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INTERVIEW/144: 24. Linke Literaturmesse - der gleiche Feind ...    Renée Steenbock im Gespräch (SB)



Zur Zeit des Spanischen Bürgerkrieges kämpften über 20.000 Frauen in den "Mujeres Libres", einer anarchistisch-feministischen Organisation, gegen den damaligen Sexismus wie auch den Putsch Francos gegen die demokratisch gewählte Volksfrontregierung. Ein wichtiger Aspekt ihrer Aktivitäten lag im Bildungsbereich, wobei sie unter Bildung nicht die Anhäufung von unter Kriegsbedingungen und Emanzipationsaspekten eher nutzlosem lexikalischen Wissen verstanden, sondern "die Bewußtwerdung der eigenen Lage als ausgebeutete Frauen", wie Renée Steenbock am 2. November 2019 auf der 24. Linken Literaturmesse in Nürnberg in einer Lesung [1] des von ihr übersetzten Buches "Mujeres Libres. Libertäre Kämpferinnen" [2] erläuterte.

Keineswegs sei es so gewesen, daß die Mujeres Libres in ihrem Kampf gegen Unterdrückung und sexuelle Ausbeutung der Frau kein Klassenbewußtsein gehabt hätten. Wesentlich für das Verständnis dieser Kämpferinnen sei allerdings, wie Renée Steenbock betonte, daß "sie sich nie gegen Männer ausgesprochen, sondern immer betont haben: wir ergänzen uns." Am Ende der Lesung konnte der Schattenblick die Gelegenheit nutzen, der Übersetzerin zu ihrer persönlichen Einschätzung und Bewertung der damaligen Frauenkämpfe einige Fragen zu stellen.


Foto: © 2019 by Schattenblick

Renée Steenbock
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Du hast, gemeinsam mit der Herausgeberin Vera Bianchi, das Buch "Mujeres Libres. Libertäre Kämpferinnen", das in diesem Jahr auf deutsch erschienen ist, übersetzt. War das für dich eine eher professionelle Aufgabe oder im Grunde ein Herzensanliegen, um auf diesem Wege die Erinnerungen an die Mujeres Libres auch dem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen?

Renée Steenbock (RS): Das ist eine ganz interessante Frage. Die Spanische Revolution hat mich schon seit vielen Jahren fasziniert, und ich habe auch sehr viel darüber gelesen. Dieser Aspekt aber ist mir komischerweise nie untergekommen, und ich habe eigentlich erst durch die Auseinandersetzung mit diesem Buch erkannt, wie wichtig die Rolle ist, die die Mujeres Libres gespielt haben. Ich kannte natürlich spanische Kommunistinnen wie Dolores Ibárruri [3], die ja auch international bekannt geworden ist, aber die Bewegung der Mujeres Libres war mir gänzlich unvertraut und das hat mich sehr beschäftigt.

SB: Da könnte man ja fast sagen, das Buch befasse sich mit einem Bereich vergessener Geschichtsschreibung auch in der politischen Frauenbewegung. War es dir ein Anliegen, durch deine Mitwirkung an dieser Buchveröffentlichung in diesem Sinne ein Zeichen zu setzen?

RS: Auf jeden Fall. Es gibt in dem Buch einen Artikel der US-Amerikanerin Maria Rodriguez Gil, die in der Frauenbewegung aktiv ist und die Mujeres Libres mit anderen Frauenorganisationen verglichen hat. Das finde ich ganz interessant. Sie sagt, die Mujeres Libres seien die einzige Frauenorganisation, die sie immer rückhaltlos bewundert und respektiert habe. Sie hat 1977, also nach Francos Tod, an den ersten Versammlungen der Mujeres Libres in den Räumen der CNT [4] teilgenommen und hält sie für einzigartig, weil sie keine Organisation sei, die der einen Hälfte der Menschheit helfen will, indem sie die andere ausschließt und dem Mann die Schuld an allen Problemen der Frau und der Welt im allgemeinen gibt. Die Mujeres Libres hätten immer ihre Unabhängigkeit von der CNT bewahrt und seien eine revolutionäre Frauengruppe gewesen, die den Frauen praktische Hilfen, Bildung und Selbstverwirklichung bot, aber auch für die Emanzipation aller Menschen kämpfte, ohne irgendjemanden auszuschließen.

SB: Apropos CNT. Du hast während der Lesung erwähnt, daß sie wie auch andere anarchistische Organisationen die Mujeres Libres nicht als gleichwertige Partner anerkannt haben. Ich würde gern wissen, ob dir noch weitere Beispiele einfallen zu der Frage, mit welchen Schwierigkeiten die "Freien Frauen" in einer Zeit, in der Spanien mit Sicherheit noch sehr patriarchal war, konfrontiert waren, sowohl ihren feministischen als auch ihren linken bzw. antifranquistischen Standpunkt durchzusetzen?

RS: Sie waren natürlich mit dem allgemeinen System des Machismo konfrontiert, was auch in einigen der Buchbeiträge ganz klar herauskommt. Auch innerhalb der anarchistischen Bewegung gab es viele Männer, die ganz große Probleme damit hatten, daß Frauen jetzt gleichberechtigt an den Kämpfen teilnehmen wollten. In einem Nebensatz steht zum Beispiel, daß die Frauen aus Madrid oder Barcelona evakuiert werden sollten. Viele von ihnen meinten aber, daß sie genauso geeignet sind und das Recht haben, an der Front zu kämpfen. Es war zum Beispiel immer wieder dieser "Beschützerinstinkt", gegen den sie sich durchsetzen mußten. Ja, und die Anerkennung als wirklich politisch ausgereifte Kraft wurde ihnen verwehrt.

