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INTERVIEW/032: Links, links, links - Teilen bis zur Revolution ...    Daniel Horneber im Gespräch (SB)


"Auf dem rechten Auge blind"...?

20. Linke Literaturmesse in Nürnberg


Daniel Horneber ist in der DKP organisiert und intervenierte bei der Auftaktveranstaltung der Linken Literaturmesse gegen die Verwendung einer auch unter Linken verbreiteten Sprache, mit der Behinderte diskriminiert werden. Im Anschluß an die Podiumsdiskussion beantwortete Daniel dem Schattenblick einige Fragen zu behindertenpolitischen Themen im Kontext rechtspopulistischer Demagogie.


Im Künstlerhaus Nürnberg - Foto: © 2015 by Schattenblick

Daniel Horneber
Foto: © 2015 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Daniel, weshalb bist du hierher zur Linken Literaturmesse gekommen?

Daniel Horneber (DH): Ich bin als Kommunist DKP-Mitglied, spreche jetzt aber als Privatperson. Behindertenpolitik aus der Perspektive eines Betroffenen ist Teil meiner politischen Auseinandersetzung, aber nicht der eigentliche Grund, warum ich mich politisiert habe. Dafür waren andere Themen ausschlaggebend. Als 14jähriger habe ich mich gefragt, was mit der Medienpropaganda nicht stimmt, wenn sie in dieser Art und Weise über den Jugoslawienkrieg berichtet, und wie es angehen kann, daß eine Friedenspartei wie Die Grünen sich zur Kriegspartei wandelt. Ich bin dann schließlich auf Demos zum 1. Mai gelandet, wo ich meine Genossen und Genossinnen kennengelernt habe. Seit dieser Zeit bin ich in der radikalen Linken aktiv.

SB: Fühlst du dich angesichts der besonderen Problematik von Behinderten in der DKP gut aufgehoben, denn im wesentlichen handelt es sich doch um eine klassenkämpferische Partei?

DH: Ich kann meine Position unterbringen, auch wenn sie wie in allen Parteien nur eine Randthematik abbildet. Dennoch weiß ich, daß ich in der DKP mit meinem Verständnis von Behindertenpolitik als einer Steigerungsform von Ausbeutung auf offene Ohren stoße. Dazu muß man sich nur anschauen, was mit behinderten Menschen in Parallelwelten wie den Werkstätten passiert, wo sie unter Ausschluß vom Mindestlohn mit Zwangsarbeitslöhnen von 1,30 Euro abgespeist werden. Das sind ja keine von der realen Wirtschaft abgekoppelte Unterdrückungsmechanismen, sondern sie spiegeln, wenngleich in zugespitzter Form, nur die vorherrschende Spaltung der Arbeiterklasse wie zum Beispiel in ausländische Kollegen und sogenannte Deutsche wider. Insofern verwundert es nicht, wenn jetzt aus Wirtschaft und Politik die Forderung kommt, bei den geflüchteten Menschen den Mindestlohn auszusetzen, weil sie angeblich nicht qualifiziert genug sind. Das ist natürlich ausgemachter Blödsinn, denn tatsächlich ist es so, daß ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden.

Behinderte sind aufgrund einer eingeforderten Effektivität, die sie nicht leisten können, einer speziellen Ausdrucksform von Ausbeutung ausgesetzt. Als behinderte Person bin ich nicht irgendein Extra-Subjekt, das außerhalb der Arbeiterklasse seinen NGO-Kampf führt, sondern ohne jede Einschränkung Teil der Arbeiterklasse. Ich persönlich mache gerade eine Ausbildung zum Erzieher und bin froh, nicht in einer Werkstatt arbeiten zu müssen. Sie haben es noch nicht geschafft, mich auszusortieren, und sie werden es auch nicht schaffen, weil ich dann nämlich nicht mehr arbeiten gehe. Die DKP ist ernsthaft daran interessiert, den Kapitalismus zu überwinden, der unser aller Problem ist, und das gilt nicht minder für eine behinderte Person.

SB: Kannst du dir vorstellen, daß sich Behinderte über eine klassenkämpferische Position von diesem diskriminierenden Sonderstatus entlasten und auf eine ganz andere Weise emanzipieren könnten, zumal die Sonderbehandlung natürlich sehr stark über die ausgrenzende Sicht anderer an sie herangetragen wird?

