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JUSTIZ/177: Untersuchungsbericht belastet RUC Special Branch schwer (SB)


Untersuchungsbericht belastet RUC Special Branch schwer


Dirty Tricks der nordirischen Sicherheitspolizei entlarvt

Nach dreieinhalbjähriger Untersuchung ist Nuala O'Loan, die polizeiliche Ombudsfrau für Nordirland, zu dem Schluß gekommen, daß die dortige Sicherheitspolizei mindestens zehn, eventuell bis zu 15 Morde, die von Mitgliedern der illegalen Ulster Volunteer Force (UVF) in Nordbelfast über einen Zeitraum von 12 Jahren begangen wurden, vertuscht hat beziehungsweise sogar darin verwickelt gewesen ist. Dies geht aus dem spektakulären Bericht hervor, den O'Loan am 22. Januar veröffentlichte und der auf beiden Seiten der Irischen See hohe Wellen schlug. Dem 160seitigen O'Loan-Bericht zufolge gibt es "klare Beweise" für eine frühere, heimliche Zusammenarbeit zwischen Mitgliedern des RUC Special Branch und dessen paramilitärischen Informanten bei der UVF in Nordbelfast. Damit sehen sich diejenigen in der Republik Irland sowie bei den nordirischen Nationalisten in ihrem Urteil bestätigt, die schon länger den Special Branch der früheren Royal Ulster Constabulary (RUC), der heute Police Service of Northern Ireland (PSNI) heißt, für eine rücksichtslose Geheimtruppe protestantisch- unionistischer Herrschaft in der Unruheprovinz hielten.

Anlaß der Untersuchung der Ombudsfrau war der ungeklärte Mord an dem 22jährigen Protestanten Raymond McCord jun. im Jahre 1997. Für die Ermordung McCords, die mit irgendwelchen Streitereien im Drogenmilieu zusammenhing, soll Mark Haddock, ein führendes Mitglied der UVF in Nordbelfast, verantwortlich gewesen sein. McCords Vater, der sich mit der Ergebnislosigkeit der polizeilichen Ermittlungen nicht abfinden wollte, wandte sich 2002 an die Ombudsfrau mit der Vermutung, daß die Täter von der Polizei gedeckt würden. Im O'Loan-Bericht selbst wird keiner der beschuldigten Paramilitärs oder Polizisten namentlich genannt. Die Identität Haddocks ist jedoch öffentlich bekannt, seit vor kurzem ein Abgeordneter des Dáil in Dublin unter Inanspruchnahme der parlamentarischen Immunität den UVF-Anführer als Auftraggeber des Mords an McCord genannt hat. Nach Angaben O'Loans hat Haddock, der derzeit eine zehnjährige Haftstrafe wegen schwerer Körperverletzung, begangen an einem Türsteher, verbüßt, zwischen 1991 und 2003 von seinen Führungsoffizieren beim RUC Special Branch mindestens 80.000 Pfund, umgerechnet 120.000 Euro, für den Spitzeldienst erhalten. Im Mai 2006 ist Haddock selbst fast einem Hinrichtungskommando zum Opfer gefallen, als er auf offener Straße von sechs Kugeln getroffen wurde.

Dem O'Loan-Bericht zufolge gibt es "stichhaltige" Hinweise dafür, daß Haddock und andere Polizeiinformanten bei der UVF in zehn Morde, einen Bombenanschlag auf ein Büro der Sinn Féin, des politischen Arms der katholisch-nationalistischen Irisch-Republikanischen Armee (IRA), zehn Mordversuche, zehn "punishment shootings" von protestantischen Jugendlichen, den Handel mit illegalen Drogen sowie Schutzgelderpressungen verwickelt gewesen sind. Weniger stichhaltige Indizien deuten dahin, daß Polizeiinformanten bei der Nordbelfaster UVF bei fünf weitere Morden ihre Finger im Spiel hatten. Bei einigen Ermittlungen hätten die Führungsoffiziere des RUC Special Branch ihren UVF-Informanten bei Verhören durch Mitglieder der Kriminalpolizei zur Seite gestanden, "damit sie sich selbst nicht belasteten", so O'Loan.

In einem besonders krassen Fall hatte Haddock seinen Führungsoffizier beim RUC Special Branch von einem bevorstehenden Anschlag auf ein hochrangiges Mitglied entweder Sinn Féins oder der IRA in Kenntnis gesetzt. Was danach geschah, läßt sich mit rechtstaatlichen Prinzipien nur schwer in Einklang bringen. "Die Polizei hat den Sprengsatz sichergestellt und ihm (Haddock - Anm. d. Red.) wiedergegeben, jedoch keine Operation gestartet, um herauszufinden, was die Terroristen planten, oder um sie zu verhaften", so O'Loan. Diese führte die heimliche Zusammenarbeit zwischen "terroristischen Mördern" und der Polizei auf eine "organisatorische Fehlfunktion" beim Special Branch, für die die damalige RUC-Führung die Verantwortung trägt, zurück. Dazu heißt es im Bericht:

Es wäre sehr einfach, das Problem im Umgang mit diversen Informanten untergeordneten Offizieren anzulasten, und in der Tat, sind diese nicht schuldlos. Doch sie hätten sich nicht so verhalten... ohne das Wissen und die Unterstützung der höchsten Ebene der RUC und des PSNI.

