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BERICHT/038: Links, links, links - Unfrei, rechtsfrei, Knastbrei ... (2) (SB)


Wo Solidarität nicht hinreichen soll ...

20. Linke Literaturmesse in Nürnberg


Die gefangenen Arbeiterinnen und Arbeiter der BRD nehmen sich die Freiheit heraus, sich im Rahmen der Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation (GG/BO) gewerkschaftlich zu organisieren, um zu erstreiten, was in der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft als rechtlicher Status abhängig Beschäftigter Standard sein sollte. "Sollte" deshalb, weil auch in der Bundesrepublik Lohnarbeit unter sklavenähnlichen Bedingungen verrichtet wird. Insbesondere Migrantinnen und Migranten aus den Ländern des Globalen Südens und aus Süd- und Osteuropa können Opfer von Zwangsverhältnissen werden, in denen ihnen aufgrund materieller Not, physischer Gewaltandrohung und nichtvorhandenem Aufenthaltsrecht Arbeitsleistungen regelrecht abgepreßt werden. Wie sie gehören zur Arbeit gezwungene und minimal entlohnte Strafgefangene zu denjenigen Menschen, die bei der Verwertung der Ware Arbeitskraft am rücksichtslosesten ausgebeutet und vernutzt werden.

Indem die GG/BO die rechtliche und soziale Gleichstellung aller Arbeiterinnen und Arbeiter innerhalb wie außerhalb der Knastmauern fordert, schließt sie sich einem Kampf an, den die Arbeiterklasse seit mindestens 150 Jahren führt. Daß die dabei erstrittenen Errungenschaften nichts am prinzipiell ausbeuterischen Charakter des Kapitalverhältnisses geändert haben und heute nach Kräften versucht wird, das Rad der Geschichte wieder zurückzudrehen, macht es für die Aktivistinnen und Aktivisten der GG/BO nicht leichter, ihre Forderungen durchzusetzen. Mit dem Anschwellen der industriellen Reservearmee durch betriebswirtschaftliche Rationalisierung und technologische Effizienzsteigerung sowie der Entregelung und Prekarisierung vieler Arbeitsverhältnisse hat auch die Entsolidarisierung unter den Lohnabhängigen zu- wie ihre Kampfbereitschaft abgenommen.

Um so bedeutsamer für den Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung ist es, wenn Menschen, die als Insassen des Strafvollzugs unter umfassender Aufsicht und Abhängigkeit leben, dafür kämpfen, daß für die von ihnen verrichtete Arbeit die allgemein üblichen gesetzlichen Standards der Sozialversicherung und des Mindestlohns geltend gemacht werden. Die seitens der Strafjustizbehörden aufgestellte Behauptung, die nach betriebswirtschaftlichen Kriterien organisierte Knastarbeit diene der Resozialisierung und sei damit eben keine normale Lohnarbeit, sondern eine die Gefangenen auf ihre Freilassung vorbereitende Vollzugsmaßnahme, belegt insgeheim den Zwangscharakter der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft.

Wird diese Arbeitskraft den auftraggebenden Unternehmen einerseits als besonders kostengünstige und flexibel verfügbare Ressource angeboten, während sie andererseits eine sozialtherapeutische Maßnahme sein soll, dann werden die Menschen, denen sie abverlangt wird, darauf zugerichtet, daß Anpassung und Unterwerfung erste Arbeiterpflicht sind. Analog zur Forderung nach "Integration" soll bei "Resozialisierung" nicht nach den Bedingungen und Zielen des damit erhobenen Eingliederungsimperativs gefragt werden. Sich bei entfremdeter wie minimal entlohnter Arbeit physisch zu verausgaben und dies als sinnvolle und positive Vorbereitung auf eine bürgerliche Existenz zu begreifen, verlangt dem Menschen eine Ambivalenz ab, die den notgedrungenen Verkauf der eigenen Lebenszeit und -kraft als besonderes Privileg erscheinen läßt, das zur Dankbarkeit gegenüber den Lohnherren verpflichtet.

