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BERICHT/003: Günter Wallraff in Leipzig - Premiere des Films "Schwarz auf Weiß" (SB)



Nachlese zur Debatte um Rassismus gegen Schwarze in Deutschland

Foto: © 2009 by Schattenblick
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Ob der neue Film von Günter Wallraff "Schwarz auf Weiß", der im Oktober 2009 in die Kinos kam, eher das Problem des Rassismus in Deutschland, das eigentlich sein Thema ist, oder eher den Autoren selbst, der als einer der Erfinder des investigativen Journalismus in der Bundesrepublik gilt und sich seit über 40 Jahren die Aufdeckung sozialer Mißstände vorwiegend in der Arbeitswelt zu Beruf und Berufung gemacht hat, in den Focus medialen Interesses gerückt hat, wurde in der Kontroverse um Wallraffs neuerliches Rollenspiel ausführlich diskutiert.

Im ZEIT-Magazin (17.12.2009) macht der Autor des Buches "Aus der schönen neuen Welt - Expeditionen ins Landesinnere" in einem Gespräch zum Film mit der Moderatorin Carol Campbell, Gründungsmitglied und Erste Vorsitzende des Vereins SFD - Schwarze Filmschaffende in Deutschland, die die Bezeichnung Schwarz nicht für "eine optische Beschreibung", sondern "für eine gesellschaftspolitische Kategorie" hält, und dem Soziologen Yonas Endrias von der Internationalen Liga für Menschenrechte, für den Rassismus "kein Problem einer kleinen, bösen Minderheit, sondern der Gesamtgesellschaft" ist, die Medien für solche Art der Schwerpunktverschiebung verantwortlich: "Bestimmte Medienvertreter prügeln den Boten, um seine Botschaft nicht an sich ranzulassen."

Der Vorwurf, sich selbst auf Kosten, wenn nicht gar zu Lasten Diskriminierter ins Rampenlicht zu setzen, ohne unmittelbar betroffen zu sein, träfe, wenn, sicherlich auch Persönlichkeiten wie Rüdiger Nehberg, der sich für die Abschaffung des grausamen Beschneidungsrituals an Mädchen in Afrika einsetzt sowie zahllose Vertreter von NGOs, deren zweifelhafte Konkurrenz um die Pfründe sozial hochdotierter Arbeitsplätze nicht zuletzt im Zusammenhang mit den Völkermorden in Ruanda ruchbar geworden ist.

"Es kann die Befreiung der Arbeiter nur die Sache der Arbeiter sein", schrieb Bertolt Brecht bereits 1934 in seinem Einheitsfrontlied. Und auch Schwarzenvertreter verweisen darauf, daß man zur Besserung der Lage der Schwarzen in Deutschland der Hilfe durch Weiße weder bedürfe noch diese hilfreich sei. Sie schreibe eher den kolonialen Charakter des Verhältnisses von Weiß zu Schwarz fort.

Aber worum ging es Wallraff? Ging es ihm nicht gerade darum, als Weißer "in disguise" seinen eigenen Leuten den Spiegel vorzuhalten? Der Film, so Wallraff selbst, sei für Weiße gemacht, obwohl immer auch Schwarze zu seinen Zuschauern zählten.

Foto: © 2009 by Schattenblick
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Rassismus ist in deutschen Medien nach wie vor kein oder nur ein sehr marginales Thema. Klagen darüber gibt es kaum. Seminarangebote zum Thema "Alltagsrassismus in den Medien", wie im März diesen Jahres im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus in Leipzig, sind ein Indikator, wie unterbelichtet das Gespür und der Umgang mit diesem brisanten Thema ist. Gerade in Deutschland herrsche ein Bewußtsein vor, so Endrias, der Rassismus sei mit dem Ende des NS-Regimes kein Thema von Relevanz mehr.