Wirklich erschreckend am O'Loan-Bericht ist die Tatsache, daß sich die Vertuschung der jahrelangen Zusammenarbeit zwischen Special Branch und den loyalistischen Paramilitärs trotz der Polizeireform von 2003, für die die Umbenennung von RUC in PSNI das deutlichste Signal gewesen ist, bis heute fortsetzt. Insgesamt hat man im Rahmen der Untersuchung mehr als 100 entweder noch aktive oder pensionierte Polizisten befragt. Drei Polizisten wurden festgenommen. Aus dem O'Loan-Bericht geht hervor, daß 40 ehemalige und noch diensttuende Polizeibeamte, darunter zwei Assistant Chief Constables a. D., sieben Detective Chief Superintendents und zwei Detective Superintendents, die Zusammenarbeit mit dem Büro der Ombudsfrau verweigerten. Was die schriftliche Bitte um eine Befragung betrifft, so habe "die Mehrheit von ihnen nicht einmal geantwortet", während die Minderheit "darunter noch im Dienst befindliche Polizeibeamte ausweichende, widersprüchliche und bei Gelegenheit lachhafte Antworten auf die Fragen gegeben" habe, so O'Loan. Dazu heißt im Bericht weiter:

Bei solchen Gelegenheiten zeugten jene Antworten von einem auffälligen Mangel an Rechtsverständnis oder von einer Mißachtung des Gesetzes. Bei anderen Gelegenheiten hat die Untersuchung eindeutig ergeben, daß das, was ein Offizier den Ermittlern der polizeilichen Ombudsfrau erklärt hat, völlig die Unwahrheit war.

In ihrem Bericht fordert O'Loan, daß Dutzende längst zu den Akten gelegte Fälle wieder aufgerollt werden. Gleichzeitig hat sich die Ombudsfrau nicht besonders zuversichtlich gezeigt, was die Chancen auf Anklageerhebung gegen die Polizisten, die sich eventuell Gesetzesverstößen oder Rechtsbrüchen schuldig gemacht hatten, betrifft. Der Grund für die pessimistische Einschätzung O'Loans ist einfach: Entgegen allen Vorschriften fehlt in den Polizeiakten praktische die komplette Dokumentation. Offenbar haben die Verantwortlichen für die Zusammenarbeit zwischen RUC und UVF vorsorglich die relevanten Akten um Belastbares längst gesäubert.

In diesem Zusammenhang sei an den mysteriösen Einbruch im nordirischen Polizeihauptquartier Castlereagh im protestantischen Ostbelfast am 17. März 2002 erinnert, für den ohne jeglichen Beweis lange Zeit die IRA verantwortlich gemacht wurde. Die Umstände des Einbruchs deuteten jedoch in eine ganz andere Richtung. Just an jenem Abend fielen die Überwachungskameras an einem der bestgeschützten Gebäude Europas aus, so daß man keine Fotos von den Tätern, die es wundersamerweise an mehreren Personenkontrollen vorbei schafften, erhielt. Scheinbar ohne jegliche Orientierungsschwierigkeiten begaben sich die Einbrecher direkt in das Büro, wo die brisantesten Akten des RUC Special Branch lagerten, und haben von dort eine unbekannte Anzahl in ihren Besitz gebracht, bevor sie sich völlig unbehelligt auf Nimmerwiedersehen davonmachten - und das wenige Monate, bevor die RUC zur PSNI "reformiert" wurde und Ronnie Flanagan, früher selbst Chef des Special Branch, seinen Posten als nordirischer Polizeipräsident an Sir Hugh Orde abgeben sollte. Es verwundert nicht wenig, daß in der allgemeinen Berichterstattung der britischen und irischen Presse über den Bericht O'Loans praktisch niemand diesen sonderbaren, bis heute völlig unaufgeklärten Vorfall mit den fehlenden Akten der Special Branch in Verbindung bringt.

Noch vor Ende dieses Monates soll sich Sinn Féin auf einem Sonderparteitag endlich zur Zusammenarbeit entschließen, um in der Folge eine interkonfessionelle Regierung mit der Democratic Unionist Party (DUP) des Reverend Ian Paisley bilden zu können. Nach der Veröffentlichung des O'Loan-Berichts dürfte die Herausforderung für die Sinn-Féin-Führung, die Parteidelegierten zur Anerkennung des PSNI zu gewinnen, nicht geringer geworden sein, zumal, wie Parteichef Gerry Adams zurecht anmerkte, die von der polizeilichen Ombudsfrau aufgedeckten Mißstände über 12 Jahre in Nordbelfast lediglich die "Spitze des Eisberges" darstellen, was die frühere Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Sicherheitsbehörden und ihren loyalistischen Handlangern in Nordirland betrifft (Bereits 2003 hat Sir John Stevens, damals noch Polizeipräsident des Großraums London einen schockierenden Bericht über die Verwicklung des britischen Militärgeheimdienstes in die mörderischen Aktivitäten der Ulster Defence Association (UDA), der größten protestantischen, paramilitärischen Organisation in Nordirland, vorgelegt). Es muß sich nun zeigen, ob Sinn Féin bereit ist, sich auf die Versicherungen seitens des Polizeipräsidenten Orde und des Nordirlandministers Peter Hain hinsichtlich des Ausmaßes der erfolgten Reformen bei der PSNI einzulassen.

25. Januar 2007