Interview


FRAGE: Wie hängen Ernährung und Gesundheit zusammen?

Frank Garbers: Unterernährung im frühen Kindesalter hat bei Kindern gravierende Auswirkungen auf die Entwicklung ihrer körperlichen und intellektuellen Fähigkeiten. Wie der aktuelle Welthunger-Index 2010 zeigt, sind die ersten 1.000 Tage im Leben eines Kleinkindes für sein weiteres Leben entscheidend, denn in dieser Zeit, d.h. bis kurz nach der Vollendung des zweiten Lebensjahres, hat es den größten Bedarf an ausreichender und gesunder Nahrung. Ist das Kind in dieser Zeit unterernährt, sind die Folgen kaum noch rückgängig zu machen. Es wird damit jeglicher Zukunftschancen beraubt.

FRAGE: Hat sich die Zahl der Hungernden weltweit gemäß den Millenniumsentwicklungszielen deutlich reduziert?

Frank Garbers: Im Gegenteil - 2009 lag die Zahl der Hungernden mit rund einer Milliarde Menschen auf einem historischen Höchststand, 2010 wird sie leicht auf 925 Millionen sinken, davon rund 200 Millionen Kinder unter fünf Jahren. Das bedeutet: Etwa jeder siebte Mensch hat nicht ausreichend zu essen. Und die Schwächsten, die Kleinkinder, sind dieser Bedrohung besonders hilflos ausgeliefert. Das dürfen wir nicht hinnehmen!

FRAGE: Was sind die Ursachen für Unterernährung auf der Welt?

Frank Garbers: Das Hungerproblem hat verschiedene Ursachen. Einen Zusammenhang sollte man genauer betrachten: Wer produziert Nahrungsmittel für wen, und wer hungert? Dann stellt man fest, dass absurderweise gerade diejenigen Menschen, die auf dem Land leben - vor allem Kleinbauern - das höchste Risiko tragen. Denn die Politik der letzten 20, 25 Jahre war darauf ausgerichtet die Exportproduktion der Agrarindustrie zu stärken. Während im Süden Zollschranken abgebaut wurden, erhöhte der Norden seine Agrarsubventionen. Das Resultat war eine Politik der Zerstörung lokaler Märkte und damit eine erhebliche Schwächung der Ernährungssouveränität vieler Länder des Südens.

FRAGE: Wie kann man Hunger und Unterernährung entgegenwirken?

Frank Garbers: Da sollte man unterscheiden: Wo Menschen aufgrund von Katastrophen hungern, muss man Nahrungsmittel zur Verfügung stellen. Wenn man strukturell etwas verändern will, muss man vor allem die Kleinbauern stärken, die Nahrungsmittel für den Eigenbedarf und die lokalen Märkte produzieren.

FRAGE: Das Bestreben, Ernährungssicherheit in den Ländern des Südens herzustellen, ist ein Ur-Ansatz der Entwicklungspolitik. Gab es in den letzten Jahren neue Entwicklungen?

Frank Garbers: Eine Entwicklung der letzten Jahre ist besonders erwähnenswert, nämlich die Frage der Agrartreibstoffe, und ob wir für die Energieversorgung der Zukunft die Nahrungsmittelproduktion von heute beschneiden. Das ist ein ganz gefährliches Terrain: Es hat sich gezeigt, dass sich durch den Boom von Agrartreibstoffen viele Ressourcen verteuert haben, mit denen Nahrungsmittel produziert werden: Land, Düngemittel, Pestizide. Um Soja und Palmöl auf riesigen Plantagen für den Export anzubauen, werden häufig Kleinbauern vertrieben oder ihnen wird das Land weggenommen. Statt Nahrungsmittel wird der Rohstoff für Agrartreibstoff angebaut.
Damit sind auch die Nahrungsmittelpreise gestiegen - und ein Anstieg von Nahrungsmittelpreisen bedeutet gleichzeitig auch einen Anstieg von Hunger. Vor zwei Jahren äußerten sich unter dem Motto »Teller in den Tank« viele Experten und Organisationen - hier wie in Entwicklungsländern - sehr explizit dazu, wo die Grenzen liegen: Ernährungssicherheit muss Vorrang haben vor der Produktion von Agrartreibstoffen.

Das Interview führte Sabrina Gaisbauer
presse@tdh.de


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Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2010, S. 5
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2010