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ITALIEN/284: Generalstreik aller Beschäftigten lähmte das gesamte Verkehrswesen (Gerhard Feldbauer)


Generalstreik aller Beschäftigten lähmt in Italien gesamte Verkehrswesen

Gegen Sozialabbau, für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen

von Gerhard Feldbauer, 25. Oktober 2019


Die Beschäftigten des Verkehrs in Italien haben am Donnerstagabend um 21 Uhr einen bis Freitag dauernden 24stündigen Generalstreik begonnen, der nach Berichten der staatlichen Nachrichtenagentur ANSA vom Freitag "den Verkehr in allen Bereichen 'lähmt'". Erfasst wurden nationale und internationale Airlines, die staatlichen und privaten Eisenbahnen, Busse, U-Bahnen, der Seeverkehr und die Autobahndienste wie auch die privaten und kommunalen Unternehmen der Müllabfuhr in Rom, aber auch zahlreiche Schulen. Zu den Arbeitsniederlegungen hatten in selten gekannter Einheit die Branchenverbände der drei großen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL und die Basis-Gewerkschaften wie die Einheits-Basis-Konföderation (CUB), das Basis-Syndikat (SGB) und die SI Cobas aufgerufen. Sie wenden sich dagegen, dass ihnen im Haushaltsgesetz für 2020 ein neuer Sozialabbau aufgebürdet wird und dass, wie von der EU gefordert, die Mehrwertsteuer (derzeit 22 Prozent) erhöht wird, und fordern höhere Löhne und Renten sowie bessere Arbeitsbedingungen.

Der Ausstand begann am Donnerstagabend bei allen Eisenbahnlinien, am Freitag folgten zwischen 13 Uhr und 17 Uhr die Piloten und Flugbegleiter der nationalen Flugsicherung ENAV, was sich auf alle Linien auswirkt. Allein bei Alitalia fielen am Freitag 240 Flüge aus, bei der Lufthansa 164, darunter von Berlin-Tegel, Frankfurt/Oder, Düsseldorf von und nach Mailand. Betroffen wurden auch Ryanair mit mehreren Starts von Berlin-Schönefeld nach Venedig, Pisa, Bari und Palermo und Hunderte weitere europäische sowie Inlandsflüge. Während in den meisten Sektoren gestaffelt gestreikt wurde, legten die Beschäftigten des Transport- und Verkehrsunternehmens des Latiums CoTraL für 24 Stunden die Arbeit nieder.

In Rom solidarisierten sich zahlreiche Einwohner mit den Streikenden der Müllunternehmen, die gegen das unter der Stadtverwaltung der Fünf-Sterne-Bewegung anhaltende Chaos, Korruption und Unfähigkeit protestierten. Die 2016 mit Wahlhilfe der faschistischen Lega ins Amt gekommene Bürgermeisterin Virginia Raggi wurde wiederholt der Verwicklung in Vetternwirtschaft und Bestechung beschuldigt. Obwohl sie schon vor zwei Jahren ihre Stadträtin für Umweltangelegenheiten, Paola Muraro, entlassen musste, die als Beraterin der städtischen Müllabfuhr Ama 1,1 Millionen Euro kassierte, hat sich seitdem nichts geändert. Aus ramponierten Müllcontainern quellen die Abfälle, liegen auf den Strassen und Fußwegen, dazwischen ausrangierte Kühlschränke, Matratzen und kaputte Ventilatoren, zwischen denen sich Ratten und Möwen tummeln.

"Wir haben es satt, mit schlechten Diensten und Mitarbeitern, die unter demütigenden Bedingungen arbeiten, in Erniedrigung zu leben", rief Natale di Cola, Sekretär der CGIL von Rom und des Latiums, den Streikenden und Einwohnern zu, die sich auf der Piazza del Campidoglio zum Protest gegen die 5-Sterne-Verwaltung versammelt hatten. Sein Kollege von der UIL, der Sekretär des Latiums, Alberto Civica, prangerte an, dass die Sterne-Verwaltung sich an Unternehmen beteilige, die sie in den Ruin treibe.

Der Streik findet nicht zufällig vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen der seit Juni amtierenden Regierung der Demokratischen Partei (mit einem noch sozialdemokratischen Outfit) und der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) mit der faschistischen Allianz mit der Lega Matteo Salvinis an der Spitze statt. Neben der Abkehr von der migrantenfeindlichen Politik der Lega geht es um eine soziale Wende. Unter dem Druck der Gewerkschaften hat der parteilose Premier Giuseppe Conte in den Haushaltsentwurf für 2020 einige soziale Zugeständnisse aufgenommen (Mindestlohn, Steuererleichterungen, so die Entlastung von Geringverdienern, Unterstützung von Familien, Abschaffung von Medikamentengebühren).

Um das finanzieren zu können, will die Regierung gegen die maßlose Steuerhinterziehung der Reichen (die inzwischen auf 100 Milliarden Euro jährlich geschätzt wird) vorgehen. Auf Forderung der PD nimmt Conte auch Abstand von der von Salvini als Steuerreform propagierten flat tax, die eine Steuerentlastung zugunsten der vor allem aus Unternehmerschichten kommenden Lega-Wähler Norditaliens vorsah. So gesehen unterstützt der Generalstreik, was nicht alle Tage der Fall ist, die von den Sozialdemokraten in der Regierung vertretenen bescheidenen sozialen Zugeständnisse. Nicht zuletzt könnte er sich auch auf die am Sonntag in der Region Umbrien anberaumten Wahlen für den Regierungspräsidenten und das Regionalparlament auswirken, wo ein Kandidat des Bündnisses der PD und M5S gegen einen der Lega, unterstützt von der faschistischen Allianz mit der Forza Italia von Ex-Premier Berlusconi und den Brüdern Italiens (FdI) von Giorgia Meloni, antritt.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2019

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