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BERICHT/069: Linke Buchtage Berlin - besinnliche Gegenwart ... (SB)


So ist, wenn man das Verhältnis der Gewerkschaftpolitik zum Kampf gegen die Rüstung - also die Vorbereitung eines möglichen Krieges - und gegen den Krieg geschichtlich analysiert, hier kein Ruhmesblatt für die Gewerkschaftsführung zu entdecken ...
Wolfgang Abendroth [1]


An der Gewerkschaftsfrage scheiden sich auch unter Linken die Geister. Wenn die Polizeigewerkschaft beim Ausbau des repressiven Sicherheitsstaats ihre Muskeln spielen läßt, die IG BCE lieber den Klimawandel anheizt als auf die Braunkohle zu verzichten oder die IG Metall deutschen Waffenschmieden und Rüstungsexporten das Wort redet, drängen sich denn doch gravierende Zweifel auf, ob genau diese Arbeitsplätze um jeden Preis zu verteidigen seien. Wer Klassenwidersprüche für überwunden erklärt und der Sozialpartnerschaft das Wort redet, wird kaum Einwände dagegen erheben, daß Gewerkschaften derart mit staatlichen und ökonomischen Interessen verschmelzen, daß sie integraler Bestandteil der herrschenden Verhältnisse werden. Wer sie jedoch in ihrem eigenen Anspruch ernst nimmt, als organisierte Interessenvertretung der Lohnabhängigen gegen deren Zurichtung und Ausbeutung zu Felde zu ziehen, kommt um eine kritische Überprüfung und fundierte Recherche nicht herum. Daß sich dabei ineinander verschränkte Widersprüche zwischen Führung und Basis, linkem und rechtem Flügel, großen Gewerkschaftsapparaten und überschaubaren Strukturen vor Ort auftun, verwundert nicht.

Die marxistische Linke folgt in Teilen der Auffassung Lenins, der es nach zeitweise wechselnden Einschätzungen letztendlich für notwendig erachtete, innerhalb der bestehenden Gewerkschaften Wühlarbeit zu leisten. Indessen warf Rosa Luxemburg angesichts des Weltkriegs die Frage auf, warum Arbeiter Waffen produzieren, die über sie selbst den Tod bringen. Sie sprach zunehmend weniger von Verrat der Gewerkschaftsführung, weil diese These für sich genommen die Anpassungsbereitschaft der Arbeiterschaft nicht zu erklären vermag. Die eigentliche Wurzel des Militarismus sei nicht die Böswilligkeit der Arbeiterführer, sondern die Verinnerlichung autoritärer Strukturen durch die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst. Der Militarismus sitze den deutschen Arbeitern im eigenen Nacken, so Luxemburg. Es kann dabei weder um bloße moralische Kategorien noch um ein Abgleiten in psychologische Deutungen gehen, wohl aber um eine Konfrontation mit der jeweils eigenen Beteiligung, ohne die Herrschaft ungeachtet ihrer repressiven Zwangsmittel nicht auskommt.

Rosa Luxemburg übte nach Ende des Ersten Weltkriegs scharfe Kritik am Schulterschluß von Gewerkschaft und Militär im Kontext imperialistischer Kriegsführung. Daß es sich dabei auch aus heutiger Sicht keinesfalls um ein exotisches Thema von marginaler Bedeutung handelt, belegt das Buch "Lieber tot als rot. Gewerkschaften und Militär in Deutschland seit 1914" von Malte Meyer [2], das der Autor bei den Linken Buchtagen im Berliner Mehringhof vorstellte. Seines Erachtens wird in diesem Zusammenhang zentral verhandelt, wie sich Gewerkschaften und Staat, Gewerkschaften und kapitalistische Klassengesellschaft zueinander verhalten, wobei das Verhältnis von Gewerkschaft und Militär eine Art Indikator dafür sei. Für die politische Linke sei insbesondere aufschlußreich, ob gewerkschaftliche und militaristische Ziele einander ausschließen oder im Gegenteil eine Inanspruchnahme der Gewerkschaften für solche Zwecke gängige Praxis ist.

