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ITALIEN/267: Matteo Salvini - ein Ultrarechter kommt nach Brüssel (Gerhard Feldbauer)


Matteo Salvini
Ein waschechter Faschist unserer Zeit

Dieser Mann kommt nach Brüssel

von Gerhard Feldbauer, 23. Mai 2019



Foto: Bundesarchiv, Bild 101I-312-0983-03 / Koch / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Festnahme italienischer Zivilisten vor dem Palazzo Barberini in Rom am 23. März 1944
Foto: Bundesarchiv, Bild 101I-312-0983-03 / Koch / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Auf dem "Schwarz-braunen Treffen" am vergangenen Wochenende in Mailand [1] versuchte der Chef der faschistischen Lega Italiens, Matteo Salvini, der Entlarvung seines an Mussolini orientierten Regime-Kurses mit der Beteuerung, seine Leghisten seinen "keine Faschisten", zu widersprechen.

Seine Praxis widerlegt das augenscheinlich. Während der Kampagne zu den EU-Wahlen am 26. Mai 2019 hat Salvini, in der seit Juni 2018 amtierenden Regierung Vizepremier und Innenminister, vom Balkon des Palazzo Comunale in Forli eine Wahlkampfrede gehalten. Die Stadt liegt in der Nähe von Predappio, dem Geburtsort Benito Mussolinis, der dort in einem Ehrenhain begraben wurde. Gerade jetzt ist die Stadt wieder ein Wallfahrtsort der Faschisten. Von diesem Balkon aus hielt der "Duce" am 18. August 1944 eine Rede, während vor dem Palast an Laternenpfählen vier ermordete Partisanen aufgehängt zur Schau gestellt worden waren. Es ist nicht das erste Auftreten des Lega-Führers, mit dem dieser offen seine Orientierung an dem faschistischen Regime, an dessen Spitze Mussolini von 1922 bis zu seiner Hinrichtung durch ein Partisanenkommando auf der Grundlage eines Urteils des Nationalen Befreiungskomitees am 29. April 1945 stand, deutlich machte.

Diesmal war es in Forli ein skandalöses Bekenntnis zu dem barbarischen Terror, der in der letzten Etappe des Faschismus in der unter der Besatzungsherrschaft der Hitlerwehrmacht von Mussolini im Oktober 1943 gebildeten Repubblica Sociale Italiana (RSI) herrschte. Schon kurz nach seinem Amtsantritt hatte sich Salvini am 29. Juli vergangenen Jahres, dem 135. Geburtstag Mussolinis, zu dessen Diktatur der Verfolgung und Unterdrückung des Widerstandes dagegen bekannt und die Proteste gegen seinen Rassenhass mit dessen Slogan "Viel Feind, viel Ehr" verhöhnt. Das war, schrieb die römische La Repubblica, Sprachrohr der oppositionellen Demokratischen Partei (PD), "ein klares Signal an die extreme Rechte", im Geist des "Duce" zu handeln. Nie hat der neue "Führer" der Faschisten auch nur mit einem Wort der Opfer gedacht, die in der Resistenza, dem bewaffneten Widerstand gegen die Herrschaft des Hitlerfaschismus und seiner Mussolini-Vasallen, ermordet, gefoltert, in Konzentrationslager geschickt wurden. Am vergangenen 25. April, dem Feiertag des Gedenkens an den bewaffneten Aufstand, mit dem 1945 der Sieg über den Faschismus eingeleitet wurde, weigerte sich der Vizepremier, an der Veranstaltung Staatspräsident Sergio Mattarellas in Rom oder an einer der zahlreichen anderen Kundgebungen teilzunehmen.


