Schattenblick →INFOPOOL →DIE BRILLE → REPORT

INTERVIEW/017: Linksliteraten - Der rote Faden ...    Wiljo Heinen vom Verlag Wiljo Heinen im Gespräch (SB)


19. Linke Literaturmesse Nürnberg

Wiljo Heinen über die Vorzüge einer politischen Publizistik, die unabhängig von Wetter und Konjunktur Kurs hält



1960 in der BRD geboren, fühlt sich Wiljo Heinen dem Vermächtnis einer Linken verpflichtet, die, abseits modischer Trends oder politischer Opportunitäten, den herrschenden Verhältnissen in Wort und Schrift Paroli bietet. Seit 2006 veröffentlicht der Verlag Wiljo Heinen progressive Literatur, was bekanntermaßen nicht viel einbringt außer dem unbezahlbaren Vorteil, sich nicht verbiegen zu müssen. Am Stand des Verlages auf der Linken Literaturmesse beantwortete Wiljo Heinen dem Schattenblick einige Fragen zu seinem verlegerischen Selbstverständnis.

Am Stand des Verlages - Foto: © 2014 by Schattenblick

Wiljo Heinen und Gabriele Senft
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Du bietest hier auf deinem Stand progressive Literatur an. Was verstehst du darunter?

Wiljo Heinen: Progressive Literatur meint Literatur, die, um es einmal pathetisch auszudrücken, dem gesellschaftlichen Fortschritt verpflichtet ist. Daß ich den Ausdruck progressive Literatur benutze, hat auch ein bißchen mit Provokation zu tun, weil es mir darum geht, den Ausdruck dort aufzubrechen, wo er negativ konnotiert ist.

SB: Wie lange gibt es euch als Verlag?

WH: Wir feiern am 13. August nächsten Jahres unseren neunten Geburtstag. Den Termin kann man sich schon einmal vormerken, denn an dem Tag ist eine Veranstaltung mit der jungen Welt fest geplant.

SB: Was sind eure thematischen Schwerpunkte?

WH: Ein Schwerpunkt ist Kuba, auch wenn im Moment einige Titel vergriffen sind, weshalb hier auf der Messe nur vier Kuba-Titel ausliegen. Generell ist es Lateinamerika, aber Kuba im besonderen. Ein zweiter Schwerpunkt, aus dem heraus der Verlag überhaupt entstanden ist und zu dem im Frühjahr wieder drei Titel erscheinen werden, ist die Aufarbeitung der DDR im fortschrittlichen Sinne. Ich benutze das Wort Aufarbeitung absichtlich, weil es von den Propaganda-Instituten oft mißbräuchlich verwendet wird. Das heißt, man wird bei uns kein Buch finden, das die DDR glorifiziert und als das Beste ausweist, was uns je passieren konnte. Und man wird bei uns auch keine DDR-Nostalgie finden. Unsere Bücher zum Thema DDR sind kritisch-solidarisch und würdigen sie zum einen als eine Errungenschaft der Arbeiterbewegung und zum anderen, weil sie bei allen Fehlern und Problemen deutlich fortschrittlicher war als die BRD. Daß das sozialistische Projekt in seiner Entwicklung zurückgeworfen wurde, hat mit dem Untergang des sozialistischen Lagers und im besonderen mit der Annexion der DDR durch die BRD zu tun. Daher ist es uns wichtig, das Gute an der DDR zu bewahren, sprich gegen die massive Anti-DDR-Propaganda vorzugehen, und aus den Fehlern zu lernen, nicht indem wir sie pauschal als Fehler aburteilen, sondern fragen, was eigentlich schiefgelaufen ist. Lernen aus der DDR, so ließe sich unser zweiter Schwerpunkt positiv formulieren.

SB: Angesichts der vorherrschenden Kultur einer geschichtspolitischen Diffamierung der DDR kann man mit Büchern, die dementsprechende Ressentiments bedienen, gut Umsatz machen. Gibt es bei alledem auch eine Resonanz seitens eines Publikums für eine kritisch zugewandte Auseinandersetzung mit der DDR?

WH: Eines der Ziele unseres Verlags war tatsächlich, die kritisch-solidarische Auseinandersetzung mit der DDR auch in die Westlinke zu tragen. Als wir das erste Mal in Nürnberg waren, haben wir im Umgang mit uns eine deutliche Distanz, fast schon so etwas wie Fremdheit gespürt, die aber inzwischen abgebaut ist. Mittlerweile verkaufen wir die Hälfte unserer DDR-Titel im Westen, so daß unser Verlag nicht mehr nur den Osten vertritt. Trotz dieser massiven 25-Jahre-Propagandawelle haben wir Titel im Sortiment, die in den letzten Wochen fast ausschließlich im Westen verkauft wurden, obwohl einige davon vor drei, vier, das älteste sogar vor fünf Jahren erschienen ist. Das ist eine Entwicklung, über die ich mich sehr freue.

SB: Verlegt ihr auch westdeutsche Schriftsteller?

WH: In unserer Belletristik-Sparte haben wir ausschließlich DDR-Schriftsteller. Ich selbst bin im Westen der BRD aufgewachsen, aber der Verlagssitz ist in dem Teil Berlins, wo die Straßenbahn fährt. Tatsächlich weisen unsere Kontakte ursprünglich in die ostdeutsche und Berliner Kultur- und Politszene. Im ersten Jahr hier in Nürnberg stufte man uns zunächst als Ostverlag ein. Inzwischen wissen die Besucher der Messe, daß wir auch wichtige Bücher wie "Target" von Gabriele Senft, das sich noch einmal mit dem Jugoslawienkrieg befaßt, aufgreifen.

