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BERICHT/019: Linksliteraten - Arbeit, Umwelt, Klassenkampf ... (SB)


19. Linke Literaturmesse Nürnberg

Zur Diskussion: Die Gründung einer Umweltgewerkschaft



Kann es für die Umwelt eine Gewerkschaft geben? Diese Frage stellt sich vermutlich jedem, der zum ersten Mal von der Absicht hört, eine Umweltgewerkschaft zu gründen. Das galt auch für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Buchvorstellung am 2. November auf der 19. Linken Literaturmesse in Nürnberg. Dort entfachte sich im Rahmen des von Emil Bauer vorgestellten Buchs "Katastrophenalarm - Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur?" (Verlag Neuer Weg) eine Debatte über den Vorschlag seines Autors Stefan Engel, eine Umweltgewerkschaft zu gründen.

Emil Bauer bei der Buchvorstellung - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Die Arbeiterbewegung muß in der Umweltbewegung eine führende Rolle übernehmen."
(Emil Bauer (links), 2. November 2014, Nürnberg)
Foto: © 2014 by Schattenblick

Üblicherweise vertritt eine Gewerkschaft die Interessen der Lohnabhängigen gegenüber dem Unternehmen und bedient sich hierbei unter Umständen als eines der letzten Mittel des Streiks. Die Umwelt ist aber kein Unternehmen, gegenüber dem irgend etwas durchgesetzt werden könnte. Es läßt sich nicht erkennen, daß sie ein eigenes Interesse hätte oder bestreikt werden könnte. Handelt es sich somit bei der Umweltgewerkschaft um nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine weitere Front im Konflikt zwischen Lohnabhängigen und Kapitaleignern?

Wo ist denn da der "antagonistische Widerspruch", wurde auch seitens einer Teilnehmerin der Diskussionsrunde gefragt. Es gebe ihn nicht zwischen Mensch und Natur oder zwischen Kapital und Natur, da "antagonistischer Widerspruch" bedeute, daß die eine Seite des Widerspruchs die andere zerstört. "Aber wir wollen doch nicht die Natur zerstören und Natur will auch nicht den Kapitalismus zerstören."

Ein Einwand, der innerhalb der linken Theoriediskussion sogleich zum Kern der Fragen rund um die Umweltgewerkschaft vorstößt und von Bauer - wie Stefan Engel, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) - mit dem Argument gekontert wurde, daß im Kapitalismus das Umweltproblem nicht lösbar ist. Deshalb handele es sich sehr wohl um einen antagonistischen Widerspruch, denn der Kapitalismus werde zu existieren aufhören, also zerstört werden, wenn die Menschen so weitermachen wie bisher und die globale Katastrophe eintritt.

Idee und Vorbereitungen für die Umweltgewerkschaft gehen deutlich, wenn auch wohl nicht ausschließlich auf die MLPD zurück. Am 29./30. November treffen sich gut 150 Delegierte in Berlin, um nach dreieinhalb Jahren Vorbereitungszeit die Umweltgewerkschaft in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins aus der Taufe zu heben. Der voraussichtliche Mitgliederstand zu Beginn liegt bei 2500 Personen.

Warum also eine Umweltgewerkschaft? Individuelle Verhaltensänderungen zur Rettung der Umwelt - weniger Fleisch essen, mehr mit dem Fahrrad fahren, den Konsum insgesamt senken - seien zwar unterstützenswert, aber genügten angesichts der bereits eingetretenen und noch zu erwartenden globalen Umweltveränderungen (Klimawandel, Artensterben, Versauerung der Meere, etc.) nicht, sagte Bauer. Benötigt werde "ein weltweites Kampfprogramm" zur Rettung der Umwelt und eine neue Organisation, um diesen Kampf zu führen, eben eine Umweltgewerkschaft. Denn: "Die Gewerkschaft ist gegründet worden, weil es um eine existentielle Frage der Arbeiter ging, nämlich um die soziale Frage (...) Und so wie vor 150 Jahren die soziale Frage eine existentielle Frage war, ist heute die Umweltfrage für die Arbeiter eine existentielle Frage geworden. Deswegen brauchen wir auch zur Lösung dieser existentiellen Frage eine Organisation, die geeignet ist, möglichst breit die Massen zusammenzuschließen, um einen entsprechenden Kampf zu führen und in diesem Kampf die notwendigen Fragen aufzuwerfen und zu klären."