Um so mehr widerlegt Wallraffs Engagement den Vorwurf des unter dem Mantel antirassistischen Engagements reproduzierten Kolonialismus. Die schlechten Erfahrungen, die Migrantinnen und Migranten in der Bundesrepublik täglich machen, werden kaum zum Thema einer offensichtlich in großen Teilen unaufgeklärten Öffentlichkeit, weil die Bereitschaft, sich den Problemen anderer, als fremd empfundener Menschen zu widmen, nicht erst in Zeiten der Wirtschaftskrise kaum vorhanden ist. Der Trugschluß, an den eigenen Problemen seien die anderen schuld, weil sie fremd seien und nicht hierher gehörten, weil sie keine Verantwortung für ihr Schicksal übernähmen und widrigen Obsessionen frönten, ist dem Rassismus nicht nur immanent, sondern Vitalfaktor seiner Ausbreitung in den noch wohlhabenden Metropolenregionen Westeuropas. Das Schicksal der vielen Flüchtlinge, die bei dem Versuch, in die EU einzureisen, im Mittelmeer ertrinken oder unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagerhaft gehalten werden, wird ignoriert, weil die Betroffenen zu denen zählen, die man im reichen Westen ohnehin aufgegeben hat. Wen interessiert hierzulande die Geschichte der zahllosen Menschen, die täglich verhungern? Wer wollte sich gar eingestehen, daß es einen konkreten Zusammenhang zwischen dem eigenen Wohlergehen und ihrer Not gibt?

Der mit der Durchsetzung der neoliberalen Wirtschaftsdoktrin verschärfte Konkurrenzkampf hat Kategorien der Mißachtung und Ausgrenzung etabliert, von denen Menschen, die schwarz und arm sind, in doppelter Weise betroffen sind. Auch wenn Wallraff einen zweifellos medienaffinen Maskentanz vollzieht, macht er sich dennoch nicht des von Endrias erhobenen Vorwurfs schuldig, auf exploitative Weise an die Tradition des Blackface der Minstrel Shows in den USA anzuknüpfen. Die von weißen, mit Schminke und Perücke als Schwarze ausstaffierten Schauspielern präsentierten Klischees hatten nur den einen Zweck, die rassistischen Auffassungen des weißen Publikums auf erheiternde Weise zu verfestigen. Schwarze wurden auf Rollen festgelegt, die ihnen von Weißen aufoktroyiert wurden und denen sie als Sklaven wie als nach der offiziellen Beendigung der Sklaverei weiterhin entrechtete und dazu meist ökonomisch unterprivilegierte US-Bürger entsprachen. Was Endrias und anderen Kritikern Wallraffs offensichtlich Unbehagen bereitet, ist das mitunter gewollt unbeholfen und provokant wirkende Auftreten des Darstellers, der sich auch noch in Situationen begibt, die geradezu auf eine Konfrontation angelegt zu sein scheinen. Wo Endrias aus "sozialer Kompetenz" Grenzen zur Nähe fremder Menschen zieht, dringt Wallraff gezielt in Zonen des üblicherweise gewahrten Abstands ein und nötigt die davon Betroffenen, auf ihn zu reagieren.

Foto: © 2009 by Schattenblick
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Gerade weil diese Reaktionen durchaus unterschiedlich ausfallen, ist dieses Mittel im Kontext der beabsichtigten medialen Reproduktion legitim. Wallraff präsentiert Rassismus in Deutschland, indem er die Probe aufs Exempel macht und gerade dort nachhakt, wo man ohnehin rassistische Ressentiments vermutet. Wie der Film zeigt, liegt es ganz und gar in der Hand des einzelnen Menschen, wie er mit seinem Gegenüber umgeht. Der rassistische Affront ist durchaus von einer allgemeinen, lediglich auf das individuelle Verhalten des andern abhebenden Reaktion zu unterscheiden.

