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WIRTSCHAFT/092: Die Hintergründe zum europäischen Sicherungspaket (BMF)


Bundesministerium der Finanzen (BMF) - Newsletter vom 12. Mai 2010

Ein Schutzschirm für Europa
Die Hintergründe zum europäischen Sicherungspaket


Der Anlass

Gegen Ende der ersten Maiwoche hatte sich die Krise auf den Finanzmärkten dramatisch zugespitzt. Beobachten ließ sich das an den Risikoaufschlägen für die Staatsanleihen einiger Euro-Mitgliedstaaten. Sie begannen rapide zu steigen. Erklärbar war dies nur zu einem geringen Teil durch die Fundamentaldaten dieser Staaten, zum Beispiel der Höhe ihrer öffentlichen Schuldenquote. Es ließ sich vielmehr eine für Finanzkrisen typische, allerdings außergewöhnlich schnelle Ansteckungsgefahr ablesen. Europäische Banken begannen in diesen Tagen, sich gegenseitig kaum mehr Geld zu leihen. Damit bestand die Gefahr einer systemischen Krise - wie sie nach dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers im Jahr 2008, dem Auslöser der weltweiten Finanzkrise, eingetreten war.

Die Bewertung der Lage

Diese Befürchtung wurde international von Vertretern des Financial Stability Board, von den G7-Finanzministern und Notenbankgouverneuren sowie den Staats- und Regierungschefs der Eurozone, der EU-Kommission und der EZB geteilt. Zum Freitagabend, den 7. Mai 2010 war klar: Entschlossenes, rasches und massives Handeln ist notwendig. Die Krise 2008 hatte gezeigt: Abwarten kann unkontrollierbare und teurere Folgen haben. Am Abend vereinbarten die Staats- und Regierungschefs der Eurozone, dass der Euro und das Euro-Währungsgebiet geschützt werden müssen - in seiner Stabilität, Einheit und Integrität. Festgehalten wurde auch, dass alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, die Haushalte der Staaten zu konsolidieren.

Die europäische Reaktion

Die europäischen Finanzminister sollten im Ecofin-Rat schnell über einen Vorschlag für einen Stabilisierungsmechanismus entscheiden. Noch vor der Eröffnung der Finanzmärkte in Asien am Montag, den 10. Mai 2010, musste ein glaubwürdiges Gesamtpaket vorliegen, um die Zahlungsfähigkeit der Euro-Länder zu wahren, die Finanzstabilität der Währungsunion insgesamt zu sichern und um damit eine weitere Ausbreitung der krisenhaften Entwicklung über die Eurozone hinaus zu verhindern.


Elemente sind:

1. Der Schutzschirm für Europa

Die Antwort der Euro-Länder ist ein umfangreiches Sicherungspaket, das die Möglichkeit eröffnet, unter bestimmten Bedingungen Mitgliedstaaten finanziellen Beistand zu gewähren. Wenn die Zahlungsunfähigkeit eines Mitgliedstaates droht, sollen klare Mechanismen greifen.

Die erste Stufe ist ein Notfallfonds. Das Gemeinschaftsinstrument wird durch den EU-Haushalt garantiert und kann bis zu 60 Mrd. Euro umfassen. Wenn ein Staat Hilfe bekommen will, muss er sich einem gemeinsamen Programm von EU und IWF mit strengen finanz- und wirtschaftspolitischen Auflagen unterwerfen.

Falls das Gemeinschaftsinstrument im Krisenfall nicht ausreichen sollte, haben die Euro-Staaten vorsorglich eine zweite Stufe in das Paket aufgenommen: Die Mitgliedstaaten haben zwischenstaatlich vereinbart, dass sie im Krisenfall zusätzliche Unterstützung leisten. Die finanziellen Hilfen sollen über eine neu zu schaffende Zweckgesellschaft fließen, die verzinsliche Kredite von bis zu 440 Mrd. Euro gewähren kann. Kein Staat haftet dabei für den anderen. Die Zweckgesellschaft refinanziert sich am Kapitalmarkt. Von den Euro-Mitgliedstaaten erhält sie Garantien. So wird das notwendige Vertrauen geschaffen, so dass sie sich zu guten Konditionen finanzieren und Kredite gewähren kann.

Zusätzlich zu den beiden Stufen wird erwartet, dass sich der IWF mit mindestens der Hälfte der von europäischer Seite aufgebrachten Mittel an etwaigen Finanzierungsmaßnahmen beteiligt.

