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JUSTIZ/184: Politische Mordserie belastet Nordirlands Polizei (SB)


Politische Mordserie belastet Nordirlands Polizei

PSNI-Chef Matt Baggot im Streit mit Polizeiombudsmann Maguire



In Nordirland sorgt die Zerstrittenheit der politischen Klasse aus protestantischen Unionisten auf der einen Seite und der katholischen Nationalisten auf der anderen dafür, daß die Anregung, die Geschichte der Troubles, die zwischen 1968 und 1999 rund 3500 Menschen das Leben kosteten, mit der Einrichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission aufzuarbeiten, bislang leider folgenlos geblieben ist. Statt dessen wird der Bürgerkrieg quasi auf der politischen und der juristischen Ebene fortgesetzt und um die Meinungshoheit über die blutigen Vorgänge von damals erbittert gekämpft. Die jüngste Entwicklung in diesem Trauerspiel ist die spektakuläre Entscheidung des nordirischen Polizeiombudsmanns Michael Maguire, rechtliche Schritte gegen Matt Baggot, den Präsidenten des Police Service of Northern Ireland (PSNI), einzuleiten. Baggot sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, die Hintergründe zahlreicher politisch motivierter Morde von damals, in die die Polizei mittels Informanten oder Doppelagenten bei der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) oder den loyalistischen Paramilitärs verwickelt gewesen sein könnte, zu vertuschen.

Am 3. Juni beantragte Maguire eine richterliche Überprüfung der Entscheidung des PSNI-Chefs, die Akten in 60 Mordfällen dem Amt des Polizeiombudsmanns trotz mehrmaliger Aufforderung nicht zur Verfügung zu stellen. Es geht hier unter anderem um den berüchtigten Überfall in Loughinisland am 18. Juni 1994, als Mitglieder der protestantischen Ulster Volunteer Force (UVF) sechs Menschen töteten und fünf weitere verletzten, die sich in der Heights Bar die Fernsehübertragung des WM-Fußballspiels zwischen der Republik Irland und Italien aus New York anschauten. Seit Jahren steht hier der Verdacht im Raum, die damalige Polizeibehörde namens Royal Ulster Constabulary (RUC) hätte dafür gesorgt, daß die Mörder, deren Identität bis heute unbekannt ist, ungehindert zum katholischen Dorf und wieder weg fahren konnten. Menschenrechtsgruppen und Anwälte der Opferangehörigen werfen dem PSNI deshalb Vertuschung vor.

Baggot begründete seine Haltung, die vom Polizeiombudsmann angeforderten Akten nicht auszuhändigen, mit seiner "rechtlichen Verantwortung" für die Sicherheit von Personen, die früher und möglicherweise auch heute noch in paramilitärischen Kreisen Nordirlands Spitzeldienste für den PSNI leisten. Maguire hält dieses Argument für vorgeschoben und will es auch nicht gelten lassen. Schließlich verfügt das Amt des Polizeiombudsmanns in Nordirland über eine eigene Sonderabteilung, die sich mit besonders heiklen Fällen befaßt und deren strenge Sicherheitsvorkehrungen dazu gedacht sind, die Identitäten von Polizeiinformanten zu gewährleisten. Dazu Maguire: "Die vielen Menschen, die sich jedes Jahr mit einer Beschwerde an uns wenden, tun dies auf der Basis, daß wir Zugang zu allen Polizeierkenntnissen haben, die wir benötigen, um ihren Anliegen unabhängig nachzugehen. Das Prinzip ist gesetzlich festgeschrieben und wird über die Konfessionsgrenze hinweg akzeptiert". Maguire erklärte die Vorstellung, er müßte mit dem PSNI darüber verhandeln, welche Akten er bekomme und welche nicht, für "inakzeptabel".

Unterstützung erfährt Maguire dabei von seiner Vorgängerin Nuala O'Loan. In einem BBC-Interview am 6. Juni erklärte O'Loan, die für ihre Arbeit als erster Polizeiombudsmann Nordirlands viel Anerkennung bekam: "Es gibt nichts zu verhandeln. Der Polizeipräsident ist verpflichtet, die Informationen auszuhändigen. Danach liegt die Verantwortung beim Polizeiombudsmann, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um das Leben der Informanten zu schützen. Die Polizei kann nicht behaupten, es gebe keine Verpflichtung, diese Informationen auszuhändigen. Sie [die Verpflichtung - Anm. d. SB-Red.] steht fest. Das Parlament hat hier seinen Willen eindeutig zum Ausdruck gebracht".

Nordirische Menschenrechtsgruppen haben die Blockadehaltung des PSNI scharf kritisiert. Der Leiter des Committee on the Administration of Justice (CAJ), Brian Gormally, wurde am 4. Juni im Guardian vom Irland-Korrespondenten Henry McDonald wie folgt zitiert: "Die Aktion des PSNI verstößt ganz klar gegen das Gesetz und ist mit Sicherheit falsch. Sie kommt einer Untergrabung der Funktion eines der wichtigsten Mechanismen zur Gewährleistung der polizeilichen Verantwortung hierzulande gleich. Wir sind sehr besorgt darüber, daß es sich hier um weiteren Versuch handelt, Verbrechen aus der Vergangenheit zu vertuschen. Im Vereinigten Königreich und in Nordirland scheinen einige Politiker und Elemente des Sicherheitsapparats entschlossen zu sein, die Straflosigkeit für staatliche Akteure aufrechtzuerhalten. Das ist ein schwerer Verstoß gegen die Rechtsordnung und unterminiert das Vertrauen in die Polizei und alle Institutionen des Staates."

7. Juni 2014