Die von Endrias geübte Kritik, damit habe Wallraff eine alltägliche Form der Diskriminierung und des Rassismus ignoriert, wie sie unter Beamten, Polizisten, Akademikern verbreitet sei, obwohl man bei diesen Gruppen wie selbstverständlich davon ausgehe, daß es sich dabei um einen längst überwundenen Mißstand handele, belegt Wallraffs Rollenspiel mit einem Anspruch, den er schlechterdings nicht erfüllen kann. Er hätte seine Arbeit nicht gut gemacht, wenn er sich nicht zumindest in einem gewissen Ausmaß plakativer Überzeichnungen bedient hätte. Für eine Kritik wiederum, die sich an medialen Produktionsweisen abarbeitet, wäre Wallraff ein schlechtes Beispiel, weil sein Engagement in der Sache für seinen Berufsstand durchaus untypisch ist.

So steht der Name Wallraff für eine spezifische Form journalistischer Reportagen, und allein seinem Bekanntheitsgrad ist es zu verdanken, daß das Thema des spezifisch gegen Schwarze gerichteten Rassismus wieder etwas mehr Aufmerksamkeit erhält. Wenn dem Zuschauer mitunter das Lachen im Halse steckenbleibt, weil ihm dämmert, daß der Situationskomik der blutige Ernst einer dem anderen in letzter Konsequenz das Existenzrecht vollständig absprechender Mißachtung zugrundeliegt, dann ist der aufklärerische Zweck zweifellos erfüllt.

Foto: © 2009 by Schattenblick
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Als nach Berlin, München und Köln "Schwarz auf Weiß" am 20. November 2009 auch in Sachsens Kulturmetropole Leipzig premierte, hatte der Schattenblick im Zusammenhang mit einer Lesung Wallraffs aus seinem neuen Buch vom Vorabend und einem ausführlichen Gespräch am selben Tage die Gelegenheit, sich ein eigenes Bild davon zu machen, daß das Thema dieser Form von Rassismus zumindest bei Jugendlichen auf breites Interesse stößt. So war der Andrang in der Schaubühne Lindenfels so groß, daß zu den circa 300 Sitzplätzen etliche Stühle herbeigeschafft werden mußten. Trotzdem konnten einige Spätkommer nur noch auf dem Fußboden Platz nehmen.

In seiner Dokumentation in Spielfilmlänge begibt sich Wallraff in der Rolle des aus Somalia stammenden, schwarzen Deutschen Kwami Ogonno auf für ihn ungewohntes Terrain. Der Undercover-Agent der Arbeitswelt testet Rassismus und Vorurteile im deutschen Alltag. Bild- und Tonqualität sind, der Machart des Films entsprechend, für ein medial verwöhntes Ohr und Auge gewöhnungsbedürftig und über Strecken anstrengend. Während Wallraff eine Kamera im Knopf seines Hemdes trägt, ist diese bei dem ihn begleitenden Regisseur und Wallraff- Freund Pagonis Pagonakis ins Brillengestell eingelassen. "Der bewegte noch Monate danach seinen Kopf ganz langsam hin und her", amüsierte Wallraff sein Publikum.

So ausgestattet, macht er sich auf eine sonntägliche Kahnfahrt im Fürstenpark in Wörlitz, sucht Anschluß an eine Seniorenwandergruppe in Köln, bewirbt sich um einen Stellplatz auf einer Campinganlage im Teutoburger Wald und eine Laube in einer Schrebergartenkolonie, begibt sich auf Wohnungssuche in Köln-Nippes, interessiert sich für eine Taucheruhr in einem Juwelierladen, erkundet in einer bayrischen Amtsstube Möglichkeiten und Kosten für den Erwerb eines Jagdscheins und konfrontiert sich - dies wohl sein größtes Wagnis - mit Fußballfans bei einem Freundschaftsspiel zwischen Energie Cottbus und Dynamo Dresden. Er sucht Aufnahme bei einem Schäferhundverein für sich und seinen Hund, besucht einen Biergarten im Osten von Berlin, ein Straßenfest in Magdeburg und in eine Eckkneipe in Köln. Schauplätze und Situationen meist kleinbürgerlichen Charakters, so scheint es, in denen man, um Ablehnung zu erfahren, nicht schwarz sein muß. Und so lautete einer der Einwände in der an die Leipziger Premiere anschließenden Diskussion, die mehr eine Fragerunde war und eher mühsam in Gang kam, ob die Ablehnung nicht erwartbar und vorhersagbar gewesen wäre. Um viele der gezeigten Situationen hätte auch manch Weißer einen Bogen gemacht.

