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PARTEIEN/214: Irland - Die Ära Bertie Aherns geht zu Ende (SB)


Irland - Die Ära Bertie Aherns geht zu Ende

Der einstige "Anorak Man" verläßt als gefeierter Staatsmann die Bühne


Am 6. Mai geht die längste Amtszeit eines Premierministers Irlands seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahre 1922 zu Ende. An diesem Tag und damit nach 11 Jahren als Taoiseach - gälisch für Häuptling - der Republik Irland wird Bertie Ahern zurücktreten. Dies gab der 56jährige Vorsitzende der nationalkonservativen Partei Fianna Fáil (Soldaten des Schicksals) am 2. April bekannt. Die Rücktrittsankündigung des Regierungschefs kam zu diesem Zeitpunkt überraschend, wiewohl Ahern bereits letztes Jahr nach dem historischen dritten Sieg in Folge bei einer Parlamentswahl angekündigt hatte, noch vor Ende der laufenden Legislaturperiode, die bis 2012 dauern könnte, Platz für seinen designierten Nachfolger Finanzminister Brian Cowen machen zu wollen. Für den verfrühten Rücktritt Aherns gibt es einen Grund, nämlich die Dauerdiskussion um die undurchsichtigen Finanzen des Premierministers und die Gefahr, daß der Streit um dieses Thema dazu führen könnte, daß die Bürger der Republik Irland, um die Regierung zu bestrafen, bei dem für Juni erwarteten Volksentscheid den Vertrag von Lissabon über die Erweiterung der Kompetenzen der Europäischen Union ablehnen könnten.

Für das Ende der politischen Karriere Aherns sorgten jene Korruptionsvorwürfe, die Fianna Fáil seit den Tagen ihres früheren Vorsitzenden Charlie Haughey, Aherns großer Mentor, als Taoiseach anhaften und welche Irlands mächtigste Partei bis heute nicht hat ausräumen können. Im Mittelpunkt des Korruptionsskandals steht die Verwandlung von verhältnismäßig billigen landwirtschaftlichen Flächen in teures Bauland vor allem am Rande Dublins. In den letzten 30 Jahren hat sich die irische Hauptstadt von der Bevölkerung her von rund 800.000 auf knappe anderthalb Millionen sowie von der Fläche her verdoppelt. Zum Großraum Dublin gehören inzwischen nicht nur die Hafenmetropole selbst samt gleichnamiger Grafschaft, sondern auch weite Teile der umliegenden Grafschaften Kildare, Meath und Wicklow. Größte Nutznießer der Verwandlung des urbarsten Teils der irischen Landschaft in "urban sprawl" sind die Bauindustrie, die Landwirte, welche ihre Grundstücke zu sagenhaften Preisen haben verkaufen können, und diejenigen Politiker aller Parteien, welche in den jeweiligen Kommunalräten häufig gegen illegale Geldgeschenke für die Umwandlung der Flächen gesorgt haben.

Als traditionell größte Partei Irlands, zu deren Klientel die Bauindustrie, die Kleinbauern sowie, nicht zu vergessen, weite Teile der Mittel- und Untermittelschicht gehören, hat Fianna Fáil wesentlichen Anteil an dieser nicht unbedingt positiven Entwicklung gehabt. Im Gegensatz jedoch zu Haughey, der dank dubioser Immobiliengeschäfte sich einen großen Landsitz, eine Luxusmotoryacht und eine eigene Insel vor der Küste Kerrys leisten konnte und sich stets wie ein irischer Napoleon aufgeführt hat, galt Ahern als "ehrliche Haut", die niemals die Bodenhaftung verlor hat. Als gewählter Vertreter eines Arbeiterviertels in der nördlichen Innenstadt Dublins konnte er sich auch nicht unbedingt irgendwelche Allüren leisten (Um als Abgeordneter einen Sitz im Dáil, dem irischen Unterhaus, einnehmen zu können, muß man ein Direktmandat gewinnen; es gibt keine Listenplätze). Dafür brillierte Ahern - wieviel dabei Schauspielerei und wieviel echte Lebenseinstellung war, wird man vermutlich niemals mit Sicherheit sagen können - in der Rolle des "Mann des Volkes", der mit starkem Dubliner Arbeiterakzent redete, dessen Reden stets ein bißchen holperig waren und der zwischendurch wegen seiner Vorliebe für die einfache Regenjacke den Spitznamen "Anorak Man" trug. "Bertie", wie er in Irland genannt wird, ist im Volk immer ungemein populär gewesen und stand dank seines freundlichen, einnehmenden Auftretens ganz oben auf der Liste der irischen Politiker, mit denen man am liebsten abends in der Kneipe ein Bier trinken würde. Gleichwohl hat Haughey in einem berühmten Zitat in Bezug auf seinen möglichen Nachfolger Ahern einst als den "Gerissensten von allen" bezeichnet.

