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DILJA/008: Tötungslizenz zu Zwecken der Aufstandsbekämpfung in Europa - Teil 1 (SB)


Mit der Lizenz zum Töten - Aufstandsbekämpfung wie in den Staaten Nordafrikas in der Europäischen Union undenkbar?

Die administrativen Bereitstellungen für einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung sind weiter fortgeschritten, als es das weitverbreitete Vertrauen in rechtlichen Schutz vermuten lassen würde

Teil 1 - Einleitung: Die Menschen in der Europäischen Union scheinen sich ungeachtet des Toten von Genua 2001 sicher zu fühlen


In vielen Teilen der Welt ähneln sich die Berichte über die Niederschlagung sozialer und politischer Proteste durch staatliche Repressionsorgane. Ihnen allen ist gemein, daß sie vor dem Einsatz gewaltsamer Mittel nicht nur nicht zurückschrecken, sondern ihn - ab einer bestimmten Stufe der Konfrontation - auf tödliche Waffen ausweiten. Ob seitens der Polizei oder direkt durch das Militär, auf demonstrierende und protestierende Menschen wird scharf geschossen selbst dann, wenn sie unbewaffnet sind. Aufstandsbekämpfung scheint nach Ansicht der jeweiligen Regime und Regenten durch den Zweck, den eigenen Herrschaftsanspruch gegen eine aufbegehrende Bevölkerung zu verteidigen bzw. durchzusetzen, geheiligt zu sein. Diese "Heiligkeit" findet ihre Grenzen aus Sicht der "internationalen Gemeinschaft", als die sich die Kernstaaten der westlichen Hemisphäre gern ausgeben, jedoch immer erst dann, wenn sie auf der Basis ihrer Hegemonial-, Raub- oder sonstigen Eigeninteressen auf einen Umsturz oder Machtwechsel in dem betreffenden Land hinarbeitet und deshalb bestrebt ist, die dort aufgebrochenen oder eigens zu diesem Zweck geschürten Konflikte für ihre eigenen Belange zu vereinnahmen und zu instrumentalisieren.

Ein Blick über die Grenzen Europas hinaus läßt unterdessen in einer Zeit, in der in den nordafrikanischen Staaten der Funke der Rebellion von einem Land zum nächsten überzuspringen scheint, manchen sich unbeteiligt wähnenden Beobachter leicht erschauern. Panzer auf den Straßen dichtbesiedelter Städte, offene, bürgerkriegsähnliche Kampfhandlungen, Tote und Verletzte durch brachiale Methoden der Aufstandsbekämpfung sowie Berichte über verschleppte, gefolterte und "verschwundene" Oppositionelle sind sattsam bekannte Merkmale einer Repressionsrealität, die die Bürger der Wohlstandsinsel Europa in ihrer Wahrnehmung mit früheren Zeiten, beispielsweise dem Terror der Gestapo oder den Militärdiktaturen Lateinamerikas der 1960er bis 1980er Jahre, oder doch zumindest mit anderen Kontinenten in Verbindung bringen.

Dabei könnte der soziale Kontext gerade auch der sogenannten "arabischen Revolution" vielen in den EU-Staaten lebenden Menschen zu denken geben oder für tiefgreifende Sorgen Anlaß bieten. Die Aufstände in Tunesien und Ägypten haben sich nach westlicher Nachrichtenlage aus sozialen Protesten entwickelt, die sich aufgrund einer hohen Arbeitslosigkeit Bahn brachen und schon bald erste Todesopfer forderten. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei wegen hoher Lebensmittelpreise starben am 7. Januar 2011 in Algerien drei Menschen, hunderte wurden verletzt. In Tunesien wurden in der darauffolgenden Nacht nach Angaben der Opposition mindestens 20 Protestierende getötet. Am 18. Februar wurden laut MDR in Libyen sieben Menschen durch die Polizei getötet. In Bahrein wurden zur selben Zeit vier Protestierende getötet, die Polizei schoß mit scharfer Munition in die Menge.