Bei seinem Vortrag in der Buchhandlung Schwarze Risse konzentrierte sich der Referent auf drei historische Stationen, die er für exemplarisch erachtet. Er legte zunächst die Hoffnung der Gewerkschaftsführung auf eine Querfront mit dem Militär während der Weltwirtschaftkrise Anfang der 1930er Jahre dar. Dann ging er auf die Rolle Georg Lebers als Gewerkschaftsvorsitzender und Verteidigungsminister in der jungen Bundesrepublik ein. Und schließlich befaßte er sich mit Kiel als Rüstungs- und Marinestandort.


Buchcover 'Lieber tot als rot' - Foto: 2018 by Schattenblick

Buchcover 'Lieber tot als rot' - Foto: 2018 by Schattenblick


Vom Burgfrieden zur Querfrontpolitik

Wie Meyer ausführte, war die gewerkschaftliche Burgfriedenspolitik im Ersten Weltkrieg symptomatisch für das Verhalten der deutschen Gewerkschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1916 wurde das Vaterländische Hilfsdienstgesetz erlassen, mit dem Gewerkschaften von Staat und Unternehmerverbänden als Tarifparteien anerkannt wurden. Im Gegenzug übernahmen sie die Aufgabe, Streikbewegungen unter Kontrolle zu halten und sonstige Unruhen zu verhindern. Schon damals kam es zu institutionalisierten Kooperationen mit dem Militär und des öfteren zu Fällen, in denen entschiedene Kriegsgegner verraten und den Polizeibehörden überstellt wurden. Die Gewerkschaften waren zudem bereit, aus ihrem Vermögen Kriegsanleihen zu zeichnen, so daß mit den Geldern von Gewerkschaftsmitgliedern Waffen für das kaiserliche Militär gekauft wurden - ein wenngleich eher symbolischer, so doch bedeutsamer Akt der Kriegsunterstützung. Auch wurden gewerkschaftliche Kriegsbücher publiziert, in denen sich Verbandsvorstände dazu äußerten, auf welche Weise die deutschen Arbeiter von einem Sieg im Weltkrieg profitieren würden.

Die Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre führte zwangsläufig auch zu einer Krise der Gewerkschaften. Als die Massenerwerbslosigkeit sprunghaft stieg, verloren sie innerhalb von zweieinhalb Jahren ein Viertel ihrer Mitglieder. Diese traten aus, weil sie keine Arbeit mehr hatten, unzufrieden mit der Gewerkschaftsführung waren oder schlichtweg die Mitgliedsbeiträge nicht mehr aufbringen konnten. Damit waren massive Einnahmeverluste für die Gewerkschaften verbunden. Damals hatte der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) 6000 Hauptamtliche, die bezahlt werden mußten. In Folge der Einnahmerückgänge schrieb der ADGB erstmals rote Zahlen, die Zentrale wurde verkleinert, der Apparat stand unter hohem politischen Druck. Zugleich trieb die kommunistische Gewerkschaftsopposition den sozialdemokratisch dominierten ADGB zusätzlich in die Enge, so der Referent.

Wie reagierten die Gewerkschaften in der Krise? Distanzierten sie sich vom Staat, stellten sie die kapitalistische Produktionsweise in Frage, radikalisierten sie ihre Gesellschaftskritik? Oder paßten sie sich an die herrschenden Verhältnisse an? Anfang der 1930er Jahre riefen die Gewerkschaften nach einem Staat, der wirtschaftlich und sozialpolitisch durchgreifen und ein kreditfinanziertes Arbeitsbeschaffungsprogramm auf den Weg bringen, aber auch außen- und innenpolitisch Stärke zeigen sollte. In gewerkschaftlichen Publikationen tauchten seit Anfang der 1930er Jahre verstärkt Plädoyers für einen freiwilligen Arbeitsdienst auf, auch wurde der Versailler Vertrag immer häufiger für die Weltwirtschaftkrise verantwortlich gemacht und damit ein rechtes Erklärungsmuster übernommen. Die angestrebte Querfront mit dem Militär wurde zur maßgeblichen ideologischen Option.

