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BERICHT/100: 24. Linke Literaturmesse - nicht einfach nur ein Klassenkampf ... (SB)


Totaler Extraktivismus (...) ist der Imperativ und Treiber der globalen kapitalistischen Ökonomie. Er beruht auf der Anwendung gewalttätiger Technologien und zielt darauf ab, die gesamte Erde zu integrieren und rekonfigurieren und ihre Bewohner zu absorbieren, während er seine Logik, Apparate und Sichtweise zum Regelfall macht und verschiedene Naturen gewaltsam kolonisiert und befriedet. (...) In Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft versucht der Kapitalismus, jegliche Vitalität zu verschlingen: Pflanzen, Tiere, Menschen, Kohlenwasserstoffe, Mineralien und schlicht alles, was der Staat und seine Anhängsel erspähen, verwerten oder in Wert setzen.
A. Dunlap, J. Jakobsen: The Violent Technologies of Extraction, S. 6/7 [1]


Die Linke Literaturmesse in Nürnberg [2] wird traditionell mit einer Podiumsdiskussion am Abend des ersten Veranstaltungstages eröffnet, die einem aus linker Perspektive besonders bedeutsamen aktuellen Thema gewidmet ist. Aus naheliegenden Gründen war in diesem Jahr die Wahl auf die Klimakrise gefallen, die wie kaum eine andere Problematik nicht nur für eine wachsende Protestbewegung, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit präsent ist. Unter den zahlreichen unbewältigten Problemen menschheitsgeschichtlicher Entwicklung wie Armut und Hunger, Krankheit und Elend, Unterdrückung und Krieg, ragt die klimatische Katastrophe gegenwärtig insofern heraus, als sie alle anderen Konflikte verschärft wie auch auf eine Veränderung zusteuert, die das Überleben auf diesem Planeten gravierend beeinträchtigt oder sogar unmöglich macht.

Wenngleich sich also angesichts der Klimakrise eine Endzeitstimmung einstellen kann, sind doch apokalyptische Beschwörungen denkbar ungeeignet, mit den zweifellos drängenden Fragen auf eine entwicklungsfähige und fruchtbare Weise umzugehen. Viel eher ist damit zu rechnen, daß Menschen unter wachsendem Druck und allgemeiner Verunsicherung um so mehr auf jene Grundmuster und Strategien setzen, die in ihrer gesellschaftlichen Verfestigung das Verhängnis herbeigeführt haben. Wollte man einen Wesenskern menschheitlicher Entwicklung benennen, so wäre dies das Überleben zu Lasten der eigenen Art, das den Aufstieg zur vernichtungsfähigsten Spezies beflügelt hat. Man könnte auch von einem unablässigen Raubzug sprechen, der natürliche Ressourcen ausplündert und menschliche Arbeitskraft ausbeutet, die im Marxschen Sinne die beiden Quellen der Wertschöpfung darstellen.

Genaugenommen handelt es sich sogar um eine Produktion von Unwert, da der eigene Vorteil immer nur am Nachteil des anderen bemessen und realisiert werden kann. Davon zeugt das oftmals angeführte Beispiel der Vernichtung indigener Völker in den Silberminen der spanischen Eroberer in Südamerika. In dieser als ursprüngliche Akkumulation bezeichneten Phase des frühen Kapitalismus bemißt sich der Wert des Silbers, auf dem das spanische Imperium gründete, im Grunde an der Macht, viele Menschen bei seiner Förderung zugrunde zu richten. Der Kapitalismus als bislang höchstentwickelte Form dieser Art menschlicher Vergesellschaftung ist daher nicht nur beiläufig im Sinne eines Kollateralschadens zerstörerisch für Mensch und Natur, sondern seiner innersten Dynamik gemäß. Das läßt sich empirisch belegen, indem man die globalen Lebensverhältnisse einbezieht und dabei realisiert, wie viele Menschen heute unterernährt sind oder verhungern, in erbärmlichsten Verhältnissen zu existieren gezwungen werden und Sklavenarbeit verrichten müssen wie auch als für überflüssig erklärte Bevölkerungsteile ausgegrenzt und der Vernichtung preisgegeben werden.

