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STANDPUNKT/106: "Wir sind Weltmacht" (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 10. März 2025
german-foreign-policy.com

"Wir sind Weltmacht"

Forderungen nach einer von den USA unabhängigen Weltmachtrolle der EU nehmen zu. Die geplante beispiellose Aufrüstung soll so weit wie möglich ohne Waffenkäufe in den USA auskommen. Ziel: "Augenhöhe mit den USA".


BER­LIN - Mit Blick auf die Ge­walt­po­li­tik der Trump-Ad­mi­nis­tra­ti­on neh­men in Deutsch­land die For­de­run­gen nach einer ei­gen­stän­di­gen Welt­macht­rol­le der EU zu. "Eu­ro­pa" müsse seine "Res­sour­cen mo­bi­li­sie­ren", um die USA "als glo­ba­len An­füh­rer zu er­set­zen", heißt es etwa in einer ak­tu­el­len Stel­lung­nah­me aus der Deut­schen Ge­sell­schaft für Aus­wär­ti­ge Po­li­tik (DGAP). Ber­lin und Brüs­sel in­iti­ie­ren bei­spiel­lo­se Pläne, Deutsch-

land und die EU mit Sum­men in hoher drei­stel­li­ger Mil­li­ar­den­hö­he hoch­zu­rüs­ten. Dabei müss­ten, wo ir­gend mög­lich, eu­ro­päi­sche statt US-ame­ri­ka­ni­sche Waf­fen be­schafft wer­den, heißt es auch in tra­di­tio­nell trans­at­lan­tisch ori­en­tier­ten Me­di­en: Einem Staat, der "über Nacht die Mi­li­tär­hil­fe für einen Part­ner" wie die Ukrai­ne stop­pe, "kann man nicht mehr ver­trau­en". Mit der ge­ball­ten Auf­rüs­tung gehen Pla­nun­gen ein-

her, sämt­li­che Aus­lands­ak­ti­vi­tä­ten Ber­lins zu fo­kus­sie­ren und zu die­sem Zweck das Ent­wick­lungs­mi­nis­te­ri­um dem Aus­wär­ti­gen Amt ein­zu­glie­dern; von einem "Mi­nis­te­ri­um für deut­sche In­ter­es­sen" ist die Rede. Die Schrit­te zie­len dar­auf ab, ein altes Ziel der bun­des­deut­schen Au­ßen­po­li­tik zu rea­li­sie­ren: näm­lich mit Hilfe der EU "auf Au­gen­hö­he" mit den USA zu ge­lan­gen.

"Ame­ri­ka er­set­zen"

Der mut­ma­ß­lich künf­ti­ge Bun­des­kanz­ler Fried­rich Merz hatte be­reits we­ni­ge Stun­den nach der Schlie­ßung der Wahl­lo­ka­le am 23. Fe­bru­ar er­klärt, es habe für ihn nun "ab­so­lu­te Prio­ri­tät ..., so schnell wie mög­lich Eu­ro­pa so zu stär­ken", dass es in jeder Hin­sicht "Un­ab­hän­gig­keit" von den Ver­ei­nig­ten Staa­ten er­lan­ge.[1] Seit­dem schwel­len die For­de­run­gen nach um­fas­sen­der Un­ab­hän­gig­keit von den USA ra­sant an. Am 28. Fe­bru­ar, un­mit­tel­bar nach dem Eklat wäh­rend des Be­suchs des ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Wo­lo­dy­myr Se­len­skyj im Wei­ßen Haus, er­klär­te die EU-Au­ßen­be­auf­trag­te Kaja Kal­las, "die freie Welt" be­nö­tie nun "einen neuen An­füh­rer": "Es liegt an uns Eu­ro­pä­ern, diese Her­aus­for­de­rung an­zu­neh­men."[2] An­fang ver­gan­ge­ner Woche hieß es dann in einer knap­pen Stel­lung­nah­me aus der Deut­schen Ge­sell­schaft für Aus­wär­ti­ge Po­li­tik (DGAP), die Trump-Ad­mi­nis­tra­ti­on zer­stö­re "Ame­ri­kas Glaub­wür­dig­keit und sein in­ter­na­tio­na­les An­se­hen" in hohem Tempo. Es werde "Jahr­zehn­te" dau­ern, "den Scha­den zu re­pa­rie­ren".[3] "Eu-