Täglich 165 Italiener umgebracht

Die vier in Forli zur Schau gestellten Partisanen, deren Ermordung Salvini mit seiner Rede vom Balkon, auf dem Mussolini sprach, gut hieß, gehören zu den Hunderttausenden Italienern, die in der so genannten Salo-Republik [2] umgebracht wurden. In diesem Marionettengebilde führten Wehrmacht, SS, SD, Gestapo und Sicherheitspolizei mit ihren italienischen Erfüllungsgehilfen - den Camicie Nere (Schwarzhemden), einer italienischen SS, und der Miliz - gegen die italienische Bevölkerung einen grausamen und erbarmungslosen Krieg. Für Geiselerschießungen, das Niederbrennen von Dörfern, Mord und Folter stehen als Beispiele die Ardeatinischen Höhlen bei Rom (335 am 23./24. März 1944 durch Genickschuss ermordete Geiseln), die Gemeinde Marzabotto (1.830 im September 1944 viehisch umgebrachte Bewohner) oder der Fall des SS-Henkers von Mailand, Hauptsturmführer Savaecke, verantwortlich für die Ermordung von über 2.000 Juden und Widerstandskämpfern. [3] Insgesamt starben zwischen dem 8. September 1943 [4] und dem 8. Mai 1945 ca. 46.000 Militärinternierte oder Kriegsgefangene, 37.000 politisch Deportierte und 16.600 zivile italienische Staatsbürger, darunter 7400 Juden. "Das bedeutet, dass im statistischen Mittel - ohne die gefallenen Partisanen und regulären Soldaten - täglich 165 Kinder, Frauen und Männer jeden Alters ihr Leben verloren", schrieb der renommierte bundesdeutsche Militärhistoriker Gerhard Schreiber in seinem Buch "Deutsche Kriegsverbrechen in Italien" (München 1996, S. 217).


Graphik: Italian_social_republic_map.png: PANONIANderivative work: Ziegelbrenner [CC0]

Die sogenannte Republik Saló - faschistischer Satellitenstaat in Norditalien unter Protektion des Hitler-Regimes
Graphik: Italian_social_republic_map.png: PANONIANderivative work: Ziegelbrenner [CC0]


Der Geiselmord von Rom

Werfen wir einen Blick auf einige der bestialischen Verbrechen, die in Mussolinis Salo-Republik begangen wurden, die Salvini gut heißt. Am 25. März 1944 wurden in Rom als Rache für einen Überfall auf eine Kompanie des SS-Regiments Bozen (Südtirol) zwei Tage vorher in der Via Rasella in Rom, bei dem 33 Soldaten ums Leben kamen, 335 Geiseln erschossen. Entgegen nach 1945 von rechten und faschistischen Kreisen vorgebrachten Diffamierungen, der Anschlag in der Via Rasella sei eine illegitime Operation gewesen, handelte es sich, wie das Appellationsgericht der Hauptstadt 1954 nachwies, um eine in "voller Rechtmäßigkeit" durchgeführte "Aktion des Krieges". Die Geiselerschießungen leitete der Polizeichef von Rom, SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler. Er war, wie der italienische Historiker Guido Gerosa in seinem Buch "Il Caso Kappler" (Mailand 1977) nachwies, "der große nazistische Kontrolleur des Terrors, der oberste Leiter der Vernichtung des jüdischen Ghettos", ein "besonders fanatischer Nazi, der skrupellos wie ein wildes Tier mordete" und Hitler persönlich durch "seine Emsigkeit und Dienstbeflissenheit" bekannt war. Kappler schlug auch persönlich vor, für jeden toten SS-Mann zehn Italiener zu erschießen, was Hitler sanktionierte.