Eine ökonomistische Herangehensweise, die an dem der kapitalistischen Produktionsweise inhärenten Zwang zur Akkumulation lediglich die ungerechte Verteilung des Reichtums kritisiert und Verteilungsgerechtigkeit einfordert, greift zu kurz. Sie blendet das zentrale Moment der Herrschaftssicherung aus und vermeidet so, die Machtfrage zu stellen, weshalb das Gewaltmonopol des Staates als Sachwalter der Produktionsverhältnisse wie ein großer blinder Fleck im Diskurs um die Klimakrise weitgehend ausgespart bleibt. Hinzu kommt als ein weiterer vernachlässigter Schlüssel in der Auseinandersetzung mit der zerstörerischen Produktions- und Lebensweise die im Kontext der Herrschaft unabdingbare Beteiligung der Beherrschten an diesen Verhältnissen. Zum Zwangsarsenal potentieller oder exekutierter Repression gesellt sich das Versprechen, selbst als niederer Spießgeselle der Räuberbande immer noch besser zu fahren als die Opfer der Raubzüge in anderen Weltregionen. Wenngleich diese Aussicht mit keinerlei Garantie verbunden ist, nicht in Hartz IV und Altersarmut zu enden, drängt das Vorteilsstreben doch zum Konsens, die Erniedrigung, Ausgrenzung und Vernichtung anderer in den Rang der einzig vorstellbaren Ratio des eigenen Fortkommens zu erheben.

Wo der weiße deutsche Mann also auf seinen SUV beharrt, ist dies weit über ein bloßes Symbol hinaus ein vergegenständlichtes Vehikel patriarchalen, rassistischen und verbrauchsexzessiven Dominanzstrebens, das konsumistisch eingebunden und auf aggressive Verteidigungsreflexe geeicht ist. Die Bedeutung der deutschen Autoindustrie als eine zentrale Komponente der Exportstärke korrespondiert so mit einem tief verankerten Drang, maskuline Gewalt zur Schau zu stellen, im Individualverkehr durchzusetzen und dies mittels einer Umlastung der Produktionsaufwände und Zerstörungsfolgen zu alimentieren. So unverzichtbar eine Aufklärung sein mag, die sich sachlich überzeugender Argumente bedient, gilt es hier doch offenkundig sehr dicke Bretter zu bohren, um der faktischen Übermacht brachialer Kumpanei etwas entgegenzusetzen.

Diese hier allenfalls angerissenen Erwägungen legen nahe, die in der linken Debatte um die Klimakrise durchaus reklamierte antikapitalistische Position auf Herz und Nieren zu prüfen. Denn diese Begrifflichkeit wird eher mit leichter Hand jongliert, während eine fundierte Theoriebildung häufig aussteht und nicht selten sogar ausdrücklich als belehrend und unbrauchbar verworfen wird. Die Klimagerechtigkeitsbewegung ist nicht nur jung und frisch, so daß sie ihre Fragen relativ eigenständig und lebendig entwickelt. Sie entspringt zugleich einer Generation, der ein regelrechter Bruch und eine massive Umschreibung linker Geschichte voranging, die ihr daher nur eingeschränkt und oftmals verfälscht zugänglich ist. Das erlaubt es ihr zwar, die eigenen Anliegen authentisch zu bestimmen und nach vorn zu bringen, doch steht ihr zugleich die enorme Aufgabe ins Haus, sich verlorengegangenes Wissen um frühere Diskussionsprozesse und Kämpfe wieder zu erschließen, um der ungebrochenen Kontinuität herrschaftssichernder Entwürfe und Strategien nicht wehrlos ausgeliefert zu sein.


Alina Nüßing und Klara Beck auf dem Podium - Foto: © 2019 by Schattenblick

Kämpfen für Klimagerechtigkeit ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


"Klima kaputt - Nachhaltige Zerstörung oder Rettung?"