ro­pa" müsse jetzt "seine rei­chen Res­sour­cen mo­bi­li­sie­ren, um Ame­ri­ka als glo­ba­len An­füh­rer zu er­set­zen". Be­reits im Ja­nu­ar hatte Po­lens Mi­nis­ter­prä­si­dent Do­nald Tusk ge­for­dert, "Eu­ro­pa" müsse sich un­ab­hän­gig von den USA po­si­tio­nie­ren: "Wir sind eine Welt­macht".[4] Tusk fügte hinzu: "Aber wir müs­sen auch daran glau­ben."

Re­kor­drüs­tung

For­de­run­gen, sich von den Ver­ei­nig­ten Staa­ten un­ab­hän­gig zu ma­chen, mün­den zur Zeit in eine bei­spiel­lo­se Welle der Mi­li­ta­ri­sie­rung in der EU und Großbri­tan­ni­en. "Eu­ro­pa" habe mi­li­tä­risch "alle Kar­ten auf der Hand", hieß es kürz­lich etwa aus der DGAP: Seine Streit­kräf­te ge­hör­ten "zu den stärks­ten, er­fah­rens­ten und in­no­va­tivs­ten der Welt".[5] Die EU hat ver­gan­ge­ne Woche ein bis zu 800 Mil­li­ar­den Euro schwe­res Hoch­rüs­tungs­pro­gramm be­schlos­sen, das die Streit­kräf­te aller 27 Mit­glied­staa­ten mit höchs­ter Ge­schwin­dig­keit mit gi­gan­ti­schen Men­gen an Kriegs­ge­rät ver­sor­gen soll (ger­man-for­eign-po­li­cy.com be­rich­te­te [6]). Zudem ist, nicht zu­letzt auf Be­trei­ben von Fried­rich Merz, eine De­bat­te über eine ei­gen­stän­di­ge nu­klea­re Kom­po­nen­te der eu­ro­päi­schen Hoch­rüs­tung ge­star­tet wor­den. An die­sem Don­ners­tag sowie am Diens­tag nächs­ter Woche soll der Bun­des­tag das Grund­ge­setz da­hin­ge­hend än­dern, dass Aus­ga­ben für das Mi­li­tär von der Schul­den­brem­se aus­ge­nom­men sind. Damit sind künf­tig Waf­fen­käu­fe in bei­na­he un­be­grenz­tem Um­fang mög­lich. Weil im neu ge­wähl­ten

Bun­des­tag keine Mehr­heit dafür vor­han­den ist, soll die Ab­stim­mung noch vom alten, de­mo­kra­tisch ab­ge­wähl­ten Par­la­ment durch­ge­führt wer­den; die Mi­li­ta­ri­sie­rung be­sitzt Vor­rang vor der De­mo­kra­tie.