Kappler und sein Stellvertreter, Sturmbannführer Erich Priebke, trieben aus den Gefängnissen in Rom die Geiseln zusammen. Die Opfer wurden, die Hände mit Stricken hinter dem Rücken zusammengebunden, auf Lastwagen in die Fosse Ardeatine an der Via Appia Antica bei Rom gefahren, wo sie in die Sandsteinhöhlen hinunter getrieben wurden. Dort mussten sie in Gruppen zu fünf Mann niederknien und wurden auf Kommando durch Genickschüsse umgebracht. Die nächsten Opfer mussten auf die vorher Erschossenen steigen. Die Wartenden hörten während der etwa fünf Stunden dauernden Exekution die Schüsse. Um seine Leute anzufeuern, exekutierte Kappler selbst mehrere Geiseln. Es wurde nicht kontrolliert, ob die Opfer tot waren. Bei den Bergungen nach 1945 wurden bei einem Opfer einige Notizen gefunden, die zeigten, dass es lebendig Begrabene gab. Am Ende stellte sich heraus, dass zwei Personen zu viel zusammengetrieben worden waren. Man wollte sie - auch als Mitwisser - nicht am Leben lassen und brachte sie über die festgelegte Zahl von je zehn Geiseln für einen der 33 getöteten SS-Männer noch um. Nach Abschluss des Massakers wurden die Höhlen gesprengt.


Foto: antmoose [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)]

Der Eingang zu den Ardeatinischen Höhlen bei Rom im Jahr 2005
Foto: antmoose [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)]

Nach 1945 konnten 322 der Opfer identifiziert werden. Roberto Battaglia und Giuseppe Garritano schrieben in "Der italienische Widerstandskampf 1943 bis 1945 (Berlin/DDR 1964), Opfer dieses "bestialischen, in jeder seiner einzelnen Handlungen unmenschlichen Verbrechens" wurden "Menschen der verschiedenen Richtungen, Klassen und Altersstufen, die noch in ihrem Tode ein Zeugnis von der Einheit ablegten, die die Italiener im Befreiungskampf zusammenschloss". Schulter an Schulter fielen der kommunistische Professor Gioacchino Gesmundo und der Oberst Montezemolo, Organisator des Widerstandes in Militärkreisen, Professor Pilo Albertelli von der radikaldemokratischen Aktionspartei und General Simoni, Held des Ersten Weltkrieges, General Fenulli, stellvertretender Kommandeur der Division "Ariete", die im Herbst 1943 der Okkupation der Hitlerwehrmacht entgegengetreten war, der Arbeiter Valerio Fiorentini, der den Widerstand in den Städten organisiert hatte. Zusammengefasst waren in den Tuffsteinhöhlen 77 Arbeiter, 57 Angestellte oder Beamte im öffentlichen Dienst, 54 Angehörige kaufmännischer Berufe, 38 Offiziere, darunter fünf Generäle, 17 Straßenhändler, zwölf Bauern, zwölf Rechtsanwälte, neun Studenten, acht Künstler, sechs Architekten oder Ingenieure, fünf Professoren bzw. Lehrer, fünf Industrielle, fünf Soldaten, vier Metzger, drei Ärzte, ein Bankkaufmann und ein Priester ermordet worden. Der jüngste Tote war 15 Jahre alt, der älteste 74.


Königstochter in Buchenwald umgebracht

Der barbarische Terror in der RSI machte selbst vor Mitgliedern der Königsfamilie nicht halt. Um sich an König Vittorio Emanuele III., der sich an der Militärrevolte gegen Mussolini im Juli 1943 beteiligt hatte, zu rächen, ließ Hitler dessen Tochter Mafalda von Savoyen in die deutsche Botschaft in Rom locken und festnehmen. Sie wurde in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt, wo sie ums Leben kam. Den Teilnehmer Graf Galeazo Ciano, seinen Schwiegersohn, ließ Mussolini am 11. Januar 1944 hinrichten.


Abbildung: Official postcard of the Kingdom of Italy - released for public distribution [Public domain]

König Vittorio Emanuele III. auf einer offiziellen italienischen Postkarte - Aufnahme von 1936
Abbildung: Official postcard of the Kingdom of Italy - released for public distribution [Public domain]

Der für Geiselerschießungen verantwortliche Befehlshaber für Italien, Feldmarschall Kesselring, wurde 1947 von einem britischen Militärgericht auch wegen des Massakers in den Ardeatinischen Höhlen zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde später in lebenslänglich umgewandelt, 1952 kam er frei. Im Prozess räumte Kesselring ein, mit den Geiselerschießungen nach dem Überfall in der Via Rasella sollte auch der römischen Widerstandsbewegung ein entscheidender Stoß versetzt werden. Kappler wurde von einem römischen Militärgericht 1948 wegen der Geiselerschießungen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, die er in Italien verbüßte. Im Sommer 1977 verhalfen deutsche und italienische Gesinnungskomplizen ihm zur Flucht in die Bundesrepublik, wo der Kriegsverbrecher von seinen Anhängern frenetisch gefeiert wurde. Die Justizbehörden verweigerten eine von Rom geforderte Auslieferung.