DH: Für mich ist das der einzige Wert, sich in der Perspektive vom Status der behinderten Person, die ohnehin nur eine Konstruktion ist, zu befreien. Das heißt aber nicht, daß sich Menschen mit Einschränkungen lediglich diskriminiert fühlten, vielmehr erfahren sie die Diskriminierung real durch die gesellschaftlichen Barrieren. Meines Erachtens ist die Abschaffung des Kapitalismus die einzige Möglichkeit dafür, daß es irgendwann keine behinderten Menschen mehr gibt, und zwar in dem Sinne, daß Menschen aufgrund ihrer körperlichen Diversität der Mehrheit gegenüber nicht mehr stigmatisiert werden, auch wenn es sie rein physisch natürlich weiterhin geben wird. Es wäre keine sozialistische Politik, wenn sie eines Tages nicht mehr existieren würden, aber behinderte Menschen im Sinne dessen, daß sie gesellschaftlich behindert werden, wird es in einem hochentwickelten Sozialismus, vielleicht auch erst im Kommunismus, in dieser Form nicht mehr geben. Auch wenn ich mir sicher bin, diesen hochentwickelten Sozialismus nicht mehr erleben zu können, lohnt sich die Arbeit daran.

SB: An Pegida-Demonstrationen nehmen, wenngleich in geringer Zahl, auch Behinderte teil. Hätten sie nicht allen Grund, mit Rechten, deren Elite- und Leistungsdenken auch eugenische Wurzeln hat, nicht zu paktieren?

DH: Ich höre im Moment keine Töne von wegen "Wir müssen wieder Anstalten aufsperren für Behinderte" oder "Behinderte gehören nicht zu diesem konstruierten Volkskörper, der gegen den Islam verteidigt werden muß". Zumindest kann man im Augenblick sagen, daß Behinderte von Pegida bzw. der neuen Rechten nicht aktiv ausgeschlossen werden. Daß Pegida wahrscheinlich dennoch dahinkommen wird, zu verhindern, daß neue Kinder mit Einschränkungen geboren und damit auch wieder eugenische Programme aufgelegt werden, liegt in der Logik ihrer Ausschlußpolitik.

Es gibt im Netz ein Video von einem Rollstuhlnutzer aus Berlin, der auf einer Pegida-Demo in Dresden als Redner auftritt. Darin sagt er, daß die Volksverräter - er meint die Politiker - sich nicht um behinderte Menschen kümmern, und fordert schließlich den Mindestlohn in Werkstätten. Dafür bekommt er gehörigen Applaus. Ich mache durchaus einen Unterschied zwischen Rechtspopulisten und Faschisten. Letztere schließen uns offen aus, Rechtspopulisten nutzen uns für ihre soziale Demagogie, auch wenn ich in den Reden von AfD und Konsorten keine Forderung nach einer Einheitsschule finde. Vielmehr plädieren sie für getrennte Schulsysteme, die mit Behindertenfreundlichkeit nichts zu tun haben. Auch zur Arbeitssituation von Behinderten äußert sich die AfD nach meinem Kenntnisstand nicht.

SB: Könnte man sagen, daß Pegida eine soziale Spaltung entlang nationaler Grenzen propagiert?

DH: Ja, und die kommt bei behinderten Menschen in der Flüchtlingskrise relativ gut an. Ich hätte nicht erwartet, daß in sozialen Netzwerken von Behinderten jetzt so eine Überfremdungsangst bzw. ein geschürter Haß aufkommt und daß Inklusionsgruppen, die eine Schule für alle fordern, bei besorgten Bürgern mitlaufen, die, weil plötzlich Gelder für die Bildung von geflüchteten Kindern zur Verfügung gestellt werden, aber für ihre Kinder jahrelang angeblich kein Geld vorhanden war, rechte Parolen skandierend auf die Straßen gehen. Es ist ja nicht so, daß die politischen Eliten aus reiner Nächstenliebe Geld für fremde Menschen in die Hand nehmen, deren Flucht überdies durch eine von uns mitverschuldete Kriegspolitik verursacht wurde, sondern, weil ihnen der Laden sonst um die Ohren fliegt. Dennoch ist das, was jetzt an rechtem Bodensatz hochkocht und von Menschen nach unten getreten wird, die in unserem System Deklassierung und verschärfte Ausbeutung erleben, ziemlich erschreckend.