Beim Abendpodium trugen Klara Beck, Alina Nüßing, Emily Laquer und Wolfgang Pomrehn zunächst einige Thesen vor, um dann untereinander und schließlich auch mit dem Publikum zu diskutieren. Klara Beck und Alina Nüßing sind in der Attac Jugend aktiv, im Bündnis Sand im Getriebe und bei FFF-Demos präsent. Emily Laquer, eine Aktivistin der Interventionistischen Linken, engagiert sich unter anderem bei Ende Gelände und im Bündnis Sitzenbleiben. Wolfgang Pomrehn ist Geophysiker, Journalist und Autor, er schreibt über Klimaforschung, Energie- und Klimapolitik unter anderem für junge Welt und Telepolis. Wie an dieser Stelle vorwegzunehmen ist, bleibt die vielfach praktizierte Verfahrensweise des Sammelns von Fragen des Publikums aus zwei Gründen unbefriedigend. Zum einen fragmentiert sie den Diskussionsprozeß, der zum anderen im Grunde genommen auch keiner mehr ist, da das Plenum auf eine fragestellende Runde reduziert wird. In gewisser Weise dürfte die Neigung zu Monologen seitens des Publikums nicht zuletzt dem Wunsch entspringen, selber auch zu Wort zu kommen. So anspruchsvoll die Diskussion geleitet werden mag, wäre doch der Versuch empfehlenswert, einem geschlosseneren Diskussionsstrang den Zuschlag zu geben, der Verständnisfragen nicht ausschließt.

Klara Beck und Alina Nüßing charakterisierten die kapitalistische Produktionsweise als Wurzel des menschengemachten Klimawandels, Dynamik des Wachstumszwangs und Quelle sozialer Ungleichheit wie auch der Herausbildung kolonialer Strukturen. So wichtig die Frage individuellen Konsums auch sei, greife dieser Ansatz daher für sich genommen zu kurz. Bewegungen, die sich unter Klimagerechtigkeit definieren, nehmen den Klimawandel nicht als technische Herausforderung, sondern als ethisches und politisches Problem wahr. Sie definieren sich antikapitalistisch, feministisch und antirassistisch, arbeiten die koloniale Vergangenheit und Gegenwart auf. Damit betonten die beiden Referentinnen die Bedeutung eines intersektionellen Ansatzes, der als ein neues Element und Errungenschaft dieser Bewegungen hervorzuheben ist. Unter dem Dach der Klimagerechtigkeit lassen sich mannigfaltige Formen der Ausbeutung und Unterdrückung nicht nur zusammenführen, sondern im günstigsten Fall auch organisch verbinden.

Anzumerken wäre in diesem Zusammenhang, daß beträchtliche Fraktionen der marxistischen Linken die Bedeutung der ökologischen Frage unzulässig auf ein grünes Ausweichmanöver reduziert und allzu lange von sich gewiesen haben. Sie mußten von der jungen Bewegung an dieser Front zum Jagen getragen werden und laufen Gefahr, von deren unvertrauten Diskussionsprozessen und Begegnungsformen abgehängt zu werden. Wie in der Diskussion zum Ausdruck gebracht wurde, ist eine altlinke Belehrung das letzte, wofür diese AktivistInnen ansprechbar sind. Selbst eine Beteiligung im Namen einer anderen Organisation stoße an ihre Grenzen, während eine Mitarbeit auf gleicher Augenhöhe das Mittel der Wahl sei. Der zu bewältigende Widerspruch dürfte auf der Hand liegen: Linker Paternalismus ist nicht gefragt, doch kann andererseits bloße Anpassung an einen wenig entwickelten Diskussionsstand in vielen Fragen nicht die Antwort sein. Kritische Solidarität ist folglich eine Herangehensweise, die es in diesem Zusammenhang mit Leben zu füllen und sicher mancher schweren Belastungsprobe zu unterziehen gilt.

Denn wie eingangs angerissen, brauchen die neuen Bewegungen einerseits ihre Zeit, um sich eigenständig zu entwickeln und möglicherweise zu radikalisieren, während andererseits unverzügliches Handeln geboten ist. Die politischen Entscheidungen der Regierungen von heute bestimmen in hohem Maße den Kurs der wenigen verbliebenen Jahre, in denen Bremsmanöver zumindest nicht ausgeschlossen sind. FFF hat eine Dynamik befördert, der sich Medienlandschaft und Politik nicht entziehen können, ohne mit der überwiegend wohlwollenden Wahrnehmung dieser Bewegung in der Öffentlichkeit zu kollidieren. Zugleich werden Strategien der Einbindung und Spaltung von radikaleren Positionen gefahren, ist von einer linken Unterwanderung die Rede. Noch ist nicht abzusehen, daß sich die Bewegungen definitiv dadurch zügeln ließen, zumal manche FFF-Ortsgruppen mit Ende Gelände sympathisieren oder sich mit Rojava solidarisch erklären.