In den Fosse Ardeatine wurde am 24. März 1949 ein Denkmal und Mausoleum, in dem die Gebeine der Toten beigesetzt sind, eröffnet. In einem Pinienhain oberhalb der Gedenkstätte würdigt ein Museum des italienischen Widerstands den Befreiungskampf und Sieg des italienischen Volkes über die deutsche Besatzung und den italienischen Faschismus.


Foto: Formkurve92 (Diskussion) 14:51, 22. Jul. 2017 (CEST) [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Eingang zur Gedenkstätte Fosse Ardeatine - im Vordergrund die Statue "I Martiri", im Hintergrund das Mausoleum
Foto: Formkurve92 (Diskussion) 14:51, 22. Jul. 2017 (CEST) [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen wurde mehrfach in Filmen dargestellt, darunter 1973 von dem italienischen Regisseur George P. Cosmatos in einer italienisch-französischen Co-Produktion, die in deutsch unter dem Titel "Das Massaker in Rom - der Fall Kappler" mit Richard Burton in der Hauptrolle herauskam. Im Abspann des Films wurden alle Namen der erschossenen Personen sowie deren Alter und Berufsstand genannt.


Sant'Anna di Stazzema

Betrachten wir aus der unendlichen Kette der in der Salo-Republik Mussolinis begangenen ungeheuerlichen Verbrechen noch das in der Gemeinde Sant'Anna di Stazzema in den toskanischen Abruzzen. Noch heute sträubt sich die Feder, diesen Sadismus zu beschreiben. Binnen weniger Stunden ermordeten dort am 12. August 1944 Angehörige der Aufklärungsabteilung der 16. Panzergrenadier-Division "Reichsführer SS" unter dem Kommando des Obersturmbannführers Walter Reder 560 Einwohner, alles Zivilisten, darunter 120 Kinder unter sechszehn Jahren und acht schwangere Frauen. Das jüngste Opfer zählte drei Monate, das älteste 86 Jahre. Während die SS-Abteilung das Dorf überfiel, befand sich kein einziger Widerstandskämpfer dort. Der Hamburger Laika-Verlag hat anlässlich des 70. Jahrestages dieses Verbrechens die Erinnerungen Enio Mancinis, der als sechsjähriges Kind überlebte, veröffentlicht. Das Buch stützt sich auf jahrelang von ihm gesammelte Fotos, Dokumente und Berichte der Überlebenden, mit denen er in Sant'Anna ein Museum des Widerstandes einrichtete. Viele der Fotos sind in dem Buch zu sehen. [5]

Nach dem Einmarsch der angloamerikanischen Truppen am 4. Juni 1944 in Rom hatte der Partisanenkampf in Mittel- und Norditalien stark zugenommen. Die Wehrmacht erlitt überall große Verluste. Ihre Antwort war Mord und Terror gegen die Zivilbevölkerung. Dabei war, wie ein Hitler-Befehl festlegte, "ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt". Ausdrücklich hieß es, in Frauen und Kinder "rücksichtslos hineinzuschießen". So wurde auch in Sant'Anna verfahren. Einer Schwangeren wurde der Leib aufgeschnitten und der Fötus herausgerissen. Die SS-Leute durchkämmten Gehöft für Gehöft, Weiler für Weiler, zündeten die Gebäude an und brannten sie nieder, brachten die Menschen, soweit sie nicht flüchten konnten, um. 150 Einwohner wurden auf dem von einer Mauer eingefriedeten Kirchplatz mit nur einem einzigen Zugang zusammengetrieben und mit zwei Maschinengewehren und Handgranaten regelrecht hingeschlachtet. Anschließend schichteten die Mörder die Leichen übereinander, übergossen sie mit Benzin und zündeten sie an. Nur 350 der Opfer konnten später identifiziert werden. Obersturmbannführer Reder konnte in Italien gefasst werden und erhielt 1951 eine lebenslängliche Haftstrafe, 1985 wurde er begnadigt.