Berichte dieser Art ließen sich aus den nordafrikanischen Staaten noch lange fortsetzen, gleichwohl ist die Kriegführung gegen die eigene Bevölkerung nicht auf diese Region beschränkt. Am 18. Februar wurden auch in Suleimanija, der Hauptstadt des kurdischen Autonomiegebiets im Irak, sieben Menschen von der Polizei getötet, nachdem Demonstranten den Amtssitz Präsident Barsanis mit Steinen attackiert hatten. Einen Monat später sollen Sicherheitskräfte in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa das Feuer auf Demonstranten eröffnet, 52 Menschen erschossen und über 120 verletzt haben, nachdem sich Zehntausende versammelt und den Rücktritt Präsident Salehs gefordert hatten. Die militärische oder auch polizeiliche Aufstandsbekämpfung mit dem Einsatz tödlich wirkender Schußwaffen ist dennoch kein Phänomen einer aktuellen, wenn auch viele Staaten erfassenden Repressionswelle.

Im April des Jahres 2010 kam es in der an China grenzenden ehemaligen Sowjetrepublik Kirgistan zu massiven Protesten gegen die Regierung von Präsident Bakijew, in deren Verlauf die Sicherheitskräfte mit scharfer Munition auf Demonstranten schossen, die den Regierungssitz angegriffen haben sollen. Offiziellen Angaben zufolge wurden dabei 68 Menschen getötet und Hunderte verletzt. Aufschlußreich ist bei Agenturmeldungen dieser Art die von westlichen Medien vorgenommene Sprachregulierung. In Staaten, die nicht der eigenen Hemisphäre zuzurechnen sind bzw. ihr nahestehen, bleiben Demonstranten, auch wenn sie den Regierungssitz angreifen, immer noch Demonstranten, was ihnen in der Außendarstellung einen bestimmten Schutz gewährt bzw. verspricht, da die gegen sie angewandte Gewalt staatlicher Organe unter dieser Voraussetzung nicht unbedingt als gerechtfertigt betrachtet und dementsprechend behandelt wird. In Deutschland wie auch den übrigen EU-Staaten wären in der medialen Übersetzung aus solchen Demonstranten sicherlich längst "Gewalttäter" geworden.

Am 21. Februar 2011 zeigte sich Bundeskanzlerin Merkel bestürzt über die Vorgehensweise der libyschen Behörden. Statt Demonstranten von Scharfschützen erschießen zu lassen, so ließ ihr Sprecher Seibert in Berlin wissen, solle die libysche Regierung den Dialog mit der Bevölkerung suchen. Außerdem solle allen, die friedlich demonstrieren, Versammlungsfreiheit gewährt werden. Solche Töne waren aus Berlin nicht zu vernehmen, als im April vergangenen Jahres in der thailändischen Hauptstadt Bangkok Armee- und Polizeikräfte einen Ring um eingeschlossene Regierungsgegner zogen und deren Versuche, der Einkesselung zu entfliehen, mit scharfen Schüssen und Tränengas beantworteten. Das Auswärtige Amt warnte wegen des drohenden Bürgerkriegs vor Reisen nach Bangkok, doch die dortige Demokratiebewegung wurde von der deutschen Regierung selbst dann nicht unterstützt, als die Zone der eingekesselten Regierungsgegner hermetisch abgeschlossen und zu einem Gebiet erklärt worden war, in dem scharf geschossen werde. Der Neuen Zürcher Zeitung zufolge wurden bis zum 16. Mai 2010 in dieser Zone 25 Menschen getötet und über 170 verletzt. Einer der wichtigsten Anführer der Oppositionsbewegung, Generalmajor Khattiya Sawasdipol, erlag seinen schweren Schußverletzungen, nachdem ein Scharfschütze ihm während eines Interviews mit ausländischen Journalisten in den Kopf geschossen hatte.


Darf in einem demokratischen Rechtsstaat tödliche Gewalt gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden?