Da kann es nicht erstaunen, wenn der Justizvollzugsbeamte Andreas Schürholz, der als Vorsitzender der Bundesfachkommission Justizvollzug bei der Gewerkschaft Verdi die Interessen seiner Kolleginnen und Kollegen vertritt, sich außerstande sieht, die GG/BO zu unterstützen oder auch nur als Gewerkschaft anzuerkennen [1]. Gerade weil bei der Gewerkschaft Verdi Solidarität groß geschrieben wird, könne sie keine Gefangenen vertreten, so die paradoxe Logik des Vollzugsbeamten. Wenn Solidarität mit von Ausbeutung und Unterdrückung betroffenen Menschen vor den Gefängnismauern endet, dann wird ihrer bloßen Verwahrung das Wort geredet. Nicht nur in diesem Fall gilt, daß in einer von Kapitalinteressen maßgeblich bestimmten Gesellschaft die Herrschaft des Rechts als Recht der Herrschenden realisiert wird.

Wer dies nicht hinnehmen möchte und zudem etwas über die politische Ökonomie der Knastarbeit erfahren möchte, dem sei neben der Lektüre des zweiten Teils des Gesprächs mit Thomas Brockmann von der GG/BO und zwei ehemaligen Strafgefangenen, das sich auf der Linken Literaturmesse in Nürnberg ergab, die Lektüre des programmatischen Textes der Gefangenengewerkschaft "Von der Sozialversicherungspflicht über den Mindestlohn zur vollen Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern" [2] ans Herz gelegt.


Auf der Rosa Luxemburg Konferenz in Berlin - Foto: © 2016 by Schattenblick

Thomas Brockmann
Foto: © 2016 by Schattenblick

TB: Wir haben im Knast das Phänomen, daß man dort, wo man lebt, auch arbeitet, das heißt, die Lebens- und Arbeitsbedingungen lassen sich ganz schwer trennen. Wir müssen aber beides trennen, denn wenn wir uns vorwiegend auf die Lebensbedingungen konzentrieren würden, könnte man uns das gewerkschaftliche Recht absprechen. Deshalb konzentrieren wir uns wirklich nur auf das Arbeitsumfeld und machen dort Probleme, wo wir als Gewerkschaft Probleme machen können - der Lebenszusammenhang folgt hintenan. Kurios ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß ich im freien Leben einen Zeitraum von zwölf Monaten arbeiten muß, um Arbeitslosengeld I zu bekommen, aber im Gefängnis 365 Arbeitstage nötig sind, um einen Anspruch darauf zu haben. Draußen reicht eine Fünftagewoche, im Gefängnis nicht. 365 Arbeitstage mit gelegentlichen Ausfällen heißt, daß ich drei Jahre gesessen haben muß, um Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu bekommen.

M.B.: Mir hatten am Ende 21 Tage gefehlt.

SB: Kriegt man dann einen Teil dessen, was man an Lohn im Knast bekommen hat?

TB: Nach Paragraph 18 SGB 10 oder 12 rechnet sich das nach dem Ecklohn. Wir haben zur Zeit eine Ecklohnvergütung. Der Ecklohn berechnet sich nach der durchschnittlichen Rentenhöhe, und davon bekommt man einen Bruchteil. Der höchste Stundensatz, den ich bislang im Knast gesehen habe, belief sich auf 1,85 Euro.

M.B.: In Straubing gibt es zwei Euro Stundenlohn.

TB: Kurioserweise gilt man mit zwei Euro im Knast bei Lohnstufe fünf glatt als Gutverdiener!

SB: Bezieht man das Arbeitslosengeld für die Zeit im Knast oder danach?

TB: Nach dem Knast. Im Knast ist man ohnehin nicht arbeitslos. Das einzige, was man im Knast beziehen kann, ist Rente, die dann weiter läuft.

M.B.: Wenn man im Knast arbeitslos wird, kriegt man kein Arbeitslosengeld.

TB: Sondern nur Taschengeld. In Hessen waren das bei mir am Schluß 32 Euro. Das langt nicht für Tabak, und wenn man noch fernsehen will, werden sechs Euro Anschlußgebühren abgezogen.

SB: Der Staat bzw. das Land stellen keinen Fernseher frei zur Verfügung?

B.B.: In Bayern nicht. Ich wurde an der französischen Grenze verhaftet und bin dann auf Schub gekommen. Fernsehen gehörte dazu, überhaupt waren das ganz andere Umstände. Die Haftanstalt war insgesamt viel moderner.