Ein solches Argument scheint keines für Günter Wallraff zu sein. Da, wo andere Einschränkungen als unabänderlich hinzunehmen bereit sind, besteht er auf Gerechtigkeit, Gleichheit, Menschenwürde. Die universalen Menschenrechte - so sein Credo - sind nicht verhandelbar und sie gelten für jeden Menschen überall. Wer sich auf ein "Damit muß man doch rechnen" im Sinne eines "Das ist doch ganz normal" einläßt, der hat sich eben schon eingerichtet und angepaßt an Machtverhältnisse und gesellschaftliche Strukturen, die das Recht des Stärkeren wenn nicht für ganz natürlich, so doch zumindest als unausweichlich erachten.

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Leipziger Lokalprominenz ... Sebastian Krumbiegel von den Prinzen
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In einer Kritik zu einem im ZDF am 15. Dezember 2009 gezeigten weiteren Kapitel aus dem neuen Wallraff-Buch "Unter Null", das ihn als Obdachlosen im Winter 2008/2009 filmisch begleitet, attestiert ihm der Stern (stern.de, 15.12.09) eine gewisse Naivität im Umgang mit bundesrepublikanischen Realitäten. Er wirke "in seinen Talkshow-Auftritten [...] häufig wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Seine Weltsicht, unten gegen oben, gut gegen böse, die schien nicht mehr zu passen in eine Gesellschaft der Grautöne, in ein Land, in dem die SPD Sozialabbau betrieb und in dem die konservative Regierung Hartz-IV-Empfänger besser stellen will."

Wer angesichts der ganz offensichtlichen und zunehmend auseinanderklaffenden Schere zwischen arm und reich und eben oben und unten solcherlei vermeintliche Grautöne ausmachen will, sich über eine Sozialraubbau betreibende SPD wundert und christdemokratische Vorwahlversprechen für bare Münze nimmt, der muß sich fragen lassen, ob nicht er selbst, und nicht Wallraff, einen verschleierten Blick auf diese Gesellschaft hat. Diese in ihren Bruchlinien und Widersprüchen paßförmig zu machen, anstatt die Mißachtung der Schwachen und überflüssig Gemachten zum Anlaß zu nehmen, emanzipatorische Ideale wider die herrschenden Verhältnisse hochzuhalten, führt nicht zufällig dazu, daß das Interesse an affirmativem Journalismus stetig abnimmt. Vielleicht sollten sich die Medienmanager, die über wegbrechende Auflagenzahlen lamentieren und kostenlose Publikationsformen im Internet dafür verantwortlich machen, einmal fragen, ob es nicht förderlicher wäre, soziale Konflikte auf emanzipatorische Weise aufzugreifen, anstatt sich an einer Feindbildproduktion zu beteiligen, die sich nicht zuletzt rassistischer Klischees bedient.

Foto: © 2009 by Schattenblick

Günter Wallraff
Foto: © 2009 by Schattenblick

Sicherlich wirkt Wallraff in seiner Verkleidung als Kwami Ogonno manchmal komisch, befremdlich, mitunter deplaziert. Er bewegt sich linkisch und mag manche Zuschauer in seinem bisweilen hartnäckigen Auftreten und Nachfragen befremden. Nicht bescheiden genug für einen Schwarzen? Eigentlich, so der Autor, "bin ich in den Rollen, die ich spiele, mehr ich selbst als sonst, bin authentischer". Man möge sich also nicht wundern, wenn man auch in der Rolle des Kwami Ogonno seine Rede, seinen Gang, also auch immer Wallraff antrifft, der sich in Situationen und auch Lagen begibt, um etwas herauszufinden, der nachfragt, der konfrontiert. Endrias, der Wallraffs Methode "ungeeignet" findet und die ausgewählten Situationen "für den Alltagsrassismus untypisch", konstatiert immerhin Dankbarkeit dafür, "daß er das Thema in die Presse gebracht hat".

