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ITALIEN/354: Landesweite Proteste gegen kriminelles Ausbeutungssystem nach der Tötung Adil Belakhdims (Gerhard Feldbauer)


Während Luftstreik tötete ein Streikbrecher einen Gewerkschafter der SI Cobas

Landesweite Proteste gegen kriminelles Ausbeutungssystem

von Gerhard Feldbauer, 21. Juni 2021


In Italien protestierten seit dem Wochenende (19./20. Juni) landesweit Tausende Menschen gegen die Tötung des Arbeiters und Gewerkschafters der SI Cobas Adil Belakhdim durch einen Streikbrecher während des Ausstandes im Luftsektor am Freitag. In Rom waren es mehr als dreitausend Menschen, die durch die Strassen zogen und auf Plakaten und in Sprechchören das kriminelle Ausbeutungssystem, derzeit verkörpert durch die Regierung des Ex-EZB-Chefs Draghi, für den Tod Adil Belakhdims verantwortlich machten.

An der Spitze der Demonstration von Arbeitern, Gewerkschaftern, Kommunisten und verschiedenen Linken, denen sich Sozialdemokraten des Partito Democratico (PD) anschlossen, ging Giuliana Granato von der Leitung der Linkspartei Potere al Popolo (Die Macht dem Volke), die zur Regionalwahl in Campanien kandidiert. Proteste fanden auch in weiteren Städten statt. Der Generalsekretär der CGIL von Novara, wo der Gewerkschafter getötet wurde, Attilio Fasulo, stellte sich "ohne Wenn und Aber" solidarisch an die Seite der SI Cobas und verurteilte die Tat entschieden: "Auf diese Weise zu sterben ist inakzeptabel."

Der getötete Gewerkschafter gehörte zu den Logistikern, die zur Unterstützung des Streiks der Beschäftigten der Fluggesellschaft Alitalia 24 Stunden die Arbeit niederlegten. In Biandrate di Novara, 65 Kilometer westlich von Mailand, bestreikte er mit weiteren Kollegen die Zufahrt vor einem Supermarkt der deutschen Lidl-Kette, die ein von dem Unternehmen angeheuerter Streikbrecher, der für einen externen Lidl-Lieferanten arbeitete, gewaltsam mit seinem schweren Lkw durchbrach und dabei den Gewerkschafter überfuhr.

Der 37jährige Arbeiter marokkanischer Herkunft, der eine arbeitslose Lebensgefährtin und zwei Kinder hinterläßt, unterlag im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. Zwei weitere streikende Arbeiter wurden angefahren und mussten ebenfalls verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden. Der Lkw-Fahrer flüchtete, wurde von den Carabinieri gestellt und wegen Straßenmordes, unterlassener Rettung und Widerstand gegen zwei Beamte festgenommen und in Novara inhaftiert, meldete die staatliche Nachrichtenagentur ANSA.

In Biandrate di Novara setzten die Arbeiter den Streik auch am Sonntag fort und protestierten mit Mahnwachen vor dem Lidl-Markt. Luisa Salvatori, die Bürgermeisterin der Gemeinde Vizzolo Predabissi, in der Adil Belakhdim wohnte, würdigte "sein Engagement und seine Hartnäckigkeit im Einsatz für seine Kollegen" und sicherte seiner Familie Solidarität zu. "Adil wird in unseren Herzen sein", berichtete das linke Manifesto am Montag.

Der von der CGIL, CISL und UIL sowie der UGL Luftverkehr organisierte Ausstand wurde von den Basis-Gewerkschaften USB, SI Cobas, Adl Cobas und Cub durch die 24stündige Arbeitsniederlegung unterstützt. Dass damit die Beschäftigten aller in Italien ansässigen ausländischen Fluggesellschaften und Mitarbeiter, Flughafenmanagement-, Abfertigungs- und Cateringunternehmen sowie alle Saison- und prekär Schaffenden der Branche sich an dem Ausstand beteiligten, gab der Kampfaktion einer besondere Schlagkraft. Die Reaktion der Unternehmer war besonders brutal, weil es eine seit langem nicht gekannte Einheitsaktion der großen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL mit der ZGL und den Basis-Organisationen wie USB, SI Cobas, Adl Cobas und Cub war, deren politischer Charakter dadurch zum Ausdruck kam, dass die Verantwortung der Confindustria und der Draghi-Regierung für die rapide wachsende Armut und Verelendung aufgezeigt wurde.

"Es ist ein System der brutalen und räuberischen Ausbeutung, das auf die sakrosankten Forderungen von Arbeitern mit der Gewalt von Entlassungen, Verfolgungen und schwarzen Listen für Aktivisten, mit direkter körperlicher Aggression durch gedungene Schlägerbanden und sogar mit Mord reagiert", schrieb das kommunistische Onlineportal Contropiano, das das rücksichtslose Über-den-Haufen-Fahren des Arbeiters durch den Lastwagenfahrer einen "brutalen Mord" nannte.

In dem Logistik-Zentrum von Lidl werden insgesamt 300 Arbeiter beschäftigt, davon sind 170 Migranten, hauptsächlich aus Nordafrika. In den Obst- und Gemüseabteilungen werden sie zu schwersten Aufgaben eingesetzt und müssen stündlich 180 bis 200 Pakete mit einem Gewicht bis 23 Kilo transportieren, berichtete Manifesto.

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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 13. Juli 2021

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