M.B.: Ich habe Gefängnisinsassen aus Brandenburg getroffen, die Fernsehen auf der Zelle hatten und auch Playstation und DVD-Player benutzen konnten.

B.B.: Wie ist das im Freigängerhaus? Gilt für die Leute, die draußen arbeiten, auch die Lohnvergütung?

TB: Ja, ich weiß das noch aus Ingolstadt. Es ist das gleiche Spielchen. Du bist Zeit- bzw. Leiharbeiter der JVA und wirst nach draußen verkauft, natürlich zu anderen Stundensätzen, aber kriegst selber nur Lohnstufe drei oder vier, je nach Tätigkeit.

B.B.: Plus einen Zehner jeden Tag für Essen und Zigaretten. Man geht früh aus dem Knast, und nach der Arbeit wird der Heimweg eingeplant.

M.B.: Wenn der Wachdienst einen schlechten Tag hat, wartet er mit der Stoppuhr auf dich.

SB: Wäre eine Verspätung von einer Minute bereits ein Grund für eine Sanktionierung?

TB: Man kann recht schnell den Freigängerstatus verlieren und kommt dann wieder in die geschlossene Abteilung.

B.B.: Das wirkt sich auch auf die frühzeitige Entlassung aus.

TB: Klar ist, daß das auch die Unternehmen draußen wissen. Du bist in einer absoluten Zwangslage und hast jetzt ein bißchen persönliche Freiheit. Deine Zellentür steht im Freigängerhaus offen. Du kannst im Prinzip jederzeit rausgehen. In Ingolstadt gab es einen kleinen Außenbereich, in den man gehen konnte. Du siehst zweimal am Tag beim Hin- und Rückweg Menschen in der Fußgängerzone, was einfach toll ist. Dadurch bist du natürlich wahnsinnig erpreßbar. Du würdest den Arbeitgeber niemals anschwärzen, denn wenn er sagt, der will doch bloß nicht arbeiten, bist du weg, und die Zelle schließt sich wieder.

SB: Würdet ihr dieser Praxis als Gewerkschaft den Kampf ansagen?

TB: Sicher, aber erst einmal müssen wir überhaupt ins Kämpfen kommen, denn solange der Status in deutschen Gefängnissen so ist, daß wir dort keine Arbeit leisten, sondern eine Resozialisierung durchlaufen, sind uns die Hände gebunden.

B.B.: Wenn man den Gedanken verfolgen würde, daß das Arbeit ist und die Arbeiter sich selbst verwalten wollen und damit ein demokratisches Recht in Anspruch nehmen, könnte man zu dem Schluß kommen, daß es nichts Resozialisierenderes gibt.

TB: Die Gegenargumente sind ja nicht stichhaltig und wurden von der deutschen Arbeiterbewegung bereits vor über hundert Jahren in den Betrieben gekippt. Wir hinken in der JVA ein bißchen hinterher. Im Prinzip ist der jetzige Zustand noch wie vor Bismarcks Zeiten. Das hat auch nichts mit dem Fernseher oder DVD-Player zu tun und schon gar nicht mit der Playstation. In deutschen Knästen gibt es keine Resozialisierung, jedenfalls habe ich keine kennengelernt. Du mußt deine Zeit absitzen. Du gehst in die Zelle, die Tür schließt sich, und kommst meinetwegen sechs Monate später wieder heraus. Danach interessiert es niemanden, was aus dir wird. Ein Beispiel ist das Analphabetentum in Gefängnissen, der Anteil bei Menschen mit Migrationshintergrund ist manchmal ein bißchen höher. Aber ich möchte schwören, daß er bei den deutschen Insassen mindestens doppelt so hoch ist wie in der Normalbevölkerung. In dieser Richtung passiert überhaupt nichts. Lese- und Schreibkurse für Erwachsene gibt es nicht. Es gibt Deutschkurse, aber das nützt dir nichts, wenn du nicht lesen und schreiben kannst.

B.B.: Das einzige, was es in puncto Resozialisierung gibt, ist die Freiwilligenarbeit, aber selbst die Freiwilligen müssen für alles einen Antrag stellen. Das sind ganz liebe Menschen, die den Leuten etwas von außen bringen wollen und doch blockiert werden. Statt dessen werden wir christlich indoktriniert, denn der Pfarrer, der das Gute verkörpert, hat das Recht, sich frei im Haus zu bewegen, nur weil er von der Kirche ist.