In die Umweltgewerkschaft sollen nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Organisationen eintreten dürfen, die sich mit der Satzung einverstanden erklären, also auch beispielsweise Greenpeace oder der BUND. Die sind nach Ansicht Bauers allerdings sehr "an dieses System angepaßt" und wollen nicht darüber hinausgehen. Für ihn hingegen stelle sich die Umweltfrage, die bislang in der revolutionären Bewegung unterschätzt worden sei, als "Systemfrage". Der Kapitalismus habe schon immer die Tendenz gehabt, die Umwelt zu zerstören und die Einheit von Mensch und Natur zu untergraben. Grundlage dafür sei die Profitmaximierung.

Das sehen andere linke Kräfte ähnlich. Frank Braun und Jürgen Suttner von der Sozialistischen Kooperation (SoKo) Köln bzw. Siegen üben Kritik an der MLPD, schreiben aber: "Die ökologische Krise gewinnt dabei ihre Schärfe zwar aus den Auswirkungen der Vernichtung natürlicher Lebensgrundlagen, aber sie wird wesentlich beschleunigt durch den systematischen Zwang zu kapitalistischer Überakkumulation und dem sie stets begleitenden Fall der Profitrate, kurz der kapitalistischen Krise. Beide Erscheinungsformen der herrschenden Produktionsverhältnisse repräsentieren ein System der Naturvernichtung, das sich als gesetzmäßige Begleiterscheinung dieser kapitalistischen Produktion herausstellt. Die Lösung der sozialen Frage ist damit ohne Lösung der ökologischen gar nicht denkbar." [1]

Umgekehrt ist nach Bauer die Lösung der ökologischen Frage auch nicht ohne die Lösung der sozialen Frage denkbar, und das gehe nicht im Kapitalismus, in dem man lediglich Verbesserungen erkämpfen könne, sondern nur im Sozialismus.

In vielen Punkten liegen er und die traditionellen Umweltorganisationen eigentlich gar nicht weit auseinander: Beide sehen im Klimawandel eine Bedrohung der Menschheit und sind gegen die Verstromung von Braunkohle, weil dabei zu viele Treibhausgase entstehen; beide sind gegen Fracking, also die Förderung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten; und beide lehnen die Atomenergie ab. Die meisten Umweltorganisationen dürften vermutlich auch die folgende Aussage des Betriebsrats- und ver.di-Mitglieds Bauer unterzeichnen: "Wir müssen in unserer gesamten Arbeit die Umweltfrage einbringen. In unserer Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit spielt das oft nicht die Rolle, die es eigentlich spielen muß. Die soziale und die Umweltfrage werden nicht richtig verbunden."

Wenn zusätzlich eine Teilnehmerin der Veranstaltung an diesem Vormittag ergänzt, daß auch "der Verursacher der Umweltzerstörung in den Mittelpunkt des Kampfs gerückt werden" muß, dann unterscheidet sich das nicht wesentlich von den insbesondere gegen Akteure der Wirtschaft gerichteten Aktionen mancher Umweltorganisationen oder -initiativen - wie das Blockieren von Castortransporten, Erklettern von Chemieschloten oder Besetzen von zur Abholzung vorgesehenen Bäumen.

Im Demozug weht die rote Flagge von REBELL - Foto: © 2014 by Schattenblick

REBELL, der Jugendverband der MLPD, zeigt gemeinsam mit Bündnis 90 - Die Grünen, Umweltbewegungen und Anwohnern Flagge.
Demonstration in Saal (Barther Bodden, Ostsee) gegen die Erdölförderung mittels Fracking, 24. Mai 2014.
Foto: © 2014 by Schattenblick

Es wird sich zeigen, ob der formulierte Anspruch der Überparteilichkeit von der Umweltgewerkschaft eingelöst wird. Ihr Ansprechpartner in Nürnberg sagte bei der Diskussion, in ihr könnten alle Kräfte, denen "ernsthaft" an der Umwelt gelegen ist, zusammenarbeiten. Hier wäre allerdings nachzufragen, wer definiert, was "ernsthaft" ist und was nicht. Ist doch von linken Gruppierungen bekannt, daß sie sich manchmal gegenseitig die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens kategorisch absprechen. Allerdings wären sicherlich nicht so viele verschiedene Umweltgruppen und -initiativen entstanden, wenn es sich bei ihnen sehr viel anders verhielte.

