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ITALIEN/352: Rücktritt des Chefs der Demokratischen Partei setzt Draghi-Regierung unter Druck (Gerhard Feldbauer)


Rücktritt des Chefs der Demokratischen Partei setzt Draghis Regierung unter Druck

Sardinen-Bewegung will PD-Linke stärken

von Gerhard Feldbauer, 10. März 2021


Im Partito Democratico (PD), der zur Regierung des früheren EZB-Chefs Mario Draghi gehört, sind laut Berichten der Nachrichtenagentur ANSA die Auseinandersetzungen über eine Nachfolge des am 6. März zurückgetretenen Sekretärs Nicola Zingaretti in vollem Gange. (*) Seit zwei Jahren im Amt galt er und gilt noch als Hoffnungsträger einer Wende nach links und wieder der Betonung einer sozialdemokratischen Ausrichtung des PD. Zingaretti wollte, so das kommunistische Online-Portal Contropiano, an einer im PD noch immer vorhandenen "Basis" anknüpfen, die dem 1990 beseitigten PCI nachtrauere, dem auch er selbst entstammte, und habe versucht, "die hinterlassenen Fetzen wiederzubeleben". Zingaretti ist gleichzeitig Regierungschef des Laziums, der wegen ihrer Nähe zu Rom politisch bedeutsamen Region.


Porträt - Foto: Niccolò Caranti, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons

Nicola Zingaretti
Foto: Niccolò Caranti, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons

Aber im PD dominieren den Kurs Parlamentarier, die fast alle noch von Ex-Premier Matteo Renzi, dem Chef der vom PD abgespaltenen Partei Lebendiges Italien (IV), nominiert worden sind. An ihnen sei der PD-Chef gescheitert. Seinen Rücktritt begründete Zingaretti damit, dass er gegen die Beteiligung an der von Draghi mit Faschisten gebildeten sogenannten "Regierung der nationalen Verantwortung" und für den Erhalt der Mitte-Links-Regierung des parteilosen Giuseppe Conte war, aber "allein gelassen" wurde.

Der Rücktritt des PD-Chefs ist unter dem Gesichtspunkt zu sehen, dass sehr schnell sichtbar wird, wohin es mit dem früheren EZB-Chef vor allem in der Wirtschafts- und Sozialpolitik geht. Ende März läuft das Entlassungsverbot aus, sollte es nicht - wie von Mario Draghi geplant - bis Ende Juni verlängert werden. Ebenfalls endet Ende des Monats die während der Corona-Pandemie den Arbeitnehmern gewährte wirtschaftliche Unterstützung, wenn sie zu Hause bleiben mussten oder ihre Arbeitsstunden reduziert wurden. Der Verband der Großindustriellen Confindustria hat bereits gefordert, diese außerordentliche Gesetzgebung so schnell wie möglich zu beenden, "um wieder die Hände frei zu haben". Der Rücktritt des PD-Chefs könnte, so Medien, darunter die staatliche Nachrichtenagentur ANSA, für den noch nicht einmal vier Wochen im Amt befindlichen Draghi "ein Erdbeben auslösen". Zwar verhalten sich die Gewerkschaften noch ruhig, aber CGIL-Generalsekretär Maurizio Landini hat unmissverständlich gefordert, die Maßnahmen über den 31. März hinaus zu verlängern und darüber hinaus, "alle Formen der Arbeit abzudecken, einschließlich Selbstständiger". Die Investitionen müssten in "ein echtes Reformprojekt" der Beschäftigung fließen.

Hinzu kam Draghis Ankündigung, "alle zwischen jetzt und Ende Juni geplanten Regional- und Kommunalwahlen bis nach dem Sommer zu verschieben". Es betrifft u. a. die Regionalwahlen in Kalabrien und die kommunalen in rund 1200 Gemeinden, einschließlich der Metropolen Rom, Mailand, Neapel, Turin. Hinter der Begründung, dies geschähe wegen der Corona-Beschränkungen, steht in Wirklichkeit die Befürchtung, es könnte wieder so kommen wie im Januar 2020 in der Emilia Romagna, wo der sozialdemokratische Amtsinhaber mit 51,4 Prozent im Amt des Regionalpräsidenten bestätigt wurde. Ein neuer linker Erfolg wäre auch bei den Bürgermeisterwahlen in Rom, ebenso in Mailand und Neapel, durchaus möglich. Die reformistische PD, auf die Kapitalkreise vorher setzten, werde aber "nicht mehr gebraucht", es gehe darum, sie auszuschalten, denn jetzt haben mit Draghi die Vertreter des "pro-europäischen Systems" direkt die "Hebel des Kommandos" übernommen, und es setze "eine allgemeine Neugestaltung des nationalen politischen Systems" ein, geprägt von der "absoluten Prävalenz einer einzigen Fraktion des Kapitals, den Multinationalen" der "europäischen Interessen", kommentierte Contropiano weiter. Diese Bourgeoisie fordere "Reformen" ausschließlich "auf der Grundlage ihrer eigenen Interessen".


Foto: Ettorre - gregorio (ettorre(at)gmail(dot)com), CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

Kundgebung der Sardinen-Bewegung gegen Haß und Rassismus am 28. November 2019 in Genua
Foto: Ettorre - gregorio (ettorre(at)gmail(dot)com), CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

Zum Retter in der Not könnte für Zingaretti die Sardinen-Bewegung werden. Die vor drei Jahren entstandene antirassistische Bewegung, die vor allem gegen die Lega ankämpfte, hat sich urplötzlich am Freitag zu Wort gemeldet und begab sich am Sonnabend mit einer Abordnung mit ihrem Sprecher Mattia Santori an der Spitze in die PD-Zentrale, wo sie vier Stunden mit der PD-Vorsitzenden Valentina Cuppi über die von der PD-Linken einzuschlagende Politik beraten hätten. Cuppi selbst stieß aus der Linkspartei SeL kommend 2019 zur PD, unterstützte 2020 die Wahl Zingarettis zum Sekretär und gilt als seine enge Vertraute. Die Sardinen haben laut ANSA vorgeschlagen, "die Partei ins offene Meer der Konfrontation zu führen". Die Gespräche sollen in den Sektionen des PD fortgesetzt werden. Das Ganze, meinen Beobachter, sehe nach einer Absprache Zingarettis aus, der, wie ANSA einfügte, zur selben Zeit seinen Rücktritt bekräftigte, aber erklärte: "Ich bin einen Schritt zur Seite getreten, aber ich verschwinde nicht." Die Mobilisierung der Sardinen bestätige, dass "die Demokratische Partei eine große Kraft der italienischen Demokratie ist". In einer weiteren Stellungnahme erklärte er, er werde "auch die Partei nicht verlassen" und seine Ideen würden "in der Politik bleiben". Er wies Spekulationen, er solle für das Amt des Bürgermeisters von Rom kandidieren, zurück. Er bleibe "Präsident der Region des Lazium", versprach Zingaretti und verwies auf die erfolgreiche Politik seiner Regierung.


Anmerkung der Schattenblick Redaktion:
Laut Medienberichten wurde der frühere italienische Ministerpräsident Enrico Letta bei einer Online-Wahl der Partito Democratico am Sonntag, den 14. März, mit 860 Stimmen bei nur zwei Gegenstimmen zum neuen Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei gewählt.

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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2021

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