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AUSSEN/173: In der Sanktionsspirale (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 31. Mai 2021
german-foreign-policy.com

In der Sanktionsspirale

Berlin und Brüssel planen harte Wirtschaftssanktionen gegen Belarus. Außenminister Maas fordert Ausschluss des Landes vom Zahlungssystem SWIFT.


BERLIN/BRÜSSEL/MINSK - Mit einer Erörterung verschiedener drastischer Wirtschaftssanktionen leiten Berlin und die EU die nächste Runde im Kampf um den Sturz des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko ein. Man solle nicht nur Strafmaßnahmen gegen belarussische Konzerne in Betracht ziehen, sondern auch, das Land vom internationalen Zahlungssystem SWIFT auszuschließen, fordert Außenminister Heiko Maas. Ein Ausschluss von SWIFT könnte - wie einst in Iran - auch in Belarus zu einem "massiven Einbruch" der Wirtschaft führen, urteilen Experten. Freilich warnen Beobachter, Sanktionen könnten durchaus auch der eigenen Seite Schaden zufügen; als Beispiel gilt ein etwaiger Boykott gegen Belaruskali, der den Landwirten in der EU gravierende Probleme bereiten könnte. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn wird mit der Aussage zitiert, der Westen werde womöglich "ein wenig Opfer" bringen müssen. Mit den bevorstehenden Sanktionen gehen die mehr als zwei Jahrzehnte andauernden Versuche Berlins, Brüssels und Washingtons, den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu stürzen, in die nächste Runde.

Zuckerbrot und Peitsche

Mit den neuen Sanktionen, auf die sich die EU in der vergangenen Woche im Grundsatz geeinigt hat und die nun konkretisiert werden sollen, gehen die Bemühungen Berlins, der EU und der USA, den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu stürzen, in ihre nächste, bislang wohl aggressivste Runde. Begonnen haben sie bereits Ende der 1990er Jahre - unter anderem mit Bemühungen des ehemaligen BND-Präsidenten Hans-Georg Wieck, seinen Posten als Leiter der OSZE-Berater- und Beobachtergruppe in Minsk (1998 bis 2001) zu nutzen, um die recht schwache und zersplitterte belarussische Opposition zu organisieren und zu stärken.[1] Im Laufe der Jahre wechselten sich dabei Umsturzversuche mit Bestrebungen ab, die belarussische Staatsspitze eng in westliche Strukturen einzubinden, um sie Stück für Stück aus dem Bündnis mit Russland zu lösen; so gelang es nach einem Besuch von US-Außenminister Mike Pompeo am 1. Februar 2020 etwa, ein gemeinsames Manöver belarussischer und britischer Soldaten durchzuführen - eine erste enge Militärkooperation mit einer bedeutenden NATO-Macht.[2] Die Arbeit an der direkten Einbindung Belarus' in westliche Bündnisstrukturen endete vorläufig im August 2020 - mit den Protesten im Umfeld der damaligen Präsidentenwahl.[3]

Unterstützung für die Exilopposition

Die westlichen Mächte nahmen die relativ breit getragenen Proteste zum Anlass, erneut den Sturz von Präsident Lukaschenko ins Zentrum ihrer Bestrebungen zu stellen. Dabei werden unmittelbare Maßnahmen zur Förderung der belarussischen Opposition über die Nachbarstaaten abgewickelt - über Polen und über Litauen. Die polnische Regierung hat der belarussischen Exilopposition ein Gebäude in einem Warschauer Diplomatenviertel zur Verfügung gestellt und fördert einen TV- wie einen Radiosender (Belsat, Radio Racja), die aus Polen senden und in Belarus zu empfangen sind. Aus Warschau wird der Telegram-Kanal Nexta betrieben, ein zentrales Medium zur Organisierung der belarussischen Opposition. In Vilnius wiederum, der "Hauptstadt" der Exilopposition, in der etwa die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) ihr "Auslandsbüro Belarus" unterhält, residiert derzeit Swetlana Tichanowskaja, die sich zur Siegerin der jüngsten Präsidentenwahl vom August 2020 erklärt hat. Der am 23. Mai bei der erzwungenen Zwischenlandung des Ryanair-Fluges in Minsk festgenommene Aktivist Roman Protassewitsch hatte im vergangenen Jahr eine Zeitlang für Nexta in Warschau gearbeitet, bevor er nach Vilnius wechselte. Zuvor hatte er in den Jahren 2014/15 im faschistischen "Bataillon Asow" in der Ostukraine gekämpft.[4]