Würde der Eindruck entstehen, jemand, der an der Umweltgewerkschaft interessiert ist, solle für eine bestimmte Partei eingespannt werden, ohne daß er ihr Mitglied ist oder es auch nur werden will, wird das Projekt in Zukunft bestenfalls ein ökologisches Nischendasein fristen. Gleiches gilt, wenn die linke Bewegung - ungeachtet der weiterhin zu führenden Debatte um Grundfragen der menschlichen Gesellschaft - so sehr zerstritten ist, daß nicht einmal ein gemeinsames Bündnis gegen das Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg Bestand hat. [2]

Wie weit auseinander noch immer die Standpunkte zwischen auf Lohnarbeit angewiesenen Menschen und Umweltschutzinteressen liegen können, wurde auch bei der Diskussion auf der Linken Literaturmesse wieder deutlich vor Augen geführt. Ohne künstliche Düngung sei die Menschheit nicht zu ernähren, erklärte ein Teilnehmer, der die von Umweltschützern erhobene Forderung ablehnt, den Chemiekonzern Bayer dichtzumachen; mit Kleinbauerntum sei das Ernährungsproblem nun mal nicht zu lösen. Das sah jemand, der eher dem Umfeld von Klimaaktivisten zuzuordnen wäre, gar nicht so. Das stimme einfach nicht, auch ohne chemischen Dünger könne genügend Nahrung erzeugt werden, trat er dieser Ansicht entgegen.

Solche fundamentalen Diskrepanzen werden in Zukunft vermutlich auch in der Umweltgewerkschaft häufiger zu Tage treten. Ebenfalls ist damit zu rechnen, daß sich diese deutlich in Gegenposition zu anderen Gewerkschaften stellen wird, ja, stellen muß, will sie nicht ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Beispielsweise sprach sich jüngst der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IB-BCE), Michael Vassiliadis, gegen den gleichzeitigen Ausstieg aus Atom- und Kohleenergie [3] und gegen ein Verbot von Fracking aus. [4] Die Umweltgewerkschaft ist jedoch laut einem Entwurf der Gründungsresolution [5] für den Ausstieg aus Kohle und Atomkraft und gegen Fracking. Da dürften bei mancher Gewerkschafterin und manchem Gewerkschafter zwei Herzen in einer Brust schlagen.

Daß die Bündnisbereitschaft der Umweltgewerkschaft dort ihre Grenze hat, wo von rechten Kräften Natur- und Umweltschutz propagiert wird, geht aus dem Satzungsentwurf hervor, in dem es heißt: "Die Umweltgewerkschaft arbeitet nach dem Prinzip strikter Überparteilichkeit, breitester Demokratie und weltanschaulicher Offenheit auf antifaschistischer Grundlage." [6]

Ansonsten ist die Idee eines Brückenschlags zwischen gesellschaftlichen Gruppen, die normalerweise nicht zusammenkommen, bestechend: Wenn sich die Lohnabhängigen nicht scheuen, auf betrieblicher bzw. Produktionsebene Einfluß für einen stärkeren Umweltschutz zu nehmen, könnte daraus ein weiteres Standbein der Umweltbewegung werden. Der Begriff "Klassenkampf" ist zwar außerhalb der linken Bewegung verpönt, erweist sich aber an dieser Stelle als treffend, wenn die Lohnabhängigen den Schutz der Umwelt zu einem sozialkämpferischen Anliegen machen, dessen Verwirklichung sie gegenüber den Kapitaleignern erstreiten.

Große Plakate am Künstlerhaus und Ankündigungen am Infopoint des Vorplatzes - aber keine Hinweise auf die Linke Literaturmesse - Foto: © 2014 by Schattenblick

Künstlerhaus Nürnberg: Linke Literatur hat etwas zu sagen, sie muß sich nicht verstecken. Etwas Außenwerbung für die 19. Linke Literaturmesse hätte die Sache unterstützen können.
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] "Das globale ökologische Desaster und die Marxisten-Leninisten", Frank Braun, Jürgen Suttner, Köln/Siegen, Dez. 2013, in: Trend Online, 01-2014.
http://www.trend.infopartisan.net/trd0114/t100114.html

[2] Dort wurde im Frühjahr auf Initiative von "Avanti - Projekt undogmatische Linke" (inzwischen "Interventionistische Linke") die Umweltgruppe der Hamburger Sektion der MLPD aus dem Bündnis "Gegenstrom 14" gegen das Kohlekraftwerk Moorburg ausgeschlossen.
http://www.rf-news.de/2014/kw17/Erklaerung%20der%20Umweltgruppe%20der%20MLPD%20Hamburg.pdf

[3] http://www.igbce.de/90654/xviii-53-neuorientierung-energiepolitik

[4] http://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/511771/michael-vassiliadis-fracking-verbot-ware-unverantwortlich

[5] http://www.umweltgewerkschaft.org/cms/upload/bundesgruppe/deligierten-material/141027%20Gr%C3%BCndungsresolution%20Entwurf.pdf

[6] http://tinyurl.com/oj9df55


Zur "19. Linken Literaturmesse in Nürnberg" sind bisher im Pool
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unter dem kategorischen Titel "Linksliteraten" erschienen:

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20. November 2014


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