Darf denn in einem demokratischen Rechtsstaat überhaupt mit scharfer Munition auf steinewerfende Demonstranten geschossen werden? Diese Frage beantwortete das oberste Berufungsgericht der Türkei im September 2009 mit einem klaren Ja. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall war es um einen Vorfall in der kurdischen Stadt Siirt im Jahre 2005 gegangen. Einen Militärjeep, in dem ein Offizier und zwei Rekruten der türkischen Armee saßen, sollen Demonstranten mit Steinen attackiert haben, woraufhin der Offizier mit seiner Pistole in die Menge feuerte und einen Demonstranten tötete. Zu Recht, befanden die Richter der obersten türkischen Berufungsinstanz, da der Offizier um seine Sicherheit habe bangen müssen. In Britannien, einem weiteren NATO-Staat, erklärte Premierminister David Cameron im Juni vergangenen Jahres anläßlich einer Untersuchung, die fast 40 Jahre (!) nach dem "Bloody Sunday" durchgeführt worden war, sein tiefes Bedauern über die tödlichen Schüsse und die damalige Rolle der Armee. Am 30. Januar 1972 hatte ein britisches Fallschirmjägerregiment im nordirischen Derry das Feuer auf unbewaffnete Teilnehmer eines Bürgerrechtsmarsches eröffnet und dabei 14 Menschen, unter ihnen sieben Kinder und Jugendliche, erschossen.

Würde unter den Bürgern der EU-Staaten heute eine Umfrage durchgeführt werden, ob ein solcher Schußwaffengebrauch staatlicher Organe, sei es durch die einheimische Polizei, das nationale Militär oder vielleicht auch übergeordnete Sicherheitskräfte im Rahmen der Europäischen Union, möglich und rechtlich abgesichert wäre, würde sich wohl ein höchst diffuses Bild ergeben. Vom Rechtsempfinden her, das darf an dieser Stelle spekuliert werden, würde wohl eine Mehrheit auch der bundesdeutschen Bevölkerung zum Ausdruck bringen, daß "hier bei uns" so etwas "so ohne weiteres nicht" oder "eigentlich gar nicht" möglich sei. Das Grundgesetz ließe das nicht zu, wäre ein gewiß nicht selten vorgebrachtes, weiteres Argument. Die Frage aber, ob zusätzlich zu den im bundesdeutschen Verfassungs- und Polizeirecht enthaltenen, recht eng definierten Ausnahmeoptionen im europäischen Recht Vorkehrungen getroffen wurden, die einen solchen Krieg im Innern ermöglichen bzw. erleichtern und legalisieren könnten, würden wohl die wenigsten Menschen beantworten können.

Dieser Fragenkomplex soll Gegenstand dieser Textreihe sein, die nicht nur im nebenherein helfen soll, den im allgemeinen eher schlechten Kenntnisstand über den sogenannten europäischen Einigungsprozeß inklusive seiner juristischen Aspekte und speziell seiner unheilvollen Entwicklung im Repressionsbereich aufzubessern. Im Vordergrund steht jedoch ein Diskussionsprozeß über die brisante Frage des Einsatzes tödlicher Waffen gegen Bürger des eigenen Staates zu Zwecken der Bekämpfung politischer und sozialer Proteste unter Berücksichtigung der speziellen Bereitstellungen, die in diesem Zusammenhang seitens europäischer Institutionen wie EU und Europarat bereits vollzogen wurden. Möglicherweise sind diese imstande, die von vielen Bundesbürgern vermutete Schutzwirkung des bundesdeutschen Grundgesetzes und insbesondere der in ihm mit Ewigkeitsgarantie festgelegten Grundrechte, zu denen nach Art. 2 Abs. 2 GG das Recht auf Leben (und körperliche Unversehrtheit) gehört, zu beeinträchtigen oder gar gänzlich ad absurdum zu führen.

Die rechtliche Materie ist jedoch, das kann und darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, recht komplex und nicht unkompliziert. Wer schnelle Antworten auf einfache Fragen erwartet und beansprucht, wird kaum zufriedengestellt werden können. Ist das Interesse an Fragen danach, ob gegen größere oder auch kleinere Menschenmengen im Zusammenhang mit eskalierenden oder vielleicht sogar gezielt zur Eskalation gebrachten Demonstrationen und Protesten Schußwaffen oder sogar militärische Waffen (Panzer) eingesetzt werden können, weit genug entwickelt, wird die Auseinandersetzung mit der Thematik schon deshalb Früchte tragen und eine - und sei es kontroverse - öffentliche Debatte vorantreiben, weil der vorherrschenden Tabusierung dieses Themas entgegengetreten wurde.