SB: Wenn Basisgruppen in den jeweiligen Haftanstalten jetzt Gewerkschaftsarbeit leisten, wie weit geht dann die Solidarität der Gefangenen untereinander, zumal auch Nazis darunter sind? Habt ihr politische Ausschlußkriterien?

TB: Nein, ich würde mich auch weigern, sie anzuerkennen. Wir machen hier Gewerkschaftsarbeit. Wenn Nazis sich an Basisgruppen beteiligen, ist das in Ordnung, solange es der Gewerkschaft nicht schadet. Außerdem sind die Faschisten im Knast ein bißchen anders als draußen - wesentlich handzahmer.

B.B.: Es gibt nicht viele von ihnen. In den Knästen überwiegen die Migranten. Wenn die Nazis das Maul aufreißen, wird es ungemütlich für sie.

M.B.: In ostdeutschen Knästen, beispielsweise in Sachsen und Thüringen, müssen Ausländer jedoch aufpassen und sich warm anziehen.

TB: Wenn jetzt mehr Rechte in die Gewerkschaft kämen, fände ich das gar nicht so schlimm. Ich würde schon dafür sorgen, sie zu resozialisieren. In ihrem Gemeinschaftswahn kennen sie nur Gewalt und Brutalität. Wenn sie jedoch merken, daß es auch anders geht, denke ich, kann man sie erreichen, bestimmt nicht alle, aber wenn sich zehn Prozent von ihnen, statt sich weiter in ihrer Ideologie zu verrennen, zur Umkehr entscheiden, wäre das für mich schon ein Erfolg.

SB: Gefängnisinsassen sind von Informationen weitgehend abgeschnitten. Was in der Welt passiert, entzieht sich ihnen meistenteils. Wäre ein freier Zugang zum Internet für euch eine wegweisende Forderung?

TB: Meines Erachtens ist auch Internet im Knast ein gewerkschaftliches Thema. Das ist keine Frage von Luxus, und heutzutage ist es technisch auch kein Problem, auf jedem Server bestimmte Seiten zu sperren und andere zuzulassen. Informationen sind in unserer heutigen Arbeitswelt unerläßlich. Wenn beispielsweise ein Lohnbuchhalter in den 60er, 70er und teilweise noch in den 80er Jahren wegen Betrugs zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde und aufgrund guter Führung nach anderthalb Jahren wieder heraus kam, dann hatte sich in seinem Job nichts verändert. Aber heute bedeuten zwei Jahre aus dem Job das Ende. Man kriegt den Job nie wieder. Wir leben heute in einer anderen Zeit, die man mit früher nicht vergleichen kann. In einem Beruf, wo ich auf den Computer angewiesen bin, ist der Zug nach zwei Jahren abgefahren, dann kann ich mich gleich umschulen lassen.

Kein Internet zu haben, ist für viele wegen der fehlenden Kommunikationswege auch eine gewaltige emotionale Belastung. Wie heißt es so schön: Wer im Knast sitzt, lernt das Briefeschreiben. Aber natürlich ist das kein Kommunikationsweg, weil es immer wieder zu Unterbrechungen kommt. Man merkt sehr schnell, daß Briefe von außen schon nach kurzer Zeit seltener werden. Im Rahmen der Resozialisierung wäre Internet in den Zellen daher zwingend erforderlich. Briefe in und aus dem Knast müssen ohnehin durch die Zensur gehen, da könnte man genausogut Emails kontrollieren, das ist gehupft wie gesprungen, aber die Kommunikation mit der Außenwelt ließe sich besser aufrechterhalten. Für die Vollzugsbeamten wären Emails sogar einfacher, weil sie dann keine Umschläge aufmachen müßten.

Um noch einmal auf den erlernten Beruf zurückzukommen. Es ist doch perfide, daß in den Haftanstalten keiner in seinem Beruf eingesetzt wird. Nach einer Regelung würde man dann nämlich mehr Geld kriegen. In den einzelnen Lohnstufen geht es zwar nur um Minicentbeträge, aber nichtsdestotrotz steckt sich der Staat selbst das Wenige noch ein. Als Maler kommt man garantiert in die Schweißerei.

