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ITALIEN/038: Vernichtendes Urteil über Regierungsprogramm des neuen italienischen Premiers (Gerhard Feldbauer)


Vernichtendes Urteil über Regierungsprogramm des neuen italienischen Premiers

Mailänder "Corriere della Sera": "Mixtur von Durcheinander"

von Gerhard Feldbauer, 27. Februar 2014



Das am Montag und Dienstag zur Vertrauensabstimmung in Senat und Abgeordnetenkammer von dem neuen italienischen Premier Matteo Renzi, Chef der Demokratischen Partei (PD), vorgelegte Regierungsprogramm wird nicht nur von den Kommunisten und Linken einer vernichtenden Kritik unterzogen. Mit sieben Jahre anhaltender Rezession, einer Verdoppelung der Arbeitslosenzahl (2013 kamen zwei Millionen neu dazu), darunter 40 Prozent Jugendliche, einer nie gekannten Verarmung und einer Staatsverschuldung von 132 Prozent des BIP ist Rom nach Athen das EU-Krisenland. Der neue Regierungschef habe, wie der Sekretär der Partei der Kommunisten Italiens (PdCI), Cesare Procaccini, urteilte, "nicht eine positive Antwort auf die dramatischen Fragen wie Arbeit, Renten, Gesundheit und Entwicklung" gegeben. Es sei eine Regierung, die "völlig wie ihre Vorgänger fortfahren werde". Fausto Sorini, PdCI-Leitungsmitglied, fügte hinzu: Die ankündigten "radikalen Reformen" sollten verhüllen, dass es im sozialen Bereich um die Fortsetzung des Sozialabbaus nach Vorgaben der EU geht. Dagegen müssten die Kommunisten den Protest der Massen organisieren. Jedenfalls will Renzi sich zu seinem ersten Staatsbesuch nach Berlin begeben, um sich den Segen der deutsch-europäischen Kanzlerin für sein Regierungsprogramm zu holen.


"Viel Lärm um nichts"

Paolo Ferrero, Sekretär der Rifondazione Comunista (PRC), sekundierte: Renzi habe "viel Lärm um nichts" gemacht und sich mit "dem echten Problem Italiens, der Arbeitslosigkeit" nicht im Geringsten befasst. Der PRC-Chef geht von der Kollaboration Renzis mit dem faschistoiden Ex-Premier Berlusconi aus und stellt ihn in die Nachfolge von Mussolini, Craxi (der Sozialistenchef war Mitglied der Führung der faschistischen Putschloge P2 und floh - 1992/93 wegen Korruption und persönlicher Bereicherung an Hunderten von Millionen Dollar zu 20 Jahren Kerker verurteilt - außer Landes) und Berlusconi, die Italien schweren Schaden zufügten. Die PRC-Zeitung "Liberazione" schrieb, Renzi habe "die übelste Rede, die wir bisher gehört haben" gehalten. Ähnlich verurteilten die Senatoren und Abgeordneten der Partei "Linke und Umwelt" (SEL) in der Debatte die Schaumschlägerei des neuen Premiers. Die im Stil einer Talk Show ("Manifesto") schnoddrig und mit den Händen in den Taschen vorgetragene Rede nannte der Mailänder "Corriere della Sera" eine "Mixtur von Durcheinander" mit dem "Hang zum Risiko". Die Turiner "Stampa", Blatt des größten privaten Industriekonzerns FIAT, schrieb, das sei "kein Regierungsprogramm", sondern eine "Selbstpräsentation" gewesen.


73 Prozent der Italiener haben Angst vor der Zukunft

Der von Professor Umberto Triuli von der ältesten römischen Universität Sapienza (1303 gegründet) herausgegebene "Osservatore europeo" veröffentlichte eine Meinungsumfrage, nach der 73 Prozent der Italiener die wirtschaftliche Situation "voller Sorgen" sehen und "mit Angst in die Zukunft" blicken. In den bürgerlichen Medien wird der ehemalige rechte Christdemokrat, der nie einer linken Partei angehörte und offen angekündigt hatte, das linke Outfit der PD zu beseitigen, plötzlich als Sozialdemokrat gefeiert.


