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PARTEIEN/217: Sarkozy in Dublin - Diplomatie oder Drohkulisse? (SB)


Sarkozy in Dublin - Diplomatie oder Drohkulisse?

Frankreichs Präsident hält an Ratifizierung des Lissabon-Vertrags fest


Seit dem 1. Juli hat Frankreich die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union inne. Als größte Aufgabe der sechmonatigen EU-Präsidentschaft Frankreichs gilt es, eine Lösung für das Nein zum EU-Reformvertrag, das die Iren bei einer Volksbefragung am 12. Juni ausgesprochen haben, zu finden, denn ohne die Zustimmung aller 27 Mitgliedsländer kann das Abkommen nicht in Kraft treten. Seit dem Sieg der Gegner des Lissabon-Vertrages in Irland versuchen vor allem die Großmächte Deutschland und Frankreich das kleine Land zu isolieren und setzen gleichzeitig die Regierung in Dublin unter massiven Druck. Bis zum nächsten Treffen der EU-Staatschefs im Oktober soll sich die Koalitionsregierung um Premierminister Brian Cowen einen Ausweg aus der Krise ausdenken, damit das Abkommen wie geplant am 1. Januar 2009 in Kraft treten kann. Um diese Botschaft zu unterstreichen, reiste Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy am heutigen 21. Juli nach Dublin.

Wenn es ein EU-Land gäbe, das in der Lage sein müßte, die Iren zu einem Umdenken oder zu einer positiven Haltung gegenüber dem Lissabon-Vertrag zu bewegen, dann ist das Frankreich, das über die Jahrhunderte Irlands Verbündeter im Kampf gegen die Kolonialherrschaft Großbritanniens war und dessen republikanischen Ideale von 1789 auf der grünen Insel tiefe Wurzeln geschlagen haben. Die herablassende Attitüde, welche jedoch die konservative Regierung in Paris seit Monaten zum Thema der Abstimmung in Irland über den Lissabon-Vertrag an den Tag legt, bewirkt jedoch das Gegenteil und entzweit die beiden Länder wie noch niemals zuvor. Die Drohungen von Außenminister Bernard Kouchner vor unangenehmen Konsequenzen im Fall eines negativen Ausgangs haben unmittelbar vor der Abstimmung in Irland Empörung ausgelöst und vielen Menschen das Gefühl vermittelt, die Einschätzungen des Nein-Lagers, wonach Lissabon ein Projekt der EU-Eliten sei, das die kleineren Länder und kleinen Leute benachteilige, seien richtig.

Wenige Tage vor Sarkozys Reise nach Dublin hat der französische Präsident ebenfalls die Iren gegen sich aufgebracht, als er in Paris erklärte, diese kämen nicht umhin, ein zweites Mal über den gescheiterten Vertrag abzustimmen. In den Worten Sarkozys steckt die Hoffnung auf eine Wiederholung der Ereignisse, als die Iren bei einer Volksbefragung 2001 den Vertrag von Nizza ablehnten und ihn 2002 nach kosmetischen Veränderungen doch noch annahmen. Beim Vertrag von Lissabon sehen die Dinge entschieden anders aus. Bei der ersten Abstimmung zum Nizza-Vertrag war die Beteiligung am Urnenang sehr niedrig, und mit einem Nein hatte niemand ernsthaft gerechnet. Ein Jahr später mobilisierten die großen Parteien ihre Basen und sorgten damit für das nötige Ja. Bei der Abstimmung im vergangenen Monat war die Beteiligung mit 53,13 Prozent jedoch unweit höher als 2001 und 2002, und obwohl fast alle etablierten Parteien - die regierenden Fianna Fáil und die Grünen sowie die oppositionelle Fine Gael und Labour-Partei - sich für ein Ja stark gemacht haben, hat das Nein-Lager, das fast ausschließlich aus diversen kleinen Splittergruppierungen bestand, einen eindeutigen Sieg von 53 zu 46 Prozent einfahren können.

Angesichts dieser Gemengelage dürfte bei einem zweiten Versuch ein Ja der irischen Wähler zum Lissabon-Vertrag sehr schwierig zu erreichen sein. Wenn überhaupt will ein solches kreatives Dirigieren des Volkswillens sorgfältig vorbereitet und mit entsprechenden Zugeständnissen in Form irgendwelcher Zusatzprotokolle zum Lissabon-Vertrag bei den heiklen Fragen wie der irischen Neutralität versüßt werden. So etwas schwebt Premierminister Cowen vor. Jedenfalls ist die Wunschvorstellung Sarkozys hinsichtlich einer irischen Ratifizierung des Lissabon-Vertrages noch in diesem Jahr nach einer entsprechenden Volksbefragung völlig unrealistisch, was die Vermutung nahelegt, daß sie gar nicht ernst gemeint ist. Für diese Vermutung sprechen auch die Umstände der Reise Sarkozys nach Dublin.