Bei der politisch brisanten Frage nach tödlichen Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen darf zudem die Möglichkeit nicht außer acht gelassen werden, daß absichtliche Tötungen seitens der Sicherheitsbehörden auf eine Weise durchgeführt werden könnten, die ihnen die höchstmögliche rechtliche Absicherung durch die Inanspruchnahme von Notwehr- oder Notstandsrechten gewährleistet. Die Frage müßte insofern auch lauten, ob es in den EU-Staaten so etwas wie eine klammheimliche, faktische "Todesstrafe" geben könnte, worunter zu verstehen wäre, daß Menschen durch staatliche Organe zu Tode gebracht werden, ohne daß dies von den Strafverfolgungsbehörden überhaupt als ein Tötungsdelikt aufgefaßt werden würde.


Der Tod Carlo Giulianis beim Gipfelprotest 2001 in Genua wirft Fragen auf

In diesem Zusammenhang sei an den Fall des zum Zeitpunkt seines Todes 23jährigen Italieners Carlo Giuliani erinnert, der am 20. Juli 2001 während der Antiglobalisierungsproteste anläßlich des G8-Gipfels in Genua von einem Carabinieri erschossen worden war. In Italien ist es zu keiner Verurteilung des Polizeibeamten gekommen, woraufhin die Angehörigen Giulianis den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anriefen. Dessen "Kleine Kammer" rügte in einer am 25. August 2009 getroffenen Entscheidung den italienischen Staat lediglich wegen der mangelhaften Untersuchung der Todesumstände, nicht jedoch wegen dieser oder weiterer Gewaltanwendungen durch die italienischen Behörden beim G8-Gipfel in Genua. Der Fall Giuliani wurde vor die Große Kammer des EGMR gebracht. In einer erst vor kurzem gefällten Entscheidung erteilte das für den Schutz der Menschenrechte innerhalb Europas zuständige europäische Spezialgericht dem italienischen Staat eine vollständige Absolution [1]:

Der EGMR hat jetzt entschieden, dass die italienische Polizei durch den Todesschuss auf Carlo Giuliani keinen Verstoß gegen Artikel 2 (Recht auf Leben) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) begangen hat.

Der EGMR hatte Videoaufnahmen und Fotos der Vorgänge geprüft und kam zu dem Ergebnis, dass der Polizist, der den Todesschuss abgegeben hat, ehrlich davon überzeugt war, dass sein Leben und das seiner Kollegen durch den Angriff gefährdet ist. Die Anwendung von Gewalt durch den Polizisten war im Sinn der Menschenrechtskonvention absolut notwendig und daher liege keine Verletzung von Art. 2 EMRK vor.

Gegen das jetzige Urteil ist kein Rechtsmittel mehr möglich.

Zweifel jedoch bleiben. So hatte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einer von den italienischen Behörden vorgebrachten These voll und ganz angeschlossen, derzufolge der Carabinieri nur in die Luft geschossen habe und der für Carlos Giuliani tödliche Schuß diesen nur ins Gesicht habe treffen können, weil das Projektil von einem fliegenden Putzbrocken umgelenkt worden sei. Fotos und Videoaufnahmen von diesem Geschehen lassen sich auch anders deuten, als es der EGMR in seiner am 24. März 2011 getroffenen Entscheidung getan hat. In einem der Strafverfahren gegen Gipfelprotestteilnehmer hatte ein Gerichtsmediziner am 4. Oktober 2004 erklärt, daß Giuliani direkt von einer Polizeikugel getroffen wurde und daß damit die amtliche Version von einem durch einen fliegenden Stein abgelenkten Projektil widerlegt sei. Das Strafverfahren gegen den Todesschützen war allerdings bereits 2003 wegen "Notwehr" eingestellt worden, obwohl schon im Sommer 2001 auf englischen Websites Bilder veröffentlicht worden waren, die die Notwehrthese ad absurdum führten.