Auf dem Podium mit Mikro - Foto: © 2019 by Schattenblick

Wolfgang Pomrehn
Foto: © 2019 by Schattenblick


Bis zum Hals im Wasser

Wolfgang Pomrehn schöpfte aus den umfänglichen Erkenntnissen seiner langjährigen Forschungen und wies darauf hin, daß der Klimawandel aufgrund von Treibhausgasemissionen mindestens seit hundert Jahren bekannt ist. Der seit den 1970er Jahren registrierte Temperaturanstieg war zunächst noch hinsichtlich seiner Ursache umstritten, ab 1995 folgten erste realistische Simulationen. Setzt sich der Anstieg von 0,5 Grad seit 1990 ungebremst fort, werden bereits um 2030 die 1,5 Grad erreicht, jenseits derer eine Überschreitung von Schwellenpunkten droht. Die Folge wären nicht mehr aufhaltbare Entwicklungen, denn selbst wenn die Emissionen eingefroren würden, würde es viele Jahrhunderte weitertauen. Kein für die Welternährung so wichtiges Korallenriff würde überleben, der Meeresspiegel lange weiter und beschleunigt ansteigen. Schon 2050 würde der gesamte Süden Vietnams mit dem Mekongdelta ebenso überflutet wie große Teile Bangladeschs und des Nildeltas, Bangkok, Mumbai und Schanghai. Heute leben 250 Mio. Menschen in Gebieten, die dann akut bedroht würden, langfristig eine Milliarde.

Die deutschen CO2-Emissionen stammen zu 35 Prozent aus der Energieerzeugung, 21 Prozent aus der Industrie, 19 Prozent aus dem Verkehr und 10 Prozent aus den Haushalten, so Pomrehn. Kohle sei das größte Problem und Kohlekraftwerke der allererste Hebelpunkt, bei dem man ansetzen müsse. Die Klimakrise sei Teil einer Transformationskrise des Kapitalismus, der aus verschiedenen Gründen nicht so weitermachen könne wie bisher. Unternehmen müssen unter gesellschaftlicher Kontrolle umgebaut und Energiekonzerne zugunsten kleiner lokaler Unternehmen zerlegt werden, die Klimabewegung sollte eine Brücke gegen Entlassung und für soziale Absicherung schlagen, schlägt der Journalist und Aktivist vor.


Auf dem Podium mit Mikro - Foto: © 2019 by Schattenblick

Emily Laquer
Foto: © 2019 by Schattenblick


Ökosozialismus oder Barbarei

Emily Laquer formulierte vier Thesen, deren erste die Klimakatastrophe als den physischen Beweis dafür auswies, daß Kapitalismus diesen Planeten zerstört. Krisen sind ihm immanent, so auch die ökologische Krise. Exxon Mobile weiß seit den 1980er Jahren vom Klimawandel und macht Gegenpropaganda, Konzerne seien zu jedem Verbrechen bereit, wenn der Profit nur groß genug ist. Im Dieselskandal wurde gelogen, manipuliert, betrogen, und das Kraftfahrtbundesamt wußte davon. Energie wird nicht produziert, weil Menschen sie brauchen, sondern weil sie eine Ware ist und damit Geld gemacht wird. Konzerne wissen, daß der Kohleausstieg kommen wird, aber sie kämpfen um jeden Tag, der ihnen weiter Profit bringt. Der Kapitalismus wird sich nicht ökologisch umwandeln, vielmehr ist er schuld an der ökologischen Krise, so die Referentin.