Bedingung für die Gewährung der Kredite ist, dass der betroffene Euro-Staat mit dem IWF und der Europäischen Kommission unter Mitwirkung der EZB ein wirtschafts- und finanzpolitisches Anpassungsprogramm vereinbart hat. Deutschland hat mit diesem Modell durchgesetzt, dass die Garantien bilateral sind, damit der Einfluss der nationalen Geldgeber vollständig gewahrt bleibt.

Für die zweite Stufe hat die Bundesregierung am 11. Mai das nationale Gesetzgebungsverfahren angestoßen, die erste Stufe mit dem 60 Mrd. Euro-Volumen konnte bereits auf EU-Ebene in Kraft treten.

2. Eine Reform zur Schärfung des Euro-Stabilitätspakts

Neben dem EU-Rettungsschirm vereinbarten die EU-Finanzminister, Beratungen über erforderliche Reformen zur Sicherstellung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen im Euro-Währungsgebiet aufzunehmen.

3. Eine beschleunigte Reform zur Finanzmarktregulierung

Die Euro-Länder setzen sich als Ziel, bei den Finanzmarktvorschriften und der Finanzmarktaufsicht, insbesondere im Hinblick auf die Derivatemärkte und die Rolle der Rating-Agenturen, rasch Fortschritte zu erzielen. Auch an anderen Initiativen, die gewährleisten sollen, dass der Finanzsektor in künftigen Krisenfällen seinen Teil der Last trägt, soll gearbeitet werden.


Was heißt das für Deutschland?

Alle Euro-Länder beteiligen sich anteilig an den Garantien für die Zweckgesellschaft. Der Anteil richtet sich nach dem Kapitalanteil des jeweiligen Staates an der Europäischen Zentralbank. Demnach müsste die Bundesrepublik Deutschland im Bedarfsfall Garantien in der Höhe bis zu 123 Mrd. Euro zur Verfügung stellen. Dieser Milliardenbetrag soll möglichst nicht in Anspruch genommen werden. Er dient vielmehr als Bollwerk, als präventives Instrument, um Vertrauen herzustellen.

Was passiert, wenn ein Euro-Land, das Garantien gibt, selbst Hilfe braucht? Dann kann sich im Falle Deutschlands der Anteil am Garantievolumen um maximal 20 Prozent erhöhen. Dies setzt jedoch die Einwilligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags voraus.

Ist damit zu rechnen, dass Kredite ausfallen und der Bürgschaftsfall eintritt, aus deutschen Garantien also tatsächlich Zahlungen werden? Ein Ausfall ist unwahrscheinlich, da die strengen Bedingungen an die Wirtschafts- und Haushaltspolitik des Landes, das den Kredit in Anspruch nimmt, die Rückzahlung sicherstellen sollen. Die Auszahlung erfolgt zudem nur tranchenweise, wenn vereinbarte Bedingungen erfüllt wurden. Wenn Vorhaben nicht erfüllt werden, wird es auch kein Geld mehr geben.

Wofür setzt sich Deutschland in Europa ein?

Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, ein friedliches stabiles Europa mit einer gemeinsamen Währung - das Erbe Adenauers und Kohls - zu verteidigen und zu erhalten. Stabilität in Europa heißt nicht nur, einen klaren Handlungsrahmen für Krisenfälle zu haben. Harte und konsequente Haushalts- und Finanzpolitik ist das Gebot der Stunde - für alle Euro-Staaten. In der Bundesrepublik Deutschland hilft die neu beschlossene Schuldenbremse dabei, Stabilität zu sichern. Die Zweckgesellschaft könnte als eine "Stabilitätsagentur" mit Sitz in Deutschland dafür Sorge tragen, dass alle Mitgliedstaaten der Euro-Zone sich in höchstem Maße bemühen, die gemeinsamen Maßnahmen zur Haushaltsstabilisierung durchzuführen.

Die Zeitplanung

Am 11. Mai 2010 hat die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf beschlossen, der die Vereinbarungen der Euro-Länder aufnimmt. Es soll für Deutschland die gesetzliche Grundlage schaffen, dass das Bundesfinanzministerium im vorgegebenen Rahmen Gewährleistungen für Kredite der Zweckgesellschaft übernehmen darf, wenn die Zahlungsunfähigkeit eines Euro-Landes droht. Das "Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus" wurde anschließend in der Koalition und im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags beraten.


Die Behandlung des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag ist für die Sitzungswoche vom 17. bis 21. Mai 2010 geplant.


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Quelle:
BMF-Newsletter vom 12.05.2010
Herausgegeben vom Referat K (Kommunikation) des
Bundesministeriums der Finanzen (BMF)
Wilhelmstraße 97, 10117 Berlin
Telefon: 030/18 682-33 00
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2010