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WIRTSCHAFT/108: Mehr Wettbewerb bei der Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der EU gefordert (idw)


bdvb - Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte e.V. - 21.02.2011

bdvb fordert mehr Wettbewerb bei der Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der EU

Entgegen manchen Erwartungen hat der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs auf seinem Treffen am 4. Februar 2011 lediglich einen Grundsatzbeschluss zur stärkeren Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der Eurozone getroffen. Auf einer Sondersitzung Mitte März sollen die Details des von Bundeskanzlerin Merkel initiierten "Pakts für Wettbewerbsfähigkeit" beschlossen werden.


Positiv ist nach Auffassung des Präsidiums des Bundesverbandes Deutscher Volks- und Betriebswirte e.V. (bdvb) zunächst zu bewerten, dass die Bundeskanzlerin mit ihrer neuen Initiative aus ihrer bisherigen - sachlich durchaus begründeten - Position der Bremserin und "Madame No" herauskommt und gleichzeitig Präsident Sarkozy den Wind aus den Segeln seiner seit Jahren propagierten europäischen Wirtschaftsregierung nimmt. Zudem zeigt ihre Initiative unmissverständlich, dass eine gemeinsame Währung ohne Abstriche nationaler Souveränität auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht zu haben ist.

Inhaltlich lässt sich jedoch einige Skepsis an ihren Vorschlägen nicht beiseite schieben. Im institutionellen Bereich wird der bisher eingeschlagene Weg der intergouvermentalen Zusammenarbeit außerhalb des Gemeinschaftsrechts weiter beschritten. Europäische Kommission und Europäisches Parlament werden marginalisiert. Zudem kann eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung nur der Euroländer den Zusammenhalt des Binnenmarkts gefährden und die Gemeinschaft spalten. Der bdvb warnt vor einer Stabilisierung der Eurozone auf Kosten der Kohäsion des Binnenmarktes.

Auch inhaltlich sind Zweifel an der neuen Koordinierungsmethode von Seiten des bdvb anzumelden. So ist unerklärlich, warum als wichtigster Ansatz zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte unerwähnt bleibt. Der spektakuläre Wachstumssprung in Deutschland im letzten Jahr ist u.a. auch auf die erfolgreiche Reformpolitik der Agenda 2010 zurückzuführen. Für die von der Bundeskanzlerin vorgeschlagenen Maßnahmen in den Bereichen Lohn-, Sozial- und Steuerpolitik hat die Gemeinschaft keine Kompetenzen. Sie können deshalb nur als unverbindliche politische Selbstverpflichtungen ohne die Möglichkeit von Sanktionen verabredet werden. Für Deutschland würden ohnehin alle Empfehlungen zur Lohnentwicklung an die staatliche Adresse wegen der Tarifhoheit der Tarifvertragsparteien ins Leere laufen. Nach dem Scheitern der sog. Lissabon-Strategie von 2000 zur Erhöhung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit ist nicht erkennbar, wie alter Wein in neuen Schläuchen einer stärkeren wirtschaftspolitischen Koordinierung in der EU zum Durchbruch verhelfen soll. Im Konfliktfall dürfte auch in Zukunft politische Opportunität die Oberhand behalten.

Zuverlässige Disziplinierungsmechanismen der nationalen Wirtschaftspolitiken sieht der bdvb dagegen im Wettbewerb der Mitgliedstaaten um die beste Wirtschaftspolitik bzw. um die industriellen Standorte. Bei wirtschaftspolitischem Fehlverhalten drohen Produktionsverlagerungen ins Ausland mit entsprechenden Konsequenzen für Beschäftigung, Wachstum und Steuereinahmen. Diesen Marktsanktionen kann sich kein Mitgliedstaat entziehen. Sie führen früher oder später zu einer wirtschaftspolitischen Kehrtwende. Die wirtschaftspolitische Koordinierung wird dann ex post zuverlässiger erreicht als bei der bisher erfolglosen ex ante Strategie, die in Defizitländern der EU zu einer tiefen Stabilisierungskrise geführt hat und ggf. auf Kosten der Steuerzahler in solventen Mitgliedstaaten noch aufgefangen werden muss.

Voraussetzung für die Wirksamkeit des Marktmechanismus ist allerdings, dass er nicht durch Behinderung des Wettbewerbs wie durch Beschränkungen des Kapitalverkehrs für Direktinvestitionen oder durch ruinösen Steuerwettbewerb ausgehebelt wird. Bei der Überwindung der Staatsschuldenkrise kommt es letztlich auf den erfolgreichen Wettbewerb um die weltweite Ersparnis der privaten Haushalte an. Ebenso sollte zur Stärkung der europäischen Konkurrenzfähigkeit der Wettbewerb als effizienteres Koordinierungsverfahren für die Wirtschaftspolitik genutzt werden.

Das Präsidium des bdvb würde es begrüßen, wenn die Bundesregierung bei ihrer weiteren Positionierung zur stärkeren Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der EU dem Wettbewerbsgedanken mehr Aufmerksamkeit als bisher schenken würde.


bdvb (www.bdvb.de)
Der unabhängige Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte e. V. vertritt seit 110 Jahren die Interessen von Wirtschaftswissenschaftlern. Er sieht es als seine Aufgabe an, in der Öffentlichkeit das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge zu fördern. Insbesondere steht er seinen Mitgliedern in Studium, Beruf, Weiterbildung und bei der Karriere hilfreich zur Seite. Dem Netzwerk für Ökonomen gehören bundesweit über 11.000 Einzelmitglieder, Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen an.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
bdvb - Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte e.V.,
Dr. Arno Bothe, 21.02.2011 12:13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2011