Als Ahern 1997 nach Jahren als Staatssekretär unter Haughey und Finanzminister unter Albert Reynolds sowie zuletzt als Oppositionsführer die erste Regierung unter eigener Regie bildete, stand Fianna Fáil erneut unter schwerem Beschuß wegen der scheinbar niemals endenden Korruptionsvorwürfe. Damals leistete sich Ahern seinen vielleicht schwersten politischen Fehler, als er Ray Burke, einen alten Weggefährten Haugheys, zum Außenminister ernannte. Damals, nach dem Ende der neunzehnjährigen Herrschaft der Konservativen in Großbritannien und dem Einzug des Labour-Politikers Tony Blair in Number 10 Downing Street, befand sich der nordirische Friedensprozeß in seiner entscheidenden Phase. Als bald nach der Ernennung zum Außenminister Burke wegen gravierender, unbestreitbarer Bestechungsvorwürfe zurücktreten mußte, wirkte Ahern zunächst hilflos. In einer Art Befreiungsschlag ließ der Premierminister vom Unterhaus ein Tribunal unter dem Vorsitz eines ehemaligen Richters ins Leben rufen, welches den ganzen Korruptionssumpf trockenlegen sollte. Dieses Tribunal tagt heute, mehr als zehn Jahre danach, immer noch und hat inzwischen sogar Ahern selbst zu Fall gebracht.

1998 vollbrachte Ahern die vielleicht wichtigste Leistung seiner politischen Karriere, als es ihm und Blair gelang, die katholischen Nationalisten und protestantischen Unionisten in Nordirland zur Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens zu bewegen und damit den bewaffneten Konflikt zwischen der IRA und diversen republikanischen Splittergruppen auf der einen Seite und der britischen Armee, der protestantisch-dominierten Polizei und loyalistischen Milizen auf der anderen zu beenden. Um die Ängste der nordirischen Unionisten zu zerstreuen, mußte der in der Verfassung der Republik verankerte Anspruch auf die gesamte Insel Irland samt umliegenden Gewässern aufgegeben und durch eine Absichtserklärung, derzufolge die Wiedervereinigung Irlands, die nur mit friedlichen Mitteln erreicht werden soll, als langfristiges Ziel bestehen bleibt, ersetzt werden. Erst letztes Jahr konnte mit der Bildung einer interkonfessionellen Belfaster Regierung unter Beteiligung der Democratic Unionist Party (DUP) des einstigen freipresbyterianischen Haßpredigers Dr. Ian Paisley und der IRA-nahen Sinn Féin das Karfreitagsabkommen voll zur Geltung kommen.