Beim Lesen der aufrüttelnden Erinnerungen Enio Mancinis fiel mir der Ausspruch von William Faulkner ein: Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen. Sie wird in Italien heute von Faschisten wie Salvini verkörpert. [6]


Foto: Carl Van Vechten [Public domain]

Die Vergangenheit ist nicht vergangen - Ausspruch des amerikanischen Schriftstellers William Faulkner
Foto: Carl Van Vechten [Public domain]


"Begriff der Rasse" wieder einführen

Bei seinem rassistischen Kurs zur Vertreibung von etwa einer halben Million Migranten befindet sich der Lega-Führer ganz auf der Linie Mussolinis, der am 19. April 1937 das berüchtigte Dekret "zur Verteidigung der Rasse" erließ. Es bereitete den Boden für das am 14. Juli 1938 verkündete "Rassenmanifest", in dem grundsätzlich und wesentlich die faschistischen Rassengesetze Hitlerdeutschlands übernommen wurden. Von Salvini ist nie auch nur die geringste Distanzierung dazu erfolgt, wie unter Mussolini nach der kolonialen Eroberung Äthiopiens (damals Abessinien) die römische Rassenideologie umgesetzt wurde. So ließ der Generalgouverneur der Kolonie, General Graziani, nach einem auf ihn verübten erfolglosen Attentat 1937 allein in der Hauptstadt Addis Abeba 30.000 Menschen umbringen und etwa 1000 Häuser niederbrennen. Es gibt auch keine Abkehr von dem Bekenntnis, dass die Lega bei ihrer Gründung 1991 zur berüchtigten faschistischen deutschen Blut- und Boden-Ideologie und zu einem offenen Rassismus ablegte. [7] 2008 gipfelten im Wahlkampf rassistische Ausfälle darin, es sei leider "leichter, Ratten zu vernichten, als Zigeuner auszurotten". [8]


Foto: United States Library of Congress [Public domain]

Italienische Soldaten während des Überfalls auf Abessinien 1935
Foto: United States Library of Congress [Public domain]

2010 verlangte die Rassistenpartei, aus den auf der Grundlage der von Mussolini 1938 von Hitlerdeutschland übernommenen Gesetzen den "Begriff der Rasse" wieder einzuführen und einen "Sonderbeauftragten für Roma und Sinti" zu ernennen. In Italien sei "Rassismus offizielle Politik geworden", kommentierte der Soziologieprofessor an der Universität von Genua, Alessandro Dal Lago, die schockierenden Vorgänge. [9] Der Lega-Senator Roberto Calderoni, unter Berlusconi zweimal Minister, stellte sich 2013 hinter Aufrufe, die damalige, in der Demokratischen Republik Kongo geborene, italienische Ministerin für Integration, Cécile Kyenge, zu töten. Er verlangte, Flüchtlingsboote zu beschießen, forderte Einwanderer auf, sich "zu den Kamelen in der Wüste" zu scheren und "mit den Affen zu tanzen". Lange Zeit richtete sich der Lega-Rassismus selbst gegen die Neapolitaner, deren Fußballklub in Mailand mit Spruchbändern empfangen wurde, auf denen etwa stand: "Was Hitler mit den Juden gemacht hat, wäre auch das Richtige für Napoli".

