Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → TERRE DES HOMMES

HINTERGRUND/179: WeltRisikoBericht 2011 - Vom Naturereignis zur Katastrophe


die zeitung - terre des hommes, 3. Quartal 2011

Vom Naturereignis zur Katastrophe
Das »Bündnis Entwicklung Hilft« legt den WeltRisikoBericht 2011 vor

von Wolf-Christian Ramm


Im Januar 2010 fielen in Haiti dem Erdbeben der Stärke 7,0 mehr als 220.000 Menschen zum Opfer. Durch das stärkere Beben in Chile im Monat darauf oder das Tsunami-Beben in Japan im März 2011 kamen hingegen deutlich weniger Menschen zu Tode. Welche Faktoren sind es, die bestimmen, ob eine Katastrophe eintritt und wie stark sie ausfällt? Dieser Frage geht der WeltRisikoBericht 2011 nach.


Ob ein extremes Naturereignis zu einer Katastrophe wird, hängt wesentlich von den im Land herrschenden sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen ab - diese Erkenntnis ist wenig überraschend. Entscheidend dabei ist die »Vulnerabilität«, also die Verwundbarkeit der einzelnen Länder: Wie hoch ist ihre objektive Gefährdung, inwieweit sind sie auf ein Katastrophenereignis vorbereitet, wie sind ihre Möglichkeiten zur Bewältigung der Folgen der Katastrophe; wie gut sind sie auf zukünftige Katastrophen vorbereitet? Hierzu hat Mitte Juni das Bündnis Entwicklung Hilft, ein Zusammenschluss der fünf Mitgliedsorganisationen Brot für die Welt, Misereor, medico international, terre des hommes und Welthungerhilfe, den ersten Weltrisikobericht vorgelegt. Im Auftrag des Bündnis Entwicklung Hilft berechnete die United Nations University in Bonn für alle Länder der Welt die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Katastrophe im Zusammenspiel mit den vorherrschenden sozialen Strukturen. So hat der südpazifische Inselstaat Vanuatu, ein Opfer von Klimawandel und dadurch bedingtem Meeresspiegel-Anstieg, das höchste Risiko für eine Katastrophe; in Malta und Katar ist dieses Risiko am geringsten. Auch die Niederlande sind relativ hohen Gefährdungen ausgesetzt, stehen jedoch aufgrund ihrer sozialen und ökonomischen Lage und damit ihrer Vorsorge- und Bewältigungskapazitäten, vergleichsweise gut da.


Qualität der Infrastruktur und Nahrungsversorgung

Der Wert dieses Weltrisikoindexes liegt in der Analyse des komplexen Zusammenwirkens zwischen objektiven Naturereignissen und den sozialen und politischen Umständen, die in den von den Naturereignissen betroffenen Ländern herrschen. Seinen Schwerpunkt legt der Index neben der Eintrittswahrscheinlichkeit einer Katastrophe im Wesentlichen auf drei Fragen: Welche Qualität haben Infrastruktur, Nahrungsversorgung, Wohnsituation und Wirtschaftslage? Sind Regierung und Behörden korrupt, gibt es Frühwarnsysteme, eine soziale und materielle Absicherung und schnelle medizinische Erstversorgung? Und schließlich: Existiert ein Bildungs- und Forschungssystem, das kommende Naturereignisse in den Blick nimmt und unter Beteiligung der Bevölkerung an Lösungen arbeitet?

Mit dem Weltrisikobericht lenkt das Bündnis Entwicklung Hilft den Blick von der kurzfristigen Betrachtung von Katastrophen auf die Bedeutung der Vorbeugung. Anstatt Hilfe immer erst dann zu leisten, wenn die Katastrophe schon eingetreten ist, wollen die Bündnis-Mitgliedsorganisationen die Bedeutung der Katastrophenprävention betonen, die sie gemeinsam mit ihren Partnern in ihrer Projektarbeit fördern: Anpassung an den weltweiten Klimawandel, die Förderung von Bildung und Gesundheit in den Partnerländern, der Einsatz für benachteiligte Bevölkerungsgruppen, die in Katastrophen in der Regel doppelt betroffen sind - als Opfer der Katastrophe, aber auch als Opfer von Diskriminierung nach der Katastrophe, wenn ihnen Hilfe vorenthalten wird oder nur mit deutlicher Verzögerung zugute kommt. Der Bericht macht deutlich, dass entwicklungspolitische Weichenstellungen in hohem Maße darüber entscheiden, ob Naturereignisse katastrophale Konsequenzen haben. In Ländern, in denen Naturkatastrophen mit einer »katastrophalen Politik« zusammenfallen, ist dies in aller Regel der Fall. Dort hingegen, wo Regierungen ihre Verantwortung für alle Teile der Bevölkerung wahrnehmen und - oft im Zusammenspiel mit Nichtregierungsorganisationen - Vorsorge und Anpassungsmaßnahmen einleiten, verursachen Katastrophen gleicher Größenordnung in aller Regel deutlich weniger Opfer und menschliches Leid.


Klimawandel als globale Herausforderung

Der Wert des Weltrisikoberichtes liegt in seinem umfassenderen Verständnis des Begriffs »Risiko«. Er erlaubt Schlussfolgerungen zu systemischen Risiken wie dem herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell und bezieht globale Herausforderungen wie den Klimawandel und seine Konsequenzen ein. Katastrophen sind nicht vermeidbar, so das Resümee, weil die Natur nicht beherrschbar ist, aber die Auswirkungen von Katastrophen sind Ergebnis politischer Verhältnisse und Spiegelbild der internen Verhältnisse in den Ländern vor Eintritt der Katastrophe.

Damit unterstreicht der Weltrisikobericht die Grundüberzeugung der Mitglieder des Bündnis Entwicklung Hilft: Die Investition in Bildung und Gesundheit, aber auch die politische Arbeit gegen Korruption und für gute Regierungsführung sind Beiträge zur Katastrophenprävention. Es gilt, diese Programme weiter zu stärken und die einheimische Bevölkerung über lokale Projektpartner vor Ort eng in diese Arbeit einzubinden.


Wolf-Christian Ramm
(c.ramm@tdh.de)


Länder, die das höchste Risiko aufweisen

Land
WeltRisikoIndex (%)
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.

133.
150.
Vanuatu
Tonga
Philippinen
Salomonen
Guatemala
Bangladesh
Timor-Leste
Costa Rica
Kambodscha
El Salvador
Nicaragua
Papua-Neuguinea
Madagaskar
Brunei Darussalam
Afghanistan
...
USA
Deutschland
32,00        
29,08        
24,32        
23,51        
20,88        
17,45        
17,45        
16,74        
16,58        
16,49        
15,74        
15,45        
14,46        
14,08        
14,06        
3,72        
2,96        

Der vollständige Bericht unter
www.tdh.de/risikobericht


*


Quelle:
die zeitung, 3. Quartal 2011, S. 3
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
Internet: www.tdh.de

die zeitung - terre des hommes erscheint 4 Mal jährlich.
Der Verkaufspreis wird durch Spenden abgegolten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2011