Wie ernst es Wallraff mit seinem Engagement ist, zeigte eine dem Moderator des Premierenabends in Leipzig, dem Leiter des Jugendamtes Siegfried Haller, der es lieber bei einigen Fragen an Wallraff zu Entstehung und Motivation für diesen Film hätte bewenden lassen, offensichtlich unwillkommene Aktualisierung des Themas der Ablehnung alles Fremden durch die Frage einer Zuschauerin zur Lage der Asylbewerber in Leipzig. Sie wollte von dem "Herren der Stadt" wissen, warum man an dem geplanten Bau eines Containerlagers für Asylbewerber festhalten wolle, anstatt den Betroffenen mit einer dezentralen Unterbringung in den zahlreichen in Leipzig leerstehenden Wohnungen in ihren sozialen und humanitären Ansprüchen entgegenzukommen.

Günter Wallraff, Siegfried Haller - Foto: © 2009 by Schattenblick

Günter Wallraff, Siegfried Haller
Foto: © 2009 by Schattenblick

Diese Frage quittierte der indignierte Behördenvertreter mit der Zurechtweisung, die Fragestellerin vom Initiativkreis für die Integration von AsylbewerberInnen in Leipzig möge hier nicht "polemisieren". Offensichtlich in seiner Glaubwürdigkeit des vorgehaltenen Eintretens für aus rassistischen Gründen ausgegrenzte Menschen angeschlagen, rückte er mit der Bemerkung "Ich bin ein Flüchtlingskind" sein Schicksal bzw. das seiner Eltern in unmittelbare Nähe zur Lage der Asylanten nach dem Motto: Ich weiß, wie das ist, du nicht! Den nochmaligen Vorstoß eines jungen Mannes aus derselben Initiative, der in der Frage an Günter Wallraff mündete, ob er bereit sei, ihre Arbeit zu unterstützen, beantwortete dieser ohne Zögern: "Ja, liebend gerne!". Er machte sogleich den konkreten Vorschlag, wie man miteinander in Kontakt treten könnte, und forderte dazu auf, eine mögliche Hilfsbereitschaft auch des Premierenpublikums zu nutzen und bekannt zu geben, wo und wann sich die Initiative trifft.

In diesem Zusammenhang erfuhr der Schattenblick von der Fragestellerin, daß die Aktivistinnen und Aktivisten des Initiativkreises anläßlich der Festveranstaltung zum 20. Jahrestag der sogenannten friedlichen Revolution in Leipzig während der Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler gegen die Residenzpflicht für Asylbewerber demonstriert hatten. Angesichts der Freiheitseinschränkungen für Flüchtlinge von meist anderer Hautfarbe als die weiße Mehrheitsgesellschaft drängt sich der Verdacht auf, daß die beim Anschluß der DDR an die BRD gemeinte Freiheit eben doch nicht für alle Menschen vorgesehen war, sondern die Mechanismen der Ausgrenzung lediglich verschoben wurden. Nicht umsonst sind die Grundfreiheiten der EU allesamt ökonomisch determiniert.

Foto: © 2009 by Schattenblick
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Auf seine Motivation für sein Engagement angesprochen, war es Günter Wallraff wichtig, darauf hinzuweisen, daß sein Anliegen nicht karitativer Natur sei, sondern er Horizonte erweitern wolle, auch den eigenen. Ob es in den Reaktionen Unterschiede gegeben habe zwischen Stadt und Land? Nein, wohl aber regionale Unterschiede und andere Erfahrungen in den Nazi-Hochburgen. Ob er daran gedacht habe, auch andere Schichten, Kirchen, Unis aufzusuchen. Nein, die Länge eines Films sei begrenzt.