Linke PD-Minderheit umgeknickt

Renzi erhielt, wenn auch mit weniger Stimmen als sein von ihm in einem Parteiputsch gestürzter Vorgänger Enrico Letta in beiden Kammern die erforderliche Mehrheit. Die linke PD-Minderheit, die gegen seinen kapitalfreundlichen Rechtskurs Ablehnung angekündigt und mit einer Spaltung gedroht hatte, stimmte, nachdem ihr zugerechnete Vertreter mehrere Ministerposten erhielten, mehrheitlich für Renzi. Das Einknicken der PD-Linken vor Renzi wird von den Kommunisten der Zeitschrift "Contrepiano" als Zeichen fehlender Kraft gewertet, tatsächlich den Bruch mit der PD zu vollziehen.


Berlusconis reaktionäres Wahlgesetz wird verschärft

Als erste der "radikalen Reformen" soll noch im März das von Renzi mit Ex-Premier Berlusconi ausgehandelte neue Wahlgesetz verabschiedet werden. Dessen "Radikalität" besteht darin, dass der unter Berlusconi eingeführte undemokratische Mehrheitsbonus nicht nur beibehalten wird, sondern der Wahlmodus mit höheren Sperrklauseln von acht Prozent für allein antretende Parteien und fünf Prozent, wenn sie in Koalitionen antreten (vorher jeweils vier Prozent), verschärft wird. Koalitionen selbst müssen 12 Prozent erreichen. Damit sollen nicht nur Kommunisten und Linke, sondern auch kleine Parteien aus dem Parlament ausgeschlossen werden, wenn sie sich nicht den Bedingungen der großen Parteien unterordnen.


"Steuerhinterziehung aktiv zu bekämpfen" pure Heuchelei

Angesichts der Tatsache, dass Renzi seine Regierungsmaßnahmen mit dem wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe rechtskräftig zu mehrjähriger Haft verurteilten Ex-Premier Berluconi beriet, geriet seine Ankündigung, in Zukunft "Steuerhinterziehung aktiv zu bekämpfen" zur ausgesprochenen Heuchelei.

Bei der angekündigten "Arbeitsmarktreform", geht es, was Renzi tunlichst verschwieg, um die Beseitigung des Kündigungsschutzartikels 18 und die Beseitigung oder Aushöhlung der Tarifverträge, die es in vielen Unternehmen schon nicht mehr gibt.


Abschaffung des Senats erfordert Verfassungsänderung

Problematisch ist auch die als Nächstes angekündigte Auflösung des Senats als zweiter Kammer zu sehen, an dessen Stelle eine dem deutschen Bundesrat ähnliche "autonome Kammer" aus Vertretern der Regionen (Länder) treten soll. Das dürfte sich schwerlich in einigen Wochen verwirklichen lassen, denn dazu ist eine Verfassungsänderung erforderlich. Wenn der neue Premier bis zum Ende der Legislatur 2018 regieren will, wird auch das als illusorisch gesehen. Er dürfte kaum über Jahresfrist kommen. Sein erstes Auftreten vor Schülern in Treviso nannte die "Liberazione" bereits "eine Wahlkampfveranstaltung".


M5S vor Spaltung ?

Schlecht überstanden hat die anarchistische Protestbewegung M5S die Vertrauensdebatte, in der sie mehrheitlich gegen Renzi stimmte. Wie "La Repubblica" am Donnerstag berichtet, hat ihr Anführer, der frühere Komiker Beppe Grillo, vier Senatoren, die gegen seine Weisungen verstießen, aus seiner Partei ausgeschlossen. Die Dissidenten, die sich zu den Linken öffnen wollen, kündigten an, sich nun eigenständig zu organisieren. Grillo beschimpfte sie im Vergleich mit Maozedong "als Viererbande" und "Stalinisten". Die Spaltungserscheinungen dürften jedoch die Chancen der M5S, die bei den Wahlen im Frühjahr vergangenen Jahres mit einem Viertel der Wähler den dritten Platz in Senat und Parlament belegte, verringern.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2014