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LÄNDERBERICHT/076: Sicherheit für wen? Die Situation in Kolumbien nach den Wahlen


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2010

Sicherheit für wen?
Kolumbien: Die Situation nach den Wahlen

Von Davide Bocchi


Am 7. August endete die Präsidentschaft von Álvaro Uribe. Sie war die längste, die Kolumbien je erlebt hat. Viele betrachten ihre Kernelemente der »Demokratischen Sicherheit«, der Investitionsanreize und begleitenden Sozialprogramme als sehr erfolgreich. Für andere war es ein autoritäres Regime mit schweren Menschenrechtsverletzungen. Die Politik der »Demokratischen Sicherheit« führte zu einem Rückgang der erfassten Gewaltdelikte. Mehr als 30.000 Kämpfer der Paramilitärs oder der Guerilla gaben ihre Waffen ab. Auch der Kokaanbau wurde reduziert. Doch die Regierung schaffte es nicht, die Gewalt in den Randvierteln der großen Städte einzudämmen. Auch die paramilitärischen Gruppen bestehen teilweise fort. Es gibt etwa 300.000 Opfer politisch motivierter und krimineller Gewalt, denen keinerlei Unterstützung zuteil wird. Auch die Situation der 3,5 Millionen Binnenvertriebenen wurde nicht verbessert. Und das Militär begeht nach wie vor Verbrechen, die von der Justiz nachgewiesen wurden. Beispielsweise ermordeten Soldaten, um Erfolgsmeldungen vorzuweisen, unschuldige Jugendliche und behaupteten anschließend, sie seien Guerilleros gewesen. Andererseits brach die Politik Uribes mit der Justiz; der Geheimdienst hörte illegal Richter, Oppositionspolitiker, Journalisten und Nichtregierungsorganisationen ab und fälschte »Beweismaterial«, um sie zu diskreditieren. Minister wurden wegen Stimmenkaufs für die Wiederwahl Uribes verurteilt.

Zwar fand diese Politik das Vertrauen der Investoren und führte zu mehr Kapitalzufluss aus dem Ausland und einem satten Wirtschaftswachstum. Die Arbeitslosigkeit konnte damit aber nicht reduziert werden; sie liegt bei zwölf Prozent. Auch die staatlichen Fürsorgeprogramme haben weder die Armut noch die soziale Ungleichheit entscheidend verringert.

Der neue Präsident Juan Manuel Santos kündigte Veränderungen an: »Während Uribes Reformen auf das Finanzsystem und die Sicherheit im Sinne eines konservativen Staatsmodells fokussiert waren, zielen die von Santos im liberalen Sinne auf die Stärkung der demokratischen Institutionen und Verteilungsprozesse«, heißt es in der Zeitschrift »Semana«. Für viele ist die Politik Santos' jedoch die Fortsetzung derjenigen Uribes. Schließlich hat Santos als Uribes Verteidigungsminister die Strategie der »Integrierten Aktion« entwickelt. Die Idee dahinter: Die Zivilbevölkerung, staatliche soziale Einrichtungen und die Entwicklungshilfe sollen in militärische Aktionen eingebunden werden. Am stärksten wird diese Politik in der Region Macarena im östlichen Tiefland vorangetrieben. Die USA und die Niederlande stützen diese Strategie mit Entwicklungshilfegeldern. Auch die deutsche Regierung, die Uribes Politik in den letzten Jahren unterstützt hat, ist interessiert. Organisationen wie terre des hommes bewerten diese Entwicklung als sehr kritisch: Das Prinzip der Trennung von zivil und militärisch wird praktisch aufgehoben. Und für Zivilisten und Mitarbeiter ziviler Organisation wächst die Gefahr, dass sie in Konfliktregionen zu militärischen Zielen werden.


Davide Bocchi ist Koordinator des Netzwerks internationaler Entwicklungsorganisationen in Kolumbien PODEC, dem auch terre des hommes angehört.


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Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2010, S. 2
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2010