Regierungen werden uns nicht retten, weil sie es nicht wollen oder nicht können. Obwohl der Klimawandel seit langem bekannt ist, wird der Vorwurf erhoben, das sei wissenschaftlich getarnter Sozialismus. So gingen 30 Jahre verloren, zumal Klimagipfel ursprünglich Treffen von AktivistInnen und WissenschaftlerInnen waren, während sie heute von Vertretern der Wirtschaft dominiert werden, die verbindliche Beschlüsse verhindern wollen. PolitikerInnen sind mit der Industrie verflochten, die reale Macht in den Parlamenten, etwas zu verändern, ist gering. Die großen Autokonzerne dürfen nicht scheitern, sie sind das Kernstück der Exportwirtschaft.

Die letzte Krise des Kapitalismus könnte die ökologische sein. Immer mehr Menschen begreifen, daß der Kapitalismus für die Klimakrise verantwortlich ist. Das zurückliegende Jahr habe alles verändert: Zu Greta Thunberg haben sich 1,4 Mio. deutsche SchülerInnen gesellt, es werden Straßen blockiert, viele radikalisieren sich an dieser Frage. Solche Erfahrungen sind prägend fürs Leben.

Es gibt die historische Möglichkeit der Katastrophe, die Option der Barbarei. Extinction Rebellion warnt vor dem Aussterben, fliehende Menschen werden von einem Grenzregime zurückgeworfen, soziale Verwerfungen massiv verschärft. Angesichts von Ressourcenkriegen und Verteilungskämpfen droht eine Ökodiktatur. Das alles gilt es zu verhindern, während die ökologische Krise andererseits auch ein Hebel für das gute Leben für alle sei. Das heißt, wir haben die Wahl: Ökosozialismus oder Barbarei, so Laquer.


Auf dem Podium mit Mikro - Fotos: © 2019 by Schattenblick Auf dem Podium mit Mikro - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Alina Nüßing und Klara Beck
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Zusammenführung der Kämpfe

Auf die Frage, wie die Kämpfe konkret zusammengeführt werden können, antwortete Alina Nüßing mit einem Verweis auf die Initiative Reclaim the Power in England, die sich mit MigrantInnen zusammengeschlossen und Abschiebeflüge blockiert hat. Wolfgang Pomrehn attestierte FFF ein organisches Zusammenfließen mit Seebrücke oder der Solidarität mit Rojava. Die Workers for Future träten für Arbeitszeitverkürzung ein, es gehe um das gute Leben. Dabei habe man die Wissenschaft auf der eigenen Seite, da sie soziale Gerechtigkeit mitthematisiere. Emily Laquer wies darauf hin, daß die Gegner meist dieselben seien, ob es nun um Leugnung des Klimawandels, ein Verbot der Abtreibung oder die Abschiebung geflohener Menschen gehe. Die Zerschlagung männlicher Herrschaft über weibliche Körper sei derselbe Kampf wie jener für das gute Leben für alle und das Überleben auf dem Planeten. Aber es gebe auch gute Gründe, manche Kämpfe strategisch nach vorn zu stellen. In Lateinamerika erreichten die Kämpfe von Frauen die Köpfe der Menschen, wobei sie andere Fragen durchaus mit einbezögen. Langfristige Strukturen der Organisierung dürften Klara Beck zufolge nicht rassistisch und sexistisch sein. Das schaffe Energie und Motivation, die dauerhaft trage. Emily Laquer warnte davor zu predigen und plädierte für ein Mitmachen auf Augenhöhe anhand konkreter Themen mit utopischem Überschuß, die nicht auf leichtem Weg lösbar sind.