M.B.: Als ich in Bayreuth saß und in der Schlosserei gearbeitet habe, wurden dort ausschließlich Schlosser, Dreher und Schweißer beschäftigt. Die haben explizit darauf geachtet, daß wirklich nur Schlosser rein kamen.

TB: Wahrscheinlich, weil der Kunde es so gewünscht hat.

M.B.: Das kann ich jetzt nicht bestätigen. Jedenfalls hätten wir dadurch nach der Haftzeit im Sinne der Nachzahlung mehr Geld beantragen können.

TB: Das ist ja das Drama an der ganzen Geschichte, weswegen es sich lohnt, sich zu organisieren. Im Strafvollzug ist alles wie im normalen Recht individualisiert. Es gibt diverse Bereiche, wo man Nachzahlungen einklagen könnte, was aber keiner macht, weil jeder froh ist, wenn er wieder raus kommt. Das ist auch Teil unseres organisatorischen Problems in der Gewerkschaft, daß viele, die drinnen aktiv waren, kaum daß die Hafttür aufgeht, für uns verloren sind. Ich mache das keinem zum Vorwurf. Der Knast ist eine Parallelwelt, und wenn man wieder in Freiheit ist, wird das oft sofort in den Hintergrund gerückt. Es ist eben eine persönliche Frage, ob ich mich weiter für die Gefangenengewerkschaft einsetze oder nicht.

M.B.: Bei mir hat es einen Monat gedauert, bis ich draußen wieder zurechtgekommen bin. Wegen meiner politischen Gesinnung wurden mir im Knast Ausgang und auch alles andere verweigert, und das, obwohl ich Ersttäter war.

TB: Das ist eine bayrische Spezialität. In Hessen hat mir meine politische Gesinnung die vorzeitige Haftentlassung gebracht, weil es ihnen zuviel mit mir wurde. Insofern waren diejenigen mit einem politischen Hintergrund privilegiert, weil man sie weitgehend in Ruhe gelassen hat.

SB: Fürchtete die Gefängnisleitung ansonsten, daß von euch zuviel Gegenwind gekommen wäre?

B.B.: Vielleicht wollten sie uns auf diese Weise auch von den anderen spalten. Okay, bei mir war es absehbar, daß ich auf Bewährung herauskommen würde. Man hat uns gewisse Freiheiten gelassen, und nachdem die anderen Gefangenen das gesehen haben, distanzierten sie sich von uns. Ich weiß natürlich nicht, ob dahinter wirklich eine Strategie gesteckt hat. In größeren Knästen wird das wohl zutreffen, zumal sie sich überlegen müssen, wie sie mit der Gefangenengewerkschaft umgehen. Man will keinen Streß, und tatsächlich besteht die Gefahr, daß wir noch mehr Leute auf unsere Seite ziehen und Propaganda machen.

SB: Es wird von seiten des Staates bzw. von den jeweiligen Justizministerien behauptet, daß es in Deutschland keine politischen Gefangenen gibt. Gleichzeitig existieren die Paragraphen 129 a und b. Gibt es aus eurer Sicht eine solche Klassifizierung in deutschen Gefängnissen?

TB: Das läßt sich meines Erachtens noch weiter fassen. Politischer Gefangener ist für mich nicht unbedingt jemand, der ein Pfund Mehl klaut und an der Kasse brüllt: Nieder mit dem Kapitalismus, sondern auch derjenige, der nichts zum Fressen hat. Er ist ein Systemopfer, zumindest jedoch ein Systemgefangener. Und so gesehen gibt es 80 Prozent politische Gefangene in deutschen Knästen.

B.B.: Das sehe ich genauso. Bei uns war einmal eine Roma-Bande eingesperrt. Die kam nach Deutschland, um hier systematisch zu klauen und wurde dabei erwischt. Diese Leute sind Opfer des westlichen Imperialismus, zumindest der westlichen Außenpolitik. Sie leben in der Peripherie und haben keine andere Möglichkeit, ihr Überleben zu sichern. Die meisten von ihnen sind Analphabeten und stellen in der gesellschaftlichen Ordnung Europas die unterste Stufe dar. Diese Leute sind aus meiner Sicht politische Gefangene und Opfer des politischen Geschehens. Die Linke muß sich auch Gedanken darüber machen, ob sie den Begriff nicht allgemeiner fassen will, denn die Prolls holen sich nur zurück, was ihnen ohnehin gehört, wenn auch nicht auf eine kollektivistische Art.