Angesichts der Sparkabinette und des Notverordnungsregimes sollte ein Bündnis mit dem Hauptziel der Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten geschlossen werden. So formulierte es der ADGB-Vorsitzende Theodor Leipart, so formulierte es auch der letzte Reichskanzler vor Hitler, Kurt von Schleicher, der General der Reichswehr war und sich für ein solches Bündnis einsetzte. Die Gewerkschaftsführung betrieb das nicht öffentlich, sondern auf dem Wege einer Geheimdiplomatie. Es kam zu zahlreichen Kontakten mit Vertretern der politischen Rechten. Gemeinsam mit der Reichswehr und dem Strasser-Flügel der NSDAP sollte eine Querfront gebildet werden, um die Gewerkschaft als Organisation zu retten und Hitler als Reichskanzler zu verhindern.

Besonders hervorgetan hat sich dabei ein intellektueller Kreis um die Zeitschrift "Die Tat", der eine Mittlerfunktion zwischen den Spitzen der Reichswehr, den Repräsentanten des Strasser-Flügels der NSDAP und der ADGB-Führung ausübte. In der Gewerkschaftsführung arbeitete eine Reihe hauptamtlicher Referenten dieser Linie zu. Der prominenteste war Lothar Erdmann, der im Frühjahr 1933 in der gewerkschaftstheoretischen Zeitschrift "Die Arbeit" einen expliziten Querfront-Artikel des Inhalts publizierte, warum die Gewerkschaften keine klassenkämpferische und internationalistische Organisation mehr seien, sondern zum Besten des deutschen Volkes und Staates agierten. Die Querfrontbestrebungen konkretisierten sich 1932, als es bereits Vorverhandlungen über die Bildung eines zukünftigen Präsidialkabinetts gab. Das Vorhaben konnte jedoch nicht mehr umgesetzt werden.

Nach dem 30. Januar 1933 gab die Gewerkschaftsführung die offizielle Leitlinie vor, "Organisation, nicht Demonstration ist das Gebot der Stunde". Sie mobilisierte nicht gegen die Machtübernahme der NSDAP, sondern setzte auf Anpassung, um das drohende Verhängnis abzuwenden. Je drastischer in den Monaten März und April die Aktionen des NS-Regimes ausfielen, desto bereitwilliger diente sich die Gewerkschaft an, im Interesse des arbeitenden deutschen Volkes am neuen Staat mitzuwirken. Jüdische Vorstandsmitglieder wurden hinausgeworfen, darunter auch Siegfried Aufhäuser, der damalige Vorsitzende der Angestelltenverbände. Dieser Kurs gipfelte darin, daß die Gewerkschaften am 1. Mai 1933 zusammen mit der NSDAP dazu aufriefen, an den Feierlichkeiten auf dem Tempelhofer Feld in Berlin teilzunehmen. Schon am folgenden Tag erhielten sie die Quittung, als die Gewerkschafthäuser besetzt und sie als Organisationen zerschlagen wurden.

Als ein wichtiges Nachspiel dieser Entwicklung führte der Autor Wilhelm Leuschner an, der als prominenter Gewerkschafter zur Verschwörergruppe des 20. Juli 1944 gehörte. Der Sozialdemokrat war Ende der 1920er Jahre Polizeiminister in Hessen und hatte einen schnellen Aufstieg in der SPD und in der Gewerkschaft hingelegt. Er wurde als Nachfolger von Theodor Leipart im ADGB-Vorsitz gehandelt und gehörte zu denjenigen, die im April 1933 den Zusammenschluß der in Deutschland tätigen Gewerkschaften mit Ausnahme der Kommunisten zu einem "Führerkreis der freien Gewerkschaften" herbeiführten, der seine Bereitschaft erklärte, im neuen NS-Staat mitzuwirken.