Sanktionswellen

Zusätzlich zur Unterstützung der belarussischen Exilopposition hat die EU im vergangenen Jahr begonnen, die Regierung in Minsk systematisch mit Sanktionen zu attackieren. Bereits seit Jahren in Kraft und weiterhin gültig sind ein Waffenembargo sowie das Verbot, Güter zu liefern, die zu innerer Repression genutzt werden können. Im Oktober, November und Dezember vergangenen Jahres hat die EU in drei Wellen Strafmaßnahmen gegen Einzelpersonen und Unternehmen verhängt, denen vorgeworfen wird, entweder Verantwortung für Repression gegen die Opposition zu tragen oder Präsident Lukaschenko und seine Regierung zu unterstützen. Die Sanktionsliste umfasst alles in allem 88 Personen - darunter Präsident Lukaschenko selbst und sein Sohn Wiktor Lukaschenko, der als Nationaler Sicherheitsberater amtiert - sowie sieben Unternehmen, darunter der Rüstungshändler Beltechexport. Gegen die Betroffenen wurden Einreisesperren in die EU in Kraft gesetzt; zudem wurde ihr Vermögen in der EU eingefroren. EU-Bürgern ist es nicht mehr erlaubt, mit ihnen Geschäfte zu machen. Eine vierte Sanktionswelle gegen Belarus ist bereits seit geraumer Zeit in Vorbereitung - ein Beleg dafür, dass die Debatte um die Zwangslandung des Ryanair-Flugzeugs nicht der Auslöser der neuen Sanktionen ist, sondern ihrer Legitimation dient.

"Belarus wirklich treffen"

Dabei haben die EU-Staats- und Regierungschefs am 24. Mai nicht nur neue Sanktionen gegen Personen, sondern zudem ein Überflug- und Landeverbot für belarussische Flugzeuge sowie vor allem "gezielte Wirtschaftssanktionen" beschlossen, die noch genauer bestimmt werden müssen. Modell sind Strafmaßnahmen, die die Vereinigten Staaten schon am 19. April verhängt haben und die ein Verbot jeglichen Geschäfts mit neun belarussischen Unternehmen vorsehen, darunter der Reifenhersteller Belshina, der Düngemittelhersteller Grodno Azot und Belneftekhim.[5] Der Staatskonzern Belneftekhim betreibt Pipelines, Raffinerien sowie Chemiefabriken; laut Berichten stellt er ein Drittel der belarussischen Industrieprodukte her.[6] Seit Tagen überschlagen sich deutsche Medien mit Vorschlägen, welche Sanktionen "Belarus wirklich treffen" könnten.[7] So heißt es etwa, man könne Strafmaßnahmen gegen das Staatsunternehmen Belaruskali verhängen - einen der größten Kaliproduzenten weltweit, der allein rund 20 Prozent des globalen Bedarfs an Kalidüngemitteln decke und für das Land "lebenswichtig" sei.[8] Brüssel dürfe sich "nicht mit kleinen Sanktionsschritten zufrieden geben", verlangt Außenminister Heiko Maas und spricht von einer "großen und langen Sanktionsspirale".[9]

"Ein wenig Opfer"