TB: Das betrachte ich auch ein Stück weit als meine Aufgabe. Wir Gefangenen haben keine Lobby, auch nicht zwingend in der Linkspartei. Ich habe einmal zwei Veranstaltungen durchführen lassen, in dem Wissen, daß das einem Bundestags- oder Landtagsabgeordneten, der kommen will, nicht verwehrt werden kann. Als Parlamentarier üben sie eine Kontrollfunktion gegenüber den Behörden aus. Daher hatte ich Willi van Ooyen, im hessischen Landtag für Die Linke, zu einer TTIP-Veranstaltung und vier Monate später die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Christine Buchholz, eingeladen. Beide waren bis dahin weder in einem Gefängnis gewesen noch auf die Idee gekommen, eines zu besuchen. Sie waren negativst beeindruckt. Man muß diese Leute regelrecht an so ein Thema heranführen. Die Bundesrepublik hat 82 Millionen Einwoher, davon sind 60.000 Strafgefangene. Es sind aber nicht immer Zehnjahrestäter, einige sitzen drei oder sechs Monate, weil sie ohne Führerschein gefahren sind. Die Zahlen fluktuieren. In einer Dekade kann es durchaus sein, daß mehrere hunderttausend Bürger einmal im Gefängnis gesessen haben. Man darf dabei auch die sich daraus ergebenden Probleme nicht vergessen. Es ist durchaus schwierig, im Lebenslauf eine Haftzeit von sechs Monaten zu erklären.

B.B.: Nehmen wir einmal an, daß in einem Zeitraum von zehn Jahren eine Million Menschen im Gefängnis saßen. Das wird auch auf das soziale Umfeld abgewälzt. Denn wer hilft dir in der Rente, wenn du früher einmal fünf oder zehn Jahre gehockt hast? Das müssen deine Kinder übernehmen. Die Haftzeit stellt so eine Art Sippenhaft dar. Das eigene Umfeld wird auf jeden Fall immens belastet.

SB: In den USA gibt es 50.000 Isolationsgefangene, die teilweise über zehn oder zwanzig Jahre wirklich 23 Stunden am Tag im Loch sitzen. Daraus läßt sich natürlich nicht ableiten, daß man hier als Gefangener noch Glück hat. Tatsache ist aber, daß in den deutschen Medien weit mehr über das US-amerikanische Strafvollzugsystem berichtet wird als über die Situation von Gefangenen in der Bundesrepublik.

B.B.: Nur weil es den US-Gefangenen schlecht geht, geht es mir nicht besser. Auf ARTE gab es einmal einen Abend lang eine Dokumentationsreihe über genau diesen Themenkomplex. Die haben sich alle angeschaut und hinterher gesagt, uns geht es gut, die in Amerika werden wegen Crack für fünfzehn Jahre weggesperrt. Darauf habe ich erwidert: Leute, ihr seid eingesperrt, ihr tragt das gleiche Los und seht ebenfalls nicht wie eigenständige Menschen aus.

TB: Deshalb sage ich auch, daß jemand mit Lohnstufe vier oder fünf angeschaut wird, als wenn er einen Benz auf dem Gang rauf und runter fahren würde. Was können halbwegs vernunftbegabte Menschen daraus lernen? Du gehst ins Gefängnis, bist in einer Zwangssituation und unterliegst der Arbeitspflicht. Das heißt, man kann jemanden am Gesetz vorbei für weniger Lohn beschäftigen, wenn die Organisation dahinter groß und mächtig genug ist. Diese Lehre ziehe ich wenigstens daraus. Die Frage ist doch, ob das wirklich resozialisierend wirkt oder ob ich mir überlege, wie ich selbst eine große und mächtige Organisation aufbauen kann, um Widerstand dagegen zu leisten. Es geht darum, mit den Leuten im Knast in Kontakt zu bleiben, damit sie auch vor Ort eine kurzfristige Anlaufstelle haben und gegebenenfalls früher oder später auch Demonstrationen vor der Mauer organisiert werden können, je nach Bedarf, was gerade drinnen anliegt.

