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PROJEKT/214: Nicaragua - Frauen kämpfen für das Recht auf Selbstbestimmung


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2010

Keine Wahl
Nicaragua: Frauen kämpfen für das Recht auf Selbstbestimmung

Von Stefan Schneider


Es war ein Kuhhandel, den die damals noch oppositionelle sandinistische Partei vor der Wahl 2006 mit der katholischen Kirche abschloss: Ein Gesetz gegen Schwangerschaftsabbruch als Gegenleistung für die Unterstützung der Kirche während des Wahlkampfs. Denn, so dachte die ehemalige Revolutionspartei, ohne die mächtige katholische Kirche in Nicaragua wäre ein Machtwechsel nicht möglich. Und so ist seit Oktober 2006 in Nicaragua ein Gesetz in Kraft, das den therapeutischen Schwangerschaftsabbruch, d. h. wenn die Gesundheit der Mutter gefährdet ist, verbietet. Dieses Gesetz verletzt das Selbstbestimmungsrecht der Frauen, zudem wird die physische und psychische Gesundheit vieler Frauen aufs Spiel gesetzt.

Die terre des hommes-Partnerorganisation »8 de Marzo« wendet sich gegen das Gesetz. »Im Wahlkampf wurde die Unwissenheit der nicaraguanischen Bevölkerung schamlos ausgenutzt: Ein therapeutischer Schwangerschaftsabbruch wurde mit einem selbst gewollten gleichgesetzt«, erklärt Sandra Arceda von »8 de Marzo« das Zustandekommen des Gesetzes. »Das Gesetz verstößt nicht nur gegen internationale Menschenrechte. Es steht auch im direkten Widerspruch zu dem Recht auf Leben und dem Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit, die in der nicaraguanischen Verfassung festgeschrieben sind«, ergänzt Mirna Blandón von der Organisation »Movimiento Feminista Nicaragua« den verfassungswidrigen Kern des Gesetzes. Das »Movimiento« und »8 de Marzo« arbeiten wie viele weitere Frauenrechtsorganisationen daran, das Gesetz zu kippen.


Keine Abtreibung erlaubt

Seit das Gesetzt verabschiedet wurde, darf kein Arzt eine Abtreibung vornehmen. Dabei ist es egal, ob das Leben der schwangeren Frau gefährdet ist. Es spielt auch keine Rolle, ob die Schwangere ein Mädchen von 13 Jahren ist, HIV-positiv ist oder eine andere schwerwiegende Erkrankung hat oder ob die Schwangerschaft durch Vergewaltigung verursacht wurde. In Nicaragua lassen dennoch viele Frauen Abtreibungen vornehmen - sie werden jetzt aus den Krankenhäusern in die Illegalität gedrängt. Auf Kosten ihrer Gesundheit legen sie ihr Schicksal in die Hände nichtausgebildeter »Engelmacher«, die oft unter schlechten hygienischen Bedingungen arbeiten.


Beratung und Beistand

»8 de Marzo« berät Frauen, die dennoch abgetrieben haben und mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Frauen können hier rechtliche, medizinische sowie emotionale Unterstützung in Anspruch nehmen. Besonders wichtig ist die Aufklärung: »Wir veranstalten Workshops, in denen wir Mädchen und Frauen aus armen Verhältnissen über ihre Rechte als Frau, beispielsweise zu Gesundheit und Sexualität, aufklären«, erklärt Sandra Arceda die Strategie von »8 de Marzo«. »Diese Aufklärungsarbeit soll dazu beitragen, die patriarchale, Frauen unterdrückende Kultur zu verändern. Die Rolle der Frau soll so gestärkt werden, dass es zu weniger Misshandlungen und Vergewaltigungen kommt.« Damit mehr Frauen erreicht werden, bekommen alle Teilnehmerinnen der Workshops den »Auftrag«, in ihren Familien und ihrem direkten Umfeld ihre Kenntnisse weiterzugeben. Sandra Arceda drückt es so aus: »Jede einzelne muss sich für einen gesellschaftlichen Wandel im Rollenverhältnis zwischen Frau und Mann einsetzen. Und Frauen, die sich ihrer Rechte bewusst sind, werden sich bei der nächsten Wahl gut überlegen, welcher Partei sie ihr Kreuz geben.«

Stefan Schneider
(presse@tdh.de)

terre des hommes unterstützt »8 de Marzo« mit 37.000 Euro.


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Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2010, S. 6
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2011