Experten warnen in zweierlei Hinsicht. Zum einen heißt es, die Erfahrung mit Sanktionen lehre, dass das betroffene Land sich einfach andere Absatzmärkte suchen könne; Belaruskali etwa werde wohl in der Lage sein, neue Kunden für seinen Kalidünger zu finden. Auch könne sich Belarus - unter Druck stehend - genötigt sehen, sich noch enger als bisher an Moskau zu binden: "Schärfere EU-Sanktionen könnten die ohnehin schon große Abhängigkeit des Landes von Russland noch weiter verstärken", wird Oliver Hermes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, zitiert.[10] Zum anderen aber sei mit Schäden auf der eigenen Seite zu rechnen. Es sei etwa denkbar, dass Strafmaßnahmen gegen Belaruskali den Weltmarktpreis für Kalidünger in die Höhe trieben; darunter würden dann auch Landwirte in der EU leiden. Sollte Minsk gar zu Gegensanktionen greifen - so etwa auf dem Erdöl- oder dem Erdgassektor -, dann drohe eventuell ein "Sanktionskrieg", der auch Berlin und Brüssel Verluste bringen werde.[11] Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn wird diesbezüglich mit der Vorhersage zitiert: "Das kostet auch ein wenig Opfer von der westlichen Seite." Das müsse man freilich akzeptieren; nachzugeben "wäre falsch".[12]

Ausschluss von SWIFT

Um Minsk in die Knie zu zwingen, schlägt Außenminister Maas nicht nur vor, die Ausgabe sowie den Handel in Euro notierter belarussischer Staatsanleihen zu untersagen. Maas spricht sich zudem dafür aus, Belarus unter Umständen vom Zahlungssystem SWIFT auszuschließen und es dadurch von internationalen Zahlungen abzuschneiden.[13] Im Falle Irans hatte diese Maßnahme zu schweren Schäden geführt und die Wirtschaft des Landes dramatisch einbrechen lassen. Allerdings dürfte auch ein Ausschluss von SWIFT Belarus noch enger an Russland binden - dies nicht zuletzt, weil Moskau und Beijing ohnehin daran arbeiten, eine Alternative zu SWIFT zu schaffen, um den westlichen Sanktionsdrohungen dauerhaft zu entkommen (german-foreign-policy.com berichtete [14]). Gelingt dies, dann besäße auch Minsk gegen Berlins Finanzaggressionen einen gewissen Schutz.


Mehr zum Thema:
Quod licet Iovi...
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8606/


Anmerkungen:

[1] S. dazu Transformationsprobleme.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/3759/

[2] S. dazu Der Kampf um Minsk.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8359/

[3] S. dazu Das "armenische Modell"
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8365/
und Eine Ikone des Westens.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8400/

[4] Reinhard Lauterbach: Die Amis und der Neonazi. junge Welt 29.05.2021.

[5] Office of Foreign Assets Control: Belarus Sanctions Regulations 31 CFR part 548. General License No. 2H. Washington, 19.04.2021.

6] Thomas Gutschker: Sie wollen Lukaschenko treffen, nicht die Bevölkerung. Frankfurter Allgemeine Zeitung 26.05.2021.

[7] Diese Sanktionen würden Belarus wirklich treffen. n-tv.de 29.05.2021.

[8] Thomas Gutschker: Sie wollen Lukaschenko treffen, nicht die Bevölkerung. Frankfurter Allgemeine Zeitung 26.05.2021.

[9], [10] Thomas Fromm: Wer durch Sanktionen gegen Belarus verliert. sueddeutsche.de 28.05.2021.

[11] Andrey Gurkov: Deutschlands Wirtschaft und die Sanktionen gegen Belarus. dw.com 26.05.2021.

[12] Michael Schneider: Wieviel Strafe wagt die EU? tagesschau.de 27.05.2021.

[13] Maas bringt Finanzsanktionen gegen Belarus ins Gespräch. Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.05.2021.

[14] S. dazu Mit gleicher Münze.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8560/

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2021

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