SB: Die DDR war auch ein Land mit einer sehr entwickelten Buch- und Lesekultur, was dadurch gefördert wurde, daß die Bücherpreise erschwinglich waren. Gäbe es auch in dieser Hinsicht etwas von der DDR zu lernen?

WH: Unbedingt. Ich will einmal ein konkretes Beispiel dazu geben: Wenn wir hier unseren Stand eröffnen, signieren unsere Autoren nicht nur ihre Bücher, sondern reden und diskutieren auch über drei Tage hinweg mit den Besuchern. Es klingt albern, aber damit verkörpern wir tatsächlich ein Stück DDR-Kultur. In der DDR ging es nicht nur um das Lesen guter Literatur, auch der Kontakt zwischen Autoren und Lesern war viel direkter. Diese Tradition versuchen wir zu retten, wenn wir unsere Autoren bitten, nicht nur zu Veranstaltungen anzureisen, sondern es so einzurichten, daß sie sich hier auf der Messe an den Stand setzen und mit den Leuten sprechen. Ganz konkret bereiten wir im Augenblick zusammen mit Gabriele Senft zum Thema "Leseland DDR" eine Fotoausstellung vor, die im Sommer bei der jungen Welt stattfinden und den Umgang zwischen Autoren und Lesern durchleuchten wird.

SB: Was hat es mit dem Projekt der Buchpatenschaft auf sich?

WH: Ausgehend davon, daß sich Bücher nicht gut verkaufen, haben wir uns Gedanken darüber gemacht, wie wir Bücher unter die Leute bringen könnten. Dann kam uns die Idee mit der Buchpatenschaft, wo Leser einen solidarischen Beitrag dazu leisten könnten, indem sie nicht abstrakt Geld geben, sondern die Lektüre speziell eines Buches, das ihnen am Herzen liegt und zu dessen Verbreitung sie beitragen möchten, mit einer Spende unterstützen. Dazu haben wir drei Ansätze entwickelt. Einer davon ist ganz pragmatisch und funktioniert sehr gut mittels einer Buch-Solidose am Stand. Wir erleben es oft, daß Leute vorbeikommen, ein Buch mehrfach in die Hand nehmen und es gerne kaufen würden, aber es sich nicht leisten können. Auf der anderen Seite haben wir hin und wieder auch Menschen, die Geld erübrigen könnten. Durch die Solidose können sie für jemand anderen, der weniger Geld hat, ein Buch bezahlen. Sie kaufen ein Buch praktisch zweimal, und wir geben es dann jemandem, der es gerne lesen möchte. Auf diese Weise unterstützen sich die Leser gegenseitig. Wegen der Buchpreisbindung dürfen wir Bücher nicht billiger verkaufen. Wenn jemand nur einen Fünfer hat, kann ich ihm das Buch nicht für einen Fünfer überlassen. Aber mit der Dose funktioniert das, wenn jemand Geld für einen anderen reinlegt.

SB: Wäre das auch eine Möglichkeit, Bücher neu herauszugeben, die nicht mehr verfügbar sind?

WH: Ja, diese Idee gibt es auch, daß Leute 100, 200 oder 300 Euro spenden, damit ein vergriffenes Buch wieder neu aufgelegt wird. In einem konkreten Fall haben wir auf Anregung und mit Unterstützung einer Buchpatin ein Buch, das seit drei Jahren nicht mehr lieferbar war, wieder auf den Markt gebracht. Als Verleger muß man immer zwischen neuen und alten Büchern abwägen, aber als Buchpate oder Buchpatin hat man die Möglichkeit, ein Buch, das man als wertvoll erachtet, wieder drucken zu lassen. Das hat mit Solidarität zu tun und stellt eine Art Kulturförderung von unten dar.

SB: Wiljo, vielen Dank für das Gespräch.

Plakat zu Buchpatenschaften - Foto: © 2014 by Schattenblick

Kulturförderung von unten
Foto: © 2014 by Schattenblick


Zur "19. Linken Literaturmesse in Nürnberg" sind bisher im Pool
INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT
unter dem kategorischen Titel "Linksliteraten" erschienen:

BERICHT/017: Linksliteraten - Aufgefächert, diskutiert und präsentiert ... (SB)
BERICHT/018: Linksliteraten - Sunnitische Ränke ... (SB)
BERICHT/019: Linksliteraten - Arbeit, Umwelt, Klassenkampf ... (SB)

INTERVIEW/009: Linksliteraten - Ukraine und das unfreie Spiel der Kräfte ...    Reinhard Lauterbach im Gespräch (SB)
INTERVIEW/010: Linksliteraten - Schienenband in Bürgerhand ...    Dr. Winfried Wolf im Gespräch (SB)
INTERVIEW/011: Linksliteraten - Spuren des Befreiungskampfes ...    Prof. Dr. Herbert Meißner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/012: Linksliteraten - kapital- und umweltschadenfrei ...    Emil Bauer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/013: Linksliteraten - Der aufrechte Gang ...    Victor Grossman im Gespräch (SB)
INTERVIEW/014: Linksliteraten - Übersetzung, Brückenbau, linke Kulturen ...    Mario Pschera vom Dagyeli-Verlag im Gespräch (SB)
INTERVIEW/015: Linksliteraten - Vermächtnisse und Perspektiven ...    Simone Barrientos vom Kulturmaschinen-Verlag im Gespräch (SB)
INTERVIEW/016: Linksliteraten - Die linke Optik ...    Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann vom Verband Arbeiterfotografie im Gespräch (SB)

15. Dezember 2014