SB: Rosa von Praunheim hat in seinen Filmen dargestellt, daß die Reaktion schwuler Männer auf ihre Diskriminierung in einer Art Überanpassung bestehen kann, die sie noch biederer werden läßt als die Bürger, die sie verfolgen. Sollten Behinderte nicht von vornherein entschieden oppositionell auftreten, statt sich nach der bügerlichen Mitte zu orientieren?

DH: Ob aus der Orientierung zwangsläufig eine Überanpassung resultieren muß, weiß ich nicht. Tatsache ist jedoch, daß vor allem in Thüringen bei AfD-Demonstrationen mit Höcke am Rednerpult sehr viele Rollstuhlfahrer dabei waren. Ich würde indes nicht soweit gehen, der Pseudo-Linken unter Ramelow die Schuld daran zu geben, die es seit ihrem Regierungsantritt vor einem Jahr versäumt hat, den Posten des Behindertenbeauftragten, den es vorher durchaus gegeben hat, zu besetzen. Die Person, die sie vorgesehen hatte, war aus irgendeinem Grund nicht tragbar, und der Kandidat der Mehrheit der aktiven Linken scheint für die Regierung nicht annehmbar zu sein. Ich kann nicht sagen, warum sie aus ihrer Partei heraus nicht von ihrem Vorschlagsrecht Gebrauch machen und Maik Nothnagel endlich zum Behindertenbeauftragten machen. Auch wenn er inzwischen nicht mehr im Parlament sitzt, sehe ich in der thüringischen Linkspartei keinen Geeigneteren für den Posten des behindertenpolitischen Sprechers.

Daß jetzt viele Bürger in Thüringen zu den Rechten laufen, weil sie sich von einer linken Politik, die inzwischen nur noch linkssozialdemokratisch agiert, vernachlässigt fühlen, ist keine zwangsläufige Folge. Es steht jedem Menschen frei, eine andere Entscheidung zu treffen, unabhängig davon, ob seine sozialen Ansprüche im Kapitalismus berücksichtigt werden oder nicht. Doch angesichts der in Deutschland weit verbreiteten Mentalität, nach unten zu treten und nach oben zu buckeln, bin ich auch nicht weiter verwundert darüber.

SB: Du hattest in deiner Redemeldung bei der Podiumsdiskussion den leichtfertigen Gebrauch einer behindertenfeindlichen Sprache moniert. Kommt so etwas aus deiner Sicht häufiger vor oder könnte es möglicherweise daran liegen, daß es unter Linken kein Bewußtsein für die Doppeldeutigkeit von Redewendungen gibt?

DH: Ich habe keine statistische Auswertung, wieviele Berichte zum Versagen oder Nichthandeln von Staatsorganen bezüglich des Phänomens NSU oder des Abfackelns von Flüchtlingsheimen von Redewendungen frei sind, bei denen die Begriffe "blind" oder "taub" verwendet werden. Das Ganze hat auch eine gesellschaftliche Kehrseite, denn wenn man sagt: Wer den Rassismus in der AfD nicht wahrnimmt, muß taub und blind sein, sollte nicht vergessen, daß Sprache immer auch ein Regulativ ist. In diesem Vergleich wird blinden und tauben Menschen nämlich explizit ein soziales Gespür für rechte Tendenzen abgesprochen und unterstellt, sie seien aufgrund ihrer körperlichen Diversität rassistischer und faschistoider als die Mehrheitsgesellschaft.

Wenn es dagegen heißt, Polizei und Staatsschutz seien auf dem rechten Auge blind, findet im Grunde eine Verschleierung bzw. Entlastung statt. Denn wenn staatliche Organe auf dem rechten Auge blind und damit einäugig sind, können sie ja nichts dafür, daß sie mit dem linken Auge keine Nazis sehen können. Das ist nicht nur eine Beleidigung der Sehbehinderten, sondern auch ein sprachliches Entlastungsmänöver. Zeitungen wie die Süddeutsche benutzen diese Begrifflichkeiten ganz bewußt, um Staatsorgane in Schutz zu nehmen. Wenn taz, junge Welt und parteigebundene Zeitungen oder der VVN-BdA und die Rote Hilfe solche Sprachbilder verwenden, dann tun sie es, weil sie die Rhetorik der Herrschenden nicht kritisch reflektieren. Was ich sympathischer finden soll, weiß ich nicht. Die bewußte Verschleierung hat wenigstens System, während das simple Nachplappern nur entnervend ist.

SB: Daniel, vielen Dank für das Gespräch.


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10. Dezember 2015


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