Wie Meyer anführte, habe er sich dabei auf die Forschungen von Karl Heinz Roth und Angelika Ebbinghaus gestützt, die das Buch "Rote Kapellen, Kreisauer Kreise, schwarze Kapellen" über den 20. Juli 1944 und dessen Widersprüche publiziert haben. Darin kommt auch zur Sprache, was sich die an der Verschwörung beteiligten Militärs davon versprochen haben, die Repräsentanten der vormaligen Gewerkschaften an den Vorbereitungen zu beteiligen. Die ehemals organisierte Arbeiterschaft sollte in den Aufstand eingebunden und von vornherein mit dem neuen Staatsaufbau verknüpft werden, um ein Aufkommen revolutionärer Bewegungen zu verhindern. Die Integration sozialdemokratischer Funktionäre in eine Nach-Hitler-Regierung ging über eine rein symbolische Funktion hinaus. Das Aufgreifen der Gewerkschaftsfrage war dem Interesse an einer stabilen Sozialordnung und einem industriellen Frieden geschuldet. Die Gewerkschaften sollten nicht als autonome Organisationen, sondern als Stützen von Staat und Gesellschaft fungieren. Das Trauma der revolutionären Erhebung des November 1918 sei für die Militärführung wie auch die Gewerkschaftsführung prägend geblieben.


Beim Vortrag im Buchladen - Foto: © 2018 by Schattenblick

Malte Meyer
Foto: © 2018 by Schattenblick


Georg Leber - Gewerkschaftsführer und Verteidigungsminister

Am 24. Juni 1963 stattete John F. Kennedy Berlin jenen Besuch ab, bei dem er am Schöneberger Rathaus den berühmten Satz "Ich bin ein Berliner" in Umlauf brachte. Der SFB berichtete den ganzen Tag lang live über den Troß und zeigte den US-Präsidenten auch bei seiner kurzen Rede vor dem Gewerkschaftstag der IG Bau-Steine-Erden, wofür sich der US-Gewerkschaftsboß George Meany eingesetzt hatte. Mit dabei waren auch Lucius Clay, der ehemalige Oberkommandierende der US-Truppen in Europa, die beiderseitigen Verteidigungsminister, Willy Brandt, Konrad Adenauer, der DGB-Vorsitzende Ludwig Rosenberg und George Meany. Am stolzesten aber war Georg Leber, der damals noch als relativ junger, 43jähriger Gewerkschaftsvorsitzender den US-Präsidenten zu sich auf den Gewerkschaftstag geholt hatte. Er begrüßte Kennedy als Garanten des freien Berlin, der freien Welt und der freien Gewerkschaften, denn ohne diese, so Leber, seien funktionierende Demokratien nicht denkbar, und die USA hätten sich bei der Unterstützung freier Gewerkschaften große Dienste erworben. Er überreichte Kennedy abschließend einen Strauß Nelken, der angeblich in der Nacht zuvor über die Mauer geworfen wurde und mit dem Gruß versehen sei, ihn dem US-Präsidenten zu überbringen, der auch die Hoffnung der Menschen im Osten auf eine Befreiung sei. Danach hob Kennedy in einer kurzen Rede seinerseits die Bedeutung freier - gemeint ist nichtkommunistischer - Gewerkschaften für die freie Welt hervor.