Wir haben in Straubing den Fall, daß uns die Gefangenen dort um eine Demo gebeten haben. Ich habe eine Unterschriftenliste bekommen. 130 Gefangene fordern jetzt Rente und Mindestlohn, und 70 von ihnen sind bereit, in den Ausstand zu treten. Das finde ich toll, aber als Gewerkschafter muß ich erst einmal die Hände über den Kopf zusammenschlagen, denn die 70 Leute werden von der Arbeit abgelöst und über bayrische Knäste verteilt. Letzten Endes schneiden sie sich ins eigene Fleisch. Organisatorisch gesehen sind das meine Schutzbefohlenen. Deshalb muß ich sie erst einmal davon abhalten, weil wir, solange der Arbeitnehmerstatus nicht anerkannt ist, kein Streikrecht haben. Hätten wir aber diesen Status, dann könnten wir uns als Arbeitnehmer auch frei organisieren gemäß der Koalitionsfreiheit nach Artikel 9, Absatz 3. Und damit hätten wir logischerweise auch das Streikrecht.

M.B.: Streikrecht wäre optimal.

TB: Sicher, aber betrieblich gesehen sind uns wie vor Bismarcks Zeiten die Hände gebunden. Wenn der große Boß sagt, wie, du hast heute nur fünf Stück gemacht, fliege ich raus. Was will man dagegen machen? Eine Arbeitsschutzklage gibt es im Gefängnis nicht.

SB: Du hast vorhin erwähnt, daß Bayern die Einkommensprofite aus der Knastarbeit öffentlich gemacht hat, die anderen Bundesländer hingegen nicht. Ließen sich über Kleine Anfragen beispielsweise in den einzelnen Landtagen nicht verbindliche Auskünfte einholen?

TB: Die Fraktion Die Linke im Hamburger Senat hat es versucht, die Hessen haben gerade einen Antrag gestellt, und auch in Berlin wurde ein Versuch unternommen, aber man kriegt keine Auskünfte. Schon die Begründung, daß eine Erhebung zur Zeit nicht möglich ist, reicht als Antwort aus dem Ministerium.

SB: Wie verläßlich sind dann die Angaben über den gesamtdeutschen Profit aus der Knastarbeit?

TB: Die Zahlen gehen auf eine Recherche der Süddeutschen zurück. Aber wie man auf einen Gesamtertrag von 130 Millionen Euro gekommen ist, kann ich nicht nachvollziehen. Allein Bayern würde demnach über ein Drittel des Gewinns machen. Als Gewerkschaft haben wir überall dort, wo zumindest organisatorische Strukturen vorhanden sind, eine Erhebung veranlaßt. Unter anderem ging es darum, welche Betriebe in den JVAs arbeiten lassen. Meistens sind es vier oder fünf verschiedene Werke. Wir warten noch auf den Rücklauf aller Einzelerhebungen, um sie dann auszuwerten. Allein mit dem Mitgliederverzeichnis hinken wir organisatorisch zwei Monate hinterher.

SB: Aufgrund der schwierigen Kommunikationswege?

TB: Das ist komplizierter. Wir wissen ungefähr, was im Knast an Stundenlohn verdient wird. Von daher können wir für eine Mitgliedschaft nicht fünf Euro verlangen. Außerdem steht es dem Strafgefangenen frei, Mitgliedsbeitrag zu zahlen oder nicht. So finanziert sich das Ganze aus Mitteln, die wir nebenher selbst erarbeiten.

SB: Erhaltet ihr Unterstützung durch Parteien?

TB: Als Basisgewerkschaft wollen wir uns weder von den Parteien noch vom DGB abhängig machen.

SB: Thomas, M. und B., vielen Dank für das sehr interessante Gespräch.


Verschiedenfarbige Symbole der Gefangenen-Gewerkschaft - Grafik: © 2014 by outbreak - Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation

Titelblatt der zweiten Ausgabe der Zeitschrift der GG/BO outbreak
Grafik: © 2015 by outbreak - Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation


Fußnote:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/resozialisierung-oder-ausbeutung-haeftlinge-streiten-fuer.724.de.html?dram:article_id=341512

[2] http://www.gefangenengewerkschaft.de/gruendungserklaerung-der-gefangenen-gewerkschaft-der-jva-tegel/


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13. Januar 2016


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