Auf ihnen war zu sehen, daß der Feuerlöscher, den der 23jährige aufgenommen hatte und durch den der Todesschütze sich bedroht gefühlt haben wollte, zuvor aus dem Auto der Carabinieri, in dem auch der Schütze gesessen hatte, herausgeworfen worden war. Der Schütze hatte seine Waffe bereits gezogen, bevor Giuliani den Feuerlöscher angefaßt hatte. Die Waffe wurde auf einen anderen, daraufhin flüchtenden Demonstranten gerichtet, so daß auch Giuliani, unbewaffnet wie er war, allen Grund gehabt hätte, sich zu fürchten. Er nahm den Feuerlöscher - möglicherweise in dem Glauben, sich mit ihm schützen zu können - zu einem Zeitpunkt auf, an dem die Waffe des Carabinieri bereits in seine Richtung, wenn auch noch nicht direkt auf ihn gerichtet war.

Der Todesschütze schoß zweimal auf Giuliani und zielte direkt auf dessen Kopf und nicht auf die Beine, wie es zur Abwehr der behaupteten Notwehr geboten gewesen wäre. Anschließend wurde der in den Kopf getroffene Giuliani mit dem Jeep der Carabinieri noch zweimal überfahren, das zweite Mal mit eigens dafür eingelegtem Rückwärtsgang. Die Polizeiführung soll Berlusconi über diesen Vorfall mit den Worten: "Herr Ministerpräsident, wir haben den Toten" informiert haben. Wieso "den" Toten und nicht "einen" Toten? Könnte es in der Absicht und im Interesse der italienischen Sicherheitsbehörden bzw. der Regierung gelegen haben, daß es bei den Protesten und Auseinandersetzungen zu "einem Toten" kommt?

Diese Frage mag abwegig erscheinen. Die Polizeichefin von Genua jedoch sollte später vor laufender Kamera erklären, daß Polizisten und Postfaschisten den Tod des Globalisierungsgegners mit Sekt und Freudentänzen gefeiert hätten, wie es aus einer von der ARD am 24. Juli 2002 erstausgestrahlten Dokumentation mit dem Titel "Gipfelstürmer" hervorgeht. Deren Autoren Michael Busse und Marie-Rosa Bobbi wiesen in diesem Beitrag mit Hilfe zahlreicher Aufnahmen und Interviews nach, daß die italienische Polizei die Ausschreitungen "gewalttätiger Demonstranten" geduldet und unterstützt hätte. Die Autoren bezeichneten die Ausschreitungen in Genua als das Werk staatlicher Provokateure und ließen nicht unerwähnt, daß in jenen Tagen hochrangige Regierungsvertreter des als postfaschistisch geltenden Koalitionspartners Berlusconis, der "Alianza Nazionale", die Kontrolle über die Polizei von Genua übernommen hatten.

Soweit der ungeachtet der letztinstanzlichen Entscheidung des Europäischen Menschengerichtshofs bis heute ungeklärte Todesfall des italienischen Demonstranten Carlo Giuliani. Diese Gerichtsentscheidung wurde von den klageführenden Angehörigen des Getöteten, aber auch der kritischen Öffentlichkeit in Italien wie auch in den übrigen EU-Staaten sicherlich mit Wut und Befremden aufgenommen. Wie kann ein Gericht, dessen originäre Aufgabe darin besteht, über den Schutz der Menschenrechte innerhalb Europas zu wachen, einem Staat einen solchen Freibrief erteilen und das beanspruchte Menschenrechtsanliegen mit Füßen treten? Fragen dieser und ähnlicher Art mögen noch so nachvollziehbar und gut begründet sein. Sie offenbaren in jedem Fall eine Erwartungshaltung gegenüber dieser gerichtlichen Instanz, die es wert wäre, einer näheren Überprüfung unterzogen zu werden. Zuvor allerdings soll in dieser Reihe der Frage nach der (verfassungs-) rechtlichen Lage in der Bundesrepublik Deutschland in Hinsicht auf die Todesstrafe bzw. staatliches Töten nachgegangen werden:

Teil 2: Stellt das bundesdeutsche Grundgesetz eine juristisch unüberwindliche Hürde für die Todesstrafe dar? Welche rechtlichen Regelungen gibt es für staatlich legitimiertes Töten?



Anmerkung

[1] Keine Verletzung der EMRK durch Todesschuss auf Demonstranten bei G 8-Gipfel in Genua. Zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 24.03.2011, Aktenzeichen: 23458/02.Quelle: juris - Das Rechtsportal,
https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA110300959&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp

6. Mai 2011