Diese Formel war symptomatisch für die Einbindung der Gewerkschaft in das antikommunistische Establishment des Kalten Krieges: Gewerkschaften im Schulterschluß mit der Politik, weil sie nicht nur für Lohnerhöhungen kämpfen, sondern zugleich den sozialen Frieden garantieren. Warum ist Georg Leber eine geradezu beispielhafte Personifizierung dieses neuen Burgfriedens? 1920 geboren, war er Wehrmachtssoldat, Vorsitzender der IG Bau-Steine-Erden von 1957 bis 1966, danach unter anderem Verkehrsminister, aber auch in 1970er Jahren in den Regierungen Brandt und Schmidt Verteidigungsminister. Er kam aus einem katholischen Arbeitermilieu, war aber entgegen eigener Darstellung nie wirklich Bauarbeiter, sondern lediglich nach dem Krieg vorübergehend in der Baubranche beschäftigt. Er bekannte sich dazu, daß sein Begriff von Solidarität aus jenem der Kriegskameradschaft herrühre. Leber lieferte sein politisches Gesellenstück ab, indem er 1955/56 als Vorsitzender der IG Bau-Steine-Erden im Bezirk Nordrhein dafür sorgte, daß dieser damals noch von KPD-Leuten dominierte Bezirk vom kommunistischen Einfluß gesäubert wurde. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurden die Schlösser des Gewerkschaftshauses ausgetauscht und die KPD-nahen Mitglieder am nächsten Tag fristlos entlassen. Wenig später folgte das KPD-Verbot. Unter Leber wurden also Kommunisten der politischen Polizei ausgeliefert und nicht selten nach der NS-Zeit abermals in Haft genommen.

1957 wurde Leber dann Vorsitzender der IG Bau-Steine-Erden auf Bundesebene, die damals mit über 700.000 Mitgliedern noch eine große Gewerkschaft war. Er stieg zum Repräsentanten des sozialpartnerschaftlichen Flügels im DGB auf, dem auf dem eher konfliktorientierten Flügel der IG Metall-Vorsitzende Otto Brenner als prominentester Vertreter gegenüberstand. Leber warb für Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand als Allheilmittel gegen gesellschaftliche Ungleichheit. Er befürwortete die in der Gewerkschaft zunächst noch umstrittenen Notstandsgesetze, machte sich in der SPD für eine Große Koalition stark und griff die gewerkschaftliche Linke an. Der Marburger Politikwissenschaftler und Marxist Wolfgang Abendroth war damals ein wichtiger Ratgeber der gewerkschaftlichen Linken und im Krieg Partisan auf seiten des griechischen Widerstands gewesen. Leber attestierte ihm ein nicht überwundenes, tiefsitzendes Mißtrauen gegenüber dem Staat und fügte hinzu, die Gewerkschaften seien kein politisches Übungsgelände für Partisanen, die in keiner der bestehenden Parteien eine politische Heimat finden könnten.

Georg Leber hatte sich als Verkehrsminister dafür stark gemacht, daß kein Bundesbürger weiter als 20 Kilometer von der nächsten Autobahn entfernt leben sollte. Als er 1972 Verteidigungsminister wurde, war er weder der erste Sozialdemokrat noch Gewerkschafter in diesem Amt. Man denke beispielsweise an Gustav Noske, der 1919 Reichswehrminister wurde. Der erste Verteidigungsminister der Bundesrepublik, Theodor Blank, war CDU-Mitglied, aber stellvertretender Vorsitzender der IG Bergbau und Energie. Lebers direkter Vorgänger als Verteidigungsminister war Helmut Schmidt. Öffentlich erinnert wird Leber aufgrund seines jovialen Umgangstons als "Soldatenvater". Weniger bekannt ist, daß unter seiner Ägide die Militärausgaben stärker anstiegen als je zuvor seit der Remilitarisierung der Bundesrepublik.

In den 1970er Jahren kümmerte er sich um engere Kontakte zwischen den Spitzen von Gewerkschaften und Bundeswehr, um noch existierende Vorbehalte im höheren Offizierscorps abzubauen. Der DGB-Vorsitzende Heinz Oskar Vetter, selbst ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier, sprach bei der Kommandeurstagung und vor der Führungsakademie der Bundeswehr. Diese langjährige Vorarbeit Lebers mündete in ein gemeinsames Positionspapier von Gewerkschaften und Bundeswehr, in dem sie sich 1981 gegenseitig versicherten, Stützen des demokratischen Staates zu sein: Die einen sorgen für den äußeren und die anderen für den inneren Frieden. Diese gemeinsame Erklärung sollte 2013 auf Initiative des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer mit dem Verteidigungsminister Thomas de Maizière neu aufgelegt werden, was innergewerkschaftlich jedoch für einigen Wirbel und Unmut sorgte, worauf das Vorhaben erst einmal wieder in der Schublade verschwand, schloß der Autor diesen Abschnitt.


