Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → POLITIK

ITALIEN/053: Italiens Premier Renzi verwickelt sich immer mehr in Widersprüche (Gerhard Feldbauer)


Von Rottamatore zum Annunciatore

Italiens Premier Renzi verwickelt sich immer mehr in Widersprüche

von Gerhard Feldbauer, 8. September 2014



Vor seinem Amtsantritt im Februar dieses Jahres wurde Italiens Premier Matteotti Renzi noch Rottamatore genannt, weil der frühere Christdemokrat und nunmehriger Chef der Sozialdemokraten (Demokratische Partei - PD) erklärt hatte, die alte, noch aus der Kommunistischen Partei (IKP) kommende Funktionärs-Elite zu verschrotten. Das verwirklichte er nur halb. Denn zur Beruhigung der linken PD-Basis nahm er dann in sein Kabinett drei, wenn auch jüngere Ex-Kommunisten auf, darunter seine Verteidigungsministerin Roberta Pinotti.

Jetzt nennt man ihn den Annunciatore, weil er derzeit ständig neue Maßnahmen ankündigt. Die jüngste ist ein Programm für 1000 Tage, das heißt bis zum Ende der Legislatur 2017. Genaue Angaben oder Fristen für die einzelnen Aufgaben machte er allerdings wieder einmal nicht. Aber er ist schon recht bescheiden geworden, denn im Februar hatte er noch monatlich eine Reform versprochen. Verwirklicht hat er bisher nur - was allerdings recht beachtlich ist - die Auflösung der Provinzen und die Senkung der Gehälter der Ministerialbürokratie, was einige Milliarden Euro in der Staatskasse einspart, und die Erhöhung der Einkommen der Beschäftigten mit den niedrigsten Einkommen durch eine Senkung der Steuern bzw. Sozialleistungen um monatlich 80 Euro. Demnächst soll die Abschaffung des Senats, eines Relikts der 1946 beseitigten Monarchie, folgen, was weitere Einsparungen verspricht. Im politischen Bereich hat er, wenn auch mit umstrittenen Methoden, den früheren faschistoiden Premier Berlusconi ausgetrickst und aus dem politischen Leben verbannt.

Renzi hatte aber mehr versprochen. Er wollte den politischen und wirtschaftlichen Stillstand überwinden. Davon ist bisher nichts zu spüren. Das BIP ist seit 2007 um 9 Prozent gesunken, die Industrieproduktion um 25 Prozent zurückgegangen. Das für dieses Jahr prognostizierte Plus von 0,8 Prozent wurde nicht erreicht, im Gegenteil setzte die Rezession wieder ein, das dritte Mal seit 2008. Die Staatsverschuldung ist auf 2100 Milliarden Euro angewachsen, mehr als 130 Prozent des BIP. Die Unternehmer fordern, endlich den angekündigten Job act zu verwirklichen, der den Kündigungsschutz (den Artikel 18 des Arbeitsgesetzes) aufheben und das ganze Tarif-System aushebeln soll. Das werde, so verspricht Renzi, der einen "heißen Herbst" verhindern will, im Rahmen der Beibehaltung des gesamten sozialen Schutzsystems geschehen. Außerdem kontert er, der italienische Kapitalismus habe in den letzten 30 Jahren keine Arbeitsplätze geschaffen. Seine Wirtschaftsministerin Federica Guidi appelliert an die Unternehmer, Schluss zu machen mit Entlassungen und die Arbeitsplätze zu erhalten. Gleichzeitig verspricht er, die Steuern nicht zu erhöhen, was vor allem eine Zusage für die Unternehmer ist. Ein andermal resümiert er, wenn man von der Bevölkerung Einsparungen verlange, müsse das auch für die Unternehmer gelten. Wenn er dann noch verkündet, "Germania ist unser Modell", fragen nicht nur die Basis-Gewerkschaften, ob er damit das Hartz IV-System meint oder die über den italienischen Löhnen liegenden deutschen.

Zu seinen Ankündigungen gehören eine Verbesserung des Bildungswesens, keine Abstriche mehr von den Sozialleistungen und eben Arbeitsplätze für die nach offiziellen Angaben bald 13 Prozent Arbeitslosen und hier vor allem für die Jugendlichen. Dafür braucht er, wie die der PD nahestehende "Repubblica" gerade schrieb, wenigsten 20 Milliarden Euro. Die will er über neue Privatisierungen einholen. Nicht nur die bereits ins Auge gefassten beiden größten Staatsunternehmen aus dem Energiesektor Eni und Enel, sondern auch weitere Staatsbetriebe sollen verkauft werden. Das bringt mittelfristig Einnahmen, in der Perspektive beraubt sich der Staat aber wichtiger Einnahmequellen. Außerdem war das immer eine Grundlage, den Forderungen des Kapitals Paroli zu bieten.

Angesichts dieser oft extrem gegensätzlichen Standpunkte des Premiers wächst auch in der eigenen PD die Kritik an den meist unverbindlichen Ankündigungen. Der langjährige Regierungschef und Vorsitzende der Demokratischen Linken, eine der Vorläuferparteien der heutigen PD, Massimo D'Alema, nannte die bisherigen Ergebnisse "unzureichend". Der Regierungschef kündige viel an, habe aber wenig Ergebnisse vorzuweisen. Außerdem treffe er seine Entscheidungen über den Kopf der Partei hinweg. Kritik dann auch noch, dass sich der Premier auf dem traditionellen Pressefest der "Unità" im roten Bologna nicht sehen ließ, weil er eben "kein Linker" sei. Renzi wies das zurück, er "stehe links", was schon seine Reformen zeigten, die er verwirklichen werde, "koste es was es wolle".

Den Forderungen nach einem "konkreten Programm für einen Aufschwung", die am Sonntag, wie "La Repubblica" berichtete, der Gouverneur der Banca d'Italia (Staatsbank), Ignazio Visco, persönlich vorbrachte, begegnete der Regierungschef mit einem neuen Versprechen: Künftig werde er vor den Bürgern regelmäßig Rechenschaft ablegen und auf einer Website bekannt machen, welche Ergebnisse erreicht wurden.

*

Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2014