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ITALIEN/226: Rolle rückwärts bei Regierungsbildung - nun doch Fünf-Sterne und Rassisten-Lega (Gerhard Feldbauer)


Rolle rückwärts bei Regierungsbildung in Rom

M5S und Rassisten-Lega bilden nun doch Regierung

von Gerhard Feldbauer, 1. Juni 2018


In Rom findet derzeit im Poker um eine mehrheitsfähige Regierung eine bespiellose Wende rückwärts statt. Der parteilose Wirtschaftswisenschaftler Carlo Cottarelli, ein jahrelanger Direktor und Vorstand des Internationalen Währungsfonds (IWF), den Staatspräsident Sergio Mattarella am Montag mit der Bildung eines sogenannten überparteilichen Techniker-Kabinetts beauftragte, hat am Mittwoch das Handtuch geworfen und sein Mandat niedergelegt. Wie die Nachrichtenagentur ANSA berichtete, hat der vorher von der rechten Fünf Sterne-Bewegung und der rassistischen Lega vorgeschlagene und von Mattarella designierte Wirtschaftsprofessor Giuseppe Conte sein Mandat zurückerhalten und angenommen. Er war zurückgetreten, nachdem der Staatschef den für das Schlüsselressort Finanzen vorgeschlagenen EU-Kritiker Paolo Savona abgelehnt hatte. Conte legte bereits am Donnerstag seine Kabinettsliste vor, die der Staatschef bestätigte. Am Freitag um 16 Uhr soll die Regierung vereidigt werden. Von den 18 Ressorts werden fünf von Frauen besetzt. Lege-Chef Salvini erhält das Innenministerium, in dem er für Migranten zuständig ist, von denen er eine halbe Million, die sich angeblich illegal in Italien aufhalten, des Landes verweisen will. Der Frontmann der Fünf Sterne Di Maio besetzt das Arbeitsministerium, in dem er ein im Wahlkampf versprochenes Grundeinkommen, das sich am deutschen Harz IV-Modell orientiert, einführen will. Beide Parteichefs sind Vize-Premiers.

Zur Durchsetzung der Ernennung Savonas hatten sich M5S-Führer Luigi Di Maio und Lega-Chef Matteo Salvini in bisher beispielloser Weise gegen die Rechte des Staatschefs aufgelehnt, über die künftigen Minister mitzuentscheiden. Zudem hatten sie Mattarella vorgeworfen, sich "dem Druck aus Brüssel und Berlin" zu beugen. Di Maio hatte gefordert, gegen den Präsidenten ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten. Ein in der Nachkriegsgeschichte nie gekannter Fall. Zur Kritik am Vorgehen Mattarellas kommentierte Dolomiten, Das Tageblatt der Südtiroler, "Matteo Salvini habe Staatspräsident Sergio Mattarella das Messer öffentlich an die Gurgel gehalten. Hätte er diesem Druck des Lega-Chefs nachgegeben, dann wäre das Amt des Staatspräsidenten beschädigt gewesen".

Die italienische Nachrichtenagentur ANSA hatte die Vermutung geäußert, dass Mattarella die EU-kritische Haltung von Lega und M5S genutzt habe, um eine Regierung unter Beteiligung von Salvinis Rassistenpartei zu verhindern. Immerhin bedient sich diese bei ihrer Hetze gegen Migranten auch neofaschistischer Sturmtrupps wie der Casa Pound und der Forza Nuova. Mattarella habe, so ANSA, an den 44. Jahrestag des neofaschistischen Attentats in Brescia im Mai 1974 mit acht Toten und über 100 Verletzten erinnert und erklärt, es gehe darum, "jene zu besiegen, die Intoleranz und Angst säen wollen". Das linke Onlineportal DINAMOpress hatte gewarnt, der Widerruf Savonas seitens Mattarellas bedeute nicht ein Ende der reaktionären Wende. Im Gegenteil, "die Disziplinierung der Wähler mit der Bedrohung der finanziellen Instabilität polarisiert noch mehr und könnte eine bisher unbekannte Machtspirale auslösen". Die Warnung verhallte ungehört. Die römische La Repubblica gibt am Freitag den amtierenden Chef der Demokratischen Partei (PD), Maurizio Martina, wieder, diese Regierung trete mit einem "gefährlichen Programm" an, einem "Mix aus Extremismus, Antieuropäismus und Ungerechtigkeiten".

Der Druck aus Berlin und Brüssel hielt über die Finanzmärkte auch gegen Cottarelli an. M5S und Lega hatten ankündigt, einem Technikerkabinett Cottarellis das Mißtrauen auszusprechen. Selbst die Demokratische Partei (PD) wollte angesichts bevorstehender Neuwahlen Stimmenthaltung üben. Damit wäre "die Regierung Cottarelli eine Totgeburt" gewesen, kommentierte die Tageszeitung Il Fatto Quotidiano. M5S und Lega vollführten eine Rolle rückwärts. Luigi Di Maio nahm live auf Facebook nicht nur seine Forderung nach einem Impeachment gegen den Staatschef zurück, sondern erklärte seinen Verzicht auf den umstrittenen Savona für das Finanzministerium, der in der Regierungsmannschaft "eine andere Position" einnehmen werde (er erhält das diesbezüglich wichtige Europa-Ressort). Aber der Clou vom Ganzen war, als Di Maio sagte: "Es war ein Fehler zu sagen, dass wir den Euro verlassen wollen, M5S und Lega haben nie an die Hypothese eines Austritts aus dem Euro gedacht."

Es gilt als sicher, dass die Regierung der rechten Fünf Sterne mit der Rassistenlega in der Abgeordnetenkammer und im Senat, wo sie über eine Mehrheit verfügen, dass Vertrauen erhalten wird. Wann es zu Neuwahlen kommen wird, ist noch offen. Hier gehen die Meinungen in der Koalition auseinander. Während Salvini, dessen Lega sich im Aufwärtstrend befindet, im Herbst an die Urnen möchte, ist Di Maio an einem späteren Termin interessiert, da M5S in der Wählergunst sinkt und er vor allem sein Wahlversprechen eines Grundeinkommens durchsetzen möchte.

Der bisherige Verlauf dieses Pokers um eine Regierungsbildung vermittelt auf jeden Fall eine Erkenntnis: Am Druck der von Großdeutschland dominierten EU und der Kapitalmärkte ist selten so deutlich geworden, dass eine Regierung, mehr oder weniger verdeckt, letzten Endes sich dem Kapital unterordnet und seine Interessen wahrnimmt.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2018

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