Emily Laquer und Wolfgang Pomrehn auf dem Podium - Foto: © 2019 by Schattenblick

Gebremster Dissens ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


Die Systemfrage stellen

Was brauchen wir anstelle des neoliberalen Systems? Darauf erwiderte Wolfgang Pomrehn, er könne kein anderes System ausmalen. Ihn lasse es unbefriedigt, aus der Klimakrise die Abschaffung des Kapitalismus abzuleiten, zumal diese Forderung nicht mobilisierungsfähig sei und "Sozialismus" höchst kontrovers verstanden werde. Man müsse konkret um die Energiewende streiten, wie Ende Gelände den Finger in die Wunde legen, Chemie-, Stahl- und Automobilindustrie angreifen, sich in lokalen Themen engagieren und die Kommunalpolitik beeinflussen. Diese Andeutung, den parlamentarischen Weg nicht auszuschließen, rief Klara Becks Einwand auf den Plan, sie sehe ihre Ressourcen in unabhängigen Bewegungen besser eingesetzt. Emily Laquer verwies auf wichtige Bündnispartner in der Linkspartei, manchmal auch bei den Grünen, sofern diese in der Opposition seien. Als sie jedoch wie in Hamburg bei G20 mitregierten, hätten sie auf der Gegenseite gestanden. Aus den sozialen Bewegungen könne man freier als in Parlamenten agieren, wie das abschreckende Beispiel Syriza vor Augen führe. Auch auf Sanders oder Corbyn zu setzen, halte sie für gefährlich.

Bedauerlicherweise war das auch schon die einzige zumindest anklingende Kontroverse auf dem Podium, obgleich sich durchaus die Gelegenheit zu einer schärferen und weiterführenden Klärung geboten hätte. So argumentierte Pomrehn, daß noch keine Revolution unter der Forderung nach einem anderen System abgelaufen sei. Die Menschen hätten stets Brot oder Brot und Frieden, also ganz konkrete Dinge verlangt. Diese verkürzte Gleichsetzung des Zündfunkens oder der zentralen Parole der Erhebung mit dem gesamten revolutionären Prozeß unterschlägt seine komplexen historischen Bedingungen und nicht zuletzt tiefgreifende Entwürfe, politische Programme und organisierte Parteien oder Strukturen, die darin eine maßgebliche Rolle spielten. Ohne damit einer unverzichtbaren parteipolitischen Avantgarde das Wort zu reden, wäre es doch die Organisationsfrage wert gewesen, an dieser Stelle nachzufassen.

Noch naheliegender wären indessen entschiedene Einwände gegen Pomrehns Versicherung gewesen, die Ängste der Linken vor einem grünen Kapitalismus seien lächerlich. Die deutsche Bourgeoisie und die große Industrie hätten kein Interesse an irgendeinem grünen Kapitalismus, da sie einfach so weitermachen wollten wie bisher. Die Gefahr eines grünen Kapitalismus, da könne er alle beruhigen, drohe nicht. Diese Aussage mutete denn doch sehr irritierend an, da mit dem Zertifikatehandel, der CO2-Steuer oder dem Elektroauto konkrete Schritte zur Fortschreibung der herrschenden Verhältnisse im grünen Tarnanzug längst Einzug gehalten haben. Wenngleich die fossilistische Technologie aus den oben genannten wie auch anderen Gründen mit Zähnen und Klauen verteidigt wird, heißt das doch nicht, daß die Strategie, die Krise nicht abzuwenden, sondern aus ihr als Sieger hervorzugehen, in Deutschland nicht abermals ganz oben auf der Agenda stünde.

Diskussionsbeiträge aus dem Publikum brachten denn auch zum Ausdruck, daß grüner Kapitalismus durchaus existiere und versuche, die Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse marktwirtschaftlich zu ummanteln und mit einer Kapitalisierung der Natur auf die Bahn einer fortgesetzten Wachstums- und Akkumulationslogik zu bringen. Die radikale Linke sollte nicht allzu bescheiden auftreten und im Strom einer marktwirtschaftlichen Klimalösung mitschwimmen, sondern einen Entwurf wie Ökosozialismus stark machen und inhaltlich füllen. Es gehe um eine Wirtschaft, die nicht am Tauschwert, sondern den Bedürfnissen der Menschen orientiert und internationalistisch ist wie auch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel anstrebt. Werde die Machtfrage nicht gestellt, sei der Kampf gegen die Klimakrise zum Scheitern verurteilt.


Transparent 'Make Rojava Green Again' am 15. März in Hamburg - Foto: © 2019 by Schattenblick

Freiräume für sozialökologische Entwürfe von Krieg und Unterdrückung bedroht
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnote:


[1] In eigener Übersetzung aus dem Englischen:
https://www.academia.edu/40646837/The_Violent_Technologies_of_Extraction_Political_Ecology_Critical_Agrarian_Studies_and_the_Capitalist_Worldeater

[2] http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbrb0098.html


6. November 2019


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