Dass die rassistische Ideologie Grundlage einer Regierungspolitik sein wird, verkündete Salvini beispielsweise am 11. März 2017 in Neapel mit der Drohung: "Wenn wir an die Regierung kommen, werden wir die Roma-Lager und die Sozialzentren eliminieren". Eine seiner ersten Maßnahmen als Innenminister war dann auch, eine "Volkszählung" unter den geschätzt 120.000 bis 180.000 Sinti und Roma im Land anzukündigen. Das war ein offener Verstoß gegen die Verfassung, die Erhebungen auf der Grundlage ethnischer Merkmale verbietet. Die linke Tageszeitung Il Manifesto schrieb, Salvini knüpfe damit an den Antiziganismus der Nazis an, der "zu den widerwärtigsten und niederträchtigsten Formen des Rassismus" gehöre. Das kommunistische Internetportal Contropiano erinnerte daran, dass die Nazis neben der "Endlösung der Judenfrage" die "Lösung" des "Zigeunerproblems" durch Vernichtung in den Konzentrationslagern Dachau, Flossenbürg und vor allem Auschwitz planten.

Salvinis Absicht scheiterte bisher am Einspruch Staatspräsident Mattarellas. Er versucht nun, sie mit allen möglichen Schikanen aus Italien zu vertreiben. Jüngste Beweise, die La Repubblica am 17. Mai vorlegte, dafür sind, dass in Rom die faschistischen Sturmtrupps der Lega "Forza Nuova" und "Casa Pound" seit Wochen die Umsiedlung von Sinti in die Stadtteile Torre Maura und Casal Bruciato mit Drohungen wie "Hängt sie auf!" und "Verbrennt sie!" verhindern. Dieser, so das Blatt, typische faschistische Squadrismus (Terror durch paramilitärische Gruppen zur Einschüchterung politischer Gegner) sei der "bürgerliche Faschismus Salvinis".

Der Lega-Chef hat dagegen nicht nur nichts einzuwenden, sondern hat in dem von "Casa Pound" betriebenen Verlag Altaforte, der für seine Holocaust-Leugnung bekannt ist, einen Band mit Gesprächen herausgegeben, in denen er seine rassistischen Angriffe auf Migranten und seinen an Mussolini orientierten Regierungskurs propagiert. Verlagsleiter Francesco Polacchi, der gegenüber der Nachrichtenagentur ANSA erklärte, "Ich bin Faschist", "Der Antifaschismus ist das wahre Übel dieses Landes", wollte das Buch auf der am 9. Mai eröffneten Turiner Buchmesse vorstellen.

Die Teilnahme des faschistischen Verlages löste eine Protestwelle aus. Der polnische Leiter des Museums Auschwitz-Birkenau, Mitglied des Internationalen Auschwitz-Rates, Andrzej Cywinski, verurteilte den Vorgang mit aller Entschiedenheit und erklärte, man könne von Holocaust-Überlebenden nicht verlangen, "den Raum mit jemandem zu teilen, der die historischen Fakten leugnet, die zum Holocaust geführt haben". Mehrere italienische Autoren sagten ihre Teilnahme an der Buchmesse ab. Nachdem die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Rechtfertigung des Faschismus eingeleitet hatte, wurde der Verlag von der Buchmesse ausgeschlossen.


Brüssel schaut tatenlos zu

Meinungsumfragen sagen der faschistischen Lega mit 31 bis 32 Prozent einen Wahlsieg und den ersten Platz voraus. Zusammen mit der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconi (der nach der Aufhebung des gegen ihn nach einer Verurteilung wegen Korruption und Steuerbetrug in Millionenhöhe verhängten Ämterverbots auch für ein Mandat in Strassburg kandidiert) und den Brüdern Italiens (FdI) könnte das faschistische Lager die Regierung mit der rechten Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) beenden und die Regierung allein bilden. Wenn die Stimmen nicht ausreichen sollten, wird auf Überläufer aus der Sterne-Partei spekuliert oder auf Neuwahlen gesetzt.