Buy Eu­rope­an

In­zwi­schen meh­ren sich die For­de­run­gen, "Waf­fen­käu­fe in den USA ... zu ver­mei­den, wo immer das mög­lich ist", wie es am Wo­chen­en­de in der tra­di­tio­nell trans­at­lan­tisch ori­en­tier­ten Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung hieß: "Einem Land, das über Nacht die Mi­li­tär­hil­fe für einen Part­ner stoppt" - für die Ukrai­ne -, "kann man nicht mehr ver­trau­en."[7] Be­reits zuvor hat­ten meh­re­re ein­fluss­rei­che Öko­no­men bzw. Wirt­schafts­ver­tre­ter in einem Pa­pier, in dem sie de­tail­lier­te Vor­schlä­ge zur Auf­rüs­tung mach­ten, ge­for­dert, man solle vom Kauf wei­te­rer US-Rüs­tungs­gü­ter nach Mög­lich­keit ab­se­hen und statt­des­sen die Pro­duk­te eu­ro­päi­scher Waf­fen­schmie­den be­schaf­fen; an­sons­ten ende man in "einer fort­dau­ern­den Ab­hän­gig­keit".[8] Am Frei­tag schloss sich nun der Vor­sit­zen­de der Air­bus-Rüs­tungs­spar­te Air­bus De­fence and Space der For­de­rung an. Gebe man die nun be­schlos­se­nen drei­stel­li­gen Mil­li­ar­den­sum­men für "Pro­duk­te von der Stan­ge in den USA" aus, "ze­men­tie­ren wir un­se­re Ab­hän­gig­keit von an­de­ren", er­klär­te Schöll­horn. Er nann­te als Bei­spiel die Be­schaf­fung der US-Kampf­jets F-35 durch Dä­ne­mark. Wolle die Re­gie­rung in Ko­pen­ha­gen sie nut­zen, um Grön­land gegen eine et­wai­ge An­ne­xi­on durch die USA zu ver­tei­di­gen, dann würde

sie mer­ken, äu­ßer­te Schöll­horn: "Die kämen gar nicht bis dahin" - auf­grund von Ein­griffs­mög­lich­kei­ten der USA.[9]

"Mi­nis­te­ri­um für deut­sche In­ter­es­sen"

Die Pla­nun­gen für eine bei­spiel­lo­se Mi­li­ta­ri­sie­rung Eu­ro­pas, mit der zu­gleich eine um­fas­sen­de Un­ab­hän­gig­keit von den Ver­ei­nig­ten Staa­ten er­reicht wer­den soll, gehen mit For­de­run­gen ein­her, sämt­li­che Ak­ti­vi­tä­ten der Bun­des­re­gie­rung im Aus­land noch stär­ker als bis­her auf die Durch­set­zung deut­scher In­ter­es­sen zu fo­kus­sie­ren. So tra­ten am Wo­chen­en­de der ehe­ma­li­ge Lei­ter der Münch­ner Si­cher­heits­kon­fe­renz Chris­toph Heus­gen sowie zwei deut­sche Di­plo­ma­ten mit der For­de­rung her­vor, das Bun­des­ent­wick­lungs­mi­nis­te­ri­um dem Aus­wär­ti­gen Amt ein­zu­glie­dern.[10] Immer wie­der kämen deut­sche Di­plo­ma­ten in Län­dern des Glo­ba­len Sü­dens mit ihrem "An­lie­gen ... nicht durch", weil das Aus­wär­ti­ge Amt keine Kon­trol­le über die Ent­wick­lungs­hil­fe­gel­der habe und sie nicht als Druck­mit­tel ein­set­zen könne, heißt es in einem von ihnen pu­bli­zier­ten Zei­tungs­bei­trag: "So ver­lie­ren wir welt­weit an Ein­fluss." Wenn es "um die Durch­set­zung un­se­rer In­ter­es­sen" gehe, dann müsse in Zu­kunft ein ein­zi­ges Mi­nis­te­ri­um "alle In­stru­men­te in der Hand haben, um Deutsch­land Gehör zu ver­schaf­fen". Von einem "Mi­nis­te­ri­um für deut­sche In­ter­es­sen" ist die Rede. Zudem soll­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen wie die Ge­sell­schaft für In­ter­na­tio­na­le Zu­sam­men­ar­beit oder die Kre­dit­an­stalt für Wie­der­auf­bau "unter Füh-

rung der [je­wei­li­gen] Bot­schaft unter einem Dach" ge­bün­delt wer­den - in einem "Deut­schen Haus".

