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ITALIEN/056: Scharfe Proteste gegen Abbau der Arbeiterrechte in Italien (Gerhard Feldbauer)


Scharfe Proteste gegen Abbau der Arbeiterrechte in Italien

CGIl erwägt Generalstreik

von Gerhard Feldbauer, 14. Oktober 2014



Eine Abstimmung in Senat und Parlament in der vergangenen Woche über seinen umstrittenen und von den Gewerkschaften aber auch in seiner eigenen Demokratischen Partei (PD) heftig kritisierten Jobs Act (die sogenannte Arbeitsmarktreform) hat Premier Renzi nur durch Stellen der Vertrauensfrage gewonnen. Seit seinem Amtsantritt im Februar dieses Jahres musste er dazu bereits 21mal Zuflucht nehmen. Das ist selbst für das durch häufige Regierungskrisen bekannte Italien etwas zu viel. Im Senat war er auf die Stimmen der rechtsextremen Forza Italia (FI) von Berlusconi angewiesen. Dass er sich vorher zur Absprache mit dem Ex-Premier, der derzeit im Sozialdienst eine Haftstrafe wegen Steuerbetrugs verbüßt, traf, rief heftige Kritik in seiner PD, deren Vorsitzender er ist, hervor. Im Falle seines Scheiterns drohten Neuwahlen mit einem ungewissen Ausgang. Für Renzi stimmte auch die von der FI abgespaltene sogenannte Neue Rechte Mitte (NCD), die in der Regierungskoalition mit ihrem Vorsitzenden Angelino Alfano, den Vizepremier und Innenminister stellt.


Merkel heizte Proteste an

Der von dem früheren rechten Christdemokraten Renzi geplante ungeheuerliche Abbau von sozialen und Arbeiterrechten stößt auf scharfe Proteste von Gewerkschaftern. Der Vorsitzende der FIOM (Metallarbeiter) in der CGIL drohte mit Betriebsbesetzungen. PD-Senator Walter Tocci erklärte nach der Abstimmung seinen Rücktritt, andere kündigten ihn an. Die Nachrichtenagentur ANSA zitierte den Vizepräsidenten der Abgeordnetenkammer, Luigi di Marie von der Protestbewegung M5S, der vor der Abstimmung von "Reaktionen eines empörten Volkes" sprach. Dass sich Bundeskanzlerin Merkel auf einem EU-Beschäftigungsgipfel in Mailand lobend über Renzis Reform äußerte, heizte die Proteste zusätzlich an.


Harzt IV-Modell

Mit dem Jobs act sollen der im Artikel 18 des Arbeitsgesetzes bisher weitgehend garantierte Kündigungsschutz faktisch beseitigt, die Tarifverträge ausgehebelt, Mini-Jobs nach deutschem Vorbild eingeführt und zahlreiche Arbeiterrechte in den Betrieben aufgehoben oder eingeschränkt werden. An Stelle der bisher zu 50 Prozent als Arbeitslosengeld gezahlten Löhne, der sogenannten Cassa Integrazione, soll Sozialhilfe nach deutschem Hartz IV-Modell treten. Neue Arbeitsverträge werden eine dreijährige Probezeit festlegen. In den Betrieben wird es dann ohne Probleme möglich sein, Entlassungen durchzusetzen. Wenn Renzi ankündige, die Unternehmen würden neue Beschäftigte einstellen, heiße das allenfalls, dass an Stelle von auf die Strasse gesetzten Arbeitern andere ohne ihre bisherigen sozialen Rechte und mit niedrigeren Löhnen eingestellt würden, kommentieren Gewerkschafter. Von einem Abbau der Arbeitslosenquote, die ANSA offiziell gerade mit 13,7 Prozent angegeben hat, könne keine Rede sein und für die über 40 Prozent der arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren Arbeitsplätze zu schaffen, seien leere Versprechen. Renzi begehe mit dem Jobs act "eine Sauerei der extremen Rechten", die zu einer "allgemeinen Prekarisierung" führen werde, prangerte der Vorsitzende der Linkspartei SEl, Nicchi Vendola, das Zurückweichen des Regierungschefs vor dem Druck des Industriellenverbandes Confindustria, der die Arbeitsmarktreform nachdrücklich als Voraussetzung eines Wirtschaftsaufschwungs fordert, an.


Wachsender Gewertkschaftseinfluss

"La Repubblica" führt den Widerstand in der PD auf den unter ihrer Basis gewachsenen Einfluss der CGIL zurück. Die mit etwa fünf Millionen Mitgliedern stärkste Gewerkschaft war früher traditionell eng mit der kommunistischen Partei (IKP) verbunden und steht heute der über Etappen aus ihr hervorgegangenen sozialdemokratischen PD nahe. CGIL-Generalsekretärin, Susanna Camusso, bezeichnete Renzis Reform "ein Thatcher-Modell". Sie kündigte entschiedenen Widerstand an. Wie verlautet, werde auch ein achtstündiger Generalstreik erwogen. Die FIOM rief für den 8. November zu einer "nationalen Manifestation in Rom" auf.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2014