In der EU-Hauptstadt Brüssel gibt es wie eh und je gegen die wachsende faschistische Gefahr keine Einwände. Im Gegenteil stellte sich EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani, engster Vertrauter Berlusconis und seiner FI, mit der Äußerung, Mussolini habe "auch positive Dinge" getan, an die Seite der Bewunderer des "Duce".


Mitte Links tritt zerstritten an

Die zerstrittene Linke Mitte hat es zu den EU-Wahlen nicht geschafft, der drohenden Gefahr der Errichtung einer faschistischen Regierung mit einer gemeinsamen Liste zu begegnen. So tritt die Demokratische Partei (PD) allein an. Gegenüber 17 Prozent im März 2018 wird ihr ein leichter Anstieg auf 20/21 Prozent vorausgesagt. Die Partei Freie und Gleiche (LeU), die es im März 2018 noch mit 3,4 Prozent ins Parlament schaffte (Sperrklausel jetzt 4 Prozent), hat sich aufgelöst, die Italienische Linke mit der früheren Partei Linke und Umwelt (SEL) wiederbelebt und tritt im Wahlbündnis mit der Rifondazione Comunista (PRC) an. Die einzige antikapitalistische Linke Potere al Popolo, die auch allein antreten wollte, schaffte die erforderlichen Stimmen zur Unterstützung ihrer Kandidatur nicht. [10] Nach der Wahl hofft die PD, M5S für eine Regierung zu gewinnen. Da mit der Spaltung der Sterne-Partei zu rechnen ist, bleibt das fraglich.


Fußnoten:

[1] Schwarz-braune Koalition europäischer Ultras will EU in "Festung Europa" verwandeln. Mailänder Antifaschisten forderten "Menschlichkeit" und "Brücken, keine Mauern" - Beitrag des Autors vom 21. Mai 2019 im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK → ITALIEN/266

[2] Repubblica Sociale Italiana (RSI). Nach dem Ort Salo am Gardasee, dem Sitz der Regierung Mussolinis, so genannt.

[3] Giorni della Storia d'Italia. Cronaca quotidiana dal 1815. Novarra, 1997, S. 503 ff.

[4] Bekanntgabe des Waffenstillstandes Italiens mit dem anglo-amerikanischen Kommando, nachdem Hitlerdeutschland Nord- und Mittelitalien besetzte und das Nationale Befreiungskomitee zum bewaffneten Widerstand aufrief.

[5] Verdeckter Bürgerkrieg und Klassenkampf in Italien, von Willi Baer und Karl-Heinz Dellwo (Hg.) - Rezension des Autors vom 30. Juni 2014 im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUCH → SACHBUCH → REZENSION/629

[6] Der Chef der rassistischen Lega Italiens, Matteo Salvini, wird nicht müde zu behaupten, seine Partei sei nicht rassistisch. Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Die Lega steht seit ihrer Gründung 1991 für eine unternehmerfreundliche und einen offenen Rassismus vertretende Politik. Beitrag des Autors vom 22. Oktober 2018 im Schattenblick
www.schattenblick.de → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK → ITALIEN/245

[7] Dieser Denkweise von "Blut-und-Boden des 20. Jahrhunderts" entspreche auch der von Salvini begrüßte, von Orban an der Grenze zu Serbien errichtete 175 km lange und 4 Meter hohe Stacheldrahtzaun, schrieb La Repubblica am 7. Mai 2019.

[8] Süddeutsche Zeitung, 16. April 2008.

[9] Interview für jW, 4./5. 9. 2010.

[10] Eine Partei, die nicht über mindestens einen Sitz im Abgeordnetenhaus verfügt oder deren Vertreter bei vorherigen EU-Wahlen direkt oder innerhalb eines Wahlbündnisses nicht ein Mandat in Strassburg erreicht hatten, musste für eine Kandidatur in einem Wahlbündnis oder allein 30.000 bzw. 35.000 Unterschriften zur Unterstützung sammeln, von denen wiederum mussten mindestens 10 Prozent in den Wahlkreisen jeder Region gesammelt werden.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2019

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