"Mehr Mut zur Welt­macht"

Mit dem Ein­stieg in die for­cier­te Mi­li­ta­ri­sie­rung Eu­ro­pas sowie in die ge­ball­te Fo­kus­sie­rung sei­ner Aus­lands­ak­ti­vi­tä­ten auf die noch un­mit­tel­ba­re­re Durch­set­zung deut­scher In­ter­es­sen un­ter­nimmt Ber­lin den Ver­such, ein altes Ziel der bun­des­deut­schen Eli­ten zu rea­li­sie­ren: näm­lich "auf Au­gen­hö­he" mit den Ver­ei­nig­ten Staa­ten zu ge­lan­gen. Be­reits 1966 sprach sich der CSU-Po­li­ti­ker und vor­ma­li­ge Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter (1956 bis 1962) Franz Josef Strauß dafür aus, "das ver­ei­nig­te Eu­ro­pa" solle per­spek­ti­visch "die Po­si­ti­on einer ei­gen­stän­di­gen Macht zwi­schen den Ver­ei­nig­ten Staa­ten und der [da­ma­li­gen]

So­wjet­uni­on ein­neh­men".[11] Im Jahr 2003 ur­teil­te der vor­ma­li­ge Be­ra­ter von Ex-Bun­des­kanz­ler Hel­mut Kohl Wer­ner Wei­den­feld in einem Bei­trag in der Sprin­ger-Zei­tung Die Welt, die EU ver­fü­ge über ein Kräf­te­po­ten­zi­al, das "den Sta­tus einer Welt­macht de­fi­nie­ren" könne; in wich­ti­gen Be­rei­chen sei sie den USA sogar über­le­gen: "Das in­te­grier­te Eu­ro­pa", schrieb er, sei "eine Welt­macht im Wer­den".[12] Deut­sche Welt­macht­plä­ne sind immer wie­der the­ma­ti­siert wor­den; so hieß es etwa im Jahr 2020 in der Wo­chen­zei­tung Die Zeit, die EU "muss sich als Welt­macht ver­ste­hen"; sie brau­che "mehr Mut zur Welt­macht".[13] Der da­ma­li­ge Ber­li­ner Ent­wick­lungs­mi­nis­ter Gerd Mül­ler schrieb ihr ex­pli­zit "das Zeug zur Welt­macht" zu.[14]


Anmerkungen:

[1] Berlin Direkt, 23.02.2025.
S. dazu "Unabhängigkeit von den USA".
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9882

[2] Nadeem Badshah: "Free world needs a new leader", says EU foreign chief after Trump Zelenskyy row. theguardian.com 28.02.2025.

[3] Sławomir Sierakowski: America Is Gone - Europe Must Replace It. dgap.org 03.03.2025.

[4] Tusk will EU für Trump rüsten und aufrüsten. orf.at 22.01.2025.

[5] Sławomir Sierakowski: America Is Gone - Europe Must Replace It. dgap.org 03.03.2025.

[6] S. dazu Der Rekordrüstungsgipfel.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9896

[7] Nikolas Busse: Amerika ist nicht mehr zu trauen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.03.2025.

[8] Ökonom Schularick konkretisiert Rüstungsvorschläge. Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.03.2025.
S. dazu Rüsten ohne Grenzen.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9892

[9] "Zementiert unsere Abhängigkeit von anderen". tagesspiegel.de 07.03.2025.

[10] Christoph Heusgen, Egon Kochanke, Rainer Müller: Ein Ministerium für deutsche Interessen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.03.2025.

[11] Franz Josef Strauß: Entwurf für Europa. Stuttgart 1966. S. 26f.
S. dazu Europas Fahnenträger.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7152

[12] Werner Weidenfeld: Thinktank: Die verhinderte Weltmacht. welt.de 08.03.2003.

[13] Ulrich Ladurner: Mehr Mut zur Weltmacht. zeit.de 01.10.2020.

[14] Gerd Müller, Werner Weidenfeld: Die EU hat das Zeug zur Weltmacht. welt.de 21.10.2020.
S. dazu "Mehr Mut zur Weltmacht".
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8479


Link zur Erstveröffentlichung:
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9898

*

Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 14. März 2025

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