SB: Wenn man jetzt ein bißchen eine Brücke schlagen wollte zu heutigen linken und feministischen Bewegungen - was würdest du sagen, können Interessierte aus der Geschichte der spanischen "Freien Frauen" lernen, auch wenn sich ein solches historisches Beispiel eigentlich nicht verallgemeinern und übertragen läßt?

RS: Ich finde es ganz wichtig, einen feministischen Ansatz zu haben, der nicht verkennt, daß die Unterdrückung durch das kapitalistische System wirklich die Unterdrückung aller ist und man da gemeinsam Wege finden muß. Ich bin keine Feministin, die sagt, daß der Hauptwiderspruch zwischen Mann und Frau besteht, insofern sind die Mujeres Libres für mich ein gutes Beispiel. Sie hatten ein Bewußtsein, das meiner Denkweise sehr nahe kommt und deshalb fühle ich mich ihnen auch so verbunden.

SB: Vielen Dank, Renée, für das Gespräch.


Blick auf Büchertische, links ein Transparent 'Frauenkampf ist Klassenkampf' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Damals wie heute - "Frauenkampf ist Klassenkampf", Blick ins Foyer der Nürnberger Literaturmesse 2019
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Siehe den Bericht zur Lesung im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT:
BERICHT/114: 24. Linke Literaturmesse - gegen Faschismus und Machismus ... (SB)

[2] Vera Bianchi (Hg.): Mujeres Libres. Libertäre Kämpferinnen, Edition AV, Bodenburg 2019, 230 Seiten, ISBN 978-3-86841-221-5

[3] Dolores Ibárruti, Revolutionärin und Abgeordnete der Kommunistischen Partei (PCE), galt als Protagonistin der spanischen Arbeiterbewegung und des Widerstands gegen Franco im Bürgerkrieg zwischen 1936 und 1939. Ihr wird der legendäre Ausruf "No pasaran!" (auf deutsch: Sie werden nicht durchkommen!) zugeschrieben.

[4] Die CNT ("Confederación Nacional del Trabajo") ist eine Konföderation anarcho-syndikalistischer Gewerkschaften.


Berichte und Interviews zur 24. Linken Literaturmesse in Nürnberg im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT:

BERICHT/098: 24. Linke Literaturmesse - kritisch schreiben kritisch lesen ... (SB)
BERICHT/099: 24. Linke Literaturmesse - schließlich die geballte Faust ... (SB)
BERICHT/100: 24. Linke Literaturmesse - nicht einfach nur ein Klassenkampf ... (SB)
BERICHT/101: 24. Linke Literaturmesse - Verbotsopportunismus ... (SB)
BERICHT/102: 24. Linke Literaturmesse - türkische Motive ... (SB)
BERICHT/103: 24. Linke Literaturmesse - fehlt nur das Recht auf das Völkerrecht ... (SB)
BERICHT/104: 24. Linke Literaturmesse - Berufsverbote gestern und heute ... (SB)
BERICHT/105: 24. Linke Literaturmesse - fremd, schwach und verdrängenswert ... (SB)
BERICHT/106: 24. Linke Literaturmesse - zur Protestkundgebung gegen den Deutschen Genderkongress ... (SB)
BERICHT/107: 24. Linke Literaturmesse - nicht zurückzudrehen ... (SB)
BERICHT/108: 24. Linke Literaturmesse - Leben dritter Klasse ... (SB)
BERICHT/109: 24. Linke Literaturmesse - der bewaffnete Kampf in Griechenland ... (SB)
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INTERVIEW/133: 24. Linke Literaturmesse - es gibt das Problem der Männergewalt ...    Lena Becker im Gespräch (SB)
INTERVIEW/134: 24. Linke Literaturmesse - Widerspruchstheoreme ...    Lisa Riedner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/135: 24. Linke Literaturmesse - deutsch dominierte Eurozentrik ...    Helmut Kellershohn im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: 24. Linke Literaturmesse - Irland läßt hoffen ...    Uschi Grandel im Gespräch (SB)
INTERVIEW/137: 24. Linke Literaturmesse - Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft Algeriens ...    Donata Kinzelbach im Gespräch (SB)
INTERVIEW/138: 24. Linke Literaturmesse - den Anfang nicht versäumen ...    Anne Reiche im Gespräch (SB)
INTERVIEW/139: 24. Linke Literaturmesse - Freiheit, Demokratie und sozialistisches Ansinnen ...    Astrid Schmeda im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: 24. Linke Literaturmesse - dem Arbeitskampf geschuldet ...    Rainer Knirsch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/141: 24. Linke Literaturmesse - Zeuge alter Kämpfe ...    Walter Bauer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/142: 24. Linke Literaturmesse - Revolution, nicht ohne Demokratie ...    Matthias Schindler im Gespräch (SB)
INTERVIEW/143: 24. Linke Literaturmesse - Krieg mit anderen Mitteln ...    Detlef Hartmann im Gespräch (SB)

9. Januar 2020


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