Aherns Umgänglichkeit und sein Verhandlungsgeschick als Finanzminister wie auch als Taoiseach sollen wesentlich dazu beigetragen haben, daß sich Arbeitgeber und Gewerschaften wiederholt auf ein Nationalprogramm geeinigt haben, das nicht unwesentlich zu den hohen Wachstumsraten beigetragen hat, die die Wirtschaft des "keltischen Tigers" seit Anfang der neunziger Jahren aufweist. Doch bei aller Freude über den Wohlstand, der in Irland in den letzten Jahren Einzug gehalten hat, gibt es einiges zu konstatieren. Erstens ist der Wohlstand sehr schlecht verteilt. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich vergrößert. Während die irischen Millionäre und Milliardäre mit ihren Hubschraubern, Villen und Rennpferden protzen, liefern sich in den Armenvierteln Westdublins und Limericks diverse schwer bewaffnete Gangs einen mörderischen Krieg um die Einnahmen aus dem Handel mit illegalen Drogen - vorzugsweise Haschisch und Kokain.

Ein weiteres großes Problem, das während der Amtszeit Aherns trotz der sprudelnden Staatseinnahmen nicht bewältigt wurde, ist der katastrophale Zustand des irischen Gesundheitswesens. Statt das Geld sinnvoll zu investieren, hat man Millionen an Euro für teure Computerprogramme und Beraterverträge verschwendet. Als Lösung tritt die seit Jahren zuständige Ministerin Mary Harney von der neoliberalen Partei der Progressive Democrats für den Bau neuer Privatkliniken und -krankenhäuser ein, was unweigerlich auf die Verschlimmerung der ohnehin bestehenden Apartheid im Gesundheitssystem zwischen Kassenpatienten und Privatversicherten hinausläuft. Weitere Kontroversen der letzten Jahre in der irischen Politik sind der von der Ahern-Regierung zu verantwortende Bau einer Autobahn in unmittelbarer Nähe des früheren Sitzes der irischen Könige um den nördlich von Dublin gelegenen Hill of Tara mit seinen zahlreichen megalithischen Hünengräbern sowie der Bau einer häßlichen Pipeline samt Raffinerie durch den Energiekonzern Shell in der bisher naturbelassenen Region der westlichen Grafschaft Mayo, um das vor der Atlantikküste liegende Erdgas ins Land zu bringen.

Im letzten Frühjahr, kurz vor den Parlamentswahlen, stellte sich heraus, daß das sogenannte Mahon-Tribunal verdächtigen Zahlungen an Ahern während seiner Zeit als Finanzminister auf der Spur war. Zunächst behauptete Bertie, es habe sich um Darlehen befreundeter Geschäftsmänner, die ihn bei der finanziellen Bewältigung der damaligen Scheidung von seiner Ehefrau aushelfen wollten, gehandelt. Aherns Rede vom sogenannten "dig out" seiner vermeintlichen alten Kumpels überzeugte damals die Wähler, daß die Beteuerungen des Premierministers, er habe niemals illegale Einkünfte gehabt, glaubhaft waren. In den letzten Monaten sind Zweifel ob der Richtigkeit dieser Version aufgekommen.

Auch wenn Ahern sich persönlich niemals bereichert hat - jedenfalls nicht in dem ungeheuren Ausmaß "Squire" Haugheys -, ergeben die bisher bekannten Daten das Bild eines heillosen Durcheinanders, was Aherns Einkommen als Minister sowie die Spenden für ihn als Politiker und für Fianna Fáil - sowohl auf der nationalen Ebene als auch im Wahlbezirk Dublin North Central - betrifft. Einige Experten haben die Summe, deren wahrer Ursprung bzw. eigentlicher Verwendungszweck in Aherns undurchsichtigem, persönlich-politischen Finanzdschungel unklar geblieben ist, auf fast eineinhalb Millionen Euro hochgerechnet. Bei der Ankündigung seines Rücktritts hat Ahern erneut seine Unschuld beteuert und behauptet, er habe niemals das Volk betrogen oder jemanden finanziell benachteiligt. Zwar ist nichts, weder in der einen noch in der anderen Richtung bewiesen worden, doch dafür dürfte Ahern ab dem 7. Mai reichlich Zeit haben, das in Dublin Castle tagende Mahon-Tribunal über besagte Geldtransfers aufzuklären.

4. April 2008