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LÄNDERBERICHT/069: Dauernotstand in Kolumbien


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2008

Dauernotstand in Kolumbien
60 Jahre Menschenrechtserklärung: Anspruch und Wirklichkeit

Von Peter Strack


Die von der FARC-Guerilla entführte Politikerin Ingrid Betancourt wird befreit. Der für die Vertreibung Tausender Kleinbauern verantwortliche General Rito Alejo del Rio verhaftet. Der Konzern Del Monte kündigt Verträge mit Besitzern von Plantagen, die heute auf dem Land der vertriebenen Bauern Bananen anbauen. Zahlreiche Paramilitärs und mit ihnen verbündete hochrangige Politiker der Regierungsparteien, darunter 63 Parlamentsabgeordnete, stehen unter Anklage - 60 Jahre nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte kommen gute Nachrichten aus Kolumbien.

Dennoch wird sich der ab dem 10. Dezember tagende Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen voraussichtlich kritisch äußern: Entgegen den Bestimmungen des humanitären Völkerrechts gaben sich kolumbianische Soldaten bei der Befreiung Betancourts als Mitarbeiter des Roten Kreuzes aus. Das untergräbt die Glaubwürdigkeit humanitärer Organisationen und erschwert künftige Missionen für die Befreiung der 1.500 verbliebenen Geiseln. Und zeitgleich mit der Verhaftung des Generals Rito Alejo del Rio nahmen die Todesdrohungen gegen Menschenrechtler der terre des hommes-Partnerorganisation Justicia y Paz zu. Die hatten die Opfer des Generals seit ihrer Vertreibung begleitet. Autoren der Drohungen sind die paramilitärischen "Schwarzen Adler". 9.000 Paramilitärs sind heute in 25 der 32 Provinzen Kolumbiens aktiv. Kolumbianische Nichtregierungsorganisationen sprechen von "nach wie vor schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen". Die meisten würden unter Beteiligung oder Duldung des Staates verübt. Besorgniserregend etwa die Zunahme willkürlicher Erschießungen durch Sicherheitskräfte. Oder: 31 Gewerkschafter wurden im ersten Halbjahr 2008 ermordet und erneut über 270.000 Menschen vertrieben, jeweils über 40 Prozent mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Viele Menschen fliehen, um ihre Kinder vor Zwangsrekrutierung für illegale bewaffnete Gruppen, insbesondere die militärisch geschwächte Guerilla, zu schützen. Die meisten dieser Kinder werden bei Aufklärung und Wachdiensten, beim Auslegen von Landminen wie auch Kampfhandlungen eingesetzt. Mädchen werden vielerorts zu sexuellen Diensten gezwungen.

Auch der Staat trägt Verantwortung: Bei der offiziellen Demobilisierung paramilitärischer Gruppen wurden statt mehrerer Tausend Kinder nur wenige Hundert an die staatlichen Reintegrationsprogramme übergeben. So können die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Und viele Jugendliche lassen sich erneut rekrutieren. Immer wieder werden auch Fälle bekannt, wo das kolumbianische Militär selbst Kinder einsetzt. Wo jedoch Grundprinzipien des Völkerrechts politischem oder militärischem Opportunismus weichen müssen, bleibt die Freude über die guten Nachrichten begrenzt.


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Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2008, S. 2
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2009