Der französische Präsident besucht die irische Hauptstadt nur für wenige Stunden am Nachmittag, bevor er mit seinem Privatjet nach Paris zurückdüst. Beim jüngsten Staatsbesuch in Großbritannien hatte Sarkozy dort Ende März zwei Tage verbracht, an einem Bankett mit Königin Elizabeth im Buckingham Palace teilgenommen, und es seiner reizenden neuen Ehefrau Carla Bruni überlassen, die Herzen aller Journalisten zu erobern. In Dublin, wo es angeblich um die Rettung des Vertrages von Lissabon geht, ist Bruni, Sarkozys diplomatische Geheimwaffe, nicht einmal dabei. Dies deutet darauf hin, daß es dem französischen Präsidenten gar nicht um die Diplomatie, sondern um eine Drohkulisse geht. Cowen und Co. werden vermutlich zu hören bekommen, daß Dublin noch vor Ende des Jahres dem Vertrag auf irgendeine Weise seine Zustimmung erteilen muß, und daß die Politiker auf der Insel sich selbst mit der Frage herumplagen sollen, wie sie das den Bürgern vermitteln.

Nichts beweist den fadenscheinigen Charakter der Beteuerungen Sarkozys, er respektiere den Willen des irischen Volks, besser als die geplante, fast im letzten Moment organisierte Diskussionsrunde mit Vertretern einiger der größten gesellschaftlichen Gruppen in der französischen Botschaft. Zu der Begegnung mit dem französischen Staatsoberhaupt wurden unter anderem Padraig Walshe, Präsident der Irish Farmer's Association (IFA), Turlough O'Sullivan, Generaldirektor der Irish Business and Employers Confederation (IBEC), und David Begg, Generalsekretär des Irish Congress of Trade Unions (ICTU) - die alle für ein Ja zum Lissabon-Vertrag geworben hatten - sowie mehrere Anführer des Nein-Lagers, darunter Richard Boyd-Barrett von der People Before Profit Alliance, die unabhängige Grünen-Europaabgeordnete Patricia McKenna von der People's Movement, Declan Ganley von der rechtslibertären Gruppierung Libertas sowie Gerry Adams, Präsident von Sinn Féin, eingeladen.

Die an der interkonfessionellen Regierung Nordirlands in Belfast beteiligte Sinn Féin war die einzige Partei im Parlament von Dublin, die sich gegen den Vertrag von Lissabon aussprach. Entsprechend groß ist ihr Gewicht bei der Frage, wie es nach der Abstimmung vom 12. Juni weitergehen soll. Im Vorfeld des Sarkozy-Besuchs haben sich die Vertreter von Sinn Féin gegen die "subtilen Drohungen" aus Paris hinsichtlich einer Isolierung Irlands verwahrt und das Aushandeln eines neuen Vertrages, der die Sorgen der Menschen nicht nur in Irland, sondern in allen europäischen Ländern vor einem überbordenden, neoliberalen und militärischen EU-Superstaat berücksichtigt, gefordert. Weil Sarkozy solche Neuverhandlungen von vornherein ausgeschlossen hat, dürfte die Reise nach Dublin lediglich eine Alibi-Funktion haben, damit der französische Präsident später behaupten kann, er habe sich um eine Verständigung mit den Iren bemüht, an ihm solle es nicht liegen, wenn sich diese den Vorzügen eines durch den Vertrag von Lissabon straffer organisierten Europas verweigerten.

Eine Umfrage auf der Website des staatlichen Irischen Rundfunks Raidió Teilifís Éireann (www.rté.ie) zum Thema des Treffens in der Botschaft Frankreichs wies um 12.45 Uhr, dem Zeitpunkt der Ankunft des französischen Präsidenten am Flughafen von Dublin, ein bezeichnendes Ergebnis auf. Auf die Frage "Wird Sarkozy sich die Argumente beider Seiten des Vertrages von Lissabon zu Herzen nehmen?" votierten nur 18 Prozent der Teilnehmer für die Antwort "Ja, das Treffen mit ihnen ist ein positiver Schritt", während 82 Prozent ihre Meinung in dem Satz "Nein, das ganze ist nur eine PR-Masche" ausgedrückt sahen.

21. Juli 2008