Der Rüstungs- und Marinestandort Kiel

Welche Rolle spielen die Gewerkschaften an einem Rüstungs- und Marinestandort wie Kiel? Die Stadt war in der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 zum Reichskriegshafen erklärt worden und verdankte dieser Maßgabe seinen industriellen Aufstieg. Im Herbst 1918 waren 35.000 Arbeiter auf den drei großen Werften des Ostufers beschäftigt, im unmittelbaren Umfeld gab es 50.000 Militärangehörige. Im November 1918 kam es zum Matrosenaufstand, als die Seeleute der Kriegsmarine den Befehl verweigerten, zu einem Gefecht auszulaufen, das nur mit dem sicheren Untergang enden konnte. Die Arbeiter in den Werften schlossen sich an, und dies war der Zündfunke zur deutschen Novemberrevolution, die in Kiel ihren Ausgang nahm. Die enorme militärische Bedeutung der Stadt zog im Zweiten Weltkrieg massive Bombardierungen auf sich.

In einer Doku über den Wiederaufstieg der westdeutschen Rüstungsindustrie nach 1945 wird der SPD-Bundestagsabgeordnete Norbert Gansel interviewt, der Ende der 1990er Jahre Kieler Oberbürgermeister war. Er spricht darüber, daß Anfang der 1980er Jahre von der HDW U-Boote an die Militärdiktatur in Chile ausgeliefert wurden, und rühmt sich, auf jedem Parteitag Anträge zu einer restriktiveren Rüstungsexportpolitik eingebracht zu haben. Andererseits enthält das Buch "Arbeitsplätze durch Rüstung" (rororo) auch einen Aufsatz von ihm und anderen SPD-Bundestagsabgeordneten, der auf die Vergabe von Rüstungsaufträgen eingeht. Gelte es, solche Aufträge für bestimmte Firmen an Land zu ziehen, sei der Betriebsrat dafür zuständig, den SPD-Bundestagsabgeordneten, und der Unternehmer, den CDU-Abgeordneten zu kontaktieren. So lief ein wichtiger Kanal des Rüstungslobbyismus unter gewerkschaftlicher Beteiligung.

Die Exportgenehmigung für U-Boote, die das Pinochet-Regime erhalten sollte, schlug auch in Kiel hohe Wellen. Tausend Beschäftigte der HDW traten 1980 in den Ausstand, um von der Bundesregierung die Erteilung einer Exportgenehmigung einzufordern. Dazu hatten der Betriebsrat, die IG Metall und das Unternehmen aufgerufen. Es handelte sich eher um eine bezahlte Kundgebung am Freitagnachmittag, als die Arbeiter in der Kieler Innenstadt dafür demonstrierten, diese U-Boote für die chilenische Junta bauen zu dürfen. In einer antimilitaristischen Aktion wurde die U-Boot-Werft einige Zeit später kurzfristig besetzt, wofür man die Aktivistinnen und Aktivisten der Kieler Chile-Solidarität wegen Hausfriedensbruchs zur Rechenschaft zog. Zu Zeiten der Kohl-Regierung wurden die Exporte schließlich genehmigt.