Auf die Frage, wie er selbst in potentiellen Gewaltsituationen reagiere, bescheinigte sich Wallraff "eine natürliche Gabe zur Deeskalation". Auf Aggression nicht mit Aggression reagieren, so sein Rat, eher erstaunt sein und immer wieder Fragen stellen. Zu den eher unterhaltsamen Szenen in "Schwarz auf Weiß" befragt, gestand er ein, daß er es durchaus darauf anlege, komisch zu sein. Aber der "Clown lacht nicht", und wenn es das Publikum um so mehr tut, dann nicht zuletzt aus der Spannung heraus, die zwischen einer grausamen Wirklichkeit und dem Problem, dennoch in ihr leben zu können, entsteht.

Man könnte Wallraff vorhalten, daß seine Analyse der Verhältnisse nicht weit genug geht, wenn nicht gar fehlt und daß er für deren Veränderung Instanzen bemüht, die Teil und Betreiber dieser Verhältnisse sind, auch, daß sein Appell "an alle Menschen, die guten Willens sind", den er auch an diesem Abend wiederholte, ein moralischer Allgemeinplatz und unwirksam bleibt. Günter Wallraff hat sich selbst nie als Analytiker der Verhältnisse bezeichnet oder verstanden. Das, so sagt er, überließe er anderen. Ihm ginge es darum, Mißstände aufzudecken, nicht mehr und nicht weniger. Er begreife sich als Türöffner für nachfolgende Diskussionen und Gespräche auch über die eigenen vorurteilsbehafteten Einstellungen. Und die beschränken sich wahrlich nicht auf eine Hautfarbe.

Das Interesse, das die Arbeiten dieses Journalisten auch nach 45 Jahren, in denen er die Arbeits- und Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik von unten untersucht, nach wie vor hervorruft, belegt, daß hinter der Inszenierung bürgerlicher Selbstzufriedenheit durchaus Bedarf an der Auseinandersetzung mit zentralen gesellschaftlichen Konflikten besteht. Dabei lassen sich die Probleme, die ethnische und religiöse Minderheiten in der Bundesrepublik haben, nicht auf einen vordergründigen Begriff des Rassismus reduzieren. Dessen Feindseligkeit macht sich, wie auch der Auftritt Wallraffs als wohlhabender Schwarzer in einem Düsseldorfer Juweliergeschäft zeigt, wo er überaus zuvorkommend bedient wurde, nur bedingt an der Hautfarbe fest. Mindestens ebenso bedeutsam ist der soziale Status, über den anhand des Auftretens, der Sprache, der Kleidung und der physischen Verfassung eines Menschen geurteilt wird.

Virulent ist das Thema des Rassismus für die weiße Mehrheitsbevölkerung auch deshalb, weil sie selbst Einschließungs- und Ausgrenzungsmechanismen unterworfen ist, die strikt über das jeweilige Ausmaß der gesellschaftlichen Teilhabe entscheiden. Die Diskriminierung, die Migranten insbesondere dann, wenn sie aus Afrika oder dem Nahen Osten stammen, erleiden, ist die Speerspitze einer sozialen Selektion, der die weiße, einheimische Armutsbevölkerung längst in vergleichbarem Maße ausgesetzt ist. Insofern kann ein Antirassismus, der die soziale Frage nicht einbezieht, nur zu unvollständigen Ergebnissen der Analyse und Kritik gelangen. Das Grundproblem kapitalistischer Vergesellschaftung auszulassen, dient sich einer Liberalität an, der die Durchsetzung herrschender Interessen desto besser gelingt, als sie krasse soziale Ungerechtigkeit durch die Respektierung formaler Gleichheitsprinzipien legitimieren kann.

[Siehe dazu auch unter DIE BRILLE -> REPORT,

BERICHT/002 und INTERVIEW/003]

Veranstaltungsort Schaubühne Lindenfels - Foto: © 2009 by Schattenblick

Veranstaltungsort Schaubühne Lindenfels
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31. Dezember 2009