Wie funktioniert dieser Lobbyismus? 1973 traten die Betriebsräte aus dem Rüstungskonzern Maschinenbau Kiel (MAK) mit dem Anliegen an Norbert Gansel heran, Auftragsrückgänge durch eine Lockerung der Exportvorschriften zu kompensieren und den Bau von Flakpanzern nach Kiel zu vergeben. Gansel wurde im Verteidigungsministerium vorstellig und setzte sich für die Forderung ein. Dafür mußte er sich auf dem SPD-Parteitag rechtfertigen, worauf Willy Brandt abwiegelte, es sei doch völlig normal, daß führende Mitglieder der IG Metall in solchen Angelegenheiten initiativ würden. Demnach gibt es innerhalb des militärisch-industriellen Komplexes auch einen gewerkschaftlichen Flügel, der beispielsweise mit dem Hinweis darauf, daß durch ein Rückfahren des Rüstungsexports Arbeitsplätze in Gefahr seien, für öffentliche Unterstützung sorgt. Und da Kiel stärker als viele andere Städte und seit langem militär- und rüstungsabhängig ist, sind diesbezügliche gewerkschaftliche Stimmen hier von besonderem Gewicht.

Nach Einschätzung des Autors ist es typisch, daß sich SPD und Gewerkschaften wie die IG Metall für Rüstungsstandorte mit dem Argument stark machen, daß die Beschäftigten keine Alternative hätten und deshalb Exportgenehmigungen erteilt werden müßten. Eher ungewöhnlich war in den 1980er Jahren die Konversionsbewegung innerhalb der Gewerkschaften, inspiriert von dem Vorbild des britischen Luftwaffenausrüsters Lucas Aerospace. Dort machten sich Techniker und Arbeiter Gedanken darüber, wie anstelle von Kampfflugzeugen sozial und ökologisch nützliche Produkte wie Straßenbahnen, Windkraftanlagen und ähnliches entwickelt werden können. Unter dem Eindruck der Friedensbewegung gab es in der Bundesrepublik eine Reihe gewerkschaftlicher Aktivitäten, die Umstellung auf zivile Zwecke herbeizuführen. Vor allem im norddeutschen Raum bildeten sich diverse Konversionsarbeitskreise, an denen Ehrenamtliche, aber auch hauptamtliche Gewerkschafter, Betriebsräte und Vertrauensleute beteiligt waren. "Produktion für das Leben statt Waffen für den Tod" hieß denn auch das bekannteste Buch des Sprechers der Lucas-Kampagne, Mike Cooley. Auch hier gab es einen sozialpartnerschaftlich und einen konfliktorientiert ausgerichteten Flügel. Das Spektrum reichte vom betrieblichen Vorschlagswesen bis zur Einbeziehung von Aktivisten der Friedensbewegung und der Mobilisierung der Öffentlichkeit. Das spielte sich vor dem Hintergrund der Kieler Werftenkrise ab, die Anfang der 1980er Jahre dramatische Züge annahm. Mit dem Ende der Blockkonfrontation und dem Auslaufen der Friedensbewegung schliefen die meisten Arbeitskreise ein.

Nicht eingestellt wurde hingegen der gewerkschaftliche Rüstungslobbyismus. Die Broschüre "Perspektiven der deutschen militärischen Schiffbaukapazitäten im europäischen Kontext", die 2010 vom IG Metall-Vorstand veröffentlicht wurde, sorgte in linksgewerkschaftlichen Kreisen für einigen Wirbel. Die IG Metall spricht sich darin für den Erhalt der militärtechnischen Kernfähigkeiten im Marineschiffbau aus, der von nationaler Bedeutung sei. In den Hauptsegmenten des deutschen Marineschiffbaus, den nicht-atomaren U-Booten, Fregatten, Korvetten und Spezialschiffen, gelte es, eine leistungsfähige Basis für die Einsatzbereitschaft der Bundesmarine und die Exportfähigkeit sicherzustellen. Diese Ausrichtung liegt seit Jahrzehnten auf der Linie des Gewerkschaftsvorstands. So richtete die IG Metall bereits Ende der 1970er Jahre einen Arbeitskreis von Rüstungsbetriebsräten ein, der sich mehrmals im Jahr trifft, Kontakt zum Militär, zum Verteidigungsministerium und zur Rüstungswirtschaft herstellt und unter Ausschluß der Öffentlichkeit sehr rührig ist. Die IG Metall steht damit nicht allein: Ver.di wandte sich offensiv gegen die Schließung des Kieler Marinearsenals und ist innerhalb der Bundeswehr wie auch bei den Stationierungsstreitkräften präsent.


Auseinandersetzung mit den Thesen Wolfgang Abendroths

Malte Meyer, der in Marburg bei Schülern Wolfgang Abendroths studiert hat und in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig ist, setzte sich abschließend mit dessen Position zum Verhältnis von Gewerkschaft und Militär auseinander. Abendroth, Mitbegründer der Marburger Schule der marxistischen Politikwissenschaft, engagierte sich in der Friedensbewegung und trat in 1970er Jahren dafür ein, daß die DKP Soldatenagitation innerhalb der Bundeswehr betreiben darf. Er hat sich in den 1980er Jahren in einem längeren Gespräch zum Verhältnis von Gewerkschaften und Friedensbewegung geäußert: "So ist, wenn man das Verhältnis der Gewerkschaftpolitik zum Kampf gegen die Rüstung - also die Vorbereitung eines möglichen Krieges - und gegen den Krieg geschichtlich analysiert, hier kein Ruhmesblatt für die Gewerkschaftsführung zu entdecken, obwohl sich die Erkenntnis der Ersten Internationale, daß das dauerhafte und wirkliche gewerkschaftliche Interesse immer gegen den Krieg zwischen den Staaten und gegen seine Vorbereitung durch deren Hochrüstung gerichtet ist, in der Geschichte immer wieder bestätigt hat.

Meyer merkte dazu an, daß er mit seinem Buch zu dem Ergebnis gelangt sei, dem ersten Teil dieser Aussage Abendroths zustimmen zu können. Dem zweiten Teil würde er jedoch widersprechen, wenngleich sich Abendroth auf Marx beziehen kann, der Gewerkschaften für Sammelpunkte des Widerstands gegen das Kapital gehalten hat. Abendroth zufolge gelte es, am linken Flügel real existierender Arbeiterorganisationen zu wirken. Aus Sicht des Autors läßt sich diese zweite Bestimmung, daß Gewerkschaften grundsätzlich auf Friedenspolitik verpflichtet seien, obwohl sie doch in der Praxis wenig für die Verhinderung des Krieges tun, nicht aufrechterhalten. Sie müßte vielmehr durch eine realistische Gewerkschaftstheorie ersetzt werden, die berücksichtigt, wie stark die Gewerkschaften spätestens seit 1914 in den Apparat des imperialistischen Staates integriert sind.

Wie weit trägt innergewerkschaftlicher Protest? Er übe zwar solidarische Kritik an Leuten, die versuchen, innerhalb der Gewerkschaften Veränderungen herbeizuführen, so der Referent. Im Innern der Apparate auf antimilitaristische Positionen zu drängen, sei jedoch aus seiner Sicht vergebliche Liebesmüh. Diese Energie sollte besser unabhängig davon eingesetzt werden, denn die Gewerkschaftsapparate seien seines Erachtens genau dazu da, solche Energien zu absorbieren und unschädlich zu machen.


Fußnoten:

[1] zit. nach Frank Deppe u.a.: Friedensbewegung und Arbeiterbewegung. Wolfgang Abendroth im Gespräch, Marburg 1982

[2] Malte Meyer: Lieber tot als rot. Gewerkschaften und Militär in Deutschland seit 1914, Edition Assemblage, Münster 2017, 336 Seiten, 19.80 EUR, ISBN 978-3-942885-71-3


Berichte und Interviews zu den Linken Buchtagen im Schattenblick unter:
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BERICHT/068: Linke Buchtage Berlin - der belesene Blick nach